zum Hauptinhalt
Serge und Beate Klarsfeld.

© Deike Diening

Die Nazijäger Beate und Serge Klarsfeld: „Uns war klar, Beate geht in die Geschichte ein“

Das Ehepaar Klarsfeld: ein französischer Jude und ein deutsches Au-Pair-Mädchen. Die Jagd nach Nazis wurde zu ihrem Lebenswerk, eine Ohrfeige machte sie berühmt.

Frau Klarsfeld, hier liegt ein Ordner auf Ihrem Schreibtisch, da steht Marlene Dietrich drauf…

BEATE KLARSFELD: Er ist leer. Meine Korrespondenz mit der Dietrich habe ich an das Filmmuseum in Berlin gegeben. Wir haben uns geschrieben und telefoniert, obwohl Marlene auch in Paris wohnte. Ich war nie bei ihr zu Hause, sie lebte ja sehr zurückgezogen. Eines Tages hatte sie mich angerufen, weil sie meine Arbeit schätzte.

Sie hatten etwas Ungeheuerliches getan: Sie haben 1968 beim CDU-Parteitag den amtierenden Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geohrfeigt, um auf seine Nazi-Vergangenheit aufmerksam zu machen.

SERGE KLARSFELD: Das war ein besonderer historischer Moment, eine Frage der Moral. Wir hatten das vorher lange diskutiert. Uns war klar, wenn Beate das gelingen würde, würde sie in die Geschichte eingehen. Es war wie eine Ohrfeige, die eine Tochter ihrem Vater gibt, symbolisch sehr aufgeladen.

BEATE: Der Parteitag fand im November in Berlin statt, und es gab verschiedene Veranstaltungen, bei denen Kiesinger auftreten sollte. Eine war in der Hasenheide, da war unmöglich an ihn ranzukommen, bei einer Veranstaltung im Hilton fehlte er wegen Krankheit. Schließlich hatte ich einen Fotografen vom „Stern“ eingeweiht, der mir eine Karte für den letzten Tag des Parteitages besorgte.

Sie haben sich auf dem Podium hinter Kiesinger vorbeigedrückt. Unter den Augen der Sicherheitskräfte haben Sie ihn dann von hinten geohrfeigt. Serge, hatten Sie da Angst um Ihre Frau?

SERGE: Und ob. Ich war zu Hause in Paris und machte mir Sorgen. Ich wusste, wenn sie Kiesinger attackiert, würden seine Personenschützer nicht wissen, was davon zu halten sei. Es war das Jahr, in dem Martin Luther King ermordet wurde …

… wie auch Robert F. Kennedy, und Rudi Dutschke wurde angeschossen.

SERGE: Man konnte nicht wissen, ob die Beamten plötzlich eine Waffe ziehen würden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Heute nennt man Sie beide „Nazijäger“. Sie haben in Bolivien den „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie aufgespürt, in Damaskus Alois Brunner. Sie haben dafür gesorgt, dass die deutsche Justiz endlich gegen die Kriegsverbrecher Kurt Lischka, Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn ermittelte. 2008 erschien über die Jagd nach Barbie der Film „Die Hetzjagd“.

BEATE: Franka Potente, die mich spielte, hat uns vor den Dreharbeiten zu Hause besucht. Hanns Zischler war Barbie – und kam auch nach Paris. Genau wie Farrah Fawcett, die mich in einem Film von 1986 verkörpert. Es gibt auch jede Menge Dokumentarfilme darüber.

1968 sind Sie nach der Ohrfeige verhaftet worden und sollten zu einem Jahr Gefängnis verurteilt werden. Dieses Jahr haben Sie im Mai beide das Bundesverdienstkreuz bekommen. Hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung derart geändert?

SERGE: Damals galt Kiesinger noch als respektabler Mann. Er war ja kein Krimineller. Doch er war einer, der mit den Nazis verbandelt gewesen war, im Reichsaußenministerium als stellvertretender Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung. Er hatte seine Intelligenz und seine Qualitäten in ihren Dienst gestellt.

BEATE: Uns hat man seinerzeit immer gesagt: Frau Klarsfeld, da können Sie nichts machen, der ist demokratisch gewählt worden.

SERGE: Aber es war für uns unmöglich, zu akzeptieren, dass in Deutschland ein hoher Nazi-Propagandist Kanzler war, das blockierte die Zukunft des Landes. Die CDU hatte die Folgen des Zweiten Weltkrieges nicht begriffen. Wir haben stattdessen Willy Brandt unterstützt, und er hat ja auch später die Zukunft Europas bedeutet.

