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Sebastian Franks alkoholfreie Getränkebegleitung im Restaurant "Horváth" liegt – auch preislich – auf Augenhöhe mit der Weinbegleitung.

© Mike Wolff

Cocktails ohne Prozente: Alkoholfreie Begleiter für genussvolle Abende

In der Vorweihnachtszeit beginnt die intensive Phase des "social drinking". Was aber Gästen servieren, die keine Alkohol möchten? Wir haben da ein paar Ideen.

Nach diesem heißen Sommer mit unzähligen Naturweinen, Gin Tonics, Infused Vodkas und Sherry Cobblers, geht es gleich so weiter: mit dem Federweißen, dem ersten Beaujolais und – es ist ja Herbst – mit reifen Rotweinen. Der kulinarische Kalender ist dieses Jahr voll mit Wein- und Spirituosenveranstaltungen: „Bar Market“, „Bar Convent“, „Old Fashioned Week“ – Anfang November feiert die Barszene weltweit. Und dann ist ja quasi auch schon Weihnachten: Weihnachtsfeiern, Martinsgans und (kulinarischer Tinnitus garantiert) Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Im Januar herrscht dann Katerstimmung, man übt sich in Detox und dem „dry january“, was so viel bedeutet, wie einen Monat lang keinen Alkohol zu trinken. Die Erfahrung zeigt freilich, dass die Verkaufszahlen von alkoholischen Getränken Anfang Februar dann wieder besonders hoch sind.

Wir hier in der Alten Welt trinken uns ja durch das Jahr. Das ist eine Tradition, die alle Länder mit Weinbautradition eint. Seit Jahrhunderten (in einigen Ländern kann man durchaus von Jahrtausenden reden) ist die Menschheit mehr oder weniger betrunken. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot erwähnt in einem seiner Reiseberichte die Sitzungen bei den Persern: Wichtige Entscheidungen wurden einmal im Rausch und einmal nüchtern getroffen. Erst wenn man sich in beiden Gemütszuständen einig war, wurde entschieden. Noch heute ist es übrigens in China und Russland nicht unüblich, bei Geschäftsverhandlungen so große Mengen Alkohol zu konsumieren, bis keine Seite mehr zu böswilligen Handlungen fähig ist.

Erst mit Kaffee und Tee setzte sich die Erkenntnis durch: Politik lässt sich auch nüchtern machen

Aber auch wenn nicht verhandelt wurde, stand Europa im Mittelalter unter dem Zeichen der Trunkenheit: Wasser aus Brunnen und Flüssen war vielerorts kaum trinkbar und deutlich ungesünder als Wein oder Bier.

Alkoholfreie BegleIm fernen Asien allerdings hatte man schon viele Jahrhunderte vorher entdeckt, dass Teeblätter, mit kochendem Wasser aufgegossen, ein nicht nur gesundes, sondern auch sehr feines Getränk ergeben. Diese Erkenntnis setzte sich in Europa aber erst viel später durch. In Teesalons und Kaffeehäusern wurde ab Mitte des 17. Jahrhunderts auch nüchtern Politik gemacht. Und um Wasser und später auch Limonaden gesellschaftsfähig zu machen, musste erst ein gewisser Jacob Schweppe im 18. Jahrhundert die Karbonisierung (und deren desinfizierenden Effekt) erfinden. Wobei seine wichtigste, weil gegen Malaria vorbeugende Erfindung, das Tonic Water, gleich mit Gin versetzt wurde und erst dann Berühmtheit erlangte.

Alkohol ist fest in unserer Kultur verwurzelt und bei gesellschaftlichen Anlässen nicht wegzudenken. Was kann ein genussfreudiger Gast aber trinken, wenn er nicht trinken möchte, und wie kann jemand auch seinen nicht Alkohol trinkenden Gästen ein guter Gastgeber sein?

Mit Gewürz- und Gemüseauszügen ergänzt "Horváth"-Chef Sebastian Frank Gerichte und schafft spannende Texturen, wie bei geeistem Rhabarbersoda mit Paprika-Minz-Reduktion.
Mit Gewürz- und Gemüseauszügen ergänzt "Horváth"-Chef Sebastian Frank Gerichte und schafft spannende Texturen, wie bei geeistem Rhabarbersoda mit Paprika-Minz-Reduktion.

