zum Hauptinhalt
Knackpunkt. Der Turner Andreas Toba zog sich bei den Olympischen Spielen in Rio eine komplexe Knieverletzung zu, unter anderem mit Riss des vorderen Kreuzbandes und einer Verletzung des Innenmeniskus.

© Lukas Schulze/dpa

Dr. Wewetzer: Mehr Kraft fürs Knie

Nicht erst seit der Turner Andreas Toba bei Olympia dramatisch sein Knie verletzte, ist klar: dieses Gelenk ist anfällig. Neue Erkenntnisse zeigen: Nicht immer muss operiert werden.

Es gibt Teile des menschlichen Körpers, die nicht für ein längeres Leben ausgelegt sind. War vielleicht auch in der Steinzeit nicht nötig. Sehr anfällig ist das Kniegelenk, und in ihm die Menisken. Das sind halbmondförmige Knorpelscheiben zwischen Oberschenkelknochen und Schienbein, die als Stoßdämpfer im Gelenk dienen. Bei plötzlichen Drehbewegungen des Knies können sie reißen. Viel häufiger als diese Verletzungsrisse dürften jedoch jene aufgrund von Verschleiß sein. Mit den Lebensjahren mehrt sich diese Art von Rissen, vor allem des inneren Meniskus. Etwa jeder Dritte hat sie – häufig ohne Beschwerden.

Was aber, wenn ein verschlissener Meniskus Schmerzen verursacht? Oft landen die Betroffenen auf dem Operationstisch. Meist wird in einer Schlüssellochoperation der beschädigte Meniskusabschnitt entfernt. Der Eingriff ist extrem häufig, allein in Deutschland soll es jährlich bis zu 300.000 solcher Operationen geben, weltweit sind es etwa zwei Millionen. Die Prozedur ist sicher, aber Komplikationen wie Blutgerinnsel in den Beinen und in seltenen Fällen Schlimmeres können vorkommen. Deshalb sollte sie anderen Behandlungsmethoden überlegen sein. Genau das bestreiten jedoch viele Wissenschaftler. Sie sagen, das Herumschnippeln am abgenutzten „degenerativen“ Meniskus sei fragwürdig und meist unnötig. Eine neue Untersuchung aus Skandinavien gibt ihnen Recht.

OP oder Training? Nach zwei Jahren gab es kaum einen Unterschied

Die Chirurgin Nina Jullum Kise vom Martina-Hansens-Hospital im norwegischen Sandvika und ihr Team verglichen den Erfolg einer teilweisen Meniskusentfernung mit dem einer Übungstherapie. Die 140 Teilnehmer der Studie waren im Mittel knapp 50 Jahre alt, hatten einen rissigen Innenmeniskus, ansonsten keine großen Verschleißzeichen am Kniegelenk und seit mindestens zwei Monaten Beschwerden. Sie wurden entweder operiert oder bekamen ein zwölfwöchiges Trainingsprogramm verordnet.

Nach zwei Jahren waren die Unterschiede zwischen beiden Gruppen (operiert oder nicht) minimal. Etwa, was die Schmerzen anging. Nicht unerwartet hatten die Trainierten eine kräftigere Muskulatur. Damit steht für die Forscher fest, dass ein solches Übungsprogramm als Behandlungsmöglichkeit bei degenerativen Meniskusrissen erwogen werden sollte, wie sie im Fachblatt „BMJ“ schreiben. Also nicht gleich unters Messer!

Die neue Studie liegt voll im Trend. Vor gut einem Jahr sichteten Wissenschaftler ebenfalls im „BMJ“ die Studienlage. Sie kamen zu dem Schluss, dass Schlüssellocheingriffe am verschlissenen Kniegelenk nur vorübergehende geringe Vorteile bringen. Naturgemäß sehen das viele Orthopäden anders. Doch die Untersuchungen sprechen nun einmal für ein „Weniger ist mehr“. Eine Möglichkeit besteht darin, zunächst abzuwarten und zum Beispiel die Muskulatur zu trainieren. Meist bessern sich dann die Beschwerden. Wenn nicht, kann man eine Operation erwägen. In 20 bis 30 Prozent der Fälle bringt sie dann nach Ansicht mancher Experten Vorteile. Auf den Jungbrunnen für Gelenke aber werden wir noch warten müssen.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht? Bitte schreiben Sie an: sonntag@tagesspiegel.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false