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Unberechenbar. Berliner Eisbären Tonja und Wolodja auf Kuscheltour.

© imago/Olaf Wagner

Berliner Schnauzen: Wolodja, die wandelnde Killermaschine

Von wegen me-ga-süß: Eisbären sind die gefährlichsten Tiere im Zoo. Auch in freier Wildbahn kennt ihr Jagdtrieb keine Gnade.

Den König der Arktis hat man sich wahrlich anders vorgestellt. Irgendwie majestätischer. Eisbär Wolodja hingegen gleicht mit seinem grau-grünlichen Fell und schleppendem Gang eher einem wandelnden Putzlumpen. Wo ist die anmutige Kraft, eingehüllt in das strahlende Weiß eines edlen Felles geblieben? So wie man das aus der Coca-Cola-Werbung kennt. Oder von Lars dem kleinen Eisbär, ohne den keine 90er-Jahre-Kindheit hierzulande verlebt worden sein dürfte. In den gezeichneten Abenteuern tollt das Fellknäuel mit seinen Weggefährten, der Schneehäsin Lena und Robby dem Seehund herum. 2006 wurde aus Zeichentrick Realität: Knut kam im Berliner Zoo zur Welt. Tapsiger Gang. Verspieltes Wesen. Einfach nur me-ga-süß. Von Pfleger Thomas Dörflein aufopferungsvoll aufgezogen, war er das Plüschtier der Nation.

„Knuddel-Knut“ wurde in Kinderliedern besungen und mit Sonderbriefmarken bedacht. Doch bereits drei Monate später fanden die beliebten Live-Shows mit dem Jungtier ein jähes Ende. Zu gefährlich seien diese nun für das Personal. Aus der pelzigen Knutschkugel war ein unberechenbares, triebhaftes Raubtier geworden.

Auch heute wagen Pfleger es nicht, sich den zwei verbliebenen Eisbären zu nähern. „Das wäre Selbstmord“, sagt Revierleiter Norbert Zahmel, „es sind die gefährlichsten Tiere im Zoo“.

Jeder ist ein potenzielles Beutetier

Knut bemühte sich damals vergebens, an der Merchandising-Kompatibilität seiner Spezies zu kratzen: Zum Entsetzen der Besucher tötete er die Karpfen im Wasserbecken des Geheges. Nicht aus Hunger, einfach so. Weil Raubtiere eben töten. Natürliche Feinde kennen Eisbären nicht, jeder, der sich um sie bewegt, ist ein potenzielles Beutetier. 2010 sprang eine Frau in die Anlage. Sie wollte mit den Bären planschen. Und wurde beinahe totgebissen. Der Jagdtrieb kennt keine Gnade. Auch Lars, der kleine Racker, hätte seine Weggefährten Lena und Robby in der Realität in mundgerechte Happen zerlegt.

Viele Tiere leiden unter ihrer Dämonisierung. Dem Eisbär aber wird seine Verniedlichung zum Verhängnis. In freier Wildbahn endet die Begegnung von unvorsichtigen Menschen mit dem größten Räuber unter den Landsäugetieren der Erde nicht selten tödlich. Manchmal für den Zweibeiner, häufiger jedoch für den Vierbeiner.

Der Klimawandel setzt den Eisbären zu

Und längst ist der Mensch, wenn auch unbewusst, zur biologischen Kriegsführung übergegangen. Verschwindet das Meereis infolge des Klimawandels, wird der Eisbär nicht überleben. Forscher berichten bereits, dass Männchen aus verzweifeltem Hunger schwächere Artgenossen reißen. Buchstäblich ihrer Lebensgrundlage beraubt, dringen die Tiere zunehmend in menschliche Siedlungen vor. Auf Spitzbergen sind die Kindergärten nicht umsonst mit hohen Metallabsperrungen gesichert und die Bewohner aufgefordert, stets ein Gewehr zur eigenen Sicherheit mit sich zu führen.

Anfang Dezember hat Berlin ein neues Eisbärbaby bekommen. Der zottelige Wolodja ist der Papa. Doch auch aus dieser Handvoll Fell wird eine bis zu drei Meter große, hunderte Kilo schwere, gnadenlose Killermaschine. Eines Tages wird es sein blutverschmiertes Schnäuzchen das erste Mal aus den Eingeweiden heben. Und die Menschen ihr Smartphone. Vermutlich noch immer selig lächelnd: „Me-ga-süß“.

Eisbär im Zoo

Lebenserwartung:  30 Jahre

Fütterungszeiten:  täglich 10.30 Uhr

Interessanter Nachbar: Wölfe

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung des Textes haben wir den Eisbär als "größtes Landsäugetier der Erde" bezeichnet. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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