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Vor den Besuchen wird ihre Kleidung schön hergerichtet. Der Ornat - so nennt sich das Kostüm - stört sie nicht, eher schon die Perücke mit den langen blondgelockten Haaren und die 800 Gramm schwere Krone.

© Patrick Guyton

AfD hetzt gegen Nürnberger Christkind: „Es tut mir leid für die Menschen, die mit so einer Sicht durch die Welt gehen“

Weihnachtsbotschafterin Benigna Munsi wurde aufgrund der Herkunft ihres Vaters von Rechten angefeindet. Wie geht die 17-Jährige damit um?

An diesem Donnerstag beginnt der Arbeitstag des Christkinds um 10.45 Uhr. Es steigt aus dem Van mit den schwarzen Vorhängen aus, geht ein paar Schritte und wird an der Tür von Anja begrüßt, einer kleinen 38 Jahre alten Frau mit Behinderung. Drinnen im großen Saal warten schon 200 Menschen bei der Weihnachtsfeier auf den Stargast. Benigna Munsi tritt ein, Applaus, die 17-Jährige breitet die Arme weit aus, sodass ihre goldenen Flügel schön zu sehen sind. Sie lächelt in die Runde der Jüngeren und Älteren, die hier in Nürnberg bei „noris inklusion“ arbeiten und teilweise auch leben. Es ist eine große Sozialorganisation, die sich um Behinderte kümmert. Geschäftsführer Christian Schadinger richtet ein paar Worte an Benigna Munsi, bevor sie mit ihrem Programm loslegt.

Das Christkind ist die zentrale Figur des Weihnachtsfestes, schließlich bringt es die Geschenke. In diesem und im nächsten Jahr wird es von Benigna Munsi dargestellt, einer Schülerin des Labenwolf-Gymnasiums. Von einer städtischen Jury war sie Ende Oktober gewählt worden.

Bei „noris inklusion“ trägt sie den traditionellen „Prolog“ vor. Dass sie ihn auswendig kann, war Voraussetzung für die Wahl. Es ist ein Gedicht ursprünglich aus dem Jahr 1948 des Nürnberger Dramaturgen Friedrich Bröger, geschrieben für das erste Christkind nach dem Zweiten Weltkrieg. Benigna Munsi rezitiert: „Die Kinder der Welt und die armen Leut', die wissen am besten, was Schenken bedeut'. Ihr Herrn und Frau'n, die ihr einst Kinder wart, seid es heut' wieder, freut Euch in ihrer Art.“

Mit den Menschen mit Behinderung singt das Christkind „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ und verteilt an alle seine goldenen Weihnachtssterne. Verabschiedung – doch draußen wartet noch Roland, ein 55 Jahre alter Mann, das ist schon immer so. „Ich bin ein Fan vom Christkind“, sagt er, und deshalb erfährt er stets eine kleine Sonderbehandlung.

Roland bekommt eine mit dem Christkind-Bild bedruckte und von ihm mit besten Wünschen unterschriebene Karte. „Die sammle ich“, sagt er, „seit 1984 habe ich alle.“ Die Christkind-Betreuerin Susanne Randel vom Presseamt der Stadt Nürnberg erklärt: „Das machen wir draußen, weil das sonst alle wollen und wir gar nicht mehr weg kommen.“

Enge Taktung der Termine vor Weihnachten

Dieser Tag von Benigna Munsi ist wie die anderen auch lang und dicht getaktet: Generalprobe Sternstunden-Gala, Caritas-Straßenambulanz, Märchenstunde. Insgesamt sieben Termine bis 18.40 Uhr mit dem Ende des Lichterzuges in der Stadtmitte. Christkind sein, bedeutet harte Arbeit. Es ist ein Knochenjob, sieben Tage die Woche durchgehend vom 29. November mit der Eröffnung des Christkindlesmarktes bis zum 24. Dezember.

Insgesamt 160 Termine im Raum Nürnberg hat Susanne Randel ausgemacht, sie sind allesamt bei öffentlichen oder karitativen Stellen. Für die Firmenfeier etwa kann man das Christkind nicht buchen. Von der Schule ist Benigna in dieser Zeit befreit, sie meint: „Wenn man etwas möchte, strengt man sich an. Ich muss halt nachlernen.“ Im Auto auf der Fahrt zum nächsten Termin meint Randel: „Die Krone sitzt manchmal zu tief. Und ab und zu wackelt sie ein bisschen. Aber ansonsten machst du das super.“

Der Van wird von den Nürnberger Verkehrsbetrieben gestellt, drei Beschäftigte sind in dieser Zeit Christkind-Fahrer. Heute sind das Ralf und Herbert, doch sie steuern nicht nur das Auto, sondern sind zugleich Organisatoren im Hintergrund – sie schauen, dass genug Sterne da sind und Benigna auch sonst nichts vergisst, sie halten Kontakt zu den Stellen, die besucht werden, gehen häufig mit zu den Veranstaltungen.

