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Tel Aviv, Rothschild Boulevard

© mauritius images / Westend61 RF

Bauhaus-Welterbe in Tel Aviv: Belebte Geschichte im Herzen der Stadt

Tel Avivs „weiße Stadt“ gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Doch für die Einwohner spielt das beim Einzug kaum eine Rolle.

Eigentlich war Darya Dror vor gut einem Jahr nur auf der Suche nach einem bezahlbaren Zimmer in Tel Aviv. Gerne zentral, gerne Altbau, gerne mit Mitbewohnern. Schließlich ist die 32-Jährige noch Medizinstudentin, ihr Budget begrenzt. In einer der vielen Immobilien-Gruppen auf Facebook stieß sie auf ein Angebot: große Wohnung, ruhige Lage. Mit der Mitbewohnerin verstand sie sich schon beim ersten Kennenlernen. Sie unterschrieb den Mietvertrag.

Dass sie wenige Tage später in ein Unesco-Weltkulturerbe zog, vor dem Touristen mit Audioguide und Stadtplan Halt machen, wurde ihr erst später klar. „Ich habe in der ersten Woche nach dem Einzug angefangen, über meine neue Nachbarschaft zu lesen und stieß dann auf Infos über mein neues Gebäude.“ Ein 1936 errichtetes Bauhaus, entworfen vom Architekten Oskar Kaufmann, der auch das Habima-Nationaltheater in Tel Aviv gestaltete. Kaum verwunderlich, dass auch hier draußen vor dem Hauseingang theatralische Treppenstufen in die Gärten der Wohnungen im ersten Stock führen. Noch heute ist das Mehrfamilienhaus beinahe im Originalzustand, nur die Balkone wurden größtenteils mit Fensterläden geschlossen, die Eingangstür ausgetauscht.

Darya Dror führt durch die Drei-Zimmer-Wohnung und verweist auf die Details, die es in modernen israelische Bauten nicht mehr gibt: die kleine hölzerne Doppeltür auf Bauchhöhe neben der Haustür, in die der Milchmann früher jeden Morgen die Lieferung stellte. Die Durchreiche zwischen Esszimmer und Küche. Die kleine Balkontür und der schattige, überdachte Balkon. Von hier blickt Darya Dror nach unten auf die Yael-Straße, die zu einem kleinen Nachbarschaftspark führt. „Wenn hier Touristen vorbeikommen und Fotos machen, bin ich sehr stolz, in so einem historischen Gebäude zu leben“, sagt sie. „Aber den Plan, in ein Bauhaus zu ziehen, hatte ich nie.“

Wie Darya Dror geht es vielen Durchschnittsverdienern und Studenten in der Metropole: Weltkulturerbe hin oder her – bei der Wohnungssuche spielt das für die wenigsten eine Rolle, ausschlaggebend ist vor allem der Preis. Und der ist bei nicht renovierten Altbauten etwas geringer.

Die Häuser befinden sich vorrangig im alten Kern Tel Avivs

4000 der im „internationalen Stil“ errichteten Bauten aus den 1930er und 40er Jahren gibt es in der Stadt. Da der Wohnraum knapp ist, sind die meisten bis heute bewohnt. Nur ein Schild am Eingang der renovierten Exemplare gibt Hinweis auf die architektonische Bedeutung. Beim Bauhaus folgt die Form der Funktion: Deshalb sind die Fenster meist schmal und länglich, damit die Sonne nicht direkt in die Wohnung strahlt und diese schnell erhitzt.

Die Häuser befinden sich vorrangig im alten Kern Tel Avivs, in der „Weißen Stadt“, benannt nach den hellen Fassaden – eines der Markenzeichen der Bauhaus-Gebäude. 2003 erklärte die Unesco die Weiße Stadt zum Weltkulturerbe. Seither dürfen die Gebäude nicht abgerissen oder wild umgebaut, sondern nur nach strengen Regeln renoviert werden.

Auch das Gebäude in der Yael-Straße soll in den kommenden Jahren wieder auf Vordermann gebracht werden. Die Tochter der Besitzerin, Edna Gorney, steckt mitten in den Vorbereitungen. „Das Haus fällt in die Kategorie mit den strengsten Auflagen für Bauhaus-Renovierungen“, erzählt die 63-Jährige. „Wir dürfen kaum etwas verändern und kein neues Stockwerk aufbauen.“ Aufstocken ist bei Renovierung in Israel beliebt, um die Kosten durch zusätzliche Mieteinnahmen oder den Verkauf der Wohnung zu tragen. In Fällen wie dem von Gorney hilft die Stadt, die ein Interesse am Erhalt der Bauhaus-Gebäude hat: Sie kauft die Rechte für den Aufbau zusätzlicher Stockwerke.

