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Kunden von Dzidka Düser bestellen die Zutaten für das Weihnachtsessen bereits Anfang Dezember.

© Mike Wolff

Delikatessen aus aller Welt: Wo Menschen in Berlin den Geschmack der Heimat finden

Russische Mayo für diesen einen Salat, San-Daniele-Schinken für italienische Völlerei und Kartoffelpuffer, die an jüdische Geschichte erinnern. Fünf Adressen.

Pod Kogutem

Ein Weihnachtsessen in Polen ist eine Schlacht. Das muss man wissen, vor allem anderen. Die Vorbereitungen beginnen Anfang Dezember. Da legen wir bei uns im Laden Listen aus, in die sich unsere Kunden eintragen. Wir besorgen ihnen die Zutaten, die sie brauchen. Zwei Wochen vor dem Fest beginnen die meisten mit dem Kochen. An Heiligabend selbst ist alles schon fertig.

Wir putzen das Haus und fasten bis abends. Das ist ganz wichtig. Unser Vater ging jedes Jahr vor dem Essen mit uns Kindern vor die Tür. Wir hatten Hunger, aber mussten warten, bis er den ersten Stern am Himmel entdeckte. Er sah auch welche, wenn es Nebel hatte. Dann ging’s zu Tisch.

Bis heute bekommt jeder zuerst eine Oblate. Wir wünschen uns Glück und Gesundheit. Streite werden beigelegt, auch das ist essenziell. Es folgen zwölf Gänge für die zwölf Monate des Jahres, alle kommen gleichzeitig auf den Tisch. Kein Fleisch, kein Alkohol, das ist erst am nächsten Tag wieder erlaubt. Dafür gibt es Rote-Bete-Suppe mit Uschka, kleinen Teigtaschen, Pieroggi mit Sauerkrautfüllung und einer Soße, die nur aus drei Zutaten besteht, Pilze, Sahne, Butter. Es folgen panierte Eierkuchen mit Pilzen und Sauerkaut, Hering mit Rosinen, Nudeln mit Mohn und Orangen – und dann das Highlight: Karpfen, frittiert oder in Gelee. Als Kind konnte ich beide Varianten nicht leiden, musste aber immer probieren. Heute schmeckt es mir, einmal im Jahr ist trotzdem genug.

Überhaupt hatten wir Kinder nicht viel zu sagen. Während des vier- bis fünfstündigen Essens schwiegen wir. Das Gespräch der Erwachsenen zu unterbrechen galt als unhöflich. Einmal sah ich als einzige, dass der Weihnachtsbaum brannte. Ich wollte es mitteilen, aber mir fuhr ständig jemand über den Mund. Erst als der Baum lichterloh in Flammen stand, entdeckten meine Eltern, was ich hatte sagen wollen. Wir konnten das Feuer löschen, die Geschichte erzählen wir bis heute.

Dzidka Düser, Wilmersdorfer Straße 95 oder Anzengruberstraße 24

Lampari

Michel Menasherov versorgt Berliner mit koscheren Lebensmitteln.
Michel Menasherov versorgt Berliner mit koscheren Lebensmitteln.

© Mike Wolff

Wenn die Christen an Weihnachten ihr großes Fest feiern, haben wir Juden unseres gerade hinter uns: Chanukka. Acht Tage lang zünden wir im Dezember jeden Tag eine neue Kerze an. Außerdem drehen besonders die Kinder traditionell den Dreidel, eine Art Kreisel mit vier Seiten: Nun, Gimel, He und Schin. Je nach Seite bekommen oder verlieren sie Süßigkeiten. Die sind ganz wichtig an Chanukka. Bei uns im Laden verkaufen wir sie koscher, sogar besondere Haribos gibt es.

