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Aus Namibia zurück. Nina, Jan und Mila Haas sowie Rena Töpfer (v.l.n.r.).

© Kai-Uwe Heinrich

Familien im Ausland: In die Wüste geschickt

Den Alltag hinter sich lassen und im Ausland neu anfangen: Diese drei Familien haben es eine Zeit lang gewagt. Von Glücksgefühlen, Heimweh – und Kamelen am Spielplatz.

FAMILIE HAAS/TÖPFER
Rena Töpfer, 53, Sozialarbeiterin, und Jan Haas, 54, freiberuflicher Lektor, waren mit ihren beiden Töchtern Mila, 14, und Nina, 12, für neun Monate in Namibia. Die Kinder sind dort zur Schule gegangen, Rena Töpfer hat ehrenamtlich in einem Jugendzentrum gearbeitet und Jan Haas seinen Arbeitsplatz nach Windhoek verlegt. Nun sind sie wieder in Berlin.

Jan Haas: Wir haben bis zur letzten Sekunde gezittert. Monatelang haben wir auf die Visa gewartet und gesagt: Wenn wir bis sechs Wochen vorher keine Zusage haben, blasen wir die Sache ab. Schließlich ist der Tag unserer Deadline ohne jede Rückmeldung aus Namibia verstrichen. Ich war enttäuscht. Als wir ins Bett gingen, hat unsere Tochter ein allerletztes Mal die E-Mails gecheckt – und da waren die Dokumente.

In Windhoek war Berlin schnell weit weg. Die afrikanischen Medien berichten wenig über Europa. Andere Themen sind wichtiger: Jeder Regen wird zum Beispiel mit Millimeter- und Ortsangabe gemeldet, weil es dort so trocken ist.

Ich habe in Windhoek draußen auf der Terrasse gearbeitet und dabei in die hügelige Landschaft Namibias geblickt. Daran habe ich mich jeden Tag aufs Neue erfreut. Allerdings war es nicht leicht, Einheimische kennenzulernen, weil ich die ganze Zeit zu Hause gearbeitet habe.

Dazu kommt, dass der schwarze Teil der Bevölkerung Weißen gegenüber zurückhaltend ist. Und in der Stadt gibt es nur ein äußerst überschaubares Kulturangebot, bei dem man andere Leute treffen könnte. Windhoek ist wie Bielefeld in der Savanne!

Tränen bei der Landung

Mila Haas: Ich würde jederzeit nach Namibia zurückgehen. Ich habe mich in Windhoek und besonders an meiner Schule dort wohlgefühlt. In der Klasse waren alle Mädchen miteinander befreundet, es gab keine vereinzelten Cliquen, wie ich das aus Berlin kenne.

Allerdings ist es in Namibia noch ungewöhnlich, wenn Schwarze und Weiße miteinander befreundet sind. Meine Freundinnen waren alle schwarz, wir sind oft angestarrt worden, wenn wir zusammen unterwegs waren. Als wir einmal ein Tretboot ausgeliehen haben, riefen uns zwei Männer hinterher: „Ihr wisst schon, dass ihr schwarz seid und sie weiß?“

Der Abschied aus Windhoek ist mir schwergefallen. Als unser Flugzeug in Berlin gelandet ist, sind mir die Tränen gekommen. Meine Erlebnisse mit meinen Berliner Freundinnen zu teilen, war nicht einfach. Sie konnten nicht nachvollziehen, wie viel mir der Aufenthalt bedeutet hat.

Da durfte ich mir häufiger anhören: „Okay, Mila, ist ja schön und gut, aber jetzt bist du wieder in Berlin.“ Deswegen freue ich mich umso mehr, dass meine beste Freundin Ruth aus Windhoek bald für vier Monate zu uns kommt.

Kein Radfahren in Windhoek

Nina Haas: Meine Mitschüler waren nicht so offen wie die von Mila. Sie haben mich die ganze Zeit „Whitie“ oder „die Deutsche“ genannt. Manchmal hieß es auch: „Sie ist weiß, sie kann das nicht.“ Deshalb habe ich meine Zeit fast nur mit Jungs verbracht, von denen die meisten Deutsche waren. Und es hat mich genervt, dass ich mich in Windhoek nicht frei bewegen konnte. Ich habe es vermisst, Fahrrad zu fahren. Trotzdem war es eine tolle Zeit, weil das Land wunderschön ist.

Rena Töpfer: Als wir wieder in Berlin gelandet sind, war ich überwältigt von dem Grün. Ich hatte einen richtigen Flash. Namibia besteht zu 80 Prozent aus Steinwüste und Savanne, die meisten Pflanzen dort sind ziemlich vertrocknet. Der zweite prägende Eindruck bei unserer Rückkehr waren der dichte Verkehr und das Gedränge in den U-Bahnen. Das waren wir nicht mehr gewohnt, weil Namibia extrem dünn besiedelt ist. Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich bereit war, mich wieder auf die Stadt einzulassen.

In Windhoek waren wir abends oft zu viert zu Hause, haben gekocht, uns unterhalten – es war das erste Mal, dass wir ein klassisches Familienleben geführt haben. Mir ist in Windhoek klar geworden, was für enorme Fliehkräfte in einer Stadt wie Berlin an einer Familie zerren. Ständig gibt es tolle Veranstaltungen, die Kinder sind pausenlos verabredet und in Berlin ganz eigenständig mobil.

Ohne Kinder nach Marokko

Nach Marokko. Antje Göllner-Scholz und Jorge Scholz.
Nach Marokko. Antje Göllner-Scholz und Jorge Scholz.

© privat

FAMILIE GÖLLNER-SCHOLZ

Antje Göllner-Scholz, 56, arbeitet für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Bonn und Berlin. Für die nächsten drei Jahre wird ihr Arbeitsplatz in Marokko liegen. Ihr Mann Jorge Scholz, 53, begleitet seine Frau, die 17, 20 und 22 Jahre alten Töchter bleiben hier.

Antje Göllner-Scholz: Momentan campen mein Mann und ich in unserem leeren Haus in Bonn. Wir haben nur noch unsere Schlafsäcke und Matratzen, der Rest ist schon im Container. In den letzten Wochen mussten wir tausend Dinge regeln: das Haus vermieten, alles einpacken, uns von Freunden und Verwandten verabschieden.

Mich hat am stärksten bewegt, dass unsere jüngste Tochter Merle nicht mitkommt. Das hatten wir nicht erwartet. Sie ist erst 17, hat gerade ihr Abi gemacht. Als wir ihr erzählt haben, dass wir nach Marokko gehen, war sie richtig sauer. „Dann habe ich ja gar kein Zuhause mehr, wo soll ich denn hin?“, hat sie gefragt. Mein Mann und ich haben versucht, ihr begreiflich zu machen, dass sie sehr wohl ein Zuhause hat. Das ist jetzt nur an einem anderen Ort.

Bis zum Beginn ihres Studiums wohnt sie bei unseren Nachbarn in Bonn. Auch ihre Großeltern leben nicht weit entfernt, an die kann sie sich ebenfalls wenden. Für mich ist der Gedanke an meine Eltern der zweite Wermutstropfen. Sie sind noch relativ fit, aber werden 90 sein, wenn wir zurückkehren.

Was in so einem hohen Alter innerhalb von drei Jahren passiert, kann man nicht vorhersehen. Gerade vor vier Wochen hat mein Vater einen Herzschrittmacher bekommen. Da hadert man schon mit seiner Entscheidung. Aber ich finde, man kann sein Leben nicht an Eventualitäten ausrichten.

Wie ein Katalysator für die Partnerschaft

Jorge Scholz: Ich bin der mitausreisende Partner, wie es im Beamtendeutsch heißt. Ich begleite meine Frau schon zum dritten Mal auf einen längeren Auslandsaufenthalt. 2005 sind wir mit der ganzen Familie für vier Jahre nach Paris gegangen, und danach haben wir drei Jahre in Indien gelebt. Beruflich ist es für den Partner oft kompliziert, diese Wechsel zu organisieren. In meinem Fall ist das machbar, weil ich freier Journalist bin.

Auf Marokko freue ich mich. Jetzt profitiere ich von unserer Zeit in Frankreich, weil ich schon gut Französisch spreche. In Paris war das damals eine echte Herausforderung: Ich konnte die Sprache nicht und fühlte mich ziemlich abhängig von meiner Frau.

So ein Auslandsaufenthalt ist für eine Partnerschaft wie ein Katalysator. Wenn die Beziehung nicht intakt ist, sollte man die Finger davon lassen. Wir sind mittlerweile ziemlich gelassen.

Das gilt bis zu einem gewissen Grad auch für unsere Töchter. Unsere beiden Älteren studieren inzwischen im Ausland. Trotzdem werde ich ein bisschen sentimental bei dem Gedanken, dass wir von nun an wohl nie wieder als Familie in einem Haus am selben Ort leben werden.

Ins Kinderheim!

Jorina Scholz: Als älteste Tochter finde ich es richtig cool, dass meine Eltern nach Marokko gehen. Wenn ich jetzt „nach Hause“ fahre, heißt das, ich reise nach Rabat – ist doch viel spannender als Bonn!

Meiner jüngsten Schwester fällt es allerdings nicht leicht. Das kann ich gut nachvollziehen, sie hat gerade die Schule beendet und weiß noch nicht genau, wie und wo es danach für sie weitergeht. Ich werde mich in den nächsten Monaten auf jeden Fall mehr um sie kümmern.

