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Jane Fonda war gestern. Anisha Mueller sieht die Fitnessindustrie kritisch.

© Kitty Kleist-Heinrich

Fitness und Politik: Queerfeministisch schwitzen in Berlin

Abkämpfen für den perfekten Trizeps? Die Femmefitness-Kurse von Anisha Mueller trainieren auch geistige Schlagkraft. Eine Probestunde in Kreuzberg.

Donnerstagabend, ein Kreuzberger Hinterhof, im Untergeschoss macht Anisha Mueller die Tür auf. Gleich beginnt der Sportkurs, den sie wöchentlich gibt. Die 25-Jährige ist ausgebildete Zumba-Trainerin. Doch hier geht es um mehr als Fitness.

Der Raum, der sich langsam mit Menschen füllt, heißt St. Georg, war mal ein Club. Es ist dunkel, ein paar Deckenlampen werfen bunte Kegel auf den Boden, an den schwarzen Wänden gibt es keine Spiegelfront. „Es ist total befreiend, weil man sich nicht die ganze Zeit anschauen und bewerten muss“, sagt Mueller, die in Oxford aufwuchs und seit einigen Jahren in Berlin lebt. Im vergangenen Sommer hat sie Femmefitness gegründet, eine Art queerfeministischen Tanzsportzirkel, der sich vor allem an jene richtet, die sich in gängigen Fitnessstudios unwohl fühlen. Eine Stunde pro Woche, in der Schönheitsideale und Körperbilder draußen vor der schweren Metalltür bleiben.

An diesem Tag sind etwa 30 Leute gekommen, wobei „Femme“ vieles bedeuten kann: „Für mich steht der Begriff für Weiblichkeit, die von jedem ausgelebt werden kann“, erklärt Mueller.

Ein groß gewachsener Mann kommt auf Anisha Mueller zu, fragt, ob er mitmachen darf. „Solange sich niemand unwohl fühlt, wenn ein Hetero-Typ dabei ist, und der versteht, um was es hier geht, sehe ich kein Problem“, sagt Mueller und verteilt ihr Visitenkärtchen: „Femmefitness – Hinternwackeln trifft Aktivismus“.

Awards für die straffsten Schenkel, den dicksten Bizeps

An Fitnesskursen liebte die Britin schon immer das Schwitzen, die Endorphine, das Gemeinschaftsgefühl. „Als ich mit 19 anfing, war aber auch ein Grund, dass ich mich unsicher in meinem Körper gefühlt habe und abnehmen wollte. Ist wahrscheinlich bei den meisten so.“ Mueller ging bald jeden Tag ins Fitnessstudio. Das musste sie sich erst wieder abgewöhnen, Zumba half ihr dabei. Aber selbst da geht es immer noch ums Fettverbrennen, merkt sie an. „Es wird bloß subtiler verkauft, als Abnehmen mit Spaß.“

Meistens geht es in der Fitnessbranche um den Kampf gegen dicke Hintern und runde Bäuche. Studios werben mit „Abnehm-Challenges“, der Kursklassiker schlechthin ist Bauch-Beine-Po. Eine große deutsche Kette vergibt unter ihren Mitgliedern Awards für sichtbare Trainingserfolge. Wer hat den definiertesten Trizeps, die straffsten Oberschenkel? Die kriegt man auch von anderen Sportarten, vom Tennis oder Rudern, aber im Fitnessbereich sind Muskeln und fettfreie Zonen nicht das Mittel zum Erfolg. Sie sind der Erfolg.

Sport - ja! Aber bloß nicht "massig" werden

Mehr als elf Millionen Fitnessclub-Mitglieder zählte der Arbeitgeberverband Deutscher Fitness- und Gesundheitsanlagen DSSV zuletzt, vor fünf Jahren waren es noch rund neun Millionen. Der Deutsche Fußball-Bund, immerhin weltgrößter Zusammenschluss von Sportverbänden, zählte zuletzt etwas mehr als sieben Millionen Vereinsmitglieder. Fitness boomt.

