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Ein robuster Dickhäuter: das Nashorn.

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (39): Spitzmaulnashorn

Höchstens 3000 Exemplare leben noch in freier Wildbahn. Was vielleicht am anstrengenden Sexualverhalten liegt.

Von Julia Prosinger

Nach einem heftigen Streit, das erfahren viele Paare, liebt es sich besonders schön. Spitzmaulnashörner wissen das schon lang. Bei ihnen ist Sex immer Versöhnungssex. Erst wenn die Frau nach gegenseitigem Anrempeln den Mann gewinnen lässt, steigt der auf, verharrt bis zu einer Stunde auf ihr, pflückt manchmal gar beim Liebesakt ein Blatt vom nahen Baum. Und weil der Nashornbulle so lange kann, muss er dran glauben. Wilderer schießen die Tiere, die chinesische Medizin verspricht sich Manneskraft vom pulverisierten Horn. Im Jemen brauchen sie die Hörner dringend als Dolchgriffe. In Vietnam als Nahrungsergänzungsmittel und gegen Kater. Ein Kilo Nashornhorn kostet auf dem Schwarzmarkt 80 000 Dollar.

Nur noch 3000 Tiere gibt es in freier Wildbahn, knapp 300 in Zoos weltweit. In Südafrika werden Nashörner wie Juwelen bewacht, bekommen Chips in die Hörner eingesetzt. Eigentlich kein Problem: Das Horn sitzt anders als bei Kühen oder Steinböcken nur locker auf der Haut, das spürt man, wenn man dran rüttelt, es ist viel weicher als beispielsweise Antilopenhorn, und reißt es ab, dann blutet’s kaum, verschorft sofort und wächst in drei Wochen nach. Sind ja nur ein paar zusammengepappte Haare.

Im Gegensatz zu den Breitmaulnashörnern, die in Gruppen Akazienwälder abmähen, sind Spitzmäuler Einzelgänger. Sozialverhalten? Praktisch nicht existent, sagt Zoo-Kurator Andreas Ochs. Bullen und Kühe markieren ihr Territorium, um Artgenossen fernzuhalten. Nähert sich doch mal ein anderer Spitzmäuler auf Knubbelfüßen aus drei Zehen (Unpaarhufer!), erwartet man bei dieser Größe ein löwisches Brüllen. Doch das Nashorn ist ein leiser Gigant, kann höchstens durch die Nasenlöcher prusten. Stattdessen attackiert es jeden Störer präventiv. Mit einem langen und einem kurzen, manchmal gar mit einem dritten Horn: dem Dürerhörnchen, einer häufigen Anomalie, ganz oben auf der Stirn.

Spitzmäuler sind cholerischer als ihre breitmauligen oder gepanzerten Verwandten. Aber wer wäre nicht gereizt, wäre er so kurzsichtig? Auch in Ernährungsfragen sind sie Diven. „Spezialisierte Esser“, sagt Kurator Ochs. Mit einer Oberlippe, die in die Welt ragt wie eine Füllerspitze, zupfen die Feinschmecker vornehm einzelne Kräuter. Im Zoo bekommen sie täglich bis zu 40 Kilo Kräuterheu. Vom Dach strahlen UV-Lampen, da die Nashörner in europäischen Zoos sonst eine mysteriöse Krankheit entwickeln, wobei sie aus allen Öffnungen bluten. Weil ihre dicke Haut leicht reißt, sprühen die Pfleger sie im trockenen Winter mit Paraffin ein.

Einmal wird es heute doch kurz laut im Gehege. Nashornmutter Kumi geht mit ihrem Horn gegen die Metalltür ihrer Winterbox vor. Klingt abschreckend, wie sehr große Fingernägel an der Schiefertafel.

Kumis Horn bekommt sonst Bulle Jasper zu spüren, beim Prä-Fortpflanzungsgezank. Der akzeptiert sein Schicksal, lässt sich bereitwillig vermöbeln. Im Zoo wird viel gekämpft und viel geliebt: Seit einem Monat leben dort zwei Nashornjunge. Die haben bisher nur Hornhubbel an der Stirn. Endlich Lebewesen, gegen die Mutter Kumi nicht gleich losrandaliert. Doch sobald sie sich ducken müssen, um an die Zitzen zu gelangen, sollten sie aufpassen. SPITZMAULNASHORN IM ZOO

Lebenserwartung:  30 Jahre

Jungtiere:  seit Oktober Dayo und Hodari

Interessanter Nachbar: Okapi

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