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Die Rocky Mountains werden bei Sportlern auch im Sommer immer beliebter.

© Jeremy Swanson/Promo

Aspen: Eine Kleinstadt mit Größenwahn

Wo sonst in den USA wohnen so viele Milliardäre? In Aspen üben sie Yoga am Gipfel und rasen Pisten hinab.

Die Milliardäre machen keinen Ärger, sagt eines Abends die Frau hinterm Tresen. Probleme gebe es bloß mit den Millionären. „Kaum die erste, zweite Million gemacht, da meinen die, sie müssten mit Geld um sich werfen“, flucht sie und kassiert sieben Dollar für ein Bier, das selbst in Köln als ein kleines durchgehen würde.

Laut Forbes-Institut ist Aspen die reichste Stadt der USA und dafür in der Welt einigermaßen bekannt geworden, als Skiresort der High Society. Mit Geschichten von Paradiesvögeln, die ihre Pelzmäntel mit Champagner für 2000 Dollar die Flasche duschen.

Solche Schnösel und die passenden Clubs, in denen entsprechende Eskapaden vorkämen, gebe es schon, sagen die Einheimischen meist eher verschämt. Das Restaurant „Cloud 9“ an der Bergstation eines Skilifts sei so ein Ort. Aber wer gehe da schon freiwillig hin?

Abgesehen davon merkt man der Stadt ihren Wohlstand erst auf den zweiten Blick an. Klar, alles sieht sauber aus, frisch saniert und irgendwie teuer. Doch die Einwohner tragen Kapuzenpulli statt Krawatte, fahren Familienkutschen statt Ferrari und gehen abends gern mal ein Craftbier statt Château Mouton trinken. Als hätte man einen schicken Juwelier mit einem Skateshop gekreuzt.

Ein bisschen zu nah am Himmel

In Aspen sind nicht nur die Preise ziemlich hoch, der ganze Ort ist es. Besucher, die das nicht kennen, sollten es langsam angehen lassen. Es kann drei Wochen dauern, bis man sich an die dünne Luft gewöhnt hat und der Körper ausreichend rote Blutkörperchen bildet. Zehn Atemzüge braucht man so hoch oben, um das zu schaffen, was man auf Meereshöhe in sieben schaffen würde. Albert Schweitzer war 1949 hier und wurde davon krank, von ihm stammt das Zitat: „Aspen is a little bit too close to heaven.“

Manche Zugezogene behaupteten sogar, man gewöhne sich nie daran, erzählt Grayson Bauer. Er dagegen war offenbar nicht so schwer zu integrieren. Ist kaum ein Jahr hier und kraxelt den Hunter Creek Trail rauf zum Red Mountain, als wäre es ein Bürgersteig. Bauer ist Naturführer, bringt Schulklassen und Touristen in die Berge und erklärt ihnen die Pflanzenwelt. Manchmal abstrakt, manchmal ganz nützlich. Wenn man zu wenig Wasser eingepackt und die Sonnenmilch im Koffer vergessen hat, beispielsweise.

Bauer hilft. Nicht aus dem Fluss trinken, weiter oben leben Biber, man würde krank werden. Er reicht den letzten Schluck aus seiner Flasche. Vor den UV-Strahlen schützen jene Bäume, die dem Ort seinen Namen geben: die Espen. Wenn man mit den Händen an ihrer hellen Rinde reibt, sondern sie ein weißes Pulver ab. Auf der Haut wirkt das wie ein natürlicher Sunblocker. „Seid vorsichtig mit den Bäumen“, mahnt Bauer. Die seien empfindlich. Verärgert zeigt er auf Schnitzereien von Verliebten, die ihre Namen in die Rinde geritzt haben. „40 Jahre kann es dauern, bis das verheilt. So lange sind viele Paare gar nicht zusammen.“

