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Gleich hackt’s. Im Naturpark Spessart fällen Laien unter Anleitung des Försters Bäume und helfen bei der Aufforstung.

© Madlen Haarbach

Bergwaldprojekt: Mit Axt und Säge in den Urlaub

Bloß raus aus den Städten, weg vom Schreibtisch und rein in die frische Luft. Im Spessart verbringen Freiwillige ihre Ferien mit Waldarbeit. Weil es so gut tut.

Leonie Pietzsch fällt in die Hecke. „Nie wieder Brombeeren!“, schimpft die 25-Jährige. Dornen bohren sich durch ihre Arbeitshandschuhe, bleiben an Haaren und Kleidung hängen. Wenig später wird sie ihren ersten Baum fällen. Josef Lachner zählt da schon Baum Nummer 81.

Leonie und Josef verbringen ihren Urlaub statt im Liegestuhl in Südeuropa lieber samt Arbeitskleidung im Mittelgebirge. Der Naturpark Spessart ist mit mehr als 200 000 Hektar Fläche das größte zusammenhängende Mischwaldgebiet Deutschlands und der Arbeitsplatz von Förster Henning Rothe. Im nordbayrischen Unterholz bringt er Freiwilligen bei, was „aktiver Landschaftsschutz“ bedeutet. Fünf Tage lang arbeiten Teilnehmer des Bergwaldprojekts an Wildschutzzäunen, sammeln Eicheln und pflegen junge Bäume.

Leonie studiert Medizin, Josef ist 68 und arbeitet im Vertrieb. Sie teilen sich die Schlafräume mit Ingenieuren, Rentnern, Kulturwissenschaftlern und Kirchenreferendaren. Die Teilnehmer wollen raus aus ihrem Alltag, raus in die Natur, körperlich arbeiten.

Förster Rothe hatte für die Tage eigentlich geplant, Buchenwildlinge zu setzen. Doch es können diesmal keine neuen Bäume gepflanzt werden. Der Boden sei wegen des heißen Sommers zu trocken, erklärt Rothe, die Feuchtigkeit reiche für die jungen Buchen nicht aus. Tausende Setzlinge aus dem vergangenen Jahr haben die Dürre nicht überlebt.

Sehen, wie Natur funktioniert

Josef hat schon in anderen Jahren mitgemacht. Seine Mütze hängt locker über dem grauen Pferdeschwanz. In leicht gebückter Haltung, die Schultern im blauweißen Karohemd nach vorne hängend, schiebt er seinen drahtigen Körper an Buchen und Kiefern vorbei durch den Wald. Vor sechs Jahren war er zum ersten Mal hier, mit seinem damals elfjährigen Sohn. Seit mehr als 30 Jahren isst er vegan, vermeidet Flugreisen und fastet regelmäßig. Beim Bergwaldprojekt wollte er seine Umwelt verstehen lernen: sehen, wie Natur funktioniert.

Am ersten Tag kämpfen die freiwilligen Waldpfleger mit Wildschutzzäunen, die sie abbauen sollen. Die Drähte sind an vielen Stellen komplett überwuchert. Die Freiwilligen hacken ein stacheliges Dickicht aus Brombeeren zur Seite. Ein Mann hat blutige Striemen im Gesicht. Förster Rothe ermahnt, nicht zu vergessen, die Schutzbrillen aufzusetzen. Auch der Drahtzaun ist widerspenstig, wenn man erst einmal zu ihm vorgedrungen ist. Leonie klemmt die Schutzbrille in ihre Locken, schiebt die Ärmel des lilafarbenen Fleecepullovers zurück und durchtrennt den Zaun mit einer Drahtschere. Schnaufend buddelt sie den Pfahl aus und zerrt ihn aus dem Gestrüpp.

„Für viele ist das hier Abenteuerurlaub“

Muskelkraft gefragt. Die Arbeit im Wald hält warm und ersetzt den Sport.
Muskelkraft gefragt. Die Arbeit im Wald hält warm und ersetzt den Sport.

© Madlen Haarbach

Durchatmen. Zeit, den Blick schweifen zu lassen über den Wald, der im Sonnenschein rötlich leuchtet, gesprenkelt mit grünen und gelben Farbtupfern. Fichten und Birken haben sich ihren Platz über die Jahre erkämpft, überragt nur von jahrzehntealten Rotbuchen auf den benachbarten Flächen.

