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Die Fähre Ilka verkehrt auf der Elbe zwischen Brandenburg und Niedersachsen, auf dem jenseitigen Ufer liegt Schnackenburg

© Austilat

Ein Ost-West-Trip: Fährmann, hol über

Die Fähre „Ilka“ verbindet Brandenburg mit Niedersachsen – seit genau 25 Jahren. In Schnackenburg zeigt das Grenzlandmuseum, wie es vorher war.

Von Andreas Austilat

Der Mann im grauen Mercedes hat sichtliche Zweifel. „Und Sie meinen wirklich, da kommt eine Fähre?“ Wir sind die Einzigen, die am Ufer warten, er neben seinem Auto, ich auf dem Rad, beide schauen wir die Böschung hinunter der Betonplattenpiste hinterher, die in der Elbe verschwindet. Die Fähre liegt drüben, am jenseitigen Ufer. Natürlich wird sie kommen, muss sie doch, sonst wäre die Grenze zwischen Brandenburg und Niedersachsen ziemlich dicht.
Auf 30 Kilometern trennt die Elbe die beiden Bundesländer, die einzige Stelle, an der sie sich überhaupt berühren. Beinahe wenigstens, die Elbe kann ganz schön breit sein. Und auf diesen 30 Kilometern gibt es keine Brücke, allein zwei Fähren verkehren hin und her. Eine hier zwischen Lütkenwisch und Schnackenburg, die andere ein Stück weiter im Norden, zwischen Lenzen und Pevestorf. Kleine Fähren, gerade sechs Autos passen drauf. Doch so viele warten hier allenfalls an sonnigen Sommerwochenenden.

Kein Fährbetrieb bei Eis oder Hochwasser

In diesem Moment löst sich die „Ilka“ vom gegenüberliegenden Ufer und tuckert langsam zu uns herüber. Ein paar Minuten dauert es, bis sich die Rampe auf unserer Seite knirschend auf das Pflaster schiebt. Ingo Scholz gibt Handzeichen, wir dürfen rauf. Scholz macht das jeden Tag zig-mal, es sei denn, Eis oder Hochwasser würden ihn daran hindern. Scholz lebt vom Betrieb seiner Fähre. Zwei Euro nimmt er von einem Radfahrer, vier für das Auto, plus Passagiere. Kommt er damit über die Runden? „Soll ich Ihnen jetzt was vorjammern?“ Besser nicht. Die Ilka pendelt seit dem 7. September 1991 über die Elbe, davor ging an dieser Stelle gar nichts zwischen beiden Ufern, nicht seit Ilkas Vorgängerin 1945 in den letzten Kriegstagen versenkt wurde. Seit 25 Jahren also gibt es wieder diese dünne Verbindung. Doch zumindest Schnackenburg auf der niedersächsischen Elbseite bekam das Ende des Grenzregimes nicht wirklich gut. Der Ort büßte rasch seine besondere Bedeutung ein, hat heute deutlich weniger Bürger als 1990.

Im Schnackenburger Museum: Figuren in den Uniformen der DDR-Grenztruppen
Im Schnackenburger Museum: Figuren in den Uniformen der DDR-Grenztruppen

© Austilat

Schnackenburg darf sich die kleinste Stadt Niedersachsens nennen, seit ihr vor rund 650 Jahren das entsprechende Recht zuerkannt wurde. Die Ministadt mit ihren 500 Einwohnern ist ein hübscher Mix aus Fachwerk und roten Ziegelhäusern. Seinen Titel verdankt der Ort, der eigentlich nicht mehr als ein Dorf ist, seiner über Jahrhunderte wichtigsten Einnahmequelle: dem Zoll. Hier war schon immer ein Dreiländereck zwischen Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Und das mit dem Zoll war natürlich auch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs ein Riesenthema.
Ulrich Bethge war da schon hier. Heute steht der 75-Jährige in Polohemd und Jeans im Schnackenburger Grenzlandmuseum. Damals trug er die grüne Uniform des westdeutschen Zolls, war einer von 50 Beamten, die mit ihren Familien in Schnackenburg lebten. Die Truppe konnte fünf Boote aufbieten, acht Reiter, die durch das unwegsame Schwemmland auf westdeutscher Seite patrouillierten und 16 Hunde.

Ein Flüchtling kam in der Badehose

Doch anders als die Uniformierten auf der gegenüberliegenden Seite waren sie nicht dazu da, Menschen am Übertreten der Grenze zu hindern, im Gegenteil. Bethge erinnert sich, wie er hier mal einen in der Badehose in Empfang nahm, „der war total durchgefroren, war ja schon Herbst“. Für solche Zwecke hatten sie immer ein paar Kleidungsstücke in ihrer Zollstube. Dass es tatsächlich ein Flüchtling aus der DDR durch die Elbe schaffte, kam hin und wieder vor. Oft allerdings nicht, denn die von der DDR aufgetürmten Hindernisse waren enorm, mit Stacheldraht, Minengürtel, Selbstschussanlagen und als letzter Hürde einem 3,20 Meter hohen Zaun. Selbst wer den überwand, musste immer noch durch den Fluss, dessen Strömung wurde manchem Flüchtling zum Verhängnis. Im Museum markieren kleine Kreuze auf einer Wandkarte, wo sie die Menschen fanden, die ihre Flucht nicht überlebten.

