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Die Schriftstellerin Emma Hooper lebt in einer alten Sonntagsschule.

© Maris Hubschmid

Ein Besuch bei der Schriftstellerin Emma Hooper: Emma wohnt oldschool

Emma Hoopers Buch erscheint in 23 Ländern, zu Halloween geht sie als Teebeutel, sie umgibt sich mit singenden Sägen und Nasenflöten: Hausbesuch bei einer Exzentrikerin.

Von Maris Hubschmid

Man muss sich den Griff zwischen die Beine klemmen und das spitze Ende hinunterdrücken, damit eine S-Form entsteht. Nur so wird sichergestellt, dass der Stahl nicht vibriert und ausschließlich die gewünschten Töne erklingen, wenn man mit dem Bogen darüber streicht. „Die singende Säge funktioniert einfacher als man denkt“, sagt Emma Hooper. Verglichen mit dem Waldhorn, dem Banjo, der Nasenflöte, der Klarinette, der Ziehharmonika, dem Klavier, der Marimba, den Bratschen und den Violinen – und dann wären da noch diverse Ukulelen, Glockenspiele, Trommeln und ein Cello, das sie bei einer Auktion erstanden hat. Ein Freund hat ihr schon mal im Scherz gesagt, dass sie mehr Musikinstrumente als Gabeln habe. Und dann hat sie festgestellt: Er hat recht.

„Es ist schwer, zu einem Musikinstrument Nein zu sagen“, sagt Emma Hooper. Wieso sollte man auch, wenn man ihm so fantastische Klänge entlocken kann? Da steht sie, in Blümchenkleid und Wollsocken neben ihrem ausladenden Küchentisch, spielt eines, greift ein anderes, zischt Rasselgeräusche in das Mikrofon und ist das perfekte Ein-Frau-Orchester. Dann beginnt sie zu singen, und im Nu ist das Haus erfüllt von ihrem ganz eigenen Sound – kraftvoll, melancholisch und doch ironisch.

Charmant unpassend

Überhaupt: Was für ein Haus! Bis an das Ende des Hügels muss man sich schon hinaufbequemen, die gewundenen Straßen am Rande des britischen Bath empor, dann taucht es plötzlich auf, unvermittelt, übergangslos, auf charmante Weise unpassend. Geradezu magisch hineingequetscht zwischen die akkuraten Reihenhäuschen. Alter roter Backstein, von verschiedensten Pflanzen umrankt, zwei turmartige Spitzen, Bogenfenster und eine schwere blaue Tür, die mehr ein Tor ist eigentlich. Drinnen gibt es bei einem furchtlosen Mix aus alten und originellen modernen Möbeln, steilen Wendeltreppen, Zwischenböden und versteckten Zimmern, brechend vollen Bücherregalen nebst all den Musikinstrumenten auch ähnlich viel zu entdecken wie im Hogwarts-Schloss. Dabei dürfte der Raum kaum größer sein als Hagrids Hütte.

Emma Hooper ist keine Engländerin. Vor elf Jahren ist sie für einen Masterstudiengang hergekommen. Aus Kanada, von dort, wo ihr Roman spielt: „Etta und Otto und Russell und James“ ist ein Überraschungserfolg, praktisch über Nacht verkauft, in 18 Sprachen übersetzt und 23 Ländern erschienen, jetzt auch in Deutschland, bei Droemer Knaur. „Unglaublich berührend, wunderschön geschrieben und leuchtend vor Weisheit“, befand „New York Times Best Sellers“-Autor Chris Cleave.

Ihr Geld verdiente die 35-Jährige bis dato als Dozentin für Popmusik und Performance an der Bath Spa Universität und als private Musiklehrerin. „Und immer dann, wenn ein anderer fand, dass seinem Album ein Violinpart gut täte“, sagt sie. Es hätten sich nach dem Studium einfach so viele reizvolle Möglichkeiten ergeben, in Bath musikalisch zu arbeiten. Mit Toni Braxton und Peter Gabriel ist sie aufgetreten, Teil des Quartetts „Stringbeans“, auch als Solokünstlerin unterwegs: Die „Waitress of the Bees“ komponiert und textet selbst.

Aufbruch mit Schokolade und Gewehr

Da ist ein Drang, sich auszudrücken, eine unverkennbare Energie in ihr, die auch aus ihrem Buch spricht. Wenngleich die Erzählweise ruhig ist, die Handlung langsam voranschreitet. So, wie auch die Heldin langsam voranschreitet, weil sie schon 82 ist, als sie sich eines Morgens mit nichts als Schokolade, Wanderschuhen und einem Gewehr ausstaffiert, von ihrer Farm in Saskatchewan aufmacht, um einmal im Leben das Meer zu sehen. Ein Fußmarsch gen Osten, 3232 Kilometer durch die Prärie. Angetrieben von Etta, die er eigentlich zurück nach Hause holen will, begibt sich auch ihr langjähriger Freund und Nachbar Russell auf den Weg. Zurück bleibt Ettas Ehemann Otto, der neben einem Haufen Rezeptkarten lediglich die Zeilen vorfindet: „Ich werde versuchen, das Heimkommen nicht zu vergessen.“

Ihren Rollschuh führte sie an der Leine

Die Schriftstellerin Emma Hooper lebt in einer alten Sonntagsschule.
Die Schriftstellerin Emma Hooper lebt in einer alten Sonntagsschule.