Blick über die «Weiße Stadt» in Tel Aviv
Blick über die «Weiße Stadt» in Tel Aviv

© dpa-tmn

Edna Gorney ist in den 1950er und 60er Jahren hier aufgewachsen. „In meinem Zimmer gab es eine große Fensterbank, auf der ich gerne gesessen habe“, erinnert sich Gorney und zeigt vom Garten des Gebäudes auf eines der runden Sprossenfenster, das sich nach außen wölbt. Ihr Großvater Mencham Dunkelblum hatte das Gebäude errichten lassen. „Er kam 1919 nach Palästina, war Anwalt und wurde später zu einem der ersten fünf Richter am Obersten Gerichtshof ernannt.“ Das Gebäude sei auch als Investment gedacht gewesen. Doch Dunkelblum konnte nicht ahnen, welch wertvolles Erbe er seinen Nachkommen hinterlassen würde.

Typisch für Bauhaus: Im Hauseingang befindet sich eine Steinbank. „Früher haben die Bewohner hier nach dem Einkauf kurz Pause gemacht, bevor sie die Taschen nach oben getragen haben“, erinnert sich Gorney. Als Studentin zog sie in den 1980ern in das Haus zurück. Auch ihre Töchter haben zuletzt eine Zeit lang hier gewohnt. „Mein Mann und ich denken immer mal wieder darüber nach, zurückzuziehen.“

Gut zwei Kilometer südöstlich von hier sitzt an einem Sommerabend Eden Eini im Innenhof ihres Wohnhauses auf einer Steinbank, die so ähnlich aussieht wie die in der Yael-Straße. Eden hat sich eine Tasse Kaffee mitgebracht und wartet auf die Nachbarn, die hier am Abend meist zum Plaudern aufkreuzen. Raum für Treffen, Gemeinschaftssinn – auch das ist typisch für Bauhaus, bestätigt das Architektenbüro Bar Orian, das sich um die Renovierungsarbeiten des Wohnkomplexes gekümmert hat.

„Ich hoffe, es stimmt, dass das hier wirklich ein Bauhaus ist“, sagt die 29-Jährige Eden Eini, halb scherzhaft, halb verunsichert. Auch für sie spielte die Geschichte des Gebäudes keine Rolle, als sie mit ihrem Ehemann vor zwei Jahren den Mietvertrag für die frisch renovierte 50-Quadratmeter-Wohnung unterzeichnete. Ausschlaggebend waren Lage und Preis: umgerechnet 1500 Euro kalt, inklusive Stadtsteuer – für Tel Aviver Verhältnisse fast ein Schnäppchen.

Über dem Hauseingang leuchten viereckige Lampen aus Glas

Die Dokumente, die neben dem Eingang in einem Glaskasten ausgehängt sind, bestätigen: renoviertes Bauhaus, 1937 errichtet, bekannt als „Beit Sochnim“, einst Heimat des Rumänischen Einwanderungsverbands und eines Zeitungsdruckhauses. Später übernahm die israelische Polizei das Gebäude. Heute dient es als reines Wohnhaus.

Nur wenig durfte verändert werden: So ähnelt Einis Wohnung im Erdgeschoss bis heute einem Geschäft, zum Innenhof zeigt eine Fensterfront. Um die Privatsphäre zu wahren, muss das Paar die Jalousien runterziehen. Eden Eini stört das nicht. „Besser kann man in Tel Aviv nicht wohnen, wenige Gehminuten vom Rothschild-Boulevard entfernt.“

Über dem Hauseingang leuchten viereckige Lampen aus Glas – alle gemäß dem Original, nur eine davon ist rund. „Die haben wir neulich ausgetauscht, aber eigentlich dürfen hier nur diese viereckigen Leuchten angebracht werden.“ Auch die Rollläden aus Holz in den oberen Stockwerken sind typisch für Bauhaus. Ebenso die lang gezogenen Fensterreihen, die von einem schattenspendenden Vorsprung überdacht sind.

So neu wie hier könnte es in der Yael-Straße in den kommenden Jahren auch aussehen. Bewohnerin Darya Dror will sich bei dem Gedanken daran allerdings nicht freuen: Denn wie für die meisten zählt auch für sie der Preis – und der könnte dadurch gewaltig steigen. „Ich hoffe sehr, dass wir noch ein paar Jahre im jetzigen Zustand wohnen dürfen.“

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