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Das darf man jedenfalls alles nicht. Weitere Vorschläge?

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Diskussion um Verbote: Darf man noch "Darf man noch" fragen?

Es war einmal eine (selbst-)ironische Fragefloskel, die breitete sich plötzlich aus und wurde womöglich zum Grund für die neue Feindseligkeit. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

Das Leben hält seit jeher viele Fragen nach Richtig und Falsch bereit, aber aktuell kann man den Eindruck bekommen, dass besonders viele davon mit der Wendung "Darf man noch" anfangen.

Darf man noch SUV fahren, darf man noch fliegen, täglich Fleisch essen, billige Mode shoppen?

Fragen wie diese ploppen unentwegt irgendwo in den analogen und digitalen Medien auf und verknüpfen sich mit der Klimadebatte. Darf man noch Ossi, Wessi, neue Länder, Flüchtling oder Student sagen, liest man im Zusammenhang mit jedwedem Demokratie- und Genderfrust.

Darf man noch dick sein oder gar erfolglos, darf man noch Falten haben, heißt es, wenn es um die Anforderungen der Selbstoptimierungsgesellschaft geht. Und irgendwo zwischen dem fast schon delegitimierten SUV und den möglicherweise durch nichts zu rechtfertigenden Falten kippt die Frage von einer eventuell ernst gemeinten Verbotsdebatte hinab zum Scherzartikel.

Darf man Industriebier trinken, wenn es Craftbeer gibt?

Und so hat "Darf man noch?" vor etlichen Jahren mal angefangen: als (selbst-) ironischer Gag, mit dem man sein (allerdings nur vermeintliches) Ringen um den richtigen Lifestyle angemessen hip präsentiert und verkauft hat. Beispiel: Darf man noch konzerngefertigtes Massenbier trinken, wenn allerorten eifrige Hipster sich abmühen mit ihrem ganz speziellen Craftbeer inklusive toller Story und nachhaltigem Konzept?

Und so offensichtlich wie die Frage damals ein Scherz war, war die Antwort völlig fraglos jedes Mal: Ja, klar darf man. Denn wer - außer man selbst - sollte einem solcherlei schon verbieten?

Beides hat sich im Zuge der epidemischen Ausbreitung der Frage geändert. Beim Dauerfliegen oder SUV-Fahren kann man heute nicht mehr sicher sein, dass der Frager nicht für "Nein" plädieren würde und ein tatsächliches Verbot des Angebots befürworten würde. Bei Genderfragen war vielleicht noch nie so wenig Konsens vorauszusetzen wie inzwischen.

So sehr die einen meinen, Geschlechterdiskriminierung gehe gar nicht mehr, sind die anderen davon überzeugt, es mit Genderwahn zu tun zu haben, und empfinden Unterlassungsaufforderung lediglich als idiotische Gängelung durch irgendwelche überakademisierten Pseudo-Minderheiten, die keine Ahnung davon haben, was echte Probleme sind.

"Dürfen" wird unterschiedlich aufgefasst

Es kann durchaus sein, dass die Tatsache, dass das "Dürfen" in diesen Fragen sehr unterschiedlich aufgefasst wird, zu dem aktuellen Zerwürfnis, zu der wachsenden Feindseligkeit innerhalb der Gesellschaft beigetragen hat.

Denn es ist ja klar, dass eine Kluft entsteht, wenn die einen bei ihren "Darf man noch?"-Überlegungen eine scherzhafte rhetorische Übertreibungsfigur zitieren, die anderen aber davon ausgehen, dass hier über wahrhaftige Legalitätsverschiebungen diskutiert wird. Wenn sie befürchten, dass es hier gar nicht um eine Frage geht, sondern um eine Antwort, dass also „Darf man noch?“ in Wirklichkeit heißt: „Man darf nicht mehr".

Dabei lässt sich die Frage "Darf man noch SUV fahren?" hervorragend theoretisch beleuchten, ohne dass über ein reales Verbot auch nur eine Sekunde lang nachgedacht werden muss. Es geht dann nicht ums Dürfen im juristischen Sinn, sondern um Gewissens-, Verantwortungs- oder auch nur Lifestyleabwägungen. Ein Gedankenexperiment eher, als ein Alltagsgebot. Allerdings können solche Nicht-mehr-Dürfen-Überlegungen auch ohne Paragraphen wirken, nämlich als sozialer Druck – und somit auch als Erziehung.

Das wer lässt sich schon gern erziehen? Und so ist die Abwehr oftmals grundsätzlicher als nötig, sie und kommt ironischerweise nicht selten mit der nächsten Dürfen-Wendung, die da lautet: „Das wird man doch wohl sagen dürfen!“

In dieser semantischen Kluft rund um ein völlig überstrapaziertes Hilfsverb breitet sich schnell der Verdacht aus, dass die jeweils anderen wohl einen Knall haben.

Überall neue Verbote!

Das Echo, dass auf die heutigen Darf-man-noch-Fragen folgt, legt den Schluss nahe, dass die meisten Leute meinen, es handele sich um tatsächliche Verbotsdebatten, seien sie juristischer oder sozialer Art. Und das - um die Sache kompliziert zu machen - auf beiden Seiten.

Denn es gibt natürlich überall diejenigen, die sofort lauter echte neue Verbote (SUV verbieten! Genderwahn verbieten!) erlassen würden, wenn sie könnten. Und ihnen gegenüber versammelt sich die Gruppe derjenigen, die bei so etwas hysterische Anfälle bekommen und am liebsten die gesamten Grundlagen der Debatten leugnen, um den Gegenpositionen jegliche Vertretbarkeit zu nehmen.

Wenn aber "Darf man noch"-Fragen heute vor allem auf Ohren treffen, die weder für deren Ironiefaktor noch das implizite Ja noch offen sind, dann sollte die Darf-man-noch-Frage der Stunde lauten: Darf man noch "Darf man noch" fragen? Und diesmal wäre die Antwort wahrscheinlich: Nein. P.S.: Aber ob man das so noch sagen darf…?

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