Zu Chanukka isst man traditionell ölige Speisen, Latkes vor allem, Kartoffelpuffer. Oder Krapfen, Sufjanijot. Das fettige Essen erinnert uns an das Ölwunder. Damals eroberten die Juden den Tempel von den griechischen Besatzern zurück, darin fanden sie nur ein kleines Fässchen Öl, um das Licht neu zu entzünden. Es reichte eigentlich nur für eine Nacht – am Ende brannte es acht Tage lang.

In Berlin gibt es zwei koschere Supermärkte. Ziemlich wenig, wenn man bedenkt, wie viele Juden hier leben. Auch wir betreiben den Markt nebenbei, hauptsächlich beliefern wir Läden in ganz Deutschland mit koscheren Lebensmitteln. Wir haben ein Lager mit allem, was Exil-Israelis sich wünschen: Hummus, Tahini, gefilte Fisch, Salzgurken, Dattelsirup und Wein von den Golanhöhen.

Bin ich früher nach Israel gereist, nach Tel Aviv, wo meine Eltern herkommen, dann brachte ich immer Bissli mit, die sehen aus wie Erdnussflips, schmecken aber besser. Esse ich die, bin ich wieder jung. Ein Stück Heimat im großen Berlin.

Michel Menasherov, Damaschkestraße 31

Centro Italia

Stefano Totis kommt aus Udine im Nordosten Italiens.
Stefano Totis kommt aus Udine im Nordosten Italiens.

© Mike Wolff

Die Frischetheke ist das Prunkstück meines Markts. Ich habe 100 Käsesorten und Wurst ohne Ende, wir mögen es deftig in Udine, wo ich herkomme. Das liegt zwar in Italien, aber die Küche ist auch von Österreich und Kroatien beeinflusst. Wir essen gern Frico, eine Tarte aus sieben verschiedenen Käsen. Auch toll: Ein einfaches Brot mit dem berühmten San-Daniele-Schinken, der kommt auch aus meiner Heimat. Auf ein Stück Brot packe ich zehn Scheiben davon.

Wir essen viel bei uns daheim. Mein Opa besaß einen Bauernhof und jagte, es gab bei ihm 20 Mal die Woche Fleisch: Fasan, Wildschwein, Hirsch. Er schoss alles, was ihm vor die Flinte kam, bestimmt auch mal einen anderen Jäger. Er wurde 98, seine Frau 104, die andere Oma ist 102. Warum alle so alt werden? An kalorienarmem Essen liegt es nicht. Meine Großeltern hatten den Cholesterinspiegel einer Robbe.

Bei uns im Laden erleben wir jetzt die verrücktesten Wochen. Vor Weihnachten decken sich alle ein. Ich trenne mich eigentlich jedes Jahr im Dezember, weil ich so viel arbeiten muss. 2018 habe ich mir zum ersten Mal frei genommen und ein Flugticket nach Hause gekauft. Ich feiere mit der Großfamilie. Meine Schwester kocht, sie hat jetzt einen Thermomix, der heißt bei uns Bimby. Ich stelle mich auf ein Achtgängemenü ein.

Stefano Totis, Greifswalder Straße 80C

"Ich verkaufe alles, was mich an Korea erinnert"

Young-Mi Park-Snowden wurde als Tochter zweier Koreaner in Wolfsburg geboren.
Young-Mi Park-Snowden wurde als Tochter zweier Koreaner in Wolfsburg geboren.

© Mike Wolff

Super K-Market

Bei uns zu Hause roch es streng. Ich bin in Wolfsburg geboren, als Tochter zweier Koreaner. Mein Vater kam in den 60er Jahren als Bergmann nach Deutschland, meine Mutter als Krankenschwester, zu Hause schnippelten sie Chinakohl und legten ihn in Salzlake ein, nahmen ihn raus, tunkten die Scheiben in eine Paste aus Knoblauch, Rettich, Ingwer, pürierten Gambas und Anchoviscreme. Kimchi, so nennt man die Art der Zubereitung und das fermentierte Gemüse selbst, lagerte kiloweise in unserem Kühlschrank. Stank. Kamen nach der Schule Freunde zu mir zu Besuch, schämte ich mich. Ich fühlte mich doch deutsch! Andererseits kannte ich es auch, das Anderssein. Manche riefen „Sching Schang Schong“ wenn sie mich sahen, andere machten sich Schlitzaugen.

