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John Kornblum, ehemaliger US-Botschafer in der Bundesrepublik Deutschland.

© Mike Wolff

Ex-US-Botschafter Kornblum im Interview: „Für euch muss Politik immer harmonisch sein“

John Kornblum spricht im Interview über „German Angst“, sein ostpreußisches Erbe – und was er von Verteidigungsministerin AKK hält.

Herr Kornblum, die Kanzlerin übte Ende Mai vor Absolventen in Harvard indirekt Kritik an Donald Trump: „Reißt die Mauern der Ignoranz und Engstirnigkeit ein, weil nichts so bleiben muss, wie es ist. Handelt gemeinsam – im Interesse einer multilateralen globalen Welt.“ Anlass für eine Krise der transatlantischen Beziehungen?

Für eine Krise nicht. Das transatlantische Fundament bleibt stabil. Doch wir erleben eine dramatische Umwälzung, die beunruhigend ist. Dass eine Persönlichkeit wie Donald Trump Präsident werden konnte, aber auch der Brexit, ziehen massive Veränderungen auf beiden Seiten des Atlantiks nach sich. Die lange Phase der Stabilität ist vorbei. Wir werden uns an unklare Verhältnisse gewöhnen müssen.

Merkel und Trump reichen einander nicht mal mehr die Hand.

Auch der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und US-Präsident Jimmy Carter hatten ihre Schwierigkeiten, Kennedy und Adenauer hassten sich sogar. Nein, in Wahrheit werden die Bindungen immer tiefer. Deutsche Firmen investieren zum Beispiel gerade stark in den USA. Für die Deutschen muss Politik immer harmonisch sein: Wenn wir mit den Amerikanern nicht total einverstanden sind, meinen viele, dann ist alles aus. Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein und Geduld wären nicht schlecht.

Ein Kennzeichen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die US-Führungsrolle in der Welt. Wird sie jetzt von Ihren Landsleuten nicht mehr gewollt?

Sie wird schwächer. Unsere Rolle während des Kalten Kriegs war eigentlich atypisch. Die amerikanische Psyche ist nicht auf die zahlreichen multilateralen Verflechtungen eingestellt, die es in Europa gibt. Sie leben hier auf einem verhältnismäßig kleinen Kontinent mit 30, 40 Kulturen. Man muss einfach multilateral sein. Die Vereinigten Staaten befinden sich auf einem riesigen Kontinent mit einer Kultur. Unsere Sicherheitspolitik war bis 1940 darauf ausgerichtet, und ist es nun wieder, das Land zu verteidigen – und nicht unbedingt, uns überall einzumischen, wie wir das in Zeiten des Kalten Krieges gemacht haben.

Glauben Sie, dass es eine Art geordneten Rückzug zumindest in einigen Regionen der Welt braucht?

Ja, das Ende dieser Einmischungsphase war der Irakkrieg, ein Riesenfehler. Im Moment ist die Bevölkerung der Vereinigten Staaten gegen Eingriffe in Konflikte. Darüber sind unsere Alliierten auch nicht immer glücklich.

In Nordkorea versucht sich Donald Trump als Vermittler. Sollte ein US-Präsident das Land betreten?

Warum nicht? Kommt drauf an, wie und unter welchen Bedingungen. Die Strategie von Donald Trump kann ich allerdings nicht nachvollziehen, er ist ein Mensch der Darstellung. Für ihn war es wichtiger, schöne Bilder zu haben als konkrete Fortschritte. Anscheinend meint er, durch diese Anhäufung von symbolischen Schritten könnte man Substanz schaffen.

Beim Iran macht er viel Druck, zu Kim ist er in der Außendarstellung inzwischen vor allem freundlich. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?

Trump sieht sich als großen Taktiker. Mal so, mal so. Aber diese Frage ist eine typisch deutsche Frage, sie zeigt die deutsche Angst.

Die „deutsche Angst“? Wir hätten gerne eine Einschätzung eines erratisch wirkenden Präsidenten, der die größte Militärmacht der Welt befehligt.

Das ist die „German Angst“ – dass Amerika euch nicht so beschützt, wie es unsere Aufgabe wäre. Ganz Europa ist heute psychologisch abhängiger von den Vereinigten Staaten als vor 30 Jahren.

Sie haben mal gesagt, man könne Trump und den ehemaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nicht ohne deren deutsche Wurzeln verstehen.

Das stimmt, Trump ist ein typischer Deutsch-Amerikaner. Die amerikanische Gesellschaft ist anglo-preußisch geprägt. Ich würde auch sagen, die Alltagskultur ist viel stärker deutsch-orientiert als britisch.

„Ich habe in Berlin alle Kornblums zu mir nach Hause eingeladen“

John Kornblum 1999 vor seinem neuen Dienstsitz in Mitte nach der Verlegung der US-Botschaft von Bonn nach Berlin.
John Kornblum 1999 vor seinem neuen Dienstsitz in Mitte nach der Verlegung der US-Botschaft von Bonn nach Berlin.

© picture alliance/dpa

„Konservativ, hemdsärmelig, durchsetzungsfähig“, so haben Sie die Deutsch-Amerikaner beschrieben.

Ja, es gibt sehr wenige Sozialisten unter ihnen. Ein Grund, warum ich in Deutschland keine Schwierigkeiten hatte, mich einzugewöhnen, war mein Vater. Er konnte die Sprache nicht, aber er war deutsch, alles andere als sozialdemokratisch. Er hat mir eingebläut: Du musst alles selber schaffen.

Ihre Vorfahren stammen aus Ostpreußen, das Sie auch mal besucht haben. Gräfin Dönhoff beschreibt in Ihren Büchern die ausgeprägten Jahreszeiten dort: heiße Sommer, verschneite Winter.

Es ist interessant, Einwanderer haben als neue Heimat sehr oft einen Ort gewählt, der aussah wie die Gegend, aus der sie kamen. Meine Großeltern landeten an den Großen Seen im Norden Amerikas – das ähnelt sogar geologisch Ostpreußen. Das erste Déjà-vu hatte ich während meiner Zeit am Konsulat in Hamburg, als ich Schweden besuchte. Hier sieht’s ja aus wie in Michigan!, dachte ich. Das Grenzgebiet zwischen Kanada und den USA, über 3000 Meilen von Maine bis zum Pazifik, ist fast das Gleiche wie Mecklenburg.

Haben Sie in Ostpreußen eine Verbindung zu Ihren Wurzeln gefühlt?

Nein. Aber ich habe in Berlin zwei Mal alle Kornblums aus deutschen Telefonbüchern zu mir nach Hause eingeladen. Es gab Barbecue und Musik, das hat viel Spaß gemacht. Ungefähr 100 Leute kamen da jeweils. Wahrscheinlich stammen deren Familien ursprünglich alle aus derselben Ecke, aber ich kannte keinen von denen. Einige lebten in Hamburg, die Mehrzahl in Berlin. Beim ersten Mal stand die Mauer noch, das war 1987, trotzdem waren zwei Ehepaare aus der DDR dabei, ältere Leute, die durften ja rüber.

Herr Kornblum, die „German Angst“ geht uns nicht aus dem Kopf. Wir sind also ängstlich und sollen selbstbewusster sein – Sie haben schon öfter eine stärkere Führungsrolle des Landes gefordert.

Führungsrolle habe ich nicht gesagt. Ich bin gegen den Ausdruck. Deutschland hat eine zentrale Position in Europa, es führt in diesem Sinne seit 60 Jahren – das wird auch so bleiben. Wie es sich in dieser Rolle verhält, ist sehr vernünftig. Die Franzosen würden sagen: hausbacken und altmodisch. Zurückhaltend zu sein, bedeutet nicht, dass man nicht strategisch denkt. Dieser Punkt wird in Deutschland oft missverstanden. Was hier fehlt, sind auch nicht Verteidigungsfähigkeiten, sondern ist ein strategischer Blick, was Sie überhaupt mit ihrem Einfluss anfangen wollen. Ein Verteidigungsminister kann diese strategische Kompetenz nicht allein aufbauen. Ich war sehr zufrieden mit den pragmatischen Akzenten, die Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bei ihrer Vereidigung gesetzt hat. Ein guter Anfang.

Jetzt kommt bestimmt gleich die US-Forderung nach mehr Geld für den Verteidigungshaushalt.

Es gibt seit Jahren die Nato-Verpflichtungen, die Deutschland einfach ignoriert hat. Schon Bill Clinton hat sich darüber beklagt. Über Verteidigungsausgaben redet man aber besonders jetzt, weil unklar ist, wie sie eigentlich eingesetzt werden sollen. Nicht nur die Amerikaner, auch die Franzosen befürchten, dass Deutschland sich nicht mehr an gemeinsame Abmachungen hält. Man spürt hier immer noch eine quasi-pazifistische Stimmung. Die aktuelle rhetorische Überbetonung von Frieden führt zu einer Lähmung, besonders bei der jungen Generation. Man bleibt ruhig und artig, ist nicht kreativ und nicht frech.

Das hängt auch damit zusammen, dass die Vereinigten Staaten nach einem von Deutschland begonnenen Weltkrieg seit einem halben Jahrhundert Schutzmacht sind.

Nicht nur das, sondern es gäbe keine EU ohne das Versprechen der Amerikaner, die Europäer vor sich selbst zu schützen. Was dringend notwendig ist. Obwohl es eine stille Präsenz ist, wird Europa ohne sie nicht leben können. Trump wird diese tiefe Bindung nicht zerstören können.

Die Europäer denken zur Zeit über ein eigenes militärisches Bündnis nach. Was müssten sie aus Ihrer Sicht tun, um ihrer Rolle gerecht zu werden?

Es geht nicht um ein neues Militärbündnis, aber viele Europäer meinen, man müsse unabhängiger werden. Das ist die falsche Antwort. Man hätte nach Ende des Kalten Kriegs eine transatlantische Sicherheitsstruktur mit den USA bauen, also EU-Ziele in die Nato einbetten müssen. Dazu wären die USA bereit. Stattdessen hat man sich psychologisch aus der Nato verabschiedet und alle Energie in Europa gesteckt. Das ist ein Grund für die pazifistische Stimmung in Deutschland und für die niedrigen Verteidigungsausgaben. Die Nato ist für die schmutzige Arbeit zuständig, die EU für den Frieden. Besonders bei Deutschland hat man das Gefühl, es nimmt nie teil, wenn es dreckig wird. Das stört nicht nur die Amerikaner, sondern auch viele Europäer.

An welche dreckige Arbeit denken Sie?

In Syrien zum Beispiel waren die Deutschen nicht präsent. Die Franzosen haben Bodentruppen und Flugzeuge in Syrien, die Deutschen nichts. In Afghanistan blieben die deutschen Truppen so weit entfernt von den Kampfhandlungen wie nur möglich. Mein Punkt ist: Man könnte auf der Basis von ähnlichen Verteidigungsausgaben ein ganz anderes Bild darstellen, wenn man eine andere sicherheitspolitische Haltung einnehmen würde.

„Der Checkpoint Charlie hätte etwas anderes verdient“

Symbolischer Ort. Kornblum fordert die Neugestaltung des Checkpoint Charlie.
Symbolischer Ort. Kornblum fordert die Neugestaltung des Checkpoint Charlie.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wie ist es mit dem Nahen Osten: Sind die Interessen der Amerikaner dort überhaupt noch zeitgemäß?

Das sind westliche Interessen. Wir schützen euch. Stellen Sie sich mal vor, wir wären nicht da. Dann würde noch mehr Chaos drohen, als es schon gibt.

Davon gibt es zur Zeit mehr als genug, unter anderem verursacht durch den Irakkrieg.

Ja, weil die Amerikaner große Fehler gemacht haben. Aber die Bedrohungen werden nicht kleiner. Und die ganze EU sitzt da ohne eine Sicherheitsstrategie. Die Frage bei unserer Rolle im Nahen Osten ist nicht so sehr, ob wir das gut machen. Wir haben das teilweise schlecht, teilweise besser gemacht. Aber es gibt niemand anderen, die Russen sind kein Ersatz. Der einzige richtige Partner sind die USA. Europa hat sich verabschiedet.

Sie sind 1964 in den diplomatischen Dienst eingetreten, kamen ans Generalkonsulat in Hamburg. Warum starteten Sie Ihre Laufbahn in Deutschland?

Das war, wie sehr oft im Leben, ein Zufall. Ich wurde nach Hamburg geschickt, weil ich auf der Uni Deutsch gelernt hatte – aber nicht gut genug, um richtig zu sprechen.

In Berlin organisierten Sie später den Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke mit.

Die Verhandlungen habe ich zwar nicht geführt, aber ich habe die Organisation übernommen. Es gab zwei Austausche, 1985 und 1986, beim ersten fanden lange Verhandlungen statt, beim zweiten gar keine – das war die Freilassung des russischen Dissidenten Natan Scharanski. Für ihn haben wir Spione zu den Sowjets zurückgeschickt. So um zehn Uhr fuhr ein Wagen vor, lud Scharanski ein, und weg war er. Dann warteten wir eine Stunde oder mehr an der Glienicker Brücke. Ich habe richtig gefroren, es war kalt, und schließlich kam ein Bus mit drei Menschen drin, die gingen lautlos über die Brücke. Das waren die drei Agenten, die die Sowjets wiederhaben wollten.

Kamen Sie schon zu Mauerzeiten nach Ost-Berlin?

Na klar! Ich war in der amerikanischen Militärregierung hier in West-Berlin und ein Teil unserer Aufgabe bestand darin, so oft wie möglich rüber zu fahren. Für uns war das allerdings nicht Ost-Berlin, sondern der Sowjetische Sektor.

Was haben Sie da gemacht?

Ich bin rumgefahren, einkaufen oder essen gegangen. Manchmal habe ich mit unserer Botschafterin drüben geredet. Jeden Tag schickten die drei Alliierten im Westen jeweils einen Jeep mit Soldaten. Man sprach von „flag tours“, wir zeigten die Fahne, die auf dem Auto montiert war, um zu demonstrieren, dass wir auch drüben Rechte haben. Die hatten wir uns hart erkämpft. Sie kennen das berühmte Bild mit dem Panzer am Checkpoint Charlie – der Grund für diese Konfrontation war der Versuch der Sowjets, den Checkpoint zu schließen. Wir betrachteten uns als Treuhänder der deutschen Einheit. Der Checkpoint musste offen bleiben.

Der Ort ist Ihnen wichtig.

Ja, das ist mein Lieblingsplatz in Berlin. Er ist kein Symbol der Konfrontation, sondern einer der Hoffnung. Der Platz war die einzige Stelle von der Ostsee bis zur Adria, wo einige Menschen, Leute wie ich, den Eisernen Vorhang unkontrolliert passieren konnten. Es war der Ort, der die Einheit Berlins offen hielt. Deshalb ärgere ich mich über seinen Zustand. 30 Jahre nach dem Kalten Krieg, und das Gelände liegt immer noch hässlich brach. Jetzt will der Senat fest vereinbarte Pläne verwerfen und viele Sozialwohnungen bauen. Nichts gegen Sozialwohnungen, aber dieser Ort ist zu wichtig, um Objekt von politischen Streitigkeiten zu sein. Er hätte etwas anderes verdient.

Was denn?

Er sollte ein lebendiges Stadtquartier werden, ein Anker der Strecke zwischen der Topographie des Terrors und dem Zeitungsviertel, wo auch an die Mauer erinnert wird.

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