Als wir noch kleiner waren, haben die Reisepläne unserer Eltern uns anfangs schwer zu schaffen gemacht. Wir wollten lieber bei unseren Freundinnen bleiben. Jedes Mal haben wir protestiert und alles probiert, um Mama und Papa noch umzustimmen. „Dann gehe ich eben ins Kinderheim!“, das waren so unsere Versuche.

Im Nachhinein bin ich froh, dass unsere Eltern sich nicht haben beirren lassen. Ich habe von unseren Auslandsaufenthalten profitiert und wäre heute ein anderer Mensch ohne diese Erfahrungen. Wenn ich mal Kinder habe, werde ich sie auch kreuz und quer durch die Welt schleifen.

Erholung in der Shoppingmall

In Doha. Milka Sergo und Martin Schulz mit Hana (li.) und Julian.
In Doha. Milka Sergo und Martin Schulz mit Hana (li.) und Julian.

© privat

FAMILIE SCHULZ/SERGO

Martin Schulz, 37, und Milka Sergo, 35, sind mit ihren Kindern Hana, 2, und Julian, 1, von Waidmannslust nach Doha in Katar gezogen. Dort arbeitet Martin Schulz für Siemens. Die Familie will drei Jahre bleiben.

Martin Schulz: Wir haben die Entscheidung, nach Katar zu gehen, relativ lange hin- und hergewendet. Es gab viele negative Berichte über die Arbeitsbedingungen, da fragt man sich schon, ob man es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, dort zu arbeiten. Aber Siemens stellt bei seinen Projekten sicher, dass Standards weltweit eingehalten werden.

Alternativ hätten wir sogar nach New York City gehen können. Wir haben Katar gewählt, weil uns die arabische Kultur und mich persönlich die berufliche Aufgabe gereizt hat. Das hat sich auch voll eingelöst, in jeder Hinsicht.

Wir sind seit sechs Wochen in Doha. Zwischendurch erwische ich mich mal bei dem Gedanken, dass wir es uns auch ein bisschen leichter hätten machen können. Dieses Gefühl befällt mich, wenn ich mit den Behörden hier zu tun habe.

Gerade versuche ich, meine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, die man für fast alles braucht: um einen Mietvertrag zu unterschreiben, ein Scheckbuch zu bestellen und – sicherlich kurios – für die Alkohol-Lizenz. Nur wer die hat, darf im einzigen Geschäft in Katar einkaufen, das Alkohol und Schweinefleisch führt. Es ist ein ziemliches Geduldsspiel, den Aufenthaltstitel zu bekommen. Da sind wir froh, dass wir von meiner Firma aus Deutschland und vor Ort unterstützt werden.

50 Grad in Doha

Milka Sergo: Im Moment wohnen wir noch im Hotel. Sogar den ersten Geburtstag von unserem Sohn Julian haben wir dort gefeiert. Mittlerweile haben wir eine Wohnung gefunden, aber in die können wir erst nächste Woche einziehen.

Ich bin gespannt, ob unsere Möbel dann hier sind, die haben wir per Container verschifft. Gerade sehe ich mich nach einer Kita für die Kinder um. Die wird englischsprachig sein, also werden wir sie schon ein bisschen ins kalte Wasser werfen. Ich bin entspannt, was das angeht. Die beiden werden sich schnell einfinden.

Den Tag müssen wir nach dem Wetter ausrichten. Es ist im Moment wahnsinnig heiß in Doha, zwischen 45 und 50 Grad. Draußen kann man sich kaum aufhalten. Ich gehe morgens, bevor es zu heiß wird, mit den Kindern in den Pool, und nachmittags fahren wir ins Shoppingzentrum, um einzukaufen oder ein Eis zu essen.

Das war übrigens eine der häufigsten Reaktionen aus meinem Umfeld, bevor wir gegangen sind: „Darfst du da überhaupt Auto fahren?“ Ja, ich fahre seit dem ersten Tag Auto, und ich verschleiere mich nicht. Aber das Miteinander von Frauen und Männern ist ein sensibles Thema. Es ist unüblich, sich auf der Straße zu küssen oder Händchen zu halten.

Abends können die Kinder und ich endlich raus auf den Spielplatz. Davon gibt es viele und schöne. Doch im Sommer sind sie kaum besucht. Jedenfalls sind wir im Moment immer die Einzigen da. Unsere Kinder finden es spannend: Sie merken, dass es hier anders ist als in Berlin. Von einem Spielplatz blicken wir direkt auf einen Viehmarkt, auf dem Kamele verkauft werden.

Sobald Hana und Julian in der Kita eingewöhnt sind, möchte ich mich nach einem Job hier umsehen. Außerdem will ich Arabisch lernen. Ich habe immer gerne gearbeitet, aber für eine Weile eine Auszeit zu nehmen, wäre auch in Ordnung für mich.

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