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Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Laschet debattiert stattdessen mit Sophia Thomalla“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: Ungewöhnlich viele Herzkranke und Politiker, die das Gespräch mit ihm scheuen.

Von Barbara Nolte

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Wie ist das Leben nach Corona auf der Intensivstation?

Zurzeit haben wir ungewöhnlich viele Herzkranke. Eine Patientin sagte, dass sie es wegen der Ansteckungsgefahr in den letzten Monaten vermieden hatte, zum Arzt zu gehen. Wahrscheinlich haben das mehrere so gehandhabt, und manchen ist das auf die Füße gefallen. Das ist so ein Eindruck, den man gewinnen könnte, natürlich nicht statistisch valide.

Sie glauben, dass manche Patienten erste Symptome übergangen haben?

Ignoriert, runtergespielt. Vorboten eines Herzinfarktes sind Brustschmerzen, die man bekommt, wenn man sich belastet. Sie sind ein Zeichen dafür, dass ein Gefäß verengt ist. Das kann man behandeln, indem man beispielsweise einen Stent setzt. Aber wenn es erstmal zu einem Herzinfarkt gekommen ist, ist es zu spät. Dann ist Herzgewebe abgestorben.

Angela Merkel hat sich am Montag nochmal beim Krankenhauspersonal bedankt, weil es in der Pandemie über seine Grenzen hinausgegangen sei. Freut Sie das?

Ich hätte mir gewünscht, dass im Gegenzug Politiker, vor allem die der CDU, mal über ihre Grenzen hinausgehen und endlich Dinge verändern. Doch mehr als ein Danke kommt von denen nicht. Gesundheitsminister Spahn hatte mir nach meinem Auftritt bei der Bundespressekonferenz ein persönliches Gespräch versprochen. Das hatte mich auf die Idee gebracht, hier im Tagesspiegel mit Spitzenpolitikern aller Parteien über Gesundheitspolitik zu debattieren, damit man die Programme mal ein bisschen vergleichen kann.

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Olaf Scholz, Wolfgang Kubicki, Janine Wissler und Katrin Göring-Eckardt machen mit. Nur Spahn nannte nachträglich als Bedingung für ein Gespräch, dass es auf dem Instagram-Kanal der CDU stattfindet. Was ist denn das für ein Verständnis von Demokratie, dass ein Bundesgesundheitsminister sich nur mit den Belangen von Pflegekräften auseinandersetzt, wenn es auf dem Wahlkampfkanal seiner Partei übertragen wird? Übrigens haben von der Union auch Laschet, Söder und Merz abgesagt. Laschet debattiert stattdessen mit Sophia Thomalla in der „Zeit“. Das zeigt doch, wie wichtig die Partei den Pflegenotstand nimmt.

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange:]
„Die Türen zu den Zimmern stehen wieder offen“
„Man spürt, wie das Interesse an den Missständen in der Pflege wieder abnimmt“
„Wir hatten ihn 16 Stunden auf dem Bauch liegen“
„Die Leute bekommen weiter Herzinfarkte – Corona hin oder her“
„An eine frühe Begegnung mit dem Tod denke ich oft“
„Ich darf keine Fehler machen, auch wenn mein Körper sich im Schlafmodus befindet“
„Sie japsen als kämen sie vom Joggen“
„Ich verstehe nicht, was die App bringen soll“

An der Charité fordern Pflegekräfte einen so genannten Entlastungstarifvertrag. Demnach würde es auf den Stationen schätzungsweise zehn Prozent mehr Personal geben. Wäre das hilfreich?

Klar. Das Problem ist, dass die Personaluntergrenzen, die Spahn eingeführt hat, als Mindestbesetzung gedacht waren. Doch die Kliniken nehmen die Zahl als Höchstbesetzung. Wenn eine Pflegekraft mehr käme, würde sie nach Hause geschickt.

Der Präsident der Deutschen intensivmedizinischen Gesellschaft Christian Karagiannidis forderte psychologische Betreuung, da das medizinische Personal in der Pandemie seine Belastungsgrenze oft überschritten habe. Können Sie damit etwas anfangen?

Man hätte schon gerne manchmal eine Art Supervision gehabt, einen, der einen aus dem Loch rausholt. Viele Kollegen sind geistig und moralisch am Ende, weil nicht abzusehen ist, dass sich ihre Arbeitsbedingungen mal verbessern. Auch ich bin urlaubsreif. Heute ist meine letzte Schicht. Dann habe ich vier Wochen frei.

Verreisen Sie?

Nein, ich verbringe die Zeit mit denen, die ich im letzten Jahr am meisten vernachlässigt habe: mit meiner Familie, den Hunden. Ich gehe auch meine Eltern besuchen, die ich in der Pandemie selten gesehen habe, weil ich sie nicht anstecken wollte. Ich freue mich auf die kleinen Dinge, den normalen Alltag, den ich anderthalb Jahre nicht so wirklich hatte.

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