Die Frachtschiffe nach West-Berlin mussten hier durch

Das Grenzlandmuseum in Schnackenburg an der Elbe
Das Grenzlandmuseum in Schnackenburg an der Elbe

© Austilat

Natürlich gab es immer wieder Versuche, das Risiko zu minimieren. Manfred Augustin, ein findiger Mann aus Dessau, baute sich 1976 ein Mini-U-Boot, mit dem er unter den Patrouillenbooten der DDR hindurch tauchen wollte. Zu seinem Pech kam er am falschen Ufer an die Oberfläche, ausgerechnet im Hafen von Wittenberge.
Das Grenzlandmuseum, wenn man so will Schnackenburgs größte Attraktion, ist in einem Fachwerkhaus am Ufer untergebracht, dokumentiert all diese Vorfälle auf drei Etagen. Schaufensterfiguren in DDR-Uniform sind hier auf ewig dazu verdammt, Wache zu halten, drei sitzen in ihrem Trabbi, blicken leblos auf die lebensgroßen Puppen im Grün des bundesdeutschen Zolls auf der anderen Seite des Raumes. Und an der Wand hängen die Kalaschnikows der Grenztruppen.

Letzte Zollstation auf westdeutschem Gebiet

Aufgabe von Ulrich Bethge und Kollegen war aber nicht zu warten, dass es mal einer zu ihnen rüber schaffte. In erster Linie waren sie ja Zöllner, die in diesem abgelegenen Winkel nur nebenbei den Job des Bundesgrenzschutzes erledigten. So verplombten sie also, was auf dem Wasser von Hamburg nach West-Berlin schwamm, denn Schnackenburg war die letzte Zollstation auf westdeutschem Gebiet. Die erste Station in der DDR lag nicht direkt gegenüber im kleinen Lütkenwisch, sondern ein Stück den Fluss hinauf in Cumlosen.

Im Schnackenburger Museum: Figuren in den Uniformen des bundesdeutschen Zolls
Im Schnackenburger Museum: Figuren in den Uniformen des bundesdeutschen Zolls

© Austilat

60 Frachtschiffe täglich passierten in der Regel ihre Station, „so viele tauchen hier jetzt im Monat auf“, sagt Bethge. Anders als heute, wo Berlin aus seinem Umland versorgt wird, mussten damals Versorgungsgüter in die eingemauerte Halbstadt auf dem Territorium der DDR herangeschafft werden. Vor allem Schwergut wie Benzin, Schweröl oder Kohle kamen auf dem Wasserweg über Elbe und Havel nach West-Berlin. Auch Gemüsekonserven, Bethge erinnert sich, wie ein Frachter hier einmal einen Riesenhaufen Dosen loswerden musste, weil er wegen Niedrigwassers nicht weiter kam. Der Wasserweg war regelmäßig dicht. Jeden Abend um 20 Uhr zum Beispiel, wenn die Kollegen drüben in Cumlosen Feierabend machten, oder an Tagen, wenn die Sowjets auf der Elbe Manöver abhielten, blieben die Schiffe in Schnackenburg liegen, und der kleine Ort mutierte zur Hafenstadt mit Amüsiermeile. „Vier Kneipen hatten wir, vier Lebensmittelläden, eine Bank, eine Apotheke, Schlachter, Bäcker“, sagt Bethge ein wenig wehmütig. Sogar von einer Art freiberuflichem Bordellbetrieb wird gemunkelt, immerhin war man ja Hafenstadt, und in der Bank wurden Umsätze getätigt, wie sie in einer Filiale in einem Ort dieser Größe eher unüblich sind.

Das rote Telefon verband beide Seiten

Bevor sich die DDR und die Bundesrepublik 1971 auf eine pauschale Vergütung einigten, musste jedes Schiff einzeln abrechnen. Weil für die Tonne Fracht an der DDR-Grenze bis zu 1,50 Mark fällig wurden, die die Bundesrepublik den Schiffern im Transitverkehr erstattete, konnten da größere Summen anfallen, 40 000 Mark und mehr, die in der örtlichen Sparkasse täglich bereitgestellt werden mussten. Sogar ein rotes Telefon hatten die Zöllner in Schnackenburg, per Direktleitung war man mit der anderen Seite verbunden, um schnell reagieren zu können, wenn Unvorhergesehenes geschah, etwa eine komplette Rinderherde plötzlich rübermachte. Immerhin waren ja auch Zwischenfälle denkbar, die sonst vielleicht den Dritten Weltkrieg ausgelöst hätten. Etwa als ein Berliner Motorschiff einem sowjetischen Panzer, der gerade unter Wasser übte, den Schnorchel abfuhr. Die Soldaten ertranken elendig. Private Konversation war verboten, so beschränkte man sich auf vorgestanzte Sätze, etwa wenn morgens die Funktionsfähigkeit der Leitung nach Vorschrift überprüft wurde. Günther Steinbiss, damals zuständig für das Telefon, erinnert sich genau an den immer gleichen Wortlaut: Die drüben meldeten sich mit „Grenzüberwachungsstelle der Deutschen Demokratischen Republik, Cumlosen“, die korrekte Antwort lautete „Grenzinformationsstelle Schnackenburg. Ich führe eine Funktionskontrolle der Nachrichtenverbindung durch. Wie hören Sie mich?“ Einmal hätten sie sich mit „Frohe Weihnachten“ gemeldet, da kam von drüben die Antwort. „Halten Sie sich an den vorformulierten Wortlaut“. Steinbiss gehört zu der Handvoll Zöllner, die erst als Pensionäre hierher zurückkehrten – die Zollstation war ja längst geschlossen – und zusehen mussten, wie ihr Schnackenburg schrumpfte.