„Für viele ist das hier Abenteuerurlaub“, sagt Förster Rothe. Seit 25 Jahren arbeitet er am Bergwaldprojekt mit. Das Interesse daran ist groß. Sichtbare Resultate würden vielen im normalen Arbeitsalltag fehlen, im Wald wird es konkret: Da, wo ein Zaun den Weg versperrte, steht plötzlich keiner mehr. Wo noch Fichten einem Ahorn das Licht nahmen, scheint nun ungehindert die Sonne durch.

Am zweiten und dritten Tag kümmert die Gruppe sich um ein Waldstück, das vor zehn Jahren nach dem Jahrhundertsturm „Kyrill“ neu bepflanzt worden war. Die Teilnehmer quetschen sich durch den dicht gewachsenen Kiefernhain, mittendrin stapft Josef umher. Er inspiziert einen Baum, nimmt mit Zeige- und Mittelfinger Maß für den Sägeschnitt. Er gibt den anderen Tipps, wie sie die Säge halten oder wo sie wann gegen den Baum drücken müssen, damit der am besten fällt. Josef legt Wert auf glatte Sägeschnitte. Ordentliche Holzscheite hebt er auf, legt sie geölt und poliert zu Hause ins Regal. „Es ist toll, zu sehen, dass man auch in meinem Alter etwas tun kann und mit den Jüngeren mithält“, sagt er.

Noch sieht die Fläche wüst aus

Leonie hackt derweil ihre Axt in einen Kiefernstamm. „Ich merke langsam, dass ich so richtig Lust an der Zerstörung bekomme“, sagt sie. Es ist kühl geworden, sie trippelt auf den Füßen und reibt sich die Oberarme. Immerhin hält die Arbeit einigermaßen warm und ersetzt obendrein den Sport. Abends baumelt sie im Tagungshaus an den Treppenstufen, Schultern aushängen gegen Muskelkater. „Ich würde niemals irgendwo hinfahren, um zwei Wochen am Strand zu liegen“, sagt sie. Es tue ihr gut, im Wald zu sein.

Tags darauf soll nicht bloß gefällt, sondern an anderer Stelle schließlich gepflanzt werden. Inmitten von Buchen sollen künftig Eichen wachsen. Zuerst muss das Gebiet eingezäunt werden, um die Eichelsaat vor hungrigen Wildschweinen und Rehen zu schützen. Noch sieht die Fläche wüst aus: Überall liegen abgesägte Buchen. Mit natürlichem Waldwachstum hat das wenig zu tun, doch ohne einige Bäume zu fällen, hätten die lichthungrigen Eichen keine Chance. Diese Art der Forstwirtschaft ist umstritten. Umweltschützer wollen zwar ebenfalls den Eichenbestand schützen, kritisieren jedoch, dass dafür wertvolle Altbestände abgesägt werden. Befürworter halten dagegen, besonders Eichen könnten sich besser gegen Sturm, Dürre und frostige Winter behaupten als Nadelhölzer oder Buchen. Der felsige Boden erschwert den Zaunbau. Mit Hacken und Spaten graben die Freiwilligen nun Löcher für die Pfosten und stoßen dabei immer wieder auf Steine im Untergrund. Roter Sand staubt aus den trockenen Löchern, als die Pfosten in den Boden gerammt werden.

Waren die meisten zu Beginn der Woche völlig ahnungslos, fachsimpeln sie am letzten Tag über Zaunbautechniken, als sie einen Ausflug ins benachbarte Naturschutzgebiet Rohrberg machen. Dort stehen Eichen, die bis zu 800 Jahre alt sind. In vielen Bäumen nisten Fledermäuse, unzählige Insektenarten sind hier zu Hause. Kaum zu glauben, dass die Eicheln, die die Teilnehmer heute Morgen gesät haben, in 100 Jahren genauso majestätisch den Jahreszeiten trotzen werden.

Reisetipps für den Spessart

Hinkommen

Von Berlin mit dem ICE nach Bamberg fahren, umsteigen in den Regionalexpress nach Gemünden und von dort den Bus 8154 bis Seifriedsburg nehmen. Die Fahrt dauert etwa fünf Stunden und kostet zum Sparpreis ab 29 Euro.

Rumkommen

Das Bergwaldprojekt bietet Freiwilligenwochen im gesamten Bundesgebiet an, Einzelheiten sind unter bergwaldprojekt.de nachzulesen. Die beschriebene Reise in den Spessart findet wieder zur Waldpflege im November statt, an drei Terminen. Die Unterkunft wird gestellt, es fallen keine zusätzlichen Gebühren an.

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