
© dpa/Uwe Anspach
Aufwühlender Verhandlungsauftakt: Gerichtsprozess um den Polizistenmord von Mannheim hat begonnen
Der 29-jährige Rouven L. wurde am 31. Mai vergangenen Jahres während eines Einsatzes auf dem Mannheimer Marktplatz von Sulaiman A. erstochen. Innerhalb von 52 Verhandlungstagen soll in Stuttgart ein Urteil gefällt werden.
Stand:
Die Mutter von Rouven L. ist aus Neckarbischofsheim nach Stuttgart in den Gerichtssaal gekommen, auch seine beiden Schwestern. Die drei Frauen lassen nicht erkennen, wie tief sie von der Trauer um den 29-Jährigen zerrissen sein müssen, der am 31. Mai auf dem Marktplatz von Mannheim in einer wilden Messerattacke erstochen wurde.
Tapfer und freundlich beantworten sie organisatorische Fragen des Gerichts, scheinbar gleichmütig ertragen sie die demonstrative Teilnahmslosigket des Angeklagten Sulaiman A. aus Afghanistan.
Doch der Fall wühlt auf – eine Zuhörerin weint nach der Verlesung der Anklage im Gerichtssaal. Auch das Gericht bittet vorsorglich um Verständnis, dass die fünf Richter in dem auf 52 Verhandlungstage angesetzten Staatsschutzverfahren die Emotionen einholen könnten.
Wir sind kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss und keine aktuelle Stunde zu gesellschaftlichen Themen.
Herbert Anderer, Vorsitzender Richter des Oberlandesgerichts in Stuttgart.
Besonders schwierig dürfte der Tag werden, an dem ein Video vom Tatgeschehen gezeigt wird. Darauf ist detailliert dokumentiert, wie der angeklagte 26-Jährige mit seinem Messer um sich stach und schließlich L. tötete. Der Clip ging nach der Attacke viral, hunderttausende Menschen sahen ihn.
Es könnte also im Grunde alles geklärt sein in dem Verfahren – und doch setzte das Gericht eine umfassende Beweisaufnahme an. Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer macht in einem für einen Strafprozess ungewöhnlichen Schritt eine lange rechtfertigende Vorbemerkung, weshalb so ein aufwändiger Prozess nötig sei. Es gehe vor allem um die „individuelle Schuld“, sagt Anderer.
Doch der Richter hat noch ein zweites Anliegen: Er will Erwartungen bremsen, sein Gericht könnte nun quasi eine Art Urteil sprechen in der derzeit hart und kontrovers geführten politischen Debatte über die Migration. „Wir sind kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss und keine aktuelle Stunde zu gesellschaftlichen Themen“, sagt Anderer. Manche Erwartung an das Verfahren werde enttäuscht werden.
Vermutlich fand aber schon lange kein Strafprozess in Deutschland mehr in solch einer angespannten Lage statt. Mannheim, Solingen, Aschaffenburg lautet die Aufzählung von Messerangriffen durch Flüchtlinge, die gerade den Wahlkampf zur Bundestagswahl am 23. Februar prägt. Dazu kommt nach der Autoattacke auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt nun noch der mutmaßliche Anschlag mit einem Auto in München durch einen Afghanen.
Der Auftritt des Angeklagten A. und seiner beiden Verteidiger zum Prozessauftakt ist nicht dazu geeignet, die Gemüter zu beruhigen. A. ist ein eher schmächtiger junger Mann, der mit einem nahezu akzentfreien Deutsch nur auf wenige Fragen des Gerichts antwortet. „Ich bin in Afghanistan geboren“, sagt er zu seiner Herkunft.
Die Stimme klingt sanft – doch was die Bundesanwaltschaft beschreibt ist zerstörerisch. A. soll sich als Sympathisant der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat bewusst zum 31. Mai eine Veranstaltung eines islamkritischen Vereins für eine Attacke ausgesucht haben. Wegen seines radikalisierten Glaubens habe er die Pflicht verspürt, „Feinde des Islams“ zu töten.
Wer A. so auf der Anklagebank sieht, kann kaum glauben, wie dieser schmächtige, vollbärtige Mann auf dem Mannheimer Marktplatz gewütet haben soll. Ein langes Jagdmesser soll er gezogen haben, den Islamkritiker Michael Stürzenberger niedergestochen und auch auf vier weitere Menschen eingestochen und eingeschlagen haben.
Schließlich entdeckte er in der unübersichtlichen Situation den Polizisten Rouven L., der einen Zeugen fälschlich als möglichen weiteren Angreifer identifiziert und dann fixiert hatte. A. nutzte die Situation und stach dem Polizisten in den Kopf.
Warum er das tat, bleibt wegen der verweigerten Aussage offen. Ob A. psychisch bei Sinnen war, soll ein Gutachter klären. Seine Verteidiger äußern sich nicht zu Berichten, wonach eine psychiatrische Problematik vorgelegen haben soll.
Verteidiger Axel Küster sagt am Rande des Prozesses allerdings einen Satz, der nicht nur für die Familie des getöteten Polizisten wie eine Verhöhnung klingen muss: „Er macht einen überaus sympathischen, netten Eindruck“, beschreibt Küster seinen Mandanten. Ein Wort der Entschuldigung, gar der Reue ist zur Bluttat von Mannheim dagegen nicht zu hören. (AFP)
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