Nach dem Abitur zog ich nach Seoul. Das schönste Jahr meines Lebens. Ich lernte richtig Koreanisch sprechen und aß – Kimchi. Plötzlich verstand ich, wer ich war. Ich zog nach Berlin, vermisste Kimchi, schnippelte selbst, legte ein und bot meine Variation auf einem Markt an. 2009 eröffnete ich in Kreuzberg das Kimchi Princess. Industriehallenromantik, Bibimbap, Korean Barbecue und Kimchi. Das Restaurant ging durch die Decke, jetzt dreht hier manchmal das koreanische Fernsehen, wenn sie zeigen wollen, wie angesagt Kimchi in Berlin ist.

Weil Gäste nun oft fragen, wo sie das leckere Essen selbst kaufen können, habe ich den Super K-Market eröffnet, gleich neben dem Restaurant. Dort verkaufe ich alles, was mich an Korea erinnert. Zum Beispiel Milkis, eine Limonade auf Milchbasis. Trinke ich davon, denke ich an meine Ferien als Kind. Wenn ich Tteokbokki esse, Reiskuchen mit Chilipaste, fühle ich mich, als säße ich in Seoul auf einem Plastikstuhl am Straßenrand, im Gesicht das Scheinwerferlicht des Feierabendverkehrs. Und wenn jemand bei uns im Laden einen Chinakohl kauft, Anchovis und Knoblauch, dann merke ich: Kimchi ist für mich heute nicht mehr das stinkende Kraut im Kühlschrank meiner Eltern, das mich quälend an mein Anderssein erinnert. Kimchi ist heute ein Superfood.

Young-Mi Park-Snowden, Manteuffelstraße 47

Delikatessen Berozka

Für uns Russen ist Weihnachten in Deutschland ein Traum. Wir feiern nämlich doppelt. Zuerst den christlichen Heiligabend – und zwei Wochen später, am 6./7. Januar, das russisch-orthodoxe Weihnachtsfest. An Heiligabend fahre ich mit Freunden nach Brandenburg, da haben wir ein Haus gemietet. Wir kochen schon tagelang vorher, dann kommt alles auf den Tisch: Blini, Pelmeni, russischer Salat, Napoleontorte. Sehr beliebt, bei mir und unseren Kunden: Kaviar. Wir essen ihn als Füllung der Blini, als Beilage zu den Blini oder ganz ohne Blini. Der rote kostet 80 Euro pro Kilo, der schwarze 600 bis 1000 Euro, und der schwarze vom Stör bis zu 20 000 Euro. Noch wichtiger als Kaviar ist aber etwas weniger Exquisites, Oliviersalat. Was immer drin sein muss: Kartoffeln, gekochtes Hähnchenfleisch, Eier, Karotten, Erbsen, Salzgurken und eine russische Mayonnaise. Ernsthaft, eine deutsche Mayo macht den Oliviersalat kaputt, es muss eine russische sein.

Ein bisschen eigen sind wir Russen bekannterweise auch beim Trinken. Die Männer kaufen Wodka, die Frauen eher Champagner oder Prosecco. Den werden wir auch an Neujahr trinken. Das feiern wir übrigens ebenso doppelt. Erst das deutsche am 1. Januar – dann das russische am 13. Januar. Und wenn wir am Tag danach vollkommen verkatert aufwachen, dann machen wir Russen etwas, das sich alle anderern Berliner am besten von uns abschauen. Wir kochen Borschtsch oder Soljanka, zwei Eintöpfe, sehr reichhaltig, mit Fleisch oder Fisch. Es gibt kein besseres Kateressen.

Tanja Petrova, Passauer Straße 4

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