Das brandenburgische Lütkenwisch sollte verschwinden

Im Schnackenburger Museum: Figuren in den Uniformen der DDR-Grenztruppen
Im Schnackenburger Museum: Figuren in den Uniformen der DDR-Grenztruppen

© Austilat

Draußen führt ein Radweg durch die Elbtalauen zur „Gedenk- und Begegnungsstätte Stresow“, dort haben sie ein Stück Grenze wieder aufgebaut, um zu zeigen, wie es einst hier aussah. Den Ort Stresow gibt es nicht mehr, der lag in Sachsen-Anhalt und wurde wie so viele Dörfer auf der DDR-Seite abgerissen. Stresow traf es schon in den 50er Jahren, als die Einwohner im Rahmen der „Operation Ungeziefer“ praktisch über Nacht umgesiedelt wurden. Ziel war es, einen breiten „Schutzstreifen“ anzulegen, wie das im Jargon der DDR-Grenzer hieß. Die ohnehin dünn besiedelte Gegend wurde noch ein bisschen menschenleerer gemacht.

Im Hafen vor dem Grenzlandmuseum schaukeln einige wenige Motorboote, für sie ist das Becken, das für die Binnenfrachter gebaut wurde, eindeutig überdimensioniert. Wer mag, kann von hier den Elbe-Radweg stromabwärts fahren. Wer stromaufwärts parallel zum Fluss weiter will, muss auf das andere Ufer wechseln.

Ein Passierschein für den Besuch bei der Oma

Lütkenwisch am anderen Ufer ist noch kleiner als Schnackenburg. Und hatte trotzdem Glück, hat durch den Fall der Grenze eindeutig gewonnen. „Sonst gäbe es uns nämlich nicht mehr“, sagt Robert Jaap, der mit seiner Frau ein kleines Café führt, eine Pension gehört auch noch dazu. Jaaps Oma ist aus Lütkenwisch, die Ferien verbrachte er oft hier. Sein Vater musste für die Fahrt zur Oma eigens einen Passierschein besorgen, denn so einfach kam man in der DDR nicht in die Nähe der Grenze. Es ist überhaupt ein Wunder, dass es den Ort noch gibt, denn immer wenn ein Haus frei wurde, durch Tod oder Wegzug, wurde von den DDR-Behörden der Abriss verfügt. Lütkenwisch, von wo aus man freie Sicht auf die Elbe hatte, sollte weg. Immerhin hatte der Ort einmal 200 Einwohner, eine Schule und einen Konsum, 1990 waren nur noch sieben Häuser übrig. Eigentlich war für jenes Jahr geplant, dass Lütkenwisch ganz verschwindet. Dazu kam es nicht mehr, weil vorher die DDR verschwand. Sie hatten noch einmal Glück, die Jaaps, die auf keinen Fall mehr wegwollen, auch wenn in Potsdam, wo Ines Jaap herstammt, doch deutlich mehr los ist. Aber dorthin zurück? Nein danke, „zu eng, zu laut, zu voll“, findet sie. Und hier kann ja manchmal auch ganz schön was los sein, immer am 3. Oktober, dann feiern Schnackenburg und Lütkenwisch gemeinsam Wiedervereinigung. Diesmal ist Lütkenwisch dran, die Party auszurichten.

Reisetipps für Schnackenburg

SEHENSWÜRDIGKEITEN Grenzlandmuseum Schnackenburg, Am Markt 4. Noch bis 16. Oktober täglich geöffnet von 10 bis 17 Uhr.

RADFAHREN Auf der Schnackenberger Seite führt der Elberadwanderweg stromaufwärts weg von der Elbe, auf der Schnackenburger Seite verläuft er in diesem Abschnitt parallel zum Fluss.

FÄHRE Elbfähre zwischen Lütkenwisch und Schnackenburg September – April wochentags 6 bis 19 Uhr 30, Wochenende 8 bis 19 Uhr 30, Personen und Räder je 1 Euro, Autos 4 Euro. UNTERKUNFT UND VERPFLEGUNG In Schnackenburg: Hafencafé Felicitas, Doppelzimmer mit Dusche und Frühstück 60 Euro. Restaurant mit Garten. In Lütkenwisch: Pension Jaap, Doppelzimmer inklusive Frühstück 55 Euro. Speisen, Kaffee und Kuchen im benachbarten Café Jaap.

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