Kiffen ist legal und der Busverkehr kostenlos

Bauer ist Anfang 40, viel Bart im Gesicht und dafür mehr Kopfhaut als Frisur. Eigentlich kommt er aus Kansas. Vor einem Jahr zog er in die Berge, weil es einen guten Job gab. Und ganz nebenbei: „Nach Donald Trump musste ich weg von dort.“ Kansas ist tief republikanisch, Aspen dagegen ein liberales Zentrum im liberalen Colorado. Unisex-Toiletten, Kiffen ist legal, die Regenbogenfarben sieht man fast so häufig wie die Landesflagge, überall gut ausgebaute Fahrradwege. Es gibt nicht viele Orte in den Vereinigten Staaten, auf die das zutrifft. Der Busverkehr ist kostenlos, das preisen die Aspener jedem Neuankömmling an, als sei’s dem Chalet-Besitzer eine besondere Freude, die drei Dollar fürs Ticket gespart zu haben. Und noch ein Vorteil, sagt Bauer: Hier oben könne man sich gut vor den Problemen der Welt verstecken.

Die meisten, die herkommen, wollen lieber ihre Ruhe. Laufkundschaft gibt es kaum. Aspen liegt mitten in den Rocky Mountains, mehr Dorf als Metropole, der Flughafen so öde wie der BER. Hier landen nur kleinmotorige Maschinen, die es rechtzeitig vor dem Bergkamm in die Luft schaffen. Privatjets parken neben dem Rollfeld wie andernorts VW Polos.

Jahrhunderte lang kam überhaupt niemand hierher, zu schroff die Gegend, zu abgelegen. Mitten im Heartland der USA, weit weg von West- und Ostküste. Bis im 19. Jahrhundert jemand das Silber entdeckte. Die Minen machten Aspen reich, zum ersten Mal. Fast 18 000 Einwohner lockte der Boom an. Um die Jahrhundertwende brach die Branche ein, Leute zogen weg, bis heute leben in Aspen bloß noch etwa 6000 Menschen. Der zweite Aufschwung kam in den 1940er Jahren, damals wegen der Skifahrerei. Gemeinsam mit dem benachbarten Snowmass ist es eine der größten Wintersportregionen der Vereinigten Staaten. Davon zehrt die Stadt bis heute, und manchmal zehrt das wiederum an den Kräften der Einheimischen.

„Es ist sehr schwer, hier eine nette Frau zu finden“

Die Espen, die dem Ort seinen Namen geben, spenden Schatten beim Mountainbiken in den Rockies.
Die Espen, die dem Ort seinen Namen geben, spenden Schatten beim Mountainbiken in den Rockies.

© Matt Power/Promo

Denn es ist ja nicht so, dass jeder in der Stadt einen siebenstelligen Betrag auf dem Konto hätte. Oder zehnstellig. Irgendjemand muss schließlich hinterm Tresen die Cocktails mixen und den Müll abholen. Und auch derjenige will nach Feierabend essen gehen oder ein Bier mit Freunden trinken. Zwar sind die Gehälter hier entsprechend höher und die Stadt setzt auf sozialen Wohnungsbau, viele leben trotzdem außerhalb, manchmal 30, 40 Meilen. Kommen zum Arbeiten am Morgen her und fahren am Abend wieder raus. Echte Locals, die nicht im Dienst sind, muss man deshalb lange suchen.

Bauer würde gern einer von ihnen werden, entsprechend seiner Berufung Wurzeln schlagen und eine Familie gründen. Problem: „Es ist sehr schwer, hier eine nette Frau zu finden. Die sind alle hübsch und freundlich, aber es gibt einfach zu wenige.“ Vielleicht, vermutet er, ziehen Extremsport-Regionen einfach mehr Männer an.

Immer häufiger entdecken Freunde des gepflegten Muskelkaters, dass die spektakulären Berge vom Winter auch im Sommer noch da und noch immer spektakulär sind.

Nicht jeder ist auf Bewegung aus

Vor dem Frühstück auf den Aspen Mountain kraxeln, den alle nur Ajax nennen. Auf dem Gipfel dann „Herabschauender Hund“, der in dem Fall von 3000 Metern über Null hinabblickt, beim Yoga mit Bergpanorama. Ein bisschen mehr Aufregung gibt’s beim Mountainbiken in den Rockies. Und wenn die Sonne mal zu arg brennt: Auf dem Roaring Fork River kann man im Frühjahr, mit der Schneeschmelze, Wildwasserrafting und im Sommer, wenn der Fluss eher seufzt als röhrt, Stand-Up-Paddling versuchen.

