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Dr. Wewetzer: Trost für Allergiker

Allergien gelten als Betriebsunfall der Körperabwehr. Heuschnupfen, Hautausschlag und Asthma sind ein falscher Alarm des Immunsystems bei so harmlosen Naturprodukten wie Gräserpollen oder Milbenkot.

Das zumindest ist die vorherrschende Meinung. Oder gibt es doch eine Art von „Sinn“ hinter diesen Leiden, eine tiefere Bedeutung, eine im Lauf der Evolution entwickelte Funktion? Dieser Ansicht ist der Biologe Ruslan Medzhitov, der an der Yale-Universität in New Haven forscht.

Medzhitov, 2011 knapp am Nobelpreis vorbeigeschrammt, vertritt die Meinung, dass Allergien den Organismus gegen viele Gefahren aus der Natur wappnen. Anerkannt war dieser Zusammenhang bisher nur für Würmer, aber Medzhitov sieht daneben in der allergischen Reaktion eine Abwehrwaffe auch gegen andere Parasiten wie Zecken, gegen tierische oder pflanzliche Giftstoffe und gefährliche oder reizende Substanzen aus der Umwelt.

Während sich das Immunsystem gegen Viren, Bakterien, Pilze oder Einzeller wehrt, indem es sie zu zerstören sucht, reagiert es im Fall der allergischen Abwehr mit Abgrenzung. Husten, Niesen, Naselaufen, Juckreiz, verengte Atemwege, Schleimbildung, Schwellung, Erbrechen sind allesamt Versuche, einen Schadstoff abzusondern und auszuscheiden – und typisch für Allergien. „All diese Reaktionen sollen etwas Schädliches aus dem Körper entfernen“, sagt Medzhitov. „Sie sind unangenehm, aber genau damit schützen sie.“

Unter Medzhitovs Kollegen ist seine Hypothese umstritten. Immerhin, diese Woche ist sie in Bezug auf Bienengift bestätigt worden, wie zwei im Fachblatt „Immunity“ veröffentlichte Studien zeigen. In einer der Untersuchungen hat der Allergieexperte Martin Metz von der Berliner Charité gemeinsam mit amerikanischen Kollegen erforscht, wie das Immunsystem von Mäusen auf eine kleine Dosis Bienengift reagiert, die ein oder zwei Stichen entspricht. Die Mäuse bildeten infolge des Giftes Immunglobulin E, einen allergietypischen Abwehrstoff. Mit seiner Hilfe verkrafteten sie viel höhere, lebensbedrohliche Mengen Bienengift. Ähnliches beobachteten die Forscher bei Schlangengift. „Unsere Untersuchung erklärt ein wenig, warum die Natur so etwas Widersinniges wie Allergien nicht abgeschafft hat“, sagt Metz.

Warum aber reagieren viele Menschen schon auf kleinste Mengen eines Allergens hochempfindlich? Die Erklärung dafür könnte sein, dass die heftige Reaktion eine Art Warnsignal ist. Vorsicht, hier droht Gefahr! Allerdings ist nicht so recht klar, was an Birkenpollen und ähnlichen Allergieauslösern so schlimm sein soll.

An dieser Stelle schwächelt die Theorie von den nützlichen Allergien noch ein bisschen. Allerdings gibt es Hinweise, dass Allergiker seltener an einigen Krebsarten erkranken. Womöglich ist das der Tatsache geschuldet, dass ihr Immunsystem aufgeweckter ist und die Krebsgefahr besser im Griff hat. Wer also das nächste Mal eine Heuschnupfenattacke erleidet, mag sich damit zumindest ein wenig trösten.

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