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Elektrosmog: Europa ignoriert mögliches Krebsrisiko von 5G

Die Technologie für den Mobilfunk steht im Verdacht, die Gesundheit zu schädigen. Aber die Regierungen fördern den Ausbau unbeirrt.

Der geplante europaweite Ausbau des Mobilfunknetzes der fünften Generation (5G) birgt große ökonomische und technische Risiken und stößt bei der Bevölkerung in einigen EU-Ländern auf erheblichen Widerstand. Das berichtet das Journalistenteam Investigate Europe im Tagesspiegel am Sonntag. Demnach ist es unsicher, ob sich die auf rund 500 Milliarden Euro geschätzten Investitionen jemals rentieren werden. Zudem deutet eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Studien darauf hin, dass die für den Mobilfunk genutzte elektromagnetische Hochfrequenzstrahlung die menschliche Gesundheit schädigen kann, und etwa Krebs erzeugt oder den männlichen Samen schädigt.

Die geplanten 5G-Anwendungen vom „Internet der Dinge“ bis zum autonomen Fahren passen nicht zum Geschäftsmodell der Telekom-Branche, berichtet der britische Telekom-Experte William Webb, der als Berater weltweit gefragt ist. Das basiere auf den monatlich gezahlten Gebühren der Nutzer, aber diese Umsatzquelle lasse sich nicht mehr steigern. Schon bei der Einführung von 4G, auch LTE genannt, sei es nicht gelungen, dafür höhere Gebühren zu kassieren. Die Verheißungen von der mobilen Datenzukunft mit 5G sei „nur ein Mythos“, warnt Webb. „Welche Anwendungen für 5G am Ende auch kommerziell erfolgreich sind, ist derzeit völlig offen“, bestätigt Thomas Magedanz, der beim Berliner Fraunhofer-Institut für Kommunikationssysteme die 5G-Forschung leitet. Bisher gebe es „jenseits der Automatisierung in den Fabriken noch keine klaren Geschäftsmodelle“.

Bei Laborratten wurden mehr Tumore festgestellt

Gleichzeitig herrscht erhebliche Unsicherheit über die möglichen Gesundheitsrisiken. So schreibt der Vodafone-Konzern im Jahresbericht 2017: „Elektromagnetische Signale, die von mobilen Geräten und Basisstationen ausgesendet werden, können gesundheitliche Risiken bergen, mit potenziellen Auswirkungen, einschließlich: Änderungen der nationalen Gesetzgebung, eine Verringerung der Mobiltelefonnutzung oder Rechtsstreitigkeiten.“

Das Internationale Zentrum für Krebsforschung bei der WHO (IARC) hatte 2011 lediglich festgestellt, dass Handystrahlung „möglicherweise krebserzeugend“ sei. Diese Bewertung ist jedoch veraltet. Sowohl eine amerikanische Forschergruppe des staatlichen „National Toxicology Program“ als auch ein Team um die renommierte italienische Krebsforscherin Fiorella Belpoggi in Bologna berichteten jüngst, dass sie in aufwendigen Experimenten auf „klare Beweise“ für die Tumor-erzeugende Wirkung der Hochfrequenzstrahlung bei Ratten gestoßen sind. Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz hatte bereits 2015 ergeben, dass Mobilfunkstrahlung die Ausbreitung von Tumoren im Körper von Mäusen erheblich beschleunigt.

Für den 5G-Netzausbau werden tausende neue Sendeanlagen nötig

5G würde den „Elektrosmog“, wie ihn die Kritiker nennen, noch einmal erheblich verstärken. Weil die neue Technik mit sehr hohen Frequenzen operiert, ist deren Reichweite weit geringer als bei den bisherigen Sendeanlagen. Für die Füllung der in Deutschland oft beklagten Funklöcher taugt sie nicht. Aber sie vervielfacht die Zahl der nötigen Funkzellen. Kommt es zum flächendeckenden Ausbau, wird das zigtausende zusätzliche Sendeanlagen erfordern.

„Mit der Implementierung von 5G drohen ernste, irreversible Konsequenzen für den Menschen“ warnen darum mehr als 400 Mediziner und Naturwissenschaftler in einem jüngst veröffentlichten Appell für einen Ausbaustopp der 5G-Technik, darunter auch der langjährige deutsche Umweltpolitiker und Biologe Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Man wisse „nicht sicher, ob die mobile Datenübertragungstechnik gesundheitliche Risiken mit sich bringt, aber wir können es auch nicht ausschließen“, erklärte von Weizsäcker. Daher müsse die Politik „darauf bestehen, dass die Gesundheitsrisiken, die mit der allgegenwärtigen Hochfrequenzstrahlung für mobile Geräte verbunden sind, untersucht werden, bevor wir die gesamte Bevölkerung immer höheren Werten der elektromagnetischen Felder aus dieser Technologie aussetzen.“

"Eine zu drastische Maßnahme"

Die EU-Kommission und Europas Regierungen weisen diese Forderung bisher zurück. „Die Anwendung des Vorsorgeprinzips“ auf die Mobilfunktechnologien sei „eine zu drastische Maßnahme“ erklärt der Kabinettschef des amtierende EU-Gesundheitskommissars Vytenis Andriukaitis.

Zur Rechtfertigung verweist die Kommission genauso wie die deutsche Bundesregierung auf die Empfehlungen der International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP), welche die neuen Studien als irrelevant beurteilt. Dabei handelt es sich allerdings lediglich um einen privaten in Deutschland eingetragenen Verein ohne jeden amtlichen Charakter, der seine Mitglieder selbst rekrutiert und dabei Fachleute mit abweichenden Meinungen ausschließt. Die Kritiker fordern daher die Einsetzung eines unabhängigen Gremiums und ein großes Forschungsprogramm zur Beurteilung möglicher Gesundheitsschäden.

Den ganzen Report von "Investigate Europe" lesen Sie am 13. Januar 2019 im Sonntagsteil des Tagesspiegel.

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