Serge, Sie sind französischer Jude, Ihr Vater wurde in Auschwitz ermordet. Sie haben das deutsche Au-Pair-Mädchen Beate 1960 in der Metro in Paris angesprochen. Hatten Sie keine Vorbehalte?

SERGE: Ich bin in Rumänien geboren, meine Eltern besuchten beide in ihrer Jugend Deutschland, meine Mutter hatte dort sogar studiert. Ich war acht, als mein Vater starb. Und meine Mutter beurteilte die Leute immer nach ihren Taten, nie nach Etiketten. Das habe ich mir abgeguckt. Vielleicht war der Umgang mit Deutschen ein Problem für mich als Kind, als Erwachsener nicht mehr. Ich hatte die Geschichte der Weißen Rose gelesen, und das war entscheidend für mich.

Inwiefern?

SERGE: Wer wie die Geschwister Scholl 1943 gegen die Nazis protestierte, der nahm den eigenen Tod in Kauf. Solche Risiken geht einer nur aus Überzeugung ein und mit einem Ziel: dass das Scheitern trotzdem einen moralischen Sieg in der Zukunft bedeutet. Wenn Leute wie ich dieses Opfer nicht anerkennen, ist keine Versöhnung möglich. Und deshalb konnten Beate und ich heiraten. Außerdem waren meine Mutter und meine Schwester einverstanden.

BEATE: Serge sagte mir immer, du musst dich nicht schuldig fühlen. Der erste Grund, mich politisch zu engagieren war die Tatsache, dass mein Schwiegervater von den Deutschen vergast worden war. Meine Schwiegermutter hatte mir erzählt, wie sie sich mit den beiden Kindern in Nizza im Wandschrank verstecken konnte, als der Vater abgeholt wurde. Das war Thema in der Familie.

"Ich wollte nicht als Schlampe oder Verrückte bezeichnet werden"

Serge und Beate Klarsfeld.
Serge und Beate Klarsfeld.

© Deike Diening

Sie kamen aus Berlin nach Paris.

BEATE: Ja, ich bin in Berlin aufgewachsen, mein Vater war Soldat in der Wehrmacht, zu Hause wurde nicht darüber gesprochen. Es war Serge, der mir Bücher empfohlen und dafür gesorgt hat, dass ich begreife, was in Deutschland passiert war. Ohne Serge hätte ich diese Ausbildung nicht gehabt. Wenn Sie als Au-Pair nach Paris kommen, würden Sie nicht von selbst als erstes Bücher über den Zweiten Weltkrieg lesen.

Sehr schnell haben Sie beide begriffen, wie die Medien funktionieren. Nach der Ohrfeige für Kiesinger haben Sie Journalisten in Ihre Pariser Wohnung eingeladen, Lackschuhe von Dior gekauft und sich in einem teuren Strickkleid in eine blitzblanke Küche gestellt. Was wollten Sie denn damit erreichen?

BEATE: Was waren für Ausdrücke über mich im Umlauf: hysterisch, Mini-Terroristin. Ich wollte nicht noch als Schlampe oder Verrückte bezeichnet werden. Und es war auch lustig, wir hatten so gute Reproduktionen schöner Gemälde. Die Journalisten hätten sehen können, dass das nur Drucke sind, aber sie hielten die für echt.

Sie haben alle Ihre Aktionen professionell geplant: Erst haben Sie minutiös die Fakten recherchiert, dann einen Skandal heraufbeschworen, damit berichtet wird. Das ist ganz schön berechnend.

BEATE: Wir haben das durch Kiesinger und die Ohrfeige gelernt. Heinrich Böll war ja der erste gewesen, der Kiesinger einen Brief geschrieben hatte: Er soll angesichts seiner Vergangenheit von allein zurücktreten. Darauf hat der nicht einmal geantwortet. Es brauchte eine Eskalation.

Damals hat sich politischer Wille radikalisiert, dabei sind viele Menschen gestorben. Eskalationen waren genau das Problem in dieser Zeit. Haben Sie nicht dazu beigetragen?

BEATE: Ich bin nie dazu übergegangen, Häuser anzuzünden oder Waffen zu benutzen. Gewalt in dieser Form lehnten wir ab. Wir haben uns auch nie einer Gruppe angeschlossen.

SERGE: Jemanden zu töten wäre zu einfach. Das führt nicht zu Gerechtigkeit, das ist bloß Rache.