Doch nicht jeder, der hierherkommt, ist auf Bewegung aus. Die Stadt arbeitet daran, sich kulturell einen Namen zu machen. Darum kümmern soll sich unter anderem Kelly Nosari. Sie leitet das Aspen Art Museum. Wo sonst findet man ein Multimillionen-Dollar-Kunsthaus in einem Ort mit weniger als 10 000 Einwohnern. Nosari hat genau das gereizt, es sei ja auch „ganz schön“. Aber hier leben? Nein danke. Ein paar Jahre, das sei okay, doch dann bitte wieder eine größere Stadt.

Dabei ist ihr Museum nicht die einzige kreative Institution im Ort. Aspen kann gewichtige kulturelle Pfunde anführen. Im Kleinen, wie die vielen Ausstellungen und Konzerte, die oft gratis sind, die Murals, also professionellen Graffiti, die gerade in diesem Sommer entstanden, aber auch ein paar ganz große Namen. Es gibt im Westend ein komplettes Bauhausviertel, John Denver spielte hier jedes Jahr Konzerte, ihm wurde ein eigenes Memorial errichtet, wo Fans andächtig seine Songtexte lesen, die in Felsbrocken eingraviert sind.

Hunter S. Thompson ließ sich in Aspen beisetzten

1969 kam Hunter S. Thompson her, um sich vor den Hell’s Angels zu verstecken. Später schickte er sich an, Sheriff von Pitkin County zu werden, zu dem auch Aspen zählt. Er ließ sich im nahegelegenen Woody Creek nieder, mischte den Bezirk auf, suchte sich eine Lieblingsbar, in die sich heute noch ein Ausflug lohnt (die Woody Creek Tavern, am besten mit dem Fahrrad am Ufer des Roaring Fork River entlang). 2005 schoss er sich eine Kugel in den Kopf, zuvor hatte er angeordnet, ihm ein fast 50 Meter hohes Monument zu errichten in Form der berühmten Gonzo-Faust, die zum Symbol geworden war für seinen literarisch-journalistischen Schreibstil. Seine Asche pustete sein Freund Johnny Depp mit einer Kanone in die Luft. In Aspen haben sie Thompson ein Museum eingerichtet.

Selbst unter den extravagantesten Aspenern fiel Thompson als wahnsinniges Genie auf. Die durchschnittlich Verrückten, wie sie in jeder Stadt vorkommen, trifft man abends in der Aspen Brewing Company beim lokal gebrauten Bier, im Sommer sitzen die Gäste gern draußen im Sonnenuntergang und entscheiden sich zwischen Pale Ale und Weißbier.

Am Schnapsbrett sind alle gleich

Wenn der Abend später wird, ist in der Red Onion Bar trotzdem noch was los, oft gibt es Livemusik und auch unter der Woche bestellt häufiger mal jemand einen Shotski. Auf diese Erfindung sind sie in der Stadt stolz, beanspruchen jedenfalls für sich, dass es ihre Idee gewesen sei. Dabei ist das Ganze keine Meisterleistung der Ingenieurskunst: Auf einem alten Ski sind Schnapsgläser in Reihe montiert. Die werden mit Klarem gefüllt und dann gemeinschaftlich geext, gleichzeitig und nebeneinander aufgereiht.

Und irgendwie ist das auch etwas zutiefst Beruhigendes. Denn so ziemlich alle machen mit, egal, ob arm oder milliardenschwer – am Schnapsbrett sind alle gleich.

Reisetipps für Aspen

Hinkommen

United Airlines fliegt ab 850 Euro unter anderem via Newark und Denver nach Aspen, in etwa 15 Stunden.

Unterkommen

Wenige Blocks von der belebten Fußgängerzone entfernt und mit Bushaltestelle vor der Tür liegt die Aspen Mountain Lodge. Gemütliches Holzinterieur. Doppelzimmer ab 150 Euro pro Nacht, aspenmountainlodge.com.
Komfortabel und gut gelegen für Aktivreisende ist das Westin Grand im benachbarten Snowmass. Allerdings auch zum Verlaufen riesig. Doppelzimmer ab 200 Euro pro Nacht, westinsnowmass.com.

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