© Maris Hubschmid

Früher hat Emma Hooper in Saskatchewan oft ihre Großeltern besucht. Von ihrer Oma stecke viel in Etta: Auch sie musste in jedem Diner ein Ketchuppäckchen einstecken, ein Tick. Hooper selber ist in der Nachbarprovinz Alberta aufgewachsen, als mittleres von drei Kindern. Der Vater war Kernphysiker, die Mutter arbeitete in der Universitätsbücherei. Auch ihr Bruder und ihre Schwester seien stets kreativ gewesen. Zu Halloween verkleidete Emma sich als Essstäbchen, ein anderes Mal bestand sie darauf, als Teebeutel zu gehen. Weil sie kein Haustier halten durfte, führte sie ihren Rollschuh an der Leine spazieren.

Mitten im Raum, zwischen Wohnzimmer und Küche, die nahtlos ineinander übergehen, hängt eine Schaukel. Die Kinder, denen Hooper Violinstunden gibt, kehren gern ein in das Haus, so herrlich unerwachsen, wie es ist. Anders als einst: Das Gebäude wurde 1836 als Sonntagsschule erbaut.

"Ich muss mich immer bewegen"

Dass ihr Mann und sie kein Auto haben, allmorgend- und -abendlich mit dem Fahrrad den Berg bezwingen müssen, stört Emma Hooper nicht. Auch jetzt nicht, da sie im siebten Monat schwanger ist. „Im Gegenteil, mir gefällt, dass man in dieser Stadt alles mit dem Rad erreichen kann. Ich muss mich immer bewegen“, sagt sie. Nicht zum ersten Mal drängt sich der Eindruck auf, dass da eine als Kind in den Zaubertrank gefallen ist – kein ostentativer Lifestyle das alles, nichts Affektiertes an ihr. Emma Hooper ist echt, eine ungekünstelte Künstlerin.

Von ihrem kleinen antiken Holzschreibtisch unter dem Dach, zu dem sie eine der Wendeltreppen hinaufsteigen muss, kann sie über die Sandsteindächer von Bath sehen. Aber ebenso gut von ihrem orangefarbenen Ohrensessel daneben. „Das ist ein Problem. Da träume ich dann nur und komme nicht voran.“ Zwei Jahre lang hat Hooper an „Etta und Otto und Russell und James“ gearbeitet, „niemals mehr als zwei Stunden am Stück“, sagt sie. „Dann muss ich schaukeln oder Musik machen.“

Ein Kojote als Kompagnon

Die Schriftstellerin Emma Hooper lebt in einer alten Sonntagsschule.
Die Schriftstellerin Emma Hooper lebt in einer alten Sonntagsschule.

© Maris Hubschmid

Den Rhythmus, sagt sie, suche sie auch in ihren Texten: Spricht von Verzweiflung, wenn sie fühlt, dass es eine Silbe weniger braucht, oder mehr Leerraum zwischen den Kapiteln. „Der ist für die Wirkung genauso wichtig wie die Pausen in einem Lied.“

Wenn Schaukeln nicht reicht, geht sie los. Einfach aus der Tür raus, weiter, immer weiter. „Wie in Kanada.“ Die Wiesen, Weiden und Wälder hinter ihrem Haus seien ein weiterer Grund dafür, dass sie geblieben ist. Doch grün sind die Berge hier, saftig und duftend. Wie anders ist das Wandern in der trockenen Wildnis, die Etta durchquert. Aber kulturell, findet die Autorin, sind die beiden Länder sich ungeheuer ähnlich. Der größte Unterschied in ihren Augen: das ausgeprägte Klassenbewusstsein der Briten.

Der einzige Gefährte, den Emma Hooper ihr in ihrem Roadmovie an die Seite gestellt hat, ist James, ein sprechender Kojote. „Ein Hund als Kompagnon wäre so naheliegend gewesen“, sagt Emma Hooper schlicht. „Ein Wolf zu gefährlich.“

Emma Hooper hat schon einmal einen Roman geschrieben, den hat sie zwei Jahre lang vergeblich angeboten. „Der ist nicht heiß und staubig, sondern klar und kühl“, sagt sie. An einem dritten arbeitet sie bereits: nass soll er werden, und auch wenn man sich da Großbritannien gut als Kulisse vorstellen kann, hat sie Neufundland gewählt. „Ich glaube, dass ich besser bin, wenn ich Abstand zu den Dingen habe.“

Ausschließlich Schriftstellerin sein? Das kann sie sich schon deshalb nicht vorstellen. Das Lehren sei dem Bücherschreiben ja auch gar nicht so unähnlich – „es ist mein Job, die Schüler zu inspirieren.“ Natürlich, versichert sie, über den Erfolg dieses Buches freue sie sich wahnsinnig. „Er hat meinem Leben eine wichtige Balance gegeben.“

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