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Gesellschaft: BÜCHERPARADIES

Was hätten Sie denn gern: ein bisschen Ungarn oder Baden-Württemberg, Kartoffeln oder Vollwertkost, Suppen oder Saucen? „Gefüllten Dickdarm auf Sfaxer Art“ oder Hummer „Gisela“ kriegen Sie auch, ja, sogar Bärentatze: „10 cm oberhalb des Gelenkes mit dem Fell absägen.

Was hätten Sie denn gern: ein bisschen Ungarn oder Baden-Württemberg, Kartoffeln oder Vollwertkost, Suppen oder Saucen? „Gefüllten Dickdarm auf Sfaxer Art“ oder Hummer „Gisela“ kriegen Sie auch, ja, sogar Bärentatze: „10 cm oberhalb des Gelenkes mit dem Fell absägen. Mit einer Lötlampe die Haare absengen, gut scheuern und im Wasser brühen, um die Hornhaut von den fleischigen Sohlenpolstern abziehen zu können ...“

„Es gibbt nix, wattet nich gibbt“, sagt Johannes Mohr, unüberhörbar gebürtiger Gelsenkirchener, und bricht in schallendes Gelächter aus. Das alles gibt’s in der Bibliotheca Culinaria – nicht zu essen, aber zu lesen. Mit über 15 000 verschiedenen Titeln ist der Souterrainladen in Mitte das größte Kochbuchantiquariat Deutschlands. Kein Museum hat eine solche Auswahl. „Man muss sich nur zu helfen wissen“, heißt ein Titel im Regal mit DDR-Kochliteratur.

So eisekalt es draußen ist, so mollig warm ist es hier drinnen. Seit Oktober betreibt der 55-Jährige mit seinem Partner Sven Kernemann-Mohr, der gerade in Bangkok zum Kochkurs ist, das Geschäft. Wer einmal hier war, kommt immer wieder, Köche, Kochbuchjunkies oder die Nachbarin. Und wer kommt, der bleibt, setzt sich aufs rote Loriot-Sofa, kriegt einen Kaffee aus der Espressomaschine oder einen Tee aus dem Samowar, lauscht französischen Chansons und plauscht mit Herrn Mohr. Deswegen verkauft der ja nicht übers Internet: weil er so gern mit den Kunden quatscht.

Seit der Schulzeit kennen die Mohrs sich. Das Studium haben sie abgebrochen, um auf den Philippinen zehn Jahre lang Orchideen zu züchten, die sie nach Japan verkauften. Zurück in Deutschland, eröffneten sie einen Blumengroß- und -einzelhandel, in Niederkassel-Lülsdorf, „das nächste Kino 30 Kilometer entfernt“. Auf dem Dorf vertrieben sie sich mit Kochen und Kochbuchsammeln die Freizeit. 20 Jahre lang stand Mohr jeden Morgen um zwei auf, um in Holland auf der Auktion blitzschnell Nelken und Rosen zu ersteigern, „das ist wie Zocken“.

Kochbücher liest Mohr wie Romane, „umwerfend!“, schwärmt er, was man da über Geschichte erfährt. Der früheren Sowjetunion nähert er sich über die transkaukasische Küche, erzählt fasziniert, wie man in der Kochzeitschrift der Bewag ablesen kann, wie der Zweite Weltkrieg immer näher rückte. Stolz führt er seine Schätze vor, Dr. Oetkers Schulkochbuch in Blindenschrift oder das erste deutsche Kochbuch nach dem Krieg, das die Hausfrau darauf aufmerksam macht, was es zwischen den Trümmern alles zu ernten gibt.

Johannes Mohr ist nicht nur äußerlich eine männliche Miss Marple. Mit Hartnäckigkeit und großem Vergnügen findet er, was andere suchen, in Nachlässen, Antiquariaten und auf dem Flohmarkt. Wie sagt er: „Nää, is schön, nää?!“ Susanne Kippenberger

Bibliotheca Culinaria, Zehdenicker Straße 16, Berlin-Mitte, Tel. 473 775 70, www.bibliotheca-culinaria.de

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