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Nach drei Monaten wird die Neumanns Grasratte geschlechtsreif.

© wikimedia/R.D. Brecher

Berliner Schnauzen: Diesen Ratten ist die #Metoo-Debatte egal

Bloß keine falschen Verdächtigungen: Neumanns Grasratte ist das klassische Beutetier der Savanne – und ihre Vermehrungslust existentiell notwendig.

So könnte die Geschichte verlaufen sein, in der aus der Grasratte Neumanns Grasratte wurde, ähnlich der, mit der das Okapi Johnstoni zu seinem Namen kam.

Die Grasratte lebt überwiegend in Tansania. Tansania wurde Ende des 19. Jahrhunderts von der Gesellschaft für deutsche Kolonisation okkupiert. Dann wurde es nach einem Aufstand vom Deutschen Reich mit starken und brutalen militärischen Mitteln in die Kolonie Deutsch-Ostafrika umgewandelt. Analog zu Mister Johnstoni, der dem Okapi seinen Zweitnamen gab, könnte auch ein Herr Neumann Namensgeber der kleinen Grasratte gewesen sein.

Und das ist doch eine schöne Rache: Dass so ein Kolonialherrscher als Ratte bezeichnet wird. Die Ratte steht nicht im besten Ruf, auch wenn sie wie die Neumannsche eher einer kleinen Spitzmaus ähnelt. Ratte Neumann, das hat etwas Tröstliches nicht nur für Tansania, auch für ganz Afrika.

Im Tierpark geht es der kleinen Maus gut, da wuselt sie durchs Terrarium, etwa 25 sind es vielleicht, so genau weiß man das nicht. Nach drei Monaten wird so eine Grasratte geschlechtsreif, und das nutzt sie dann anschließend reichlich und wahllos, eine #Metoo-Debatte gibt es in der Kolonie des Tierparks auf keinen Fall. Aber keine moralinsauren falschen Verdächtigungen. Die Neumannsche Triebhaftigkeit und Vermehrungslust ist existentiell notwendig.

Sie leben, um gefressen zu werden

Sie selber sind friedfertige Wesen, wie auch anders mit ihren gerade mal zehn Zentimetern Rumpfgröße, da würden sie sich ja lächerlich machen im Tierreich. Sie sind Veganer – und haben einen einzigen ökologischen Zweck: Sie leben, um gefressen zu werden. Neumanns Grasratte ist das klassische Beutetier der Savanne. Und um nicht auszusterben, muss sich die Grasratte in einer Art und Weise fortpflanzen, gegen die das klassische Karnickel ein sexuell desinteressierter Monogam ist.

Im Tierpark übrigens wird dem Trieb auf natürliche Weise begegnet. Pro Jahr kommen etwa 30 neue Neumänner hinzu, etwa ebenso viele werden verfüttert. Kein falsches Mitleid bitte, Natur ist Natur, und den Behüteten geht es immer noch besser, die kommen im Tierpark auf bis zu fünf Jahre Leben. Ihre Verwandtschaft im Freien schafft, wenn sie sich nicht dauerhaft in unterirdischen Gängen verkriecht, kaum einmal den ersten Geburtstag.

Neumann war ein Berliner Säugetierkundler

Nun ist aber die lebende Grasratte gerade wegen ihres ausgeprägten Überlebenswillens eine rechte Plage in der Landwirtschaft und kann komplette Ernten vernichten. Beliebt ist sie, wiewohl recht putzig anzusehen, bei Menschen also offenbar nicht. Was auch für die Theorie der Rache am Kolonialismus spricht. Der wurde schließlich, zu Recht, ebenfalls nicht geliebt. So könnte die Geschichte der Namensgebung laufen. Nur ist sie leider nicht so.

Kurator Florian Sicks schickt dem Besuch bei den Neumanns noch eine Korrektur hinterher: Oscar Neumann war ein 1867 in Berlin geborener Ornithologe und Säugetierkundler. Und ein Paul Matschie, der am Berliner Naturkundemuseum beschäftigt war und die Grasratte erstmals beschrieb, hat sie ihm zu Ehren Neumann genannt. Schade eigentlich, kleine Ratte.

Grasratte im Tierpark

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