Kayla Itsines, eine moderne Jane Fonda, gehört zu den weltweit erfolgreichsten Fitness-Influencerinnen. Allein auf Instagram verfolgen 11,5 Millionen Nutzer die kurzen Videos zu ihrem „Bikini Body Guide“, anspruchsvolle Übungen, die man mit wenigen Hilfsmitteln zu Hause durchführen kann. Es dürften vor allem Frauen sein, die Itsines’ E-Books kaufen und die bezahlpflichtige App „Sweat“ herunterladen, rund um den Globus, massenhaft. Sie und ihr Mann zählen deswegen zu den fünf reichsten jungen Australiern, das Vermögen des Paares wird auf 486 Millionen Dollar geschätzt.

Die Fitnesstrainerin gibt Ernährungstipps, postet unermüdlich Vorher-Nachher-Bilder ihrer Anhängerinnen, die nach ein paar Monaten oft nur noch am Gesicht erkennbar sind – so radikal ändern sich die sportgestählten Körper. Immer geht es ums Vergleichen, mit dem eigenen dickeren Selbst, aber auch mit den anderen, die schon weiter sind. Der Körper als Challenge.

An Kayla Itsines ist alles schlank und glatt. Muskeln deuten sich an, treten aber selten hervor. Die 27-Jährige wirkt beinahe stromlinienförmig. Für viele in Europa und Nordamerika gilt dieser Körpertyp derzeit als Ideal. Frauen wollen „flache Bäuche, definierte Beine, starke und dünne Arme“, sagte Kayla Itsines mal in einem Interview. Aber: Sie hätten auch Angst, durch bestimmte Trainingsmethoden „massig“ zu werden. Itsines ist das beste Beispiel dafür, dass Fitness in erster Linie eins bedeutet: gut aussehen. Und was das genau heißt, entscheiden eben andere.

Wenn das Studio "zu weiß, zu Mittelschicht" ist

„Ich habe keine Lust, Leute zu animieren, sich ein Sixpack anzutrainieren“, sagt Anisha Mueller. Sie kann gleichzeitig lächeln und Kniebeuge machen, trotzdem hat sie nicht den Körper eines drahtigen Drill-Sergeants. Manche Fitnessstudiobetreiber, für die sie arbeitete, hätten es lieber gesehen, wenn sie ein Sixpack gehabt hätte. „Meistens hielt man mich für eine Kursteilnehmerin, nicht für die Trainerin.“

Als sie anfing, ihr eigenes Programm auf die Beine zu stellen, wollte sie zunächst vor allem Übergewichtigen einen Kurs bieten, in dem sie sich wohlfühlen. Mit Speckrollen bauchfrei tanzen, das kostet selbst in einem Frauenstudio Überwindung. Bei Anisha Mueller gehört es zum Konzept. Auch Selbstvertrauen ist ein Muskel, den man trainieren kann.

Viele ungeschriebene und geschriebene Gesetze der Studiokultur entfallen bei Femmefitness: Unrasierte Achseln? Wen juckt’s. Hightech-Sportklamotten? Die Schlabberhose tut’s zum Tanzen auch – oder der Ausgehfummel, wenn man Lust darauf hat. Schon wieder den Takt verloren, die Schrittfolge nicht verstanden, die Knie nicht weit genug gebeugt? „Egal, Hauptsache, es tut sich keiner weh“, sagt Anisha, und diese Haltung färbt auf alle ab. Es mag helfen, dass man hier im Keller ohnehin nicht viel sieht, sich automatisch irgendwann locker macht, vereint im Schweiß.

„Bald habe ich gemerkt, dass es noch viel mehr Leute gibt, die so einen Raum, einen sicheren Raum benötigen“, erzählt Mueller und meint die, denen es schwer fällt, sich für die Damen- oder Herrenumkleide zu entscheiden, die von anderen angeglotzt werden, die krank oder bewegungseingeschränkt sind, denen die meisten Fitnesskurse auch wegen der eigenen Hautfarbe, des eigenen kulturellen Hintergrunds „zu weiß, zu Mittelschicht“ sind, wie Mueller es ausdrückt.