11.45 Uhr, Frankenhalle, Generalprobe der BR-Sternstunden-Gala. Das ist eine Fernsehsendung mit Prominenz, Spenden werden für gute Zwecke gesammelt. Das Christkind wird am nächsten Abend live ein paar Fragen beantworten und den aktuellen Spendenstand verkünden. „Nun kommen wir zu Peter Maffay“, sagt der Produktionsleiter, doch Peter Maffay ist bei der Probe nicht da. Sein Lied wird abgespielt, auf der Bühne sind Statisten, einer davon mit einem großen Bild des Sängers. „Meine Süße, darf ich dich mal mitnehmen“, meint eine Mitarbeiterin und zeigt ihr, wo sie zu stehen und wohin zu gehen hat. Der Moderator sagt: „Unser nächster Gast ist genau genommen ein Geschenk des Himmels.“ Danach kommt Benigna Munsi runter. Nervös? Sie zuckt mit den Schultern und meint erstaunlich abgeklärt: „An mir hängt das ja nicht, ich muss nicht viel machen.“ Nach der Sendung ist sie zur Aftershow-Party eingeladen, aber sie weiß noch nicht, ob sie hingeht: „Da wollte ich auch was mit Freunden machen.“

Was gefällt dem Christkind an seinem Job? Benigna sagt: „Für die Menschen da sein. Es ist cool, wenn man kommt und die Leute sich freuen.“ Sie überrascht und interessiert es, „die vielen verschiedenen Formen der Freude zu sehen“. Da gibt es etwa, so sagt sie, „die leise und die laute Freude“. Menschen im Pflegeheim würde ein Händedruck gut tun, das spüre sie genau. Am meisten berührt hat sie ein Besuch im Demenzzentrum, wo sie auch zu den Leuten ans Bett gegangen ist. „Manche heulen da.“ Benigna Munsi erscheint als eine ebenso herzliche wie reflektierte junge Frau.

Und sie ist eine Art Offene-Welt-Christkind, das auch für diese Zeit steht: Ihr Vater stammt aus Indien, die Mutter aus dem oberschwäbischen Weingarten, Benigna wurde in Nürnberg geboren. Die Familie ist katholisch, sie singt im Kirchenchor, spielt Oboe und hat vier Geschwister. Sie möchte Schauspiel studieren und macht in ihrer Freizeit beim Jugendclub des Nürnberger Staatstheaters mit.

1933 gab es das erste Nürnberger Christkind bis 1938, im Krieg entfiel der Markt. Danach wurde es bis 1968 von Schauspielerinnen gespielt. Seit 1969 wird es mit Mädchen aus Nürnberg besetzt. Formale Voraussetzungen: Die Kandidatinnen müssen zwischen 16 und 19 Jahren alt, mindestens 1,60 Meter groß und schwindelfrei sein wegen der Markteröffnung hoch oben auf dem Balkon der Frauenkirche. Bei der Auswahl achtet die Jury aber vor allem auf soziale Kompetenzen: Das Christkind soll offen sein, herzlich und auch schlagfertig.

Munsi bei der Entscheidung der Jury.
Munsi bei der Entscheidung der Jury.

© imago images/HMB-Media

Rechter Hass gegen Benigna

Direkt nach der Wahl passierte die Sache mit der AfD. Ein Mitarbeiter der Partei im Kreis München-Land hatte in Bezug auf ihre halb-indische Herkunft einen rassistischen Kommentar gepostet: „Nürnberg hat ein neues Christkind. Eines Tages wird es uns wie den Indianern gehen.“ Die Partei löschte den Beitrag. Aber er war eben in der Welt gewesen. Benigna erlebte einen „Lovestorm“ im Internet, wie sie danach sagte. Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) lud rasch zu einer Pressekonferenz mit dem Christkind. Dort meinte Benigna Munsi: „Es tut mir leid für die Menschen, die mit so einer Sicht durch die Welt gehen.“

Weiter zur Caritas-Straßenambulanz, wo Obdachlose und wirtschaftlich schwach gestellte Menschen Weihnachten feiern. „Im Auto habe ich meine Auszeiten“, sagt sie. Bei der Caritas knippst sie dann wieder ihr Strahlen an, es wird „Alle Jahre wieder“ gesungen, sie verteilt Schokoladentafeln. Benigna Munsi nimmt sich Zeit, viele wollen ein Foto von sich mit dem Christkind.

Wie steht Benigna selbst zum Christkind, warum hat sie sich beworben? „Früher habe ich es wegen seiner überirdischen Fähigkeiten bewundert. Es konnte ja ganz schnell auf der ganzen Welt Geschenke verteilen“, erinnert sie sich. „Als ich dann merkte, dass es das Christkind so gar nicht gibt, wollte ich Christkind werden.“ An Heiligabend hat sie ihren letzten Termin für das Jahr, Obdachlosenweihnacht um 16 Uhr. Danach feiert sie selbst Weihnachten mit ihrer Familie. Sie kann sich in den Sessel setzen und die Beine hochlegen - und Geschenke auspacken.

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