BEATE: Doch nach den Nürnberger Prozessen interessierte man sich in Deutschland nicht mehr für die Vergangenheit, da brachte der Kalte Krieg einen neuen Feind. Wir haben die Öffentlichkeit aufrütteln müssen. Das war auch das Ziel, als wir Kurt Lischka entführen wollten, den Kölner Gestapo-Chef, der in Frankreich für die Juden-Deportation verantwortlich gewesen war.

Foto: pa/dpa
Abgeführt. Im April 1968 beschimpft Beate Klarsfeld im Bundestag Kanzler Kiesinger als Nazi und ...

© picture alliance / dpa

Foto: AFP
... auf dem CDU-Parteitag im November ohrfeigt sie ihn. Vor Gericht wird sie von Horst Mahler verteidigt (rechts im Bild).

© AFP

Er war in Frankreich verurteilt worden, lebte jedoch unbehelligt in Köln, Sie wollten ihn der französischen Justiz übergeben. Die Entführung misslang.

BEATE: Die Presse hat aber gut darüber berichtet.

Die Entführung war kaum bemerkt worden, da haben Sie sich als Nachbarn ausgegeben und Redaktionen von der Sache berichtet, bis die daraufhin alle die Polizei bestürmten, was eigentlich los sei.

BEATE: Die Journalisten hatten verstanden, dass nicht wir die Kriminellen sind. Lischka ist 1980 in Köln wegen Beihilfe zum Mord an 73 000 Juden zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.

SERGE: Viele Aktionen waren auch gefährlich, wir wurden selbst verhaftet, deshalb haben wir uns immer gut vorbereitet. Wir haben im Vorhinein lange recherchiert und dann vor einer Aktion Dokumente und Dossiers an Journalisten verteilt.

Sie als Jurist haben Präzedenzfälle studiert, um die Folgen einer politisch motivierten Entführung abzuschätzen. Haben Sie nicht trotzdem Beates Verhaftung in Kauf genommen?

BEATE: Es ging immer darum, dass mir nichts passiert. In Bolivien, wo ich Klaus Barbie entlarvt hatte, der sich dort unter dem Namen Klaus Altmann versteckt hielt, ist ja kurz nach meiner Aktion die Deutsche Monika Ertl ermordet worden. Sie war in der Gruppe um Che Guevara…

SERGE: …sie war Terroristin, sie hatte vorher in Hamburg den bolivianischen Konsul ermordet, das war nicht ganz mit uns zu vergleichen.

BEATE: Als sie nach Bolivien zurückkam – sie hatte beide Staatsbürgerschaften – wurde sie festgenommen und sofort erschossen. Das hätte mir auch passieren können, aber meine Aktion war angekündigt, und als ich in La Paz landete, standen da mindestens 14 Journalisten. Es wäre ein Skandal gewesen, mit Gewalt gegen mich vorzugehen.

"1979 flog unser Auto in die Luft"

Serge und Beate Klarsfeld.
Serge und Beate Klarsfeld.

© Deike Diening

Haben Sie bei solchen Aktionen Angst gehabt?

BEATE: Wer sich engagiert, muss Risiken eingehen. Ausschalten kann man es nie. Wir haben auch nie herausgefunden, wer das mit der Autobombe gewesen ist.

SERGE: 1979 flog unser Auto in die Luft, ich nehme an, dass die Bombe zu dem Zeitpunkt losgehen sollte, an dem ich Arno immer in den Kindergarten brachte. Doch sie explodierte um drei Uhr morgens. Dann gab es noch eine Paketbombe, aber meine Mutter wurde misstrauisch und war klug genug, das Paket nicht zu öffnen.

BEATE: Wir wissen nur, dass eine baugleiche Bombe kurz danach auch bei einem Gefängnisdirektor eintraf, der das Paket auspackte und starb. Die Hauswartsfrau, die ihm das Paket brachte, gleich mit. Das war schon starkes Zeug: 500 Gramm Dynamit, und dann machten die Attentäter immer so kleine Nägelchen mit rein.

SERGE: Ich hatte immer nur Alltagsängste. Taxifahrern sage ich, dass sie langsam fahren sollen, selbst fahre ich nie schneller als 100 kmh.

Warum hat Ihre Frau in offiziellen Dokumenten als Beruf immer „Hausfrau“ angegeben?

