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Ein Verkehrspolizist auf dem Potsdamer Platz.

© Erich O. Krüger/Landesarchiv Berlin, aus „Berlin. Phönix“, Edition Braus

Berlin 1945: Nach dem letzten Schuss

Sommer 1945, alles liegt in Trümmern, und Leichengeruch schwebt über der Stadt. In den Ruinen beginnt mühsam die Normalität. Ein Fotograf dokumentiert den Alltag.

Von Andreas Austilat

Ich weiß nicht viel von Peter, außer dass er blond und irgendwie mit mir verwandt war. Wie genau, konnte ich ihn nie fragen, ich habe ihn nicht kennengelernt. Aber Peter war Teil unserer Familienlegende, und es wurde noch über ihn gesprochen, da war er schon seit Jahrzehnten tot. Peter starb mit elf im Sommer 1945. Der Krieg war seit zwei Monaten vorbei, als ihn ein anderer Elfjähriger beim Spielen mit einer Pistole erschoss, die in den Trümmern irgendwo am Teltowkanal herumgelegen hatte. Daran erinnert mich das Bild auf dieser Seite: Es zeigt Berliner Kinder im Jahre 1946 beim Hantieren mit einer Handgranate.

Erich O. Krueger hat das Foto gemacht. Krueger kehrte im Oktober 1945 aus der Gefangenschaft zurück und begann den Berliner Alltag in jenen Jahren aufzunehmen. Er starb 1956 im Alter von 61Jahren, seine Fotos liegen heute im Berliner Landesarchiv. Unter dem Titel „Berlin. Phönix“ erscheinen sie jetzt in einem Bildband.

Für die Nachgeborenen beziehen Kruegers Bilder ihre Spannung nicht aus der Kunstfertigkeit des Fotografen, sondern aus der Diskrepanz zwischen der scheinbaren Normalität und der unfassbaren Unwirtlichkeit, in der sich der Alltag nach dem Krieg vollzieht.

Berlin war noch Ende der 20er Jahre mit 4,3 Millionen Einwohnern eine der größten Städte der Welt gewesen, 1945 sind es nur noch 2,8 Millionen, die sich in einer Trümmerwüste einrichten, jedes dritte Haus in der Innenstadt ist zerstört. Dabei war Berlin, verglichen mit anderen Städten, glimpflich durch die längste Zeit des Krieges gekommen. Zwar wurde die Stadt von 1941 an bombardiert, doch erst ab 1943 nahmen die Angriffe an Intensität deutlich zu.

Apokalyptisch wurden die Attacken in den letzten drei Monaten. Bis dahin waren die Berliner auch noch relativ gut versorgt worden, es gab genügend Vorräte dank der deutschen Raub- und Plünderzüge durch die besetzten Gebiete. Erst ab März 1945wurden die Rationen drastisch gesenkt, erreichte der Hunger die Berliner und sollte sie bis Ende der 40er Jahre nicht mehr verlassen.

Berlin als gefährlicher Spielplatz

In der Kurstraße vor der Reichsbank. Heute steht hier das Außenministerium.
In der Kurstraße vor der Reichsbank. Heute steht hier das Außenministerium.

© Erich O. Krüger/Landesarchiv Berlin, aus „Berlin. Phönix“, Edition Braus

Den höchsten Preis zahlten Frauen, sie stellten etwa 60 Prozent der Bevölkerung, und Kinder. Von denen waren viele evakuiert worden, in den letzten Kriegsmonaten kehrten sie in die umkämpfte Stadt zurück. Manche von ihnen erinnern sich nach Jahrzehnten an das kriegszerstörte Berlin als eine Art Abenteuerspielplatz. Es war ein gefährlicher Spielplatz, auf dem es Dinge zu entdecken gab, die Kinder eigentlich nicht sehen sollten. Die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich beschreibt in ihrem Tagebuch „Der Schattenmann“, wie schwer im heißen Juni 1945 der Geruch unbestatteter Leichen über der Stadt hing.

Kruegers Bilder zeigen nicht den Tod, sondern die langwierige Rückkehr in den Frieden. Die meisten Bilder entstanden 1946, ein Jahr nach der Kapitulation am 8. Mai 1945. Noch immer stehen Panzerwracks in den Straßen wie auf dem Bild links oben, vor der Fassade der Reichsbank, heute Teil des Außenministeriums. Drei junge Frauen schlendern gut gelaunt vorbei, man fragt sich, woher sie kommen, wohin sie gehen in Straßen, die von Ruinen gesäumt werden. Bilder zeigen Kühe auf dem Rasen vor der Humboldt-Universität, auf dem Potsdamer Platz steht ein Polizist auf einer Kiste, dies war einmal einer der verkehrsreichsten Plätze Europas. Im September 1945 wirft der Tagesspiegel in seiner ersten Nummer die Frage auf, was wohl der Beitrag Deutschlands zur zweiten Jahrhunderthälfte sein wird. Heute wissen wir, dass die Erkenntnis dazugehört, zerstören geht schnell, wiederaufbauen ist sehr mühsam.
Berlin. Phönix. 128 Seiten, 24,95 Euro. Edition Braus. Das Buch ist ab Montag im Handel, auch im Tagesspiegel-Shop.

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