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Bart nach unten: Der Tamarin.

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (55): Kaiserschnurrbart-Tamarin

Das deutsche Kaiserreich gibt es nicht mehr, diese Krallenaffen haben aber immer noch unter dem Zwirbelbart des Monarchen zu leiden.

Dieser Name! Das ist wohl ein schlechter Scherz? Dem kann Andreas Pauly, Tierarzt im Tierpark, nur zustimmen. Als die kleinen Krallenaffen 1907 in Südamerika entdeckt wurden und Forscher erste tote Exemplare nach Europa verschifften, zwirbelten die Museumspräparatoren den langen weißen Bart der Mode gemäß nach oben – so, wie ihn der deutsche Kaiser damals trug. Seitdem haben die Primaten ihren Kaiser-Wilhelm-Namen weg, selbst in anderen Sprachen erinnert er an den früheren Staatsmann.

Dabei hängen die Haare nach unten, der Schwerkraft folgend. Wie sollten sie den Bart auch nach oben frisieren, diese flinken Kerlchen – vielleicht mit Gel, das sie aus Baumsaft gewinnen? Den trinken die Tamarine nämlich, die Flüssigkeit brauchen sie, um Kalzium aufzunehmen und die Knochen zu stärken. Wenn es den Saft wie in der gut temperierten Vitrine im Elefantenhaus nicht auf natürlichem Wege gibt, weichen die Pfleger Baumharz über Nacht in Wasser ein, beschmieren am nächsten Morgen Kokosnussschalen mit der zähen Masse – und die Äffchen lecken die Schalen dann aus.

Die Verniedlichung drängt sich bei den 20 Zentimeter langen Tieren, die noch mal einen bis zu 40 Zentimeter langen Schwanz haben, geradezu auf. Ein Puppengesicht, Kulleraugen, dieser Mini- Hipsterbart (er wächst ja auch unter dem Kinn mit zunehmendem Alter), die Versuchung ist groß, die Tiere auf den Arm zu nehmen und mit ihnen zu spielen.

Andreas Pauly weist auf eine kleine, zurückgesetzte Öffnung in der Holzwand hin. Da schieben die Pfleger am liebsten das Futter hinein, wenn „Gitte“, das Weibchen, wieder geworfen hat. Krallenaffen heißen nicht umsonst so. Die Kaiserschnurrbart-Tamarine greifen manchmal die Pfleger an, sie springen auf sie hinauf, reißen kleine Wunden in die Hand oder beißen zu. Das ist kein Kuschel-, sondern ein Wildtier. Jetzt streckt „Gitte“ die Zunge heraus, ein kleines fleischiges Organ. Das sieht grotesk aus und ist nicht lustig gemeint. Komm mir nicht zu nahe, heißt diese Geste.

Die Tiere leben in Familienverbänden zusammen. Den Kern bildet ein Paar, das die Jungen zeugt. Ihm hilft der ältere Nachwuchs bei der Aufzucht. Die Arbeitsteilung in der Familie lautet so: Mama säugt, Papa trägt, die älteren Geschwister passen auf. Dadurch ist der Energiehaushalt der Gruppe ausgeglichen. „Allein würde das die Mutter nicht schaffen“, sagt Andreas Pauly. Nicht nur dass sie zwei Mal im Jahr werfen kann, oft hat sie Mehrlingsgeburten.

Und so, wie die Tamarine gegenüber Menschen ihr Revier verteidigen, stecken sie auch innerhalb der Gemeinschaft Grenzen ab, was die Paarung betrifft. Nur das Elternpaar zeugt Nachwuchs. Die Älteren in der Gruppe werden durch Pheromone in die Schranken gewiesen – abgesonderte Duftstoffe, die ihnen klar machen: Du nicht! „Dadurch wird der Geschlechtstreib gehemmt“, erklärt Pauly. Wenn sich junge Affen vermehren wollen, verlassen sie die Familie und gründen eine eigene – in der sie dann genau das tun, was sie von ihren Eltern gelernt haben: Zunge rausstrecken, Eindringlinge kratzen und Jüngere unterdrücken. Ulf Lippitz

KAISERSCHNURRBARTTAMARIN IM TIERPARK

Lebenserwartung: 12–15 Jahre

Fütterungszeiten:  täglich etwa 13.30 Uhr

Interessanter Nachbar: Seekuh, Silberaffe, Tamandua

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