BEATE: Nun, ich habe keinen akademischen Titel. In Berlin habe ich mal bei Schering gearbeitet, eine kurze Zeit in Paris bei einer Seidenfabrik, dann war ich Sekretärin beim Französisch-Deutschen Jugendwerk. Später habe ich mich, kaum von einer politischen Aktion heimgekehrt, immer auf die liegen gebliebene Wäsche gestürzt. Hätte sich meine Schwiegermutter nicht so um unsere Kinder Arno und Lida gekümmert, wäre das alles nicht möglich gewesen.

Wie beurteilte Ihre Familie in Berlin Ihre Aktionen?

BEATE: Mein Vater ist sehr früh gestorben, also vor der Ohrfeige, er hätte auch nicht gut reagiert. Meine Mutter hat sich von der fürchterlichen Reaktion ihrer Nachbarn auf mich beeinflussen lassen. Das hat sich gebessert, als unser Sohn Arno auf die Welt kam. Da ist sie nach Paris gekommen und hat sich auch mit meiner Schwiegermutter gut verstanden.

Foto: AFP
Sohn Arno Klarsfeld engagierte sich gegen Jean-Marie Le Pen und wurde verprügelt.

© AFP

Erinnert sich Ihr Sohn Arno an die Zeit, als Sie mit ihm auf dem Arm die deutsche Öffentlichkeit aufrüttelten? Damals haben Sie sich in Baden-Württemberg als Gegenkandidatin für Kiesinger aufstellen lassen.

BEATE: Natürlich, er war ein Kleinkind damals, reiste gerne mit Mutti herum, und als wir den Kiesinger-Wahlkampf störten, konnte er Eier und Tomaten werfen.

Sie sind heute ein antifaschistisches Familienunternehmen.

BEATE: Arno hat sich schon als Student gegen Jean-Marie Le Pen engagiert. Einmal hat er sich mit Freunden verabredet, einen öffentlichen Auftritt zu stören, am Ende war er der einzige. Er rannte auf die Bühne, riss seine Jacke auf und darunter stand auf dem T-Shirt: Le Pen, Nazi. Er wurde festgenommen und geschlagen. Heute wird er auf Twitter angefeindet.

SERGE: Wir sind stolz, fühlen uns aber auch etwas schuldig. Er ist der gute Sohn, der sich um seine Eltern kümmert. Er hat in Israel Militärdienst geleistet, ist Rechtsanwalt geworden und heute am obersten Verwaltungsgericht Frankreichs.

BEATE: Es ist durchaus möglich, dass Marine Le Pen 2017 Präsidentin wird. Und die Zeitungen in Paris sind gemein, sie sagen, jeder Dritte würde den Front National wählen. Warum legt man den Leuten solche Sachen in den Mund?

Glauben Sie wirklich, so etwas lässt sich herbeischreiben?

BEATE: Ach, es gibt auch immer mehr Interviews im Fernsehen mit Marine Le Pen, vielleicht wollen da Leute schon sichergehen, dass sie ihre Posten behalten, wenn sie an die Macht kommt. Das wäre auch für uns bedrohlich, dann könnten wir nicht in Frankreich bleiben.

Haben Sie in diesem Jahr den Prozess gegen Oskar Gröning verfolgt, den „Buchhalter von Auschwitz“?

SERGE: Ja, aus der Ferne. Aber ich habe etwas gegen diese Argumentation, dass jemand schon schuldig ist, wenn er bei einer kriminellen Organisation anwesend war, und dass er dann seine Unschuld beweisen muss. Das ist nicht meine Idee von Justiz. Sicher war Gröning schuldig, in Auschwitz mitgemacht zu haben, er hat das Geld der Leute gezählt, also wusste er, dass sie umgebracht wurden. Doch 70 Jahre später ist das eine Schuld, die niemanden mehr schockt. Ich ziehe es vor, jemandes Schuld zu beweisen.

Sie haben sich immer um die Drahtzieher gekümmert und Wert darauf gelegt, die Täter mit ihren Unterschriften zu konfrontieren, die sie unter die Befehle gesetzt hatten.

SERGE: Daraufhin ist in Deutschland auch eine ganz andere Wahrnehmung entstanden. Die Verantwortlichen, die Großes entschieden haben, leben heute nicht mehr.

Doch Sie arbeiten noch immer unablässig.

SERGE: So gibt es keine vertane Zeit. Jede irgendwie intelligente historische Arbeit ist wertvoll. Ich weiß, dass ich die Art verändert habe, wie Frankreich die Vichy-Regierung sieht und die Kollaboration mit den Nazis. Alle Historiker folgen heute dieser Sicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false