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Erica Jong, Schriftstellerin

© Carolyn Cole, Getty Images

Feminismus-Ikone Erica Jong: „Frauenhass ist Angst vor der eigenen Mutter“

Sie erfand den Begriff des Spontanficks – und hatte selbst nie einen. Erica Jong über ihr Facelift, Hillary Clinton und was sie ihrem Großvater verdankt.

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Erica Jong, 74, ist eine Ikone des amerikanischen Feminismus. Ihr erotischer Roman von 1973, „Angst vorm Fliegen“, verkaufte sich 18 Millionen Mal. Sie ist zum vierten Mal verheiratet, hat eine Tochter und drei Enkel. Gerade erschien ihr Buch „Angst vorm Sterben“. Jong lebt in New York

Frau Jong, Sie kämpfen seit 40 Jahren für den Feminismus. Ist Ihre Sache mit dem Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump nun im Weißen Haus angekommen?
Endlich, ja. Und Trump ist ein Albtraum. Er weiß überhaupt nichts. Nicht einmal, wie unsere Regierung funktioniert. Er sagt, er werde alle Gesetze, die unsere Beziehungen zu China betreffen, neu schreiben. Dabei vergisst er, dass der Präsident nicht allein am Drücker sitzt: Es gibt den Kongress, die Judikative, wir haben Gewaltenteilung. Trump scheint das nicht zu verstehen.

Als Ehemann hat er mehr Erfahrung. Melania Trump ist seine dritte Frau. Wie stellen Sie ihn sich als Mann vor?
Der Horror. Wer will schon mit einem totalen Narziss leben, der in Wahrheit ein unsicherer Rüpel ist? Er hat in den Medien ausgebreitet, was seine Frau auf der Toilette tut. Ich habe im Fernsehen beobachtet, wie sie vor ihm zurückschreckt. Er nähert sich seiner eigenen Frau, sie weicht in die andere Richtung aus. Das sagt mir eine Menge.

Über seine Konkurrentin retweetete jemand aus Trumps Social-Media-Team: „Wenn Clinton ihren Mann nicht befriedigen kann, warum denkt sie dann, sie könne die USA befriedigen?“
Ich denke nicht, dass Hillary ihn nicht befriedigt. Das mal als Allererstes. Die beiden waren immer eng verbunden, haben sich auch nicht getrennt. Natürlich wissen wir nicht, was bei den Clintons im Schlafzimmer los ist. Bill ist halt ein Spielertyp. Er muss sich immer wieder an anderen Frauen beweisen. Das hat nichts mit Hillary zu tun!

Sie haben geschrieben, die Lewinsky-Affäre habe Hillary Clinton unverletzbar gemacht.
Sie hatte als Einzige Sinn für Verhältnismäßigkeit: als ob sie die Präsidentin wäre und er die Ehefrau. Bill wirkte sehr kindisch damals, wie ein Teenager, sie wie die Matriarchin. Für mich hat sie da Charakterstärke gezeigt. Ich weiß gar nicht, ob Bill heute noch so ein Player ist, der Schönheitsköniginnen flachlegen muss. Er ist dünn geworden, jetzt, da er Vegetarier ist. Er hatte diese Herzprobleme, konzentriert sich ganz anders auf seinen Körper.

Sie haben von Anfang an beobachtet, wie Hillary Clinton ihre Rolle als Frau in der von Männern geprägten Politik suchte.
1996 habe ich mal ihre Entwicklung beschrieben: Wie sie erst bewundert wurde, dann gehasst und sich irgendwann in Perlen und Pastell kleidete, also versuchte, Rollen zu erfüllen, die ihr nicht standen. Ich wollte sie treffen, aber sie wurde so bedrängt, dass sie gar nicht unterscheiden konnte, wer Freund und wer Feind war. Ich habe sie und Bill später kennengelernt, weil ich geholfen habe, Spenden einzutreiben. Es fällt ihr noch immer schwer, sie selbst zu sein. Ihre Freunde sagen, sie sei sehr humorvoll, aber diesen Teil von ihr sieht man nie.

Lachen gilt schnell als unprofessionell.
Wir haben immer noch kein Modell für eine weibliche Führerin. Das gilt weltweit. Trotz Queen Elizabeth, Queen Victoria, Margaret Thatcher und Angela Merkel. Benazir Bhutto, die pakistanische Politikerin, schrieb einmal einen Artikel, der davon handelte, dass die Frau eine geborene Führerin sei, weil sie eine Mutter ist. Dann wurde sie umgebracht. Man könnte auch sagen: Wir wollen mit unserem Frauenhass die Mutter umbringen.

Sie meinen: Die ganze Welt hat einen Elektra-Komplex?
Viele unserer Reaktionen sind psychologisch begründet, und wir werden noch eine Weile brauchen, bis wir uns wohlfühlen mit einer Frau in der Rolle eines Staatsoberhauptes.

Was bedeutet es für Amerika, dass Hillary Clinton eine Frau ist?
Sehr viel. Männer sind ihr gegenüber misstrauisch. Schwarze und Latino-Männer nicht ganz so, aber die weißen. Die fühlen sich enteignet und wenden sich Trump zu. Die meisten seiner Anhänger sind ungebildete weiße Männer. Er stellt sich auf die Bühne und sagt: Ich liebe die Ungebildeten. Wir reden hier nicht von Akademikern oder Leuten, die sich mit Politik beschäftigen. Es geht um Wut und das Gefühl, jemand habe ihnen die Rechte weggenommen. Ich kenne niemanden, der ihn unterstützt.

"Ich habe es nie als Sex-Buch gesehen"

Erica Jong, Schriftstellerin
Erica Jong, Schriftstellerin

© Carolyn Cole, Getty Images

Seitdem 1973 Ihr Buch „Angst vorm Fliegen“ erschienen ist, bewegen Sie sich ja auch im Milieu der New Yorker Intellektuellen. Damals standen Sie selbst im Zentrum eines moralisierenden Orkans, weil Sie offen über Sex sprachen.
Es war furchteinflößend. Ich habe mein Buch nie als Sex-Buch gesehen, und als die Leute es so nannten, machte mir das Angst.

Naja, es handelt seitenlang von pochenden Mösen und samtigen Schwänzen. Und Ihr Begriff des Spontanficks ist in den aktiven Wortschatz einer ganzen Generation eingegangen.
Ich dachte, ich schreibe über Freiheit. Der „Spontanfick“ war eine Metapher für den Akt der Befreiung, genauso wie „fliegen“. Isadora Wing, eine junge Künstlerin, versucht, sich zu finden, eine gute Schriftstellerin zu werden. Der Spontanfick ist ein platonisches Ideal. Ich selbst hatte nie einen. Wie sind die Leute bloß darauf gekommen, das ganze Buch so zu lesen, als ginge es nur um den „zipless fuck“ ?

Das Wort hat sich verselbstständigt. Es ist zu gut.
Man hat mir einfach nie geglaubt. Als das Buch erschien, wurde es vor allem als radikal angesehen. Nur, weil ich darin Dinge beim Namen nenne.

Henry Miller, mit dem Sie befreundet waren, durfte das: über Sex schreiben und das Literatur sein lassen. Warum Sie nicht?
Moment, ganz so einfach war es nicht. Seine Bücher waren damals verboten. „Wendekreis des Krebses“ wurde zuerst in Paris veröffentlicht. Es gab bis in die 60er keinen legalen Verleger in den USA. Dann fiel die literarische Zensur. Plötzlich konnten wir in den USA auch „Lady Chatterley’s Liebhaber“ von D.H. Lawrence lesen. Männer reagierten mit heftigsten Anklagen, ich dachte: Wo sind die Frauen? Warum reagieren sie nicht darauf?

Sie gelten als Feministin, Miller als Chauvinist. Was hat Sie beide verbunden?
Miller hat Frauen verehrt und anerkannt. Er war ein Philosoph auf der Suche nach dem Geheimnis des Lebens, und es ist naiv, ihn mit seinen Erzählerstimmen zu verwechseln. Die Leute haben das auch mit mir und vielen anderen gemacht, die über Sex schreiben. Puritanismus. Viele sind so verunsichert von Sexualität, dass sie den Schriftstellern vorwerfen, schlechte Menschen zu sein.

Heute wird weniger moralisiert. Durch Dating-Apps wie Tinder ist Ihre Illusion des bindungslosen, schnellen Sex Wirklichkeit geworden: Überall kann man einen Fremden an der Ecke auf ein Abenteuer treffen.
Haben die wirklich guten Sex? Männer können, wenn sie jung sind, eine Nummer nach der anderen schieben. Frauen brauchen mehr Verbindung. Ich denke nicht, dass es für uns so leicht ist, großartigen Sex mit jemandem zu haben, der keine Empathie für uns hat.

