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Körperverwandter. Der Deutsche Axel Herrig verkleidete sich als Zuhälter – und sah aus wie Falco. Mit einem Muscial begann seine Karriere als Österreicher.

© promo

Falco-Double: Muss ich denn sterben, um zu leben?

Er singt wie Falco, geht in Falcos Bars und nennt Falcos Freunde seine Freunde. Axel Herrig darf sich in dieser Rolle keinen Fehler erlauben.

Alles, was es über den österreichischen Sänger Falco zu wissen gebe, erführe man nachts in der Lustkandlgasse, hatte Axel Herrig gesagt, und allein der Name der Straße klang verheißend. Lustkandl, wie eine eilig herbeifantasierte Wiener Süßigkeit. Gut verrucht, das macht der erste Wortteil, aber schon wieder vergessen durch das „L“ am Ende, mit dem die Wiener alles verniedlichen. Sogar die Gänse, die sie in diesen Wochen in den Wirtshäusern verkaufen, nennen sie Gansl. Dabei ist es viel harmloser: Wenzel Lustkandl, Politiker und Jurist, gestorben 1906. Man solle hier einfach die Hausnummer 6 suchen und läuten, man werde schon sehen, sagte Herrig noch.

Verlassen duckt sich das Sträßchen hinter die Wiener Volksoper. Kalter Wind wirbelt Herbstlaub weg. Es ist 21 Uhr. Über dem Klingelschild prangt eine schwarze Maske, wie man sie auf der Rialto-Brücke in Venedig kaufen kann.

Gedämpft dringt das Geräusch der Türglocke nach draußen. Ein Guckfenster schwingt auf, heraus blickt ein Mann, mustert einen, dann öffnet sich die Pforte und gibt den Blick frei auf eine holzvertäfelte Stube, in der die Gäste um einen riesigen Tresen sitzen, in der Mitte der Kellner.

Er ist 53, Falco seit 19 Jahren tot

„Willkommen im Inkognito“, sagt einer, der von einem Barhocker aufspringt. „Willkommen in Falcos Stammkneipe. Und in meiner eigenen.“

Axel Herrig tritt aus dem Schummrigen ins Licht. Tief liegen die dunklen Augen in den Höhlen, die Wangenknochen treten sanft hervor. Das Haar hat er sich seitlich nach hinten gekämmt. Den Blick auf die grauen Schläfen kontert er: „Vor Auftritten töne ich die Haare mit Wasserfarbe schwarz.“ Der Mann, dessen Lieblingsbar die des jungen Falco ist, sieht aus wie ein in die Jahre gekommener Falco. Er ist 53, Falco seit 19 Jahren tot.

Doppelgänger könnte man ihn nennen, aber dieses Wort mag er nicht. Double schon eher, aber er hat Angst, dass man dann denkt, er habe kein eigenes Leben mehr. Tribute Artist, sagt er, das finde er gut, aber das ist zu schwach, für einen der aussieht wie Falco, singen kann wie Falco, reden kann wie Falco, für einen, der in Falcos Bars und Clubs geht und Falcos Freunde seine Freunde nennt.

Gerade hat Herrig wieder eine Show gespielt. Acht Tage lang ist er durch Ostdeutschland gereist, hat in Berlin, Leipzig und Cottbus den Falco gegeben. Dann ist er nach Mannheim gefahren, in sein anderes Leben. Die Proben zum Musical „My Fair Lady“ sind fast abgeschlossen, im Dezember wird Herrig im Nationaltheater als Professor Higgins auftreten. Doch schon im nächsten Jahr wird er den Wollanzug des Professors wieder gegen einen klassisch-schwarzen tauschen. Er wird sich die Haare mit Pomade an den Kopf kleben und die Sonnenbrille aufsetzen. Im Februar wäre Falco 60 geworden.

Das Jahr 1998 hat Axel Herrings Leben verändert

Axel Herrig führt durchs Inkognito wie ein Museumsdirektor. Hier, sagt er, habe der Superstar immer gesessen, wenn ihm die Welt da draußen zu laut wurde. Es gebe sogar eine Strophe in einer Maxi-Version von „Vienna Calling“, einem der großen Hits, die gehe so: „Trinke ganz inkognito, bei unser aller Freund Carlo, an der oper leftside down, oder was weiß ich wo.“ Carlo, der Wirt und damals so sehr Falcos Freund wie heute Herrigs Freund, sei leider in den Urlaub gefahren. Er hätte sonst tolle Geschichten von früher erzählen können.

Früher. In Axel Herrigs Leben gibt es eine Trennlinie, die seine Vita in ein Davor und ein Danach teilt, sie verläuft scharf durch das Jahr 1998. Das Jahr, in dem Falco starb.

In jenem „Früher“ arbeitete Herrig als Schauspieler am Stadttheater in Aachen. Er war begabt, das schon, aber ohne Aussicht auf die großen Bühnen. Falco hörte er im Radio, mehr nicht. Nur einmal, auf einer Party mit dem Motto „Nutten und Zuhälter“ hatte er sich ein weißes Hemd angezogen und die Haare nach hinten gekämmt. Für ein Foto nahm er zwei Damen in den Arm. Ein Freund rief: „Du siehst ja aus wie Falco!“

Dann starb der österreichische Über-Musiker, und für Axel Herrig begann ein neues Leben. Am Theater des Westens in Berlin plante ein ehrgeiziger Produzent ein Musical. Titel: „Falco meets Amadeus.“ Herrig kramte das alte Partybild hervor und schickte es hin. Er stellte sich vor den Spiegel und übte den abgehackten Sound, der Falco berühmt gemacht hatte. „Er war so exaltiert, because er hatte Flair.“ Manhattan-Schönbrunner-Deutsch. Der Produzent lud ihn nach Wien zum Vorsingen ein. Nach der Probe nahm er ihn mit ins Inkognito, zum ersten Mal. Herrig wurde Falco. „Mein Karriere-Sprung“, sagt er.

Keine Namen, das ist die Bedingung im Inkognito

Im Inkognito eilt er voraus, ins Nebenzimmer. Das müsse man sehen, ruft er. Wenn den Falco selbst das Inkognito nervte, habe ihm der Carlo hier eine Faltwand aufgebaut (sie steht wie eine Reliquie in einer Ecke), und der Falco hatte dahinter seine Ruhe. Als ihm mit „Rock me Amadeus“ die bis heute einzige deutschsprachige Nummer 1 in den USA gelang zum Beispiel. Da haben sie vorne gefeiert, und Falco habe traurig hinten gesessen, sagt Herrig. Er kennt diese Geschichten von seinen Freunden. Dabei war er nie.

Im holzvertäfelten Hauptraum streicht er an den Wänden entlang und deutet auf die Bilder, die Falco zeigen. Aus großen Porträts starrt er von der Wand, als wolle er lauschen, ob sie unten gut von ihm sprechen. Aber das ist gar nicht nötig: „Wanda, Bilderbuch, dieser ganze neue Austropop, alles nicht mit Falco zu vergleichen“, sagt ein Mann, der aufgesprungen ist und nun mit Herrig auf die Bilder blickt. „Er war einzigartig.“ Die Stereo-Anlage spielt „Wiener Blut”.

Vorn an der Bar stellt Herrig die anderen Gäste vor. Keine Namen, das ist die Bedingung im Inkognito. Ein Maler, ein Historiker, ein Regisseur. Leute, die schon mit Falco hier saßen und es heute immer noch tun. Sie trinken Bier, später Gin Tonic, irgendwann verschwimmt alles hinter Rauchschleiern, sodass es nicht wundern würde, wenn gleich die Türe aufginge und der echte Falco hineinspazierte, eine Dame im Arm. Doch es kommt nur ein weiterer, der sagt, er habe ihn gekannt. „Ins Inkognito kam nur, wen der Wirt da haben wollte“, sagt Herrig.

Sie haben einen Deal, der Deutsche und die Wiener

Wiener Blut. Als Johann Hölzel wurde Falco 1957 geboren, sein Song „Rock Me Amadeus“ schaffte es an die Spitze der US-Billboard-Charts.
Wiener Blut. Als Johann Hölzel wurde Falco 1957 geboren, sein Song „Rock Me Amadeus“ schaffte es an die Spitze der US-Billboard-Charts.

© imago

Leicht hätte es passieren können, dass die Inkognito-Gesellschaft auch ihn ablehnt, diesen Deutschen, der den Falco gibt. „Aber er macht das einfach sehr gut“, sagt der Kellner. Der Maler: „Er respektiert das Lebenswerk, ohne sich darüber zu erheben.“ Der Historiker: „Wenn er auftritt, glaubt man, der Falco ist wieder da.“

Es ist ein Deal, den Herrig und die Wiener geschlossen haben. Sie können sich hin und wieder der Illusion hingeben, der echte Falco weile noch unter ihnen, und dafür lassen sie ihn in ihre Kreise.

Das größte Kompliment hat Herrig aber von DJ Ötzi erhalten, diesem anderen österreichischen Kulturexport. Auf Skihütten geliebt für seinen „Anton aus Tirol“. Gefragt, wann er zuletzt geweint habe, sagte der: „Damals, als der Axel Herrig den Falco im Musical gespielt hat.“ Herrig hat diesen Satz in seinem Kopf gespeichert, und er sagt ihn auf, wenn ihn jemand an diese andere Anekdote erinnert. Die von Niki Lauda. Auch der sah einst eine Show, danach sagte er: „Er macht’s nicht schlecht, der Deutsche, aber das ,L’ spricht er falsch aus.“

Man könnte sagen, dass ein Deutscher, der den Falco nachahmt und nur am Wiener „L“ scheitert, seine Sache ziemlich gut macht. Aber Herrig ist skeptisch. Er weiß: Fehler darf er sich in dieser Rolle nicht erlauben. Dafür ist den Wienern der Falco zu wichtig.

"Auch für Falco war Falco nur eine Rolle"

Zu sehen ist das am Nachmittag. Da lädt Herrig ein, mit ihm auf den Friedhof zu kommen. Falco-Grab-Gucken. Drei Meter hoch ragt der Grabstein in den Himmel, ein Obelisk, oben eingraviert der Künstlername. Daneben steht ein kleinerer Stein, darauf der Geburtsname: Hans Hölzel. „Auch für Falco war Falco nur eine Rolle“, sagt Herrig. Unten wachen marmorne Engel über Plastikbegonien. Über dem Grab wölbt sich eine Glasplatte mit dem Konterfei von Herrigs Körperverwandtem. Darauf breitet er die Arme aus wie eine Fledermaus im Flug.

Herrig stellt sich neben die Platte, auch er breitet die Arme aus, posiert einen Moment synchron für die Kamera und klappt sie schnell runter. „Das Bild kommt aber nicht in die Zeitung“, sagt er. „Das wäre anmaßend.“

Dann erzählt er eine der vielen Falco-Erinnerungen, die inzwischen seine eigenen sind. 1998, im Februar, scharten sich hier auf dem Zentralfriedhof 10 000 Leute. Die Rockergruppe „Outsider MC“ trug den Falco im Sarg zum Grab. Sie hatten dafür eigens Freigang aus dem Knast erhalten, so erzählt man es sich. Aus den Boxen sang der Verstorbene selbst: „Wien, Wien, du kennst mich up, kennst mich down.“ Der Dichter H.C. Artmann nannte Falco „den großen Edlen der Wiener Lässigkeit“. Niki Lauda weinte, Udo Jürgens weinte, tausende Fans mit schwarzen Sonnenbrillen weinten.

Acht Tage zuvor war Falco in der Dominikanischen Republik mit seinem Jeep in einen Reisebus gekracht. Im Blut: Alkohol, Kokain, THC.

Im U4 gibt es bis heute Tribute-Shows mit der original Falco-Band

Der eher weniger nachahmenswerte Teil von Falco, findet Herrig. „Man sollte Erfolge feiern. Danach muss man wieder auf den Boden kommen. Das Leben ist kein stetig währender Höhenflug.“ Das habe er von Falco gelernt. Würde er gern einmal tauschen? Mit dem Sänger schon, sagt Herrig, mit dem Privatmann lieber nicht. „Er war ein Zerrissener, süchtig nach Erfolg. Daran geht man kaputt.“

Wien bei Nacht. Die Schlange vor der Disko U4 ist kurz. Herrig wollte nach dem Inkognito noch herkommen, auch das U4 sei Falco-Wien, sagt er. Den Türsteher begrüßt er per Handschlag. Er heißt Conny de Beauclair, ist 64 und hat hier schon die Tür gemacht, als Falco vor kreischenden Teenagern sang: „Ganz Wien/ist auf Heroin“ – und damit seine Karriere startete. Eine andere Zeile lautet: „Im U4 geigen die Goldfisch’“ und wahrscheinlich kann man das nicht übersetzen, nur fühlen.

Über der Türe hängt ein Falco-Porträt, bis heute veranstaltet de Beauclair hier Tribute-Shows mit der original Falco-Band und Herrig in der Hauptrolle. Unten klebt der Boden, die Männer stehen in Grüppchen, die Frauen tanzen ausgelassen auf Podesten. Das Bier schmeckt fad. Auf Heroin ist hier niemand und geigende Goldfisch’? Nicht mal den „Kommissar“ spielt der DJ, dafür Billy Talent und Green Day. Mittendrin steht Axel Herrig, den Mantel will er nicht ablegen, und zieht an einer Zigarette. Nicht ganz Falcos Groove. Aber Falco mit 60, eh nicht vorstellbar. Herrig schüttelt den Kopf gegen die Musik an.

Ein Abschlussbier, dann ist diese Nacht für ihn zu Ende. Er knöpft den Mantel zu, es ist kalt draußen. „Am 19. Februar feiern wir Falcos 60. Geburtstag“, ruft ihm der Türsteher noch zu. „Kommst du?“

„Mal schauen“, sagt Herrig und tritt in die Nacht.

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