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Am Samstag gelang es, einen der Waggons anzuheben.

© Sven Hoppe/dpa

Update

Fünftes Todesopfer ist Junge im Teenageralter: Was über das Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen bekannt ist

Die Polizei konnte alle Vermisstenfälle klären. Dennoch gibt es viele Fragen zu dem Zugunfall bei Burgrain. Was bisher klar ist – ein Überblick.

Es ist Freitagmittag, das Wochenende steht bevor, in Bayern haben die Pfingstferien begonnen. Die Regionalbahn RB59458 ist in Garmisch-Partenkirchen gen München gestartet. Fahrplanmäßige Ankunft am Hauptbahnhof dort: 13.26 Uhr. Doch dazu kommt es an diesem 3. Juni nicht.

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In der beliebten Urlaubregion in Bayern ereignet sich ein schweres Zugunglück mit Toten und Verletzten. Die ganze Dimension der Tragödie – auf den Tag genau 24 Jahre nach der bisher größten Zugkatastrophe in der Geschichte der Bundesrepublik im niedersächsischen Eschede – ist auch am Sonntag noch nicht genau abzusehen. Was bisher bekannt ist:

Wo ereignete sich der Unfall bei Garmisch-Partenkirchen?

Zu dem Unglück kam es am Freitag gegen 12.15 Uhr im Ortsteil Burgrain in den Loisachauen. Wenige Minuten nach der Abfahrt bog der Zug mit Doppelstockwagen in eine langgezogene Kurve ein – und entgleiste. Die nächste Haltestelle des Zugs wäre Farchant gewesen, das keine zwei Kilometer entfernt liegt.

Drei der fünf Waggons rutschten von den Gleisen, die an der Stelle erhöht auf einem Bahndamm liegen. Ein Wagen hing schräg über der Böschung. Die anderen beiden Waggons kippten nach unten, einer blieb auf der Seite liegen, der andere auf dem Dach.

Die Gegend ist ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsgebiet. Auf einem Felsen über Burgrain liegt die Ruine der Burg Werdenfels, ein attraktives Wanderziel, weil von dort der Ausblick auf das Wettersteingebirge beeindruckend ist.

Einsatz- und Rettungskräfte sind nach einem schweren Zugunglück im Einsatz.
Einsatz- und Rettungskräfte sind nach einem schweren Zugunglück im Einsatz.

© Angelika Warmuth/dpa

Wer sind die Opfer bei Garmisch-Partenkirchen?

Von den 140 Menschen, die sich im Zugbefunden haben sollen, kamen mindestens fünf ums Leben. Die Identifizierung ist nach Angaben der Polizei weitgehend abgeschlossen. Demnach handelt es sich um drei Frauen im Alter von 32, 39 und 70 Jahren sowie nach bisherigen Erkenntnissen um eine 51-Jährige. Das fünfte, am Samstag geborgene Opfer sei ein Junge im Teenageralter, teilte die Polizei am Sonntag weiter mit. Von den mehr als 40 Verletzten befinde sich eine Person noch in kritischem Zustand. 15 Menschen wurden schwer verletzt, einige mussten notoperiert werden. Unter den Verletzten sind auch Kinder. Im Zug saßen viele Mädchen und Jungen, deren Unterricht kurz zuvor geendet hatte. Ob der Regionalzug auch wegen des neuen Neun-Euro-Tickets besonders voll war, war unklar.

Werden noch Menschen vermisst?

Am Samstagmittag galten noch sieben Menschen als vermisst. Mittlerweile wisse man von allen Menschen, die seit Freitagnachmittag als vermisst gemeldet worden waren, wo sie sind, teilte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd am Sonntag mit. Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) hatte zuvor gesagt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich unter den umgekippten Waggons noch Tote befinden. Einige Vermisste könnten allerdings bereits in den Kliniken und so schwer verwundet sein, dass ihre Identität nicht habe geklärt werden können.

Die Waggons haben sich verkeilt, die Bergung ist schwierig.
Die Waggons haben sich verkeilt, die Bergung ist schwierig.

© Sven Hoppe/dpa

Mit zwei großen Kränen konnte einer der Waggons auf die Straße gelegt werden.
Mit zwei großen Kränen konnte einer der Waggons auf die Straße gelegt werden.

© Sabine Dobel/dpa

Zeichen der Trauer: Blumen sind an einer Brücke befestigt.
Zeichen der Trauer: Blumen sind an einer Brücke befestigt.

© Sven Hoppe/dpa

Was ist über die Ursache bekannt?

Dazu gab es auch am Sonntag keine neuen Erkenntnisse. Der Zugführer wurde nach Polizeiangaben zwar vernommen. Was er gesagt hat, teilte die Polizei allerdings nicht mit. Sicher sei bislang nur, dass ein Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug ausgeschlossen werden könne. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte der Sprecher.

„Die genaue Unfallursache steht noch nicht fest. Vor Ort waren alle Experten der Meinung, dass die wahrscheinlichste Ursache ein technischer Defekt am Gleis oder am Zug sein müsste“, sagt Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) am Samstag. Die Strecke war nach Angaben eines Bahnsprechers mit elektronischen Stellwerken und moderner Sicherungstechnik ausgerüstet. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der mit Bahnchef Richard Lutz am Samstag den Unglücksort besucht hatte, versprach eine umfangreiche Aufarbeitung des Unglücks.

Ein amerikanischer Soldat war in einem der Autos auf der Straße neben der Bahnstrecke und erzählte am Freitag seine Eindrücke dem „Garmisch-Partenkirchner Tagblatt“: „Es war schrecklich“, sagte er. „Einfach schrecklich. Plötzlich ist der Zug umgekippt.“

Die Soko „Zug“ arbeitet unter der Leitung der Staatsanwaltschaft München II. Auch die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) ist an der Ursachenforschung beteiligt. Das sei ein normales Prozedere bei Zugunfällen, sagte eine Bahnsprecherin.

Wie lief der Rettungseinsatz bei Garmisch-Partenkirchen?

Feuerwehr, Notärzte und Polizei waren mit einem Großaufgebot vor Ort. „Es wurde Vollalarm für Feuerwehr und Rettungsdienst ausgelöst“, sagte ein Sprecher der Integrierten Leitstelle im Oberland am Freitag.

Insgesamt waren zeitweilig etwa 650 Helfer an der Unfallstelle. Feuerwehr, Notärzte und Polizei zogen Passagiere durch die Fenster nach draußen, in nur 45 Minuten wurden alle Personen aus dem Zug geborgen, sagte Landrat Anton Speer (Freie Wähler).

Zeitweilig kreisten zwölf Rettungshubschrauber über der Gegend. Zudem waren 15 Gebirgsjäger aus der Kaserne in Mittenwald im Einsatz, die zufällig im Unglückszug saßen. Ihre Beteiligung sei sehr hilfreich gewesen, sagte Innenminister Herrmann.

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Wie ist die Lage?

Die Bergungsarbeiten gestalten sich schwierig. Zwei Versuche, die Waggons anzuheben, scheiterten zunächst. Am Samstag gelang es dann, mit zwei Spezialkränen einen der 50 Tonnen schweren Waggons zu bergen, darunter wurde das fünfte Opfer gefunden. Die Waggons seien „verdreht und verwunden“, sagte ein Polizeisprecher. „Das macht die Bergung so schwierig.“

Mit einem Spezialkran und weiteren schweren Gerätschaften waren die Einsatzkräfte auch am Sonntag am Werk. Mit Hilfe eines 250 Tonnen schweren Spezialkrans sollte unter anderem die Lok wieder auf das Gleis gestellt werden.

Diese und die restlichen Waggons sollten dann möglichst auf dem Schienenweg abtransportiert werden. Die Arbeiten dürften noch einige Zeit dauern, so die Polizei. Auch bei der Bahn hieß es, es sei noch nicht abzuschätzen, wann die Strecke geräumt sei. „Eine Prognose, wann die Strecke wieder freigegeben werden kann, ist daher noch nicht möglich“, schrieb das Unternehmen am Sonntag in einer Mitteilung. Die Aufräumarbeiten seien auch am Montag weitergegangen, sagte eine Sprecherin der Deutschen Bahn. Die Wagen wurden per Kran angehoben, auf eine Straße gehievt - und dort von einem Bagger zerteilt. Nur so konnten sie mit Tiefladern transportiert werden.

Wie reagiert die Politik?

Am Samstagvormittag besuchte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Unfallort. „Wir beten und hoffen sehr, dass wir unter den Waggons keine weiteren Toten finden“, sagte Söder. Das sei „das Wichtigste“. Auch Söder sagte, „noch gelten Menschen als vermisst“. Er rief Betroffene des Unglücks und Angehörige auf, sich schnell bei der Polizei zu melden.

Söder sagte weiter, das Unglück habe ihm einen „Stich ins Herz“ versetzt. Jetzt müsse ermittelt werden, was die Ursache sei. Er dankte den Einsatzkräften vor Ort für ihre schnelle und hochprofessionelle Hilfe.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach den Angehörigen bereits sein Mitgefühl aus. Den Sendern RTL und ntv gegenüber sagte er, vom Unglücksort kämen „erschütternde Nachrichten“ und „bedrückende Bilder“. Er kondolierte: „Unser Mitgefühl ist bei den Angehörigen und bei den Verletzten, denen wir baldige Genesung wünschen.“

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich am Freitagabend vor Ort ein Bild von der Lage gemacht. „Ich bin zutiefst erschüttert“, sagte die Ministerin. „Es ist eine furchtbare Katastrophe.“ Sie sei gekommen, um das tiefe Mitgefühl der Bundesregierung auszudrücken, sagte Faeser. Dieses gelte vor allem den Angehörigen, Familien und Freunden der Todesopfer.

Sie sei aber auch gekommen, um ihre Solidarität mit den Rettungskräften zu zeigen und den Verletzten ihren Genesungswünsche auszudrücken.

Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zeigte sich am Samstag bei einem Besuch an der Unfallstelle tief betroffen. „Es ist ergreifend, hier zu stehen und zu sehen, welche dramatischen Ausmaße dieser Zugunfall genommen hat“, sagte Wissing. „Die Sache wird jetzt weiter aufgeklärt und umfangreich aufgearbeitet.“ Nun gälten die Gedanken den Hinterbliebenen der Opfer.

Bahn-Chef Richard Lutz, der mit Wissing zur Unglücksstelle gekommen war, äußerte sich erschüttert, „weil hier Menschen gestorben sind, junge Menschen, die noch ein ganzes Leben vor sich hatten, Familien zerrissen wurden und auch viele Menschen verletzt, teils schwer verletzt wurden.“ Die Bahn werde die Ermittlungen zur Unglücksursache „nach besten Kräften“ unterstützen, hatte er bereits zuvor mitgeteilt.

Warum ist der 3. Juni für die Deutsche Bahn ein besonderes Datum?

Am 3. Juni 1998, also exakt 24 Jahre vor dem Unfall bei Garmisch-Partenkirchen, ereignete sich das bisher schwerste Zugunglück in der Geschichte der Bundesrepublik. Damals starben in Eschede in Niedersachsen 101 Menschen, mehr als 100 wurden teils schwer verletzt.

Ein gebrochener Radreifen hatte einen Intercity-Express (ICE) der DB auf dem Weg nach Hamburg entgleisen lassen. Der ICE prallte in der Gemeinde im Landkreis Celle mit Tempo 200 gegen eine Betonbrücke.

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Wie geht es in der Region in Oberbayern weiter?

Die Arbeiten werden noch dauern, die Rede war von einer Woche oder eher Wochen. Vermutlich eine Woche werde einseitig auch die Bundesstraße neben den Gleisen gesperrt bleiben, sagte der Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, Martin Emig. Verkehrsminister Bernreiter hatte am Vortag bereits gemahnt, Garmisch-Partenkirchen weiträumig zu umfahren – und mit dem Zug wird eine Anreise schwierig. „Und dass die Werdenfelsbahn die nächsten Tage über Pfingsten nicht befahrbar sein wird, das kann man schon definitiv sagen.“

Die beiden großen Kirchen planen derweil für dem 11. Juni in Garmisch-Partenkirchen einen Gedenkgottesdienst mit dem Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, und dem evangelischen Regionalbischof Christian Kopp. Weitere Details wolle man im Lauf der Woche bekanntgeben, teilte ein Sprecher des Erzbistums München-Freising am Montag auf Anfrage mit. Für den Montagabend hatten katholische und evangelische Kirche zu einem gemeinsamen ökumenischen Gebet in die Pfarrkirche Maria Himmelfahrt in Garmisch-Partenkirchen eingeladen.

Schlechte Nachrichten vor den Ferien auch für die Garmischer, die sich gerade auf den G7-Gipfel Ende Juni auf Schloss Elmau vorbereiten – und auch dann weniger Touristen, zugleich aber erhebliche Einschränkungen auf sich zukommen sehen. Herrmann sagte dem Bayerischen Rundfunk: „Man muss ohnehin sehen, inwieweit mit Blick auf den G7-Gipfel Baumaßnahmen durchgeführt werden können“. Während des Gipfels Ende Juni im nahen Schloss Elmau würde die Strecke Garmisch-Mittenwald gesperrt. (mit Agenturen)
+++ Dieser Artikel wird laufend aktualisiert +++

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