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Stumpfkrokodil

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (12): Das Stumpfkrokodil

Sind es die glanzlosen braunen Augen, die 80 blassgelben Zähne oder hat seine Lieblingsbeschäftigung – mit offenem Mund herumliegen – dem Stumpfkrokodil seinen Namen gegeben? Ungeklärt.

Von Julia Prosinger

Jedenfalls hat das Krokodilmännchen im hintersten Winkel des Tierpark-Terrariums von der Evolution aufs Maul bekommen. Die Nase ist zusammengestaucht, ihre Spitze stupst fröhlich gen Himmel. Freundlicher schaut hier zwischen Panzern, Stacheln und Giftzähnen niemand drein. Mit einem Meter Durchschnittslänge sind Stumpfkrokodile die kleinsten ihrer Gattung. „Schnappi“ muss ein Stumpfkrokodil gewesen sein.

Tatsächlich ist das Tierpark-Männchen (namenlos, nur Charaktertiere bekommen einen) besonders friedlich. 1980 schenkte ein Privatliebhaber ihn dem Tierpark, wie so viele andere Reptilien auch. Heute ist der Namenlose ganz knöchern und ergraut, beobachtet Reptilienkurator Felix Dathe. Ums Kinn trägt der Krokodilgreis schon einen weißen Ring. Gerade taucht die ebenfalls namenlose Frau unter ihrem Gatten durch, er lässt es altersmilde geschehen, teilt sich sogar seine Wochenration Ratten mit ihr. In Freiheit bekommen die Tiere manchmal nur eine Mahlzeit im Jahr, wenn ein Zebra an der Wasserstelle unaufmerksam ist. Sie beißen sich dann an der Beute fest, lassen sie verwesen oder zerrupfen sie mit Drehbewegungen – kauen können sie nicht. Fische werfen sie sich mit dem Kopf voraus ins Maul, damit die Schuppen flutschen und nicht reiben.

Die beiden Namenlosen im Tierpark verstehen sich so gut, dass es inzwischen auch mit dem Nachwuchs klappt. Lange scheiterten die Zoos an der Stumpfkrokodilzucht, bis Wissenschaftler herausfanden, dass es drei Unterarten von ihnen gibt. Seitdem tauschen sich die Zoos ihre Stumpfkrokodile fortpflanzungstauglich zurecht.

Wenn es soweit ist, nach Frühlingssex am Ufer, bereitet die Dame das Nest. Mit ihren Vorderbeinen türmt sie etwa einen Meter Sand und Laub auf und versteckt ihre Eier darin. Regelmäßig uriniert sie nun auf ihre ungeschlüpfte Brut. Oder taucht unter – bis zu einer Stunde – und platziert ihren pitschnassen Körper auf dem Berg – was abtropft, bringt das Laub zum Gären, Fäule wärmt die Eier. Nach 120 Tagen brechen die stumpfen Babys aus den Eiern aus. Die Mutter hört das Quieken, spürt die Erschütterung und buddelt nach ihren Kindern. Dann trägt sie sie eines nach dem anderen im Maul zum Wasser. Dort bleiben sie ein paar Wochen an ihrer Seite. So läuft das zumindest in freier Wildbahn, Kongo Basin und Westafrika, wo die Stumpfkrokodile herkommen.

Im Tierpark hingegen raubt eine Gruppe Pfleger der Mutter die Eier. Mit Holzgabeln halten sie die furiose Krokodilsfrau auf Abstand. Die Eier, zuletzt acht, landen nun in der Kinderstube der Reptilien: ein kleiner Raum hinterm Terrarium, frisch geschlüpfte Schildröten kaum größer als ein Gummibärchen, Kobrajunge mit Schädeln wie Tennisbälle. In einer Art Bonbonglas liegen die stumpfen Eier auf Vermiculit gebettet , ein Tonmineral, das sonst Flugzeuge isoliert. Bleibt feucht, ohne zu verpilzen.

Von wegen ungefährlich übrigens: der freundliche Krokodilsherr mit der stumpfen Schnauze würde seine selbst befruchteten Eier sofort vernaschen – er vergisst, wer seine Kinder sind. STUMPFKROKODIL

Lebenserwartung:  70 Jahre

Nachwuchs: Iggy und Maxi, bald mehr
Interessanter Nachbar:   Sunda-Gavial

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