Zwischen den Einheiten wird diskutiert

Vereint im Schweiß. Bei Femmefitness in einem ehemaligen Club gibt es keine Spiegel, keine Scham wegen Speckröllchen.
Vereint im Schweiß. Bei Femmefitness in einem ehemaligen Club gibt es keine Spiegel, keine Scham wegen Speckröllchen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Denn auch das nimmt Mueller ernst: Bei Zumba gehe es nur um Klischees von südamerikanischem Pop, was sie schon immer gestört hat. „Das Exotische ist ein Verkaufsargument, aber man lernt nichts über die Hintergründe, nichts über die Wurzeln der Musik oder über die Künstler.“ Mueller nutzt für ihre Choreographien fast nur Musik von Künstlerinnen oder queeren Acts, hält zwischen den Einheiten Kurzreferate über die Bedeutung der Songs und Genres: Reggaeton, der so oft sexistisch besetzt ist, und dessen Spielart Neo-Perreo, Desi-Hip-Hop aus der indischen Diaspora, Soca aus Trinidad und Tobago.

Keuchend steht sie vor der verschwitzten Gruppe und erklärt, dass die Jamaikanerin Ishawna in ihrem Dancehall-Track „Equal Rights“ sexuelle Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern fordert und sich manche DJs weigern würden, diesen Song aufzulegen. Kopfschütteln und Gelächter in den Reihen. Nach dem Song „Indian Gyal“ spricht Mueller darüber, wie indische Arbeiter als Zwangsarbeiter in die Karibik kamen, eine etwas komplexere Thematik. „Könnt ihr mir folgen?“, fragt Mueller. Mit stechenden Seiten nicht ganz so gut. „Wer sich informieren will, hat nun einen Anhaltspunkt.“ Nächster Track, der Bass wummert los.

Gerade hat Mueller begonnen, Workshops anzubieten, in denen getanzt und diskutiert wird. Auf der Facebookseite von Femmefitness stößt sie immer wieder Diskussionen an, macht auf Themen aufmerksam, die sie beschäftigen. Das Sportliche ist politisch.

"Powerlifting to the People"

Doch eine Szene von Aktivisten gibt es bislang kaum. Mueller weiß von einigen Studios in den USA, die sich vor allem an ein queeres Publikum richten, spezielle Angebote für Schwarze und People of Colour machen, Körperideale in Frage stellen. „Radically Fit“ in Oakland etwa: Da geht es ums gemeinsame Starkwerden, innerlich und äußerlich, darum, „Frustrationen raus zu schwitzen“, wie es auf der Website heißt. Auf dem Kursplan stehen „Powerlifting to the People“ und ein Boxtraining, „frei von toxischer Männlichkeit“.

Muellers Vorbild ist Kelechi Okafor. In deren Londoner Fitnessclub kann man Selbstverteidigung und Pole-Dance-Varianten lernen, außerdem Twerking: Dabei wackeln Tänzerinnen (oder eben Tänzer) so mit den Pobacken und den Hüften, dass der Hintern fast losgelöst vom Rumpf scheint, vorausgesetzt, man hat die nötigen Muskeln und die Technik. Das Ganze sieht, richtig gemacht, so beeindruckend und sexy aus, dass Twerking ab Ende der 90er fest zum oft frauenfeindlichen US-Rap gehörte. Kein mittelmäßiges Hip-Hop-Musikvideo ohne halbnackte Frauen, die nur Dekoration sind. Dass es sich ursprünglich um einen in Westafrika verbreiteten Fruchtbarkeitstanz handelte, den gerade ältere, geübte Frauen gut beherrschen, blieb dabei auf der Strecke.

„Empowerment“ – Twerking ist, was du draus machst. Alles geht, solange man selbst darüber entscheidet. Seit einigen Jahren twerken Künstlerinnen und Tänzerinnen ganz selbstbewusst: Nicki Minaj, Cardi B, Beyoncé.

Sexy tanzen, ohne gleich angemacht zu werden

In Berlin gibt es wenige feministische Sportangebote wie Femmefitness. Der Verein Seitenwechsel, 1988 in West-Berlin gegründet, richtete sich anfangs vor allem an Lesben, seit einigen Jahren öffnet er sich für Inter- und Transpersonen und ist nach eigenen Angaben einer der größten Sportclubs dieser Art in Europa. Zu der langen Liste an Kursen gehören feministische Kampfkunst, Boxen und Wandern für Schwarze und People of Colour, „Flesh*Dance“ für „dicke_fette“ und bewegungseingeschränkte Menschen, aber: auf „tanztypische Genderklischees“ wