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Wenn Kinder zwischen die elterliche Front geraten, wird es schwierig.

© Getty Images/iStockphoto

Betreuung im Trennungsfall: Was das Wechselmodell Kindern antun kann

Montags Mama, dienstags Papa. Nach der Scheidung seiner Eltern hat unser Autor die Schattenseiten des Wechselmodells kennengelernt. Ein persönlicher Rückblick.

Es war ein Sonntagmorgen, kurz vor dem Frühstück, als mein Vater meinen Bruder und mich zur Seite nahm. „Ich trenne mich von Mama“, sagte er und begann zu weinen. Auch meiner Mutter liefen Tränen über das Gesicht. Also weinten wir Kinder mit. Obwohl wir mit neun und zwölf Jahren die Reichweite dessen, was uns da gerade widerfahren war, nicht überblicken konnten. An diesem Morgen war eine Staubwolke aufgestiegen, die alles überzog und eintrübte, was zuvor das vertraute, familiäre Zusammenleben ausgemacht hatte. Nachsicht und Geduld, einmal Zeichen liebevoller Zärtlichkeit und Fürsorge zwischen den Eltern, verkehrten sich schlagartig in bösartiges Misstrauen.

Ihr größter gemeinsamer Schatz wurde zum Gegenstand eines gnadenlosen Machtkampfes: Wir Kinder. Als in den vergangenen Tagen in der Politik über das Wechselmodell als Leitbild diskutiert wurde, erinnerte mich das an die rationale Erwachsenenperspektive, mit der ein Verteilungsplan für uns einst entworfen wurde: Montag bei Mama. Dienstag bei Papa. Mittwoch und Donnerstag dort, wo man am Wochenende nicht sein würde. Am Wochenende dann im Wechsel. Gefragt wurden wir nicht. Aber wir hätten wohl zugestimmt. Welches Kind entscheidet sich schon freiwillig für einen Elternteil?

Mein Vater hatte meine Mutter für ihre beste Freundin verlassen. Im Haus meiner Kindheit blieb nun die einsame Mama zurück, der Papa bezog mit Partnerin und deren Kindern ein neues Heim. Hier Trauer und Verzweiflung, dort die Leichtigkeit eines neuen Lebens. Ein tägliches Wechselbad. Ich bekam das kleinste Zimmer zugewiesen. Schließlich sei ich doch auch nicht immer da. In diesem Moment begriff ich, dass ein Leben aus zwei Hälften bestehen kann, ohne ein Ganzes zu ergeben. Eine doppelte Heimatlosigkeit, die kein Ankommen ermöglichte.

Wie ein Ausgleichsgewicht auf einer Waage

Alle Dinge des Alltags mussten nun zweifach beschafft werden oder bedurften einer minutiösen Feinplanung. Vom Bett über die Schulbücher bis hin zur Kleidung. Und es beschränkte sich nicht auf die materielle Ebene. Parallel zu den zwei Wohnorten existierten voneinander getrennte Freundeskreise in zwei Dörfern. Ein Leben als menschliches Chamäleon. Die Mama wollte nicht hören, wie gut es dem Papa geht. Der Papa wollte nicht hören, wie schlecht es der Mama geht. Die neue Partnerin wiederum wollte nicht das Gefühl haben, dass sie eine Familie zerstört haben könnte. Ob sie diese Dinge jemals aussprachen? Ich weiß es nicht mehr. Aber ich spürte es.

Wenn ich bei meiner Mutter blieb, statt mit Freunden spielen zu gehen. Oder den sorgenvollen Blick meines Vaters auf seine Ex-Frau bemerkte, wenn er uns bei ihr abholte. Für mich bedeutete das permanente Selbstkontrolle. Ich war Laufbote und Mediator zwischen den Fronten, ein Ausgleichsgewicht auf einer Waage. Stets bemüht, die familiäre Balance im Gleichgewicht zu halten, wenn der kleine Bruder vor meiner Mutter am Abendbrottisch munter über die unbeschwerten Stunden in der neuen Patchwork-Familie plauderte. Der ständige Wechsel, das ewige Ankommen und Abschiednehmen, gehen nicht spurlos an einem Kind vorüber. Das merkte ich im Sommer darauf.

Auf einer Jugendfreizeit war ich das erste Mal seit langer Zeit für zwei Wochen an einem Ort. Und wie eine Brücke ohne Ufer brach ich innerlich zusammen. Kinderpsychologen betonen immer wieder, dass es zum Wohle der Heranwachsenden sei, wenn ihnen gar nicht erst erlaubt wird, auf der Ebene der Eltern mitzumischen. Vor allem im Scheidungsfall. Was aber, wenn diese Ebene einstürzt? Wenn sich ein tiefer Spalt im elterlichen Dach auftut, der bis hinunter zu den Fundamenten basaler kindlicher Bedürfnisse reicht?

Auf jede Form der Beständigkeit verzichten

Was soll ein Kind anderes empfinden als Schuld, wenn es die eigene Mutter, in Tränen aufgelöst, zurücklassen muss. Oder Scham, weil man nur wenige Minuten später und ein Dorf weiter mit den Kindern der neuen Lebenspartnerin spielen soll? Junge Menschen haben ein natürliches, narzisstisches Bedürfnis. Sie brauchen verstärkte Aufmerksamkeit und Zuwendung, müssen sich als Zentrum ihrer eigenen Aktivität erleben dürfen. Im Idealfall dienen die Eltern dabei als Spiegel der kindlichen Gefühle. Nach der Trennung wurde dieser Spiegel aber nicht nur eingetrübt, sondern zerbrochen. Und die Scherben warfen tagtäglich widersprüchliche Reflexionen zurück.

Trotzdem versuchten mein Bruder und ich, uns wie Blumen nach dem Licht auszurichten. Wir hatten beide Elternteile in unserem Leben - nur zu welchem Preis? Wir mussten auf jede Form der Beständigkeit verzichten. Irgendwann führte ich dann die erste eigene Beziehung. Über Jahre hatte ich immer wieder die Masken getauscht. Und nun stand jemand vor mir und fragte „Woran bin ich bei dir?“. Bindungsstörung würde ein Therapeut später diagnostizieren. Ich hatte gelernt, nicht ich zu sein, aus kindlicher Angst verlassen zu werden. Und musste nun lernen, dass ich verlassen wurde, weil ich nicht ich war.

Weil ich im ewigen Solidaritätskonflikt nie erprobt hatte, für mich einzustehen. Erst Jahre später schenkte ich den angestauten Emotionen Gehör. Meine Eltern bezeichneten sich zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder als Paar. Neulich besuchten sie mich in Berlin. An einem Sonntagmorgen saßen wir am Frühstückstisch, als mein Vater feierlich seine Stimme hob. „Wir haben erfreuliche Nachrichten: Deine Mutter und ich haben beschlossen, wieder zu heiraten.“ Ob ich mir nicht vorstellen könnte, Trauzeuge zu sein? Nein, das konnte ich nicht.

Der Autor ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.

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