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Shida Bazyar

© Mike Wolff

Deutsch-iranische Autorin im Interview: „In beiden Städten kann man schön pöbeln“

Das haben Teheran und Berlin gemeinsam, sagt Shida Bazyar aus Erfahrung. Warum „Titanic“ in Iran nur eine Stunde dauert und Nasen-OPs en vogue sind.

Shida Bazyar, 28, wurde in Hermeskeil, Rheinland-Pfalz, geboren, nachdem ihre Eltern aus Iran geflohen waren. Sie studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim, ihr Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“ ist gerade erschienen. Bazyar lebt in Berlin und betreut Jugendliche in deren Freiwilligem Ökologischen Jahr

Frau Bazyar, Sie haben einen Roman über eine iranische Familie geschrieben. Auf Deutsch, das Sie im Buch als „eine uninteressante Sprache“ bezeichnen.

Das ist aber nicht meine Meinung, sondern die einer Figur. Im Persischen kann ich allerdings manche Dinge schöner ausdrücken. Wenn man irgendwo zusammensitzt in einem Kreis von Menschen und einer fehlt, sagt man hinterher zum Abwesenden „dein Platz war leer“. Als hätte es einen Stuhl gegeben, den man für ihn freigelassen hat.

Das Buch beginnt 1979 in Teheran und endet 30 Jahre später in Deutschland. Die Geschichte Ihrer Familie?

Ich habe mit fünf Jahren angefangen, Geschichten zu schreiben, das Thema Iran hat mich erst während meines Literaturstudiums gepackt. Mir gefallen Bücher, die historische Ereignisse anhand von Familien erzählen, die Berlin-Trilogien von Klaus Kordon etwa. Mein Roman könnte die Geschichte meiner Eltern sein, sie sind 1987 von dort geflohen. Als Einwanderungsland birgt Deutschland viele Erzählungen, die hier mit hineingekommen sind, aber viel zu selten aufgeschrieben werden.

Haben Sie noch Familie in Iran?

Seitdem meine Großeltern vor ein paar Jahren gestorben sind, gibt es keinen festen Bezugspunkt mehr für mich dort. Einige Tanten und Onkel leben in Iran. Meine Cousinen oder Cousins versuchen, das Land zu verlassen, Studienplätze im Ausland zu bekommen, in Schweden, Kanada oder den USA.

Sie sind 1988 in Deutschland geboren. Ihre Eltern waren Kommunisten, da hatten Sie zu Hause sicher ein klares Feindbild.

Nein, gar nicht, das finde ich nachträglich auch merkwürdig. Meine Eltern haben uns gegenüber nie aggressiv über Iran geredet. Trotzdem hatte ich schon als Kind eine tief verankerte Angst vor Khomeini ...

… dem Führer der Islamischen Revolution 1979.

Wenn er im Fernsehen zu sehen war, habe ich mich gefürchtet. Ich fand diesen Mann so gruselig, er war für mich der Inbegriff des Bösen.

Ging das Kindern anderer Exil-Iraner ähnlich?

Das weiß ich nicht, wir hatten kaum Kontakt zu anderen Familien. Was auch an unserem Dorf lag, wir waren in Hermeskeil nicht gut angebunden. In die nächstgrößere Stadt, 40 Kilometer nach Trier, zu fahren, war immer aufwendig. Für mich gab es nicht, was ich eine Community nennen würde. Ich weiß gar nicht, ob man überhaupt von einer Diaspora reden kann. Das setzt voraus, dass es eine Gemeinschaftlichkeit in der Gruppe gibt.

Exil-Iraner sind doch recht gut vernetzt. Ihr gemeinsamer Nenner ist das Herkunftsland.

Ich weiß nicht, ob das reicht. Alle, die nach der Islamischen Revolution 1979 geflohen sind, haben das aus unterschiedlichen politischen Gründen getan. Warum sollten sich Schah-Anhänger und Kommunisten plötzlich in Deutschland gut verstehen? Unter dem Schah gab es keine Meinungsfreiheit. Meine Eltern konnten die Bücher, die sie lesen wollten, also linke Literatur, nur unter der Hand bekommen. Es gab keine demokratische Legitimation für die Regierung. Ein König, der über ein Geburtsrecht an die Macht gekommen war! Das war nicht mehr zeitgemäß.

Sie konnten lange nicht nach Iran fahren. Wie haben Ihre Eltern Ihnen davon erzählt?

Ihre Frage klingt so, als müsste man mir das Land auf einem Silbertablett servieren. Wir haben zu Hause selbstverständlich Persisch gesprochen, erst im Kindergarten habe ich Deutsch gelernt, es gab persisches Essen und Feste, wir bekamen Pakete aus Iran mit Schnickschnack, den man hier nicht bekam. Glitzer-Haarspangen und Kaugummis mit einem krass chemischen Geschmack. Die fand ich supergut.

Und welches Fest mochten Sie?

Am 21. März wird zum Frühjahr das persische Neujahr gefeiert. Dafür haben meine Eltern einen Gabentisch mit symbolischen Geschenken aufgebaut. Zum Beispiel einen Spiegel, der für Klarheit steht. Gegessen haben wir dazu Fisch mit Dill, Reis mit Kräutern. Es stand eine Hyazinthe auf dem Tisch. Diese Gerüche vermischen sich bis heute für mich zum Frühlingsanfang.

"Ich wusste, in Iran braucht man ein Kopftuch"

Shida Bazyar
Shida Bazyar

© Mike Wolff

Zum ersten Mal besuchten Sie Iran 1998.

Das war spannend. Allein die Passfotos zu machen. Wir haben Kopftücher gekauft, die in einem Fotoautomaten aufgesetzt und Bilder gemacht.

Da waren Sie zehn. Haben Sie verstanden, warum?

Ich wusste, in Iran braucht man ein Kopftuch. In Teheran musste ich es dann nicht tragen, weil ich noch nicht in der Pubertät war. Diese drei Wochen waren superschön. Allein der Anflug abends auf Teheran, die Stadt von oben. Ich weiß noch, dass ich meine Mama gefragt habe, warum man so viele Lichter sieht, ob die keine Jalousien haben. Zum ersten Mal habe ich am Flughafen meine Großeltern gesehen. Viele Menschen umarmten uns, verhielten sich so, als würden sie uns ewig kennen.

Erlebten Sie Ihre Mutter anders als in Hermeskeil?

Hm, die Beziehung war anders, weil sie nicht mehr die ganze Zeit für mich da sein musste. Es gab genug Tanten, die sich darum prügelten, mit mir einkaufen zu gehen, zu spielen, mir die Haare zu machen. Das kannte ich nicht, dass meine Mutter anderen Leuten vertraute, die Verantwortung für mich zu übernehmen.

Haben Sie etwas aus Deutschland vermisst?

Sprudelwasser hat mir wahnsinnig gefehlt. Dass stilles Wasser getrunken wurde, fand ich schlimm.

Die „New York Times“ empfiehlt Iran gerade als Top-Reiseziel. Helfen Touristen dem Land?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie schaden. Es kann nur gut sein, ein neues Land mit seinen hässlichen wie schönen Seiten kennenzulernen. Zum Beispiel Isfahan, eine umwerfend hübsche alte Stadt. Ich habe in meinem Leben selten so gestaunt wie dort. Dieser große Platz in der Mitte der Stadt, darüber fahren Kutschen, drum herum gibt es einen Basar, am Rand kann man Tee trinken, die Moscheen sind voller blauer Mosaiken, und wenn man darin steht, fühlt man sich wie in einem Disneyfilm.

Und die hässlichen Seiten, von den Sie sprachen?

Abgesehen von der Regierung, meinen Sie. Teheran ist eine der hässlichsten Städte, die ich kenne. Laut, grau, im Sommer stickig und mehr als 40 Grad heiß. In den Taxis gibt es keine Klimaanlage, die Stadt ist versmogt, man kann auf der Straße kaum atmen. Autofahrer schreien andere Autofahrer an. Einfach weil sich niemand an Regeln hält. So viele Wagen wie irgendwie auf den heißen Asphalt passen, schlängeln sich nebeneinander her, und sobald eine Lücke auftaucht, gibt man Gas.

Noch zwei Mal waren Sie zu Besuch, 2006 und 2012. Hatte sich Ihre Perspektive verändert? Als 18-Jährige möchte man vielleicht ein Bier trinken ...

… darauf habe ich verzichtet, weil es mir zu kompliziert war. Alkohol zu trinken ist ja verboten, aber wenn man es will, gibt es Möglichkeiten. Einmal war ich bei einer befreundeten Familie, da kamen drei Männer zusammen, einer hat einen kurzen Anruf getätigt, wenig später klingelte es an der Tür und jemand lieferte eine Flasche Wodka. Wie ein Dealer. Mit 18 fand ich es cooler, auf den Basar zu gehen und Klamotten oder Stoffe einzukaufen. Dort trifft man auch die meisten Touristen, die sich für Porzellan, Kissenbezüge oder Wohnungsdeko interessieren.

Die Händler hielten Sie für eine Einheimische.

Nein! Die Leute haben mich oft auf Englisch angesprochen. Die haben mich bestimmt an meinem Kopftuch erkannt. Ich war uncool angezogen wie eine Oma. Kopftücher haben in Iran ihre Mode, und die verstehe ich als Außenstehende nicht. Ich habe mir vorher einfach was bei Tchibo gekauft.

Da gibt es Kopftücher?

Nein, aber Schals wie den, den ich gerade um den Hals trage. Das genügt. Außerdem ist in Iran ein Manto Pflicht, ein Mantel, der die Arme bedeckt und über die Hüften reicht. Mit diesen Sachen, die sie tragen müssen, machen sich die Frauen in Teheran wahnsinnig hübsch. Manchmal sieht man bei Facebook Fotos, die dort hip angezogene Leute auf der Straße zeigen – so wie hier auch.

Das klingt harmlos. Doch Frauen werden in Iran unterdrückt: Eine Scheidung zu erwirken ist zum Beispiel sehr schwer für sie, Männer können eine Ehe dagegen unkompliziert beenden.

Die Gesetze in Iran sind sexistisch, das will ich überhaupt nicht beschönigen. Im Privaten, das ja auch politisch ist, gibt es aber viel mehr selbstbewusste Frauen, als man hierzulande denkt.

"Alles aus dem Ausland gilt als total gut"

Shida Bazyar
Shida Bazyar

© Mike Wolff

Ende der 80er Jahre sorgte das Buch „Nicht ohne meine Tochter“ für großes Aufsehen. Die Autorin, eine Amerikanerin, erzählt darin, wie sie mit ihrer Tochter vor ihrem Mann aus dem Iran flieht.

Als ich das Buch das erste Mal las, fand ich es spannend. Es hat mich beinahe gefreut, dass sich auch der Mainstream für Iran interessiert. Im Nachhinein sehe ich das problematischer. Es gibt Stellen, wo ich mich frage, wie nah am echten Geschehen das sein kann. In was für einer Familie ist die Amerikanerin gelandet, wo die Kinder barfuß über den Tisch laufen und ins Essen treten?

Heute unterziehen sich iranische Frauen Schönheitsoperationen, besonders Nasen-OPs sind verbreitet.

Stimmt, das ist ein richtiger Boom. Mein Eindruck ist, dass die Iraner auch MTV gucken und so aussehen wollen wie die Menschen, die sie im Fernsehen sehen. Es gibt verhältnismäßig viele große Nasen – und die passen nicht zum europäischen Schönheitsideal. Aus demselben Grund blondieren sich die Frauen ihre Haare.

Sie auch?

Nein. Als ich mit 18 Jahren in Iran war, trug ich Dreadlocks, das war ein großes Rätsel für die Familie. Meine Großeltern fanden die hässlich. Die Cousinen in meinem Alter konnten das gar nicht fassen. „Aber warum? Du hast doch jetzt Spliss!“

Die populäre Kultur ist also die des Erzfeinds USA.

Den Einfluss Amerikas gibt es überall auf der Welt. In Iran kommt hinzu, dass alles aus dem Ausland als total gut gilt. Man fragt gar nicht, wo etwas herkommt, sondern sagt einfach „das ist ausländisch“ – und das bedeutet: super. Außer vielleicht China-Ware, die finden die Iraner billig.

In Taxis handeln Menschen mit DVDs. Das sah man auch im Film „Taxi Teheran“, der vergangenes Jahr den Goldenen Bären der Berlinale gewann.

Das wird geduldet, glaube ich. Im Fernsehen werden manche Filme wegen der Kuss- oder Nacktszenen stark gekürzt. Als ich mit zehn da war, lief an einem Abend „Titanic“. Von drei Stunden hatte man ihn auf eine Stunde zehn Minuten zusammengekürzt. Auch Satellitenschüsseln sind verboten – weil man damit Sender der Exil-Iraner empfangen kann –, trotzdem gab es eine Phase, in der alle eine Schüssel besaßen. Dann wurde es wieder strenger, Kontrolleure klingelten an der Tür, liefen auf den Dächern rum, steckten Leute ins Gefängnis, und die Zahl der Schüsseln ging zurück.

Da es eine große Kluft gibt zwischen der offiziellen Ideologie und dem, was die Leute privat tun, heißt es, die Menschen in Iran hätten zwei Gesichter.

Mir ist aufgefallen, dass sich die Leute auf der Straße nicht anlächeln, dass keiner laut lacht. Das bringt die Situation wohl mit sich: Wenn ich rausgehe, dauernd auf mein Kopftuch achte, nicht weiß, wer vielleicht um die Ecke biegt und kontrolliert, ob ich entsprechend den Vorschriften gekleidet bin, dann ist mir nicht nach Lachen zumute.

Wenn Sie eine Prognose wagen müssten: Wie stabil ist das iranische System?

Ich glaube nicht daran, dass sich solche Regime lange halten können. Früher oder später wird entweder eine Revolution passieren, oder es wird aus anderen Gründen nicht mehr so weitergehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Enkelkinder einmal auf dieses Land schauen wie wir heute.

Es gab 2009 die sogenannte Grüne Revolution, bei der viele junge Leute auf die Straße gingen und das Internet eine große Rolle spielte.

Mein Eindruck war, dass das Internet anders genutzt wird als hier. Zur Zeit von Ahmadinedschad …

… der von 2005 bis 2013 Präsident war …

… kursierten viele Witze über ihn, er war so eine Art Scherzfigur. So was kenne ich nicht aus Deutschland, dass man sich mit seinen Freunden bei Whatsapp Karikaturen hin- und herschickt.

Als vor Kurzem der amtierende iranische Präsident Rohani in Italien war, verhüllte die Stadt Rom nackte Statuen. Wie fanden Sie das?

Das ist eine opportunistische Geste. Ich bin nicht dagegen, Menschen Respekt entgegenzubringen, sie zu akzeptieren und ihre moralischen Grenzen zu verstehen. Nur wenn jemand zu Gast ist, baut man ihm nicht die Welt neu auf. Es sei denn, es steckt etwas für einen dahinter – und das sind in diesem Fall Wirtschaftsdeals. Ich traue einer Annäherung nicht, die so eine Basis hat.

Wurde in Ihrer Familie darüber diskutiert?

Das war ein Thema wie jedes andere.

Sie klingen so distanziert, obwohl Ihre Eltern vor den Mullahs geflohen sind.

Es ist schwer, eine klare Haltung zu beziehen. Solange man Geschäfte mit diesem Land macht, unterstützt man die Regierung. Doch der Mittelschicht geht es dann auch besser. Alle waren bisher damit beschäftigt, über die Runden zu kommen. Das Einkommen reichte nie aus, um sich mal nicht um den nächsten Monat zu sorgen. So hält man die gebildete Schicht ein bisschen dumm. Sie kommt nicht auf die Idee, sich aufzulehnen.

Sie pendeln kulturell zwischen zwei Ländern. Löst der Begriff Heimat in Ihnen was aus?

Er hat nichts mit mir zu tun. Ich benenne nichts als meine Heimat. Weder Iran noch Hermeskeil. Ich wohne in Berlin, die Stadt ist gerade richtig, aber für immer? Ich weiß nicht.

Der Kurator und Autor Tirdad Zolghadr behauptet, Teheran und Berlin ähnelten sich: beides Moloche...

... das finde ich nicht. Berlin ist doch richtig schön und grün im Sommer, ich kann mich mit einem Getränk auf die Straße setzen. Mir fällt eine Sache ein, die man in beiden Städten gut kann: richtig schön pöbeln.

Schwer vorzustellen bei Ihnen.

Wenn ich Fahrrad fahre und supergenervt bin. „Ist doch kein Radweg!“ – „Die Straße ist auch kein Radweg!“ Zurückzupöbeln ist ein Sport für mich. Finde ich super.

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