© Mike Wolff

Beginnen wir mit dem guten Willen: Der nicht trinkende Gast nimmt sich beim Aperitif das Glas mit dem Wasser oder der Apfelschorle, den Gastgebern ist das ein bisschen unangenehm, aber sie haben keine bessere Idee. Apfelschorle erreicht Stellen, da kommt normale Langeweile gar nicht hin. Beim Abräumen findet der Gastgeber dann viele nicht ausgetrunkene Schorlengläser. Wäre es nicht schön, wenn man jetzt die Freundin aus der Kaffeewerbung hätte, die einen in der Küche zur Seite nimmt und sagt: „Mühe alleine genügt nicht, deinen Getränken fehlt einfach das Aroma – nimm doch ...“ Und genau jetzt wird es spannend. Der Apéritif ist (meistens) der erste Drink des Abends, er soll Lust auf ein paar entspannte Stunden mit netten Menschen machen. Hier empfiehlt sich ein Getränk mit Kohlensäure, die öffnet die Geschmacksknospen. Warum nicht mal statt Sekt und Champagner ein „Shrub“ probieren? Die Basis dafür bildet Apfelessig, der mit Gemüse, Obst oder Kräutern aromatisiert und leicht gesüßt mit Mineralwasser verdünnt wird.

Birnen-Ingwer-Shrub

6 reife Brandenburger Birnen (Saison! Region!) geschält, das Kerngehäuse entfernt und in kleine Stücke geschnitten

100 g frischer, geriebener Ingwer (Superfood!)

240 g feiner Zucker (alternativ Ahornsirup)

240 ml Apfelessig in Bioqualität

Die Birnen mit einer Gabel zerdrücken, zusammen mit Ingwer und Zucker in einer Schüssel mischen und gelegentlich umrühren, damit sich der Zucker komplett auflöst. Die Mischung dann durch ein feines Sieb in ein großes, gut verschließbares Glas geben und den Essig dazu. Alles gut schütteln und mindestens zwei Tage im Kühlschrank ziehen lassen. Das Ganze mit Mineralwasser auf einem großen Eiswürfel in einem Weißweinglas servieren (1/3 Shrub, 2/3 Mineralwasser) und statt Strohhalm eine Macaroni (plastikfrei!) nehmen.

Szenenwechsel: beim Weihnachtsessen. Üblich ist, dass, wer keinen Alkohol möchte, sich Wasser und Orangensaft mit den Kindern teilt. Wer als Gastgeber aber mehr bieten möchte, sucht zum festlichen Menü mit Gans, Rotkraut und Knödeln ein Getränk, das mit den Röstaromen des Geflügelbratens und den fruchtigen Noten des Rotkrauts gut zurechtkommt, zum Beispiel

Pflaumennektar mit Rauchtee, Rotkohl und Zimt

500 ml Pflaumennektar in Bioqualität

2 EL Rauchtee (z. B. chinesischer Lapsang Souchong oder japanischer Kyobancha)

1 Zimtstange

1 kleiner Rotkohl

Rauchtee und Zimtstange in den Nektar geben und über Nacht im Kühlschrank ziehen lassen (Coldbrew). Die Mischung am nächsten Tag durch ein feines Sieb gießen. Zwei Handvoll rohen Rotkohl mit dem Saft mischen, pürieren und die Mischung abseihen. Das Aroma des Rotkohls bringt Frische und mindert die Süße des Saftes. Den Drink mit Mineralwasser auf einem großen Eiswürfel im Tumbler servieren.

Nach dem Essen: Die Gäste sitzen in Chesterfield-Sofas und genießen diesen ganz speziellen japanischen Whisky, der erst in Sherry-, dann in Bourbonfässern gelagert wurde. Der Gastgeber erzählt von der Fassreife, den Aromen, von Dörrobst- und Vanillenoten. Für die nicht trinkenden Gäste gibt es wieder mal die bewährte Apfelschorle ...

Muss das sein? Wie wäre es stattdessen mit einem aromatisch-ätherischen Shot?

Cold-Brew-Bergtee mit Zitronenlimonade

1 Vanilleschote

2–3 Zweige Bergtee (drei Tage mit einem halben Liter Wasser im Kühlschrank ziehen lassen)

4 große Biozitronen in Scheiben geschnitten

200 g Zucker

Zucker in einen Topf geben, das ausgekratzte Vanillemark mit 200 ml kochendem Wasser übergießen. Umrühren, bis sich der Zucker aufgelöst hat, Mischung abkühlen lassen und abseihen. 100 ml Bergtee und 50 ml Zitronensirup auf Eis in einen Tumbler geben und mit Mineralwasser auffüllen. Cheers!

Dass alkoholfreie Getränkebegleitungen im Trend liegen, haben zuerst die gehobenen (und meist auch besternten) Berliner Restaurants gemerkt. Mittlerweile sind viele Küchen gut auf den nicht trinkenden Gast vorbereitet. Marco Müller zum Beispiel bastelt im „Rutz“ schon seit Jahren an einer alkoholfreien Getränkebegleitung. Am Anfang konzentrierte er sich noch darauf, etwas Passendes zu einem Gericht zu stellen. Schon Ende 2016 aber zeigte er bei Lachs mit Honig-Bete, Fenchel und Pfefferstaub in Muschelsud, wie ein Getränk ein Gericht ergänzen kann. Der Muschelsud bildete auch die Basis für das begleitende Getränk, zu dem ein Apfelauszug noch Süße und Säure beisteuerte. Wie bei einer sinnvollen Weinbegleitung werden so die Aromen verstärkt, aber nicht verfälscht. „Wein, so vielfältig er sein kann, ist immer nur Wein“, sagt Müller. „Dadurch, dass wir jetzt ein Getränk von Grund auf zusammenbauen können, haben wir viel mehr Möglichkeiten, auf die Aromen, Konsistenzen und Temperaturen der Gerichte zu reagieren.“

Als einer der Ersten experimentierte Marco Müller im "Rutz" mit alkoholfreien Speisebegleitern, die nicht nur mit einem Gericht harmonieren, sondern die Aromen aufgreifen und verstärken. Zu Ostseelachs mit Honig-Bete, Fenchel und Pfefferstaub servierte er schon 2016 einen Drink aus Muschelsud und Apfelauszug.
Als einer der Ersten experimentierte Marco Müller im "Rutz" mit alkoholfreien Speisebegleitern, die nicht nur mit einem Gericht harmonieren, sondern die Aromen aufgreifen und verstärken. Zu Ostseelachs mit Honig-Bete, Fenchel und Pfefferstaub servierte er schon 2016 einen Drink aus Muschelsud und Apfelauszug.

© Mike Wolff

Ein anderer Vorreiter ist Sebastian Frank aus dem „Horváth“. Er sieht die alkoholfreie Begleitung nicht mehr „nur als alkoholfreies begleitendes Getränk, sondern eher als flüssiges Gericht, das wie ein Satellit die Tellerkreation nach eigenem Ermessen komplementieren kann“. In seinem aktuellen Menü lässt er eine schaumige Mayonnaise mit glasiertem Senfgurken-Wurzelgemüse, geröstetem Weißbrot und Petersilie von einem leichten Molkedrink mit Leindotteröl, Honig und Meerrettich begleiten. Beim Gericht „Haschee“ zeigt Frank, dass die Getränkebegleitung auch gerne mal herzhaft sein darf. Ein gebratenes Pilzhack mit schaumiger Gemüse-Einmachsauce sowie oxidiertem und gedörrtem Kopfsalat wird von einem Kaltauszug von Gulascharomen begleitet. Bei Sebastian Frank ist die alkoholfreie Begleitung Chefsache. Sie erfährt in der Küche dieselbe Aufmerksamkeit wie die Gerichte. Und sie wird genauso hoch berechnet wie die Weinbegleitung – Gleichberechtigung hat ihren Preis.

Aber der Ausflug in die Spitzengastronomie zeigt auch, dass gute und vor allem passende Getränke tatsächlich nicht unbedingt Prozente brauchen. Was sie brauchen, sind gute und frische Zutaten, ein bisschen Experimentierfreude und Neugierde. Einfach mal ausprobieren.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Nicole Klauss

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