Wieso sind die Apps dann so erfolgreich?
Männer haben große Angst vor Zurückweisung. Die App garantiert einem, dass man nicht völlig zurückgewiesen wird. Jede Frau, die man über ein solches Date trifft, hat einen schon akzeptiert.

Wir werden als Frauen doch auch ungern gekränkt.
Für Männer ist es schlimmer. Das liegt am Penis. Der hat sein eigenes Temperament. Funktioniert er? Funktioniert er nicht? Manchmal versagt er den Dienst mit jemandem, den man wirklich mag, funktioniert jedoch hervorragend mit einer Fremden. Jeder Mann ist komplett besessen von seinem Penis und diesen Fragen. Das geht so lange, bis der Mann erwachsen ist und mehr über sich gelernt hat.

Männer hängen also ganz ohne die Frauen von etwas ab, das sie nicht kontrollieren können?
Ja, und dieser Kontrollverlust betrifft ihr eigenes Sexualorgan – als Teil ihres Körpers.

Das Problem war doch eher, dass Frauen auf ihren Körper reduziert wurden, an den man auch noch strenge Anforderungen stellte.
Wir arbeiten daran, das zu ändern. Indem zum Beispiel Lena Dunham, die Macherin der Serie „Girls“, im Fernsehen auftritt. Obwohl sie nicht das hat, was man einen idealen Körper nennen würde, befreit sie uns davon, ständig perfekt sein zu müssen.

Das funktioniert bloß nicht richtig. Auch unabhängige Frauen treffen auf innere Widerstände. Die Feministin und Bestsellerautorin Charlotte Roche wollte sich zum Beispiel Achselhaare wachsen lassen – und hat es kaum über sich gebracht.
Das war nie ein großes Thema für mich. Ich bin blond, ich habe nicht so viele Haare. Aber ich bin schockiert darüber, wie wenig Fortschritt wir gemacht haben. Wir müssten längst viel weiter sein.

"Der BH war die Metapher für alle Arten der Einengung"

Erica Jong, Schriftstellerin
Erica Jong, Schriftstellerin

© Carolyn Cole, Getty Images

Es begann in den 70ern damit, dass Frauen keinen BH mehr tragen mussten. Von diesem Anblick haben in Wahrheit die Männer mindestens so profitiert wie die gelösten Frauen!
Es ging darum, man selbst sein zu dürfen. Kleidung ist für Frauen in der Geschichte extrem einengend gewesen. Vor diesem Hintergrund ist der BH die Metapher für alle anderen Arten von Einengungen. Heute tragen wir viel bequemere Sachen: gemütliche Hosen, Jeans mit Stretch-Anteil, Sneakers zur Arbeit. Das ist eine Revolution.

Und trotzdem: Der Körper muss immer perfekter werden. Frauen schämen sich für kleinste Fehler, sind ganzkörperrasiert, lassen sich die Schamlippen straffen, schminken sich in Schichten. So püppchenhafte Frauen gab es seit den 50ern nicht.
Das hat sich aus der Technik heraus entwickelt, den Möglichkeiten von Fotografie. Man kann jede Unreinheit wegretuschieren. Gefotoshopte Teenager sind die Frauen, die wir überall sehen. Nicht die 30-,40- oder 50-jährigen Ausgaben ihrer selbst.

Was bedeutet das für den Feminismus?
Einen fürchterlichen Rückschlag. Und doch gibt es auch die andere Seite: Haben Sie kürzlich das Magazin der „Financial Times“ gesehen? Es zeigt eine ganze Fotostrecke mit einer 94-jährigen Frau.

Das war nicht irgendeine, sondern die extravagante New Yorker Stil-Ikone Iris Apfel, die als Ausstatterin für mehrere Präsidenten gearbeitet hat: Die Frau ist ein ästhetisches Phänomen.
Es stimmt, sie ist groß, dünn. Aber es gibt tatsächlich ein wachsendes Interesse an älteren Frauen und wie sie aussehen. Das fängt gerade erst an.

Haben Sie deshalb Ihr neues Buch „Angst vorm Sterben“ geschrieben? Es handelt von einer älteren Schauspielerin, die sich um ihr schwindendes Sexleben sorgt. Sie meldet sich bei einer Online-Plattform an, die Sie ausgerechnet „spontanfick.com“ tauften.
Ich habe immer die Bücher über Frauen schreiben wollen, die es noch nicht gab. Menschen werden heute viel älter als früher, viele von uns verbringen die letzten 20 Jahre ohne Männer. Ich frage mich: Was tun wir in diesen Jahren? Das ist ein Tabu, das gebrochen werden muss.

In den letzten Jahren haben Filme Preise gewonnen, die sich mit Sex und Liebe von Frauen im Alter beschäftigen: Andreas Dresens „Wolke 9“, „45 Years“ mit Charlotte Rampling. Das ist kein Tabu mehr!
Das sind Arthouse-Filme. Sie werden nicht von einer großen Menge Leute gesehen.

Worin genau besteht denn das Tabu?
Es ist die Furcht vor der eigenen Mutter.

Oh nein.
Ich weiß, ich höre mich wie ein Freudianer an. Ich bin auch etwas freudianisch. Es gibt da diese Furcht vor der mächtigen Frau.

Sie hatten selbst eine dominante Mutter.
Ich habe meine Mutter sehr geliebt, aber sie war eine neidische Person. Sie war eine gute Malerin, und ich habe als junges Mädchen auch gemalt. Als sie mein Talent sah, hat sie es kritisiert, statt es zu fördern. Sie sah mich als Konkurrenz. Also habe ich mich auf das Schreiben verlegt.

Heute sind Sie eine berühmte und mächtige Frau von 74 Jahren.
Die amerikanische Feministin Gloria Steinem sagt: Frauen werden im Alter radikaler. Wir werden auch freier. Wir sind nicht mehr so davon getrieben, gute Mädchen zu sein, nach Bestätigung zu jagen. Mich trifft Kritik nicht mehr so. Ich weiß jetzt, wer ich bin. Das war eine Entwicklung über Jahre.

Dabei haben Sie noch 1994 jeder Frau mit 50 eine Krise prophezeit und darüber ein ganzes Buch geschrieben: „Keine Angst vor Fünfzig“.
Ich hatte mir damals Sorgen gemacht, dass ich alt werden, mein Aussehen verlieren würde. An meinem 50sten habe ich mit meiner 13-jährigen Tochter Molly in einem Wellnesstempel eingecheckt, um diesen Wendepunkt zu ertragen. Ich ging hindurch und war überhaupt nicht mehr verunsichert: Man erwartet ein riesiges Hindernis, aber man wird im Gegenteil viel mehr man selbst.

Sie setzen sich für Unabhängigkeit ein, kritisieren strenge Schönheitsnormen. Aber vor 15 Jahren hatten Sie selbst ein Facelift. Sie haben kapituliert?
In Deutschland sind alle gegen Lifting. Nebenbei: Das ist vorbei. Heute gibt es Filler und Botox, man muss gar nicht mehr so aufgeschnitten werden wie ich damals. Nur wenn Sie in der Unterhaltungsindustrie arbeiten, haben Sie keine Wahl. Sie müssen es tun, weil die Kamera älter macht.

Sie arbeiten doch gar nicht im Fernsehen!
Ich wollte besser aussehen. Und bin zu einem Arzt gegangen, der berühmt war für seinen natürlichen Look. Ich würde es nie wieder tun. Die Rückstände aus der Anästhesie waren noch lange als Depression im Körper spürbar.

Sie schreiben, es habe funktioniert: viel mehr Avancen von Männern.
Das ist Teil des Buches. In „Angst vorm Sterben“ ist die Hauptfigur Vanessa, eine Schauspielerin, zur Operation gezwungen. Ich hatte immer Männer in meinem Leben, obwohl ich von Perfektion weit entfernt bin. Ob man auf Männer anziehend wirkt, hat mehr mit der eigenen Fähigkeit zu tun, ihnen die Angst vor Ablehnung zu nehmen. Und natürlich, dass man mit ihnen befreundet ist und sie liebt. Das ist das Geheimnis, wenn es denn eines gibt.

Das ist alles?
Es gibt noch etwas anderes. Ich hatte einen Großvater und einen Vater, die mich verehrt haben. Deshalb mögen mich Männer. Ich glaube, jede Frau, die einen Vater hat, der sie verehrt –, ganz zu schweigen von einem Großvater, der sie bewundert – hat einen Vorsprung. Wenn ich heute mit erfolgreichen Frauen spreche, stoße ich immer auf die Tatsache, dass ihre Väter an sie geglaubt haben.

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