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Ansprechende Rundungen. Oben ist der Kirchsaal, unten das Schwimmbad.

© Sabine Unterderweide/Diakonissen-Mutterhaus

Bauhaus in Sachsen-Anhalt: Schwimmbad unterm Kirchsaal

Im kleinen Harzort Elbingerode versteckt sich ein Architekturjuwel: das Diakonissen-Mutterhaus Neuvandsburg. Ein Paradebeispiel der Neuen Sachlichkeit

Gewächshaus oder Schwimmbad, das war die Frage im Januar 1932. Für die damalige Oberin im geplanten Diakonissen-Mutterhaus in Elbingerode war die Sache klar: Ein Pool wäre perfekt. Und so sorgte der Architekt Godehard Schwethelm dafür, dass die Schwestern einen besonders schönen bekamen: Ein 20 Meter langes, sechs Meter breites und bis zu drei Meter tiefes Becken, perfekt für die körperliche Ertüchtigung. Die Längsseiten schmücken mehrere kantige Säulen, die vom Boden bis zur Decke reichen.

Der Architekt schlug ein Gewächshaus vor. Die Nonnen wollten ein Schwimmbad.
Der Architekt schlug ein Gewächshaus vor. Die Nonnen wollten ein Schwimmbad.

© Sabine Unterderweide/Diakonissenmutterhaus

Godehard stand für den Bau ein riesiges Waldgrundstück in der kleinen Harzgemeinde zur Verfügung. Zuvor hatte man hier das marode Kurhotel „Bad Waldheim“ abgetragen, rundherum wurden 150 Tannen gefällt. Der Architekt stellte hohe Ansprüche an die eigene Arbeit. „So dauerhaft wie möglich, so praktisch wie möglich und so ästhetisch wie möglich“ sollte das Ergebnis sein. Ein Stahlskelettbau bildete das Gerüst des fünfgeschossigen Hauptgebäudes, vor den ein zweigeschossiges Haus mit runden Vor- und Anbauten gesetzt wurde. Das Ganze wurde in blass-beigefarbenem Klinker umgesetzt, Rottöne setzten Akzente. Moderne in Perfektion.

Der Kirchsaal konnte im Nu zum Kino werden

So bestechend schlicht das Ensemble von außen wirkt, so funktional ist es im Inneren. In einem Hochdruckkessel wurde Dampf erzeugt, der nicht nur die Heizung speiste, sondern auch Warmwasser und Strom erzeugt hat. Am Tag wurde die Energie zum Waschen und Kochen ausgeschöpft - und nachts? Nichts sollte vergeudet werden, fand Schwethelm. Nun wärmte der überschüssige Dampf das Schwimmbad.

Eine Etage höher, direkt über dem Pool, befindet sich der Kirchsaal. Ein Ort zur Andacht und für Gebete, aber eben nicht nur. Die Kanzel kann weggeschoben werden und einer transportablen Bühne Platz machen. Vorhanden ist somit ein funktionaler Saal, für Vorträge, Diskussionen oder Theater. Kino gefällig? Die Leinwand dafür kann mit einem Bowdenzug hoch- und runtergezogen werden. Die Konstruktion funktioniert heute so gut wie bei ihrem Einbau in den 1930er Jahren.

Kirchsaal. Die expressionistischen Glasfenster schuf Elisabeth Coester.
Kirchsaal. Die expressionistischen Glasfenster schuf Elisabeth Coester.

© Sabine Unterderweide/Diakonissen-Mutterhaus

Im Kirchsaal beeindrucken auch die expressionistischen Glasfenster von Elisabeth Coester (1900-1941). Engel vor allem waren ihre Motive, die sie in biblische Szenen einband. Sie passen noch heute zum Motto der Schwestern: „Gemeinsam. Freiheit. Leben“. Schiebt man eine breite Falttür zur Seite, gelangt man in den Wintergarten mit seinen üppigen grünen Pflanzen. Ursprünglich befand sich hier das Wohnzimmer der Schwestern.

Stolz auf den originalen Zustand des Diakonissenhauses: Anita Rost (Mutter Oberin i.R.)
Stolz auf den originalen Zustand des Diakonissenhauses: Anita Rost (Mutter Oberin i.R.)

© Hella kaiser

Das Erstaunliche an dem Gebäudekomplex: Fast alles ist noch original. Die nahezu unsichtbaren Einbauschränke, die runde Telefonzelle, die bunten Glasquader im Treppenhaus, die Geländer, die Wandhaken. Auch die Türklinken im Wohntrakt der Schwestern sind noch aus den 30er Jahren. „In Dessau sehen Sie die hinter Glas, bei uns werden sie benutzt“, sagt Schwester Anita Rost (Oberin i.R.) stolz. Dutzende spannende Details sind auch im lichtdurchfluteten Speisesaal zu entdecken.

Quader für Quader schön. Schmückende Glaselemente im Eingangsbereich.
Quader für Quader schön. Schmückende Glaselemente im Eingangsbereich.

© Hella Kaiser

Das Diakonissen-Mutterhaus gehört zu den Schätzen des Bauhauses in Sachsen-Anhalt. [Unter den Birken 1, 38875 Elbingerode (Harz) Telefon: 039454 80] Dabei verstand sich Schwethelm nie als Bauhausarchitekt. Doch natürlich war er beeinflusst durch die schlicht-funktionalen Formen der 1930er Jahre. Dass alles so erhalten werden konnte und lediglich zu Beginn der 90er Jahren teilweise renoviert werden musste, liegt sicher auch der Umsicht der Diakonissen. 143 von ihnen wohnen noch im Ort. Sie arbeiten im Krankenhaus oder in Projekten für Menschen mit seelischen, körperlichen oder sozialen Problemen.

Über Nacht bleiben im Gästehaus Tanne

Elbingerode liegt im wahrsten Sinne des Wortes versteckt „hinter den sieben Bergen“. Selbst im Jubiläumsjahr des Bauhauses 2019 waren nicht viele Interessierte dort. Grund genug, sich jetzt dorthin aufzumachen. Im angrenzenden „Gästehaus Tanne“ sind Besucher auch über Nacht willkommen. Wer dort wohnt, darf auch - stilecht - baden gehen.

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