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Die  MITFAHRER: Schwein gehabt

Von: Winnipeg nach Saskatoon Dauer: 24 Stunden Auto: Peterbilt 379, blau, 475 PS Insassen: 2.

Gerade mal eine halbe Stunde nachdem ich in den Truck geklettert bin, beschließt Pete, dass wir ab jetzt Freunde sind. Er sei gerade auf dem Weg zu einem Dorf der Hutterer, erzählt er, das liege zwar nicht auf meiner Strecke, sei aber durchaus einen Umweg wert. Die Hutterer, alles fromme Christen, würden schließlich fast so abgeschottet leben wie die Amische. Hätte ich Lust, mir das anzusehen? Außerdem müsse er dort 200 Schweine auf die Ladefläche treiben. Dabei könne ich ihm helfen.

Wenn das Schicksal derart penetrant an die Tür klopft, ist Widerstand sinnlos. Ganz besonders, wenn man mit 100 Sachen durch die kanadische Prärie saust, wo Mitfahrgelegenheiten selten sind. Die Landschaft ist so flach und verlassen, dass selbst die Einheimischen sagen, man könne seinem weglaufenden Hund noch zwei Wochen lang nachsehen. Pete ist sichtlich dankbar, der Einsamkeit zu entgehen und redet über Gott und die Welt. Aus den Lautsprechern schallt die Musik seiner eigenen Christian-Rock-Band. Erst als es dunkel wird, stellen wir das Reden ein. Vereinzelt leuchten die Lichter der Farmen in der Ferne. So muss es sich anfühlen, mit einem Raumschiff durch den Weltraum zu gleiten.

Als wir in dem Dorf ankommen, fallen Pete und ich erschlagen in die beiden Kojen der Truckerkabine. „Bitte bring mich nicht im Schlaf mit einer Axt um“, murmelt Pete in sein Kopfkissen. Da ist unsere Freundschaft erst ein paar Stunden alt.

Am nächsten Morgen sitzen 50 Hutterer, die Männer gekleidet in schlichte Wollhemden, die Frauen in blaue Trachten, zusammen am Tisch. Es gibt Pfannkuchen mit Ahornsirup, klassisch kanadisch. Das Tischgebet kommt mir bekannt vor, und ich weiß auch warum, als mein Gegenüber mit Zauselbart mich leise fragt: „Schprichst du Deutsch?“ Einst lebten die Hutterer in Tirol. Untereinander sprechen sie noch heute ihre Heimatsprache.

Nach dem Frühstück drückt mir Pete einen Overall und ein Paar Gummistiefel in die Hand, dann werden die Schweine auf den Truck geladen. Während Pete die Tiere mit Lichtgeschwindigkeit hinaufscheucht, während sie ohrenbetäubend quieken, scheint sie mein wildes Fuchteln mit dem Plastikstab, der sie eigentlich motivieren soll, nicht die Spur zu beeindrucken.

Als Stalljunge, muss ich feststellen, bin ich eine Null.

Pete stört es nicht. Als er mich gegen Mittag am Rand der Stadt Saskatoon absetzt, bläst er zum Abschied das Horn. Wie unter Truckern üblich. Für die Schweine geht es weiter zum Schlachter. Ich laufe die letzten Kilometer entlang des Highways.Kalle Harberg

Kalle Harberg

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