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Auswanderer: Nix wie weg hier

Alt werden unter Palmen – das war ihr Traum. Nun sitzt ein deutsches Ehepaar in Spanien und vermisst die Nordsee. Ein Hausbesuch.

Frau Grube sitzt zu Hause in ihrem Lieblingssessel und hat Heimweh. Im offenen Kamin brennen ein paar Holzscheite, im Radio läuft gerade NDR 1, Rod Stewart singt wie auf Kommando das unverwüstliche „I am sailing“ – die Hymne all jener, die ins Meer vernarrt sind. So wie Frau Grube. Sie hat an die Wände Bilderbuchmotive von rot-weiß-gestreiften Leuchttürmen und von der Nordsee gehängt.

Träte Ruth Grube vor ihre Haustür, könnte sie das Meer riechen. Es liegt gleich hinter der nächsten Straße. Doch die Rentnerin – 66 Jahre, mit blond gefärbten Haaren, Jeans, geblümter Bluse und schwarzer Fleeceweste – geht nur noch selten vor die Tür. Lieber blickt sie abwechselnd auf das Telefon, das neben ihr auf einem Holztischchen steht. Es könnten schließlich eines ihrer beiden Kinder, die Schwester oder Freunde anrufen. Und so schaut sie meist nur aus dem Fenster in den heute mal wolkenverhangenen Himmel.

Frau Grube wartet und sagt: „Ich könnte ja sehr glücklich sein. Wenn ich nur nicht Deutschland so vermissen würde.“ Ihr Problem: Nicht die Nordsee liegt hinter der nächsten Straße, sondern das Mittelmeer.

Sie hat ihre Heimat Norddeutschland vor 14 Jahren freiwillig verlassen. Gemeinsam mit ihrem Mann zog Frau Grube an die südspanische Küste. Der Ruhestand unter Palmen, in der ewigen Sonne, der Strand in der Nähe – so sah damals ihr großer gemeinsamer Traum aus.

Im Sommer 1999 war es so weit. Ruth Grube, die als Krankenschwester gearbeitet hatte, war wegen eines Bandscheibenvorfalls vorzeitig in Rente gegangen. Herr Grube, ein Matrose, hatte schon kurz zuvor aufgehört zu arbeiten. Die beiden verkauften ihr Haus auf der Insel Fehmarn, mieteten sich eine Ferienwohnung in einem andalusischen Küstenort, ein paar Kilometer von Malaga entfernt, und riefen einen deutschen Makler an, der sich an der Costa del Sol niedergelassen hatte.

Zunächst wollten die Grubes ein eigenes Häuschen bauen, in Torrox Costa. Der Ort gilt als größte deutsche Kolonie auf dem spanischen Festland. Der Makler hatte schnell das passende Grundstück gefunden. Während sie auf den Kaufvertrag warteten – zwei Jahre lang – lebten sie auf dem Land bei den Eltern des spanischen Grundstücksbesitzers, in einem 28 Quadratmeter großen Zimmer.

„Das war aufregend“, sagt Ruth Grube heute, sie lächelt über ihre ersten Schritte in einem fremden Land. Das erste Mal an diesem für einen Frühlingstag in Südspanien recht kühlen Montag. „Die Spanier brachten mir bei, Paella und Tortilla zuzubereiten, und wir halfen bei der Orangenernte.“

Doch dann stellte sich heraus, dass die spanische Familie gar nicht als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen war. Die Suche begann von vorn. Schließlich kauften sich die Grubes ein Reihenhäuschen im Nachbarort von Torrox Costa, einem Dorf namens Algarrobo Costa.

Der Ort ist ebenfalls eine deutsche Kolonie, mehr als 1000 der gut 6000 Einwohner kommen aus Deutschland. Neun Jahre lebte Frau Grube dort gemeinsam mit ihrem Mann den Traum vom Ruhestand in der Sonne. Dann begann das Heimweh. Seitdem träumt Ruth Grube von einem Leben im kalten Deutschland.

„Irgendwie fehlt mir sogar der norddeutsche Nieselregen“, sagt sie. Dann ruft sie: „Und das Grün! Und dass alles so sauber ist!“ Sie atmet tief ein und lacht dann ein wenig verlegen. „Aber wenn ich von meinem Heimweh erzähle, sagen alle nur: Ich versteh nicht, wieso du zurück willst. Hier ist es doch so schön.“

„Alle“, das sind die anderen Deutschen, die in Algarrobo Costa, Torrox Costa und den übrigen Küstenorten östlich von Málaga leben. Die meisten von ihnen sind wie die Grubes im Ruhestand, die wenigen, die noch arbeiten, bieten eine Dienstleistung für die deutschen Pensionäre an. Wer es sich leisten kann, pendelt. Im Sommer, wenn es in Südspanien schon mal 35 Grad im Schatten heiß werden kann, leben sie in Deutschland, im Winter in Spanien. Die anderen mussten,wie die Grubes, ihr Haus in Deutschland ganz aufgeben, um sich das Leben im Süden leisten zu können.

Deutschland sei ihre Heimat, das sagen alle, und dass sie zurück wollen, falls sie mal richtig krank werden sollten. Oder wenn es dem Ende zugeht. Schon jetzt fliegt, wer kann, nach Hause, wenn ein Arztbesuch ansteht. Denn auf Spanisch können die meisten Deutschen nur ein paar Worte sagen, um im Supermarkt oder im Restaurant zu überleben.

„Wir sind wegen des Wetters da“, antworten diese Deutschen auf die Frage, wieso sie in Andalusien leben. Darüber hinaus interessiert sie Spanien kaum – das wird jedem klar, der Algarrobo oder Torrox Costa besucht. Die Orte an der südspanischen Küste sind die sonnige Kulisse für ein deutsches Leben.

Diese Kulisse haben die Deutschen maßgeblich mitgestaltet. Algarrobo Costa zum Beispiel existierte bis in die 70er Jahre gar nicht. Damals gab es dort nur ein paar niedrige Häuser, in denen Fischer lebten. Dann kauften die Deutschen wie wild Immobilien auf Mallorca, und ein paar südspanische Bauherren dachten sich: „Das wollen wir auch.“ Sie bauten neben die Fischerhäuschen Hochhäuser, kontaktierten deutsche Makler, die haufenweise Deutsche an die Küste brachten. Viele kauften der Legende nach noch im Flugzeug die Apartments.

Spaziert man heute durch die wenigen Straßen von Algarrobo Costa fühlt man sich beinahe wie in der Fußgängerzone einer beliebigen deutschen Kleinstadt. Es ist den ganzen Tag lang unglaublich ruhig. So ruhig wie sonst nirgends in Spanien. Die Restaurants servieren schon um 12 Uhr Mittagessen und nicht wie in Spanien üblich zwei Stunden später. Sie schließen auch nicht wie im übrigen Spanien von 17 bis 20 Uhr, sondern sind durchgehend geöffnet, schließlich essen die deutschen Rentner schon um 18 Uhr zu Abend – was im Rest des Landes unmöglich wäre.

An den schwarzen Brettern der Kneipen laden der „Skatverein e.V.“ ein und der „Shantychor International“, der das „International“ im Namen trägt, weil neben 20 Deutschen auch ein Holländer mitsingt.

Die Gemeinde Algarrobo hat vor ein paar Jahren eine Deutsche angestellt, Karin, um mit den neuen Gemeindemitgliedern besser zu kommunizieren. Karin übersetzt den Deutschen Briefe der spanischen Behörden und hört zu, wenn sie sich über die Spanier aufregen, zum Beispiel weil sie überzeugt sind, dass ein Auto mit deutschem Kennzeichen einen Strafzettel bekommt, wenn es im Halteverbot steht, und ein spanisches nicht. Vor kurzem lud Karin Vertreter aller Einwanderergruppen zum Runden Tisch, um zu erfahren, wie wohl sie sich in Algarrobo fühlten. Franzosen, Engländer und Skandinavier – zusammen nicht einmal 500 – klagten darüber, dass die Restaurants das Tagesangebot nur auf Deutsch auf die Tafeln schrieben. Die Deutschen waren mit allem höchst zufrieden.

Auch die Spanier in Algarrobo Costa sind glücklich. Vor allem jene, die Kneipen und Restaurants besitzen, mögen die Deutschen, denn die haben Zeit und Geld. Und ein Barbesitzer erklärt: „Ich muss mir bei deutschen Gästen nicht aufschreiben, wie viel Bier sie trinken. Die zählen selbst mit und betrügen nie.“

Die perfekte Symbiose.

Nur nicht für Frau Grube. An einem Sommernachmittag vor fünf Jahren spazierte sie gerade mit ihrem Mann an der Strandpromenade entlang, die Sonne strahlte, da gestand sie ihm, dass sie nicht länger bleiben wollte. Ihr Mann, der ehemalige Matrose, der sagt, er kenne kein Heimweh, antwortete: „Dann gehen wir eben nach Hause.“

Seitdem versuchen die Grubes ihr Haus loszuwerden, nur gibt es keinen Käufer. Die Wirtschaftskrise hat die Familie erwischt. Zu viele neue Häuser stehen an der Küste leer, die meisten sind günstig. 100 Quadratmeter gibt es ab 100 000 Euro. Die Grubes verlangen 145 000 für 90 Quadratmeter. Sie wollen ein wenig mehr als das, was sie vor zwölf Jahren bezahlt haben. Das Startkapital brauchen sie für die Rückkehr nach Deutschland. Erst wenn das Haus verkauft ist, können sie sich ein neues Leben in der alten Heimat erlauben.

„Dass das Haus beim Makler ist, macht es für mich erträglicher, in Spanien zu sein“, sagt Ruth Grube und starrt auf das Telefon, das jetzt tatsächlich klingelt. Die Tochter ist dran. Frau Grube lächelt, ein zweites Mal an diesem Montag.

Herr Grube ist nur selten zu Hause. Montags und donnerstags spielt er den ganzen Tag Skat, also auch heute, mit etwa 20 anderen Deutschen. Nach dem Spiel trinken sie gemeinsam noch ein paar Gläser Bier, streiten darüber, ob das Leben in Deutschland oder in Spanien günstiger ist, beschimpfen sich gegenseitig als Alkoholiker und trösten sich damit, dass das Wetter hier viel schöner ist als in der alten Heimat. Freitags und samstags geht Herr Grube am frühen Abend zu deutschen Stammtischen. Nur manchmal hat seine Frau Lust, ihn dahin zu begleiten.

Bevor das Heimweh anfing, war auch Frau Grube sehr beschäftigt. Sie arbeitete ein paar Stunden für einen deutschen Pflegedienst, lernte täglich zwei Stunden Spanisch, sang einmal in der Woche im Internationalen Shantychor Costa del Sol e. V. mit etwa 20 deutschen Rentnerinnen und Rentnern. Seemannslieder wie „Wir sind auf dem richtigen Dampfer“. Nach den Proben ging sie in die Kneipe unter dem Gemeindesaal.

Dann ging der Pflegedienst pleite, und Frau Grubes Spanischlehrer fand einen besser bezahlten Job in einem anderen Ort. Schließlich trat sie auch aus dem Shantychor aus. Irgendwie hatte sie keine Lust mehr „Wir sind auf dem richtigen Dampfer“ zu singen.

IM EXIL

Ruth Grube (oben) hat ihre Wohnung in Andalusien mit Bildern von der Nordsee geschmückt, um sich an die Heimat zu erinnern.

DIE STADT

In den 70er Jahren baute Algarrobo Costa Häuser für Deutsche (o.), und Lokale stellten die Menüs um (l.).

FREIZEIT

Der Shantychor probt jeden Mittwoch Lieder wie „Wir sind auf dem richtigen Dampfer“.

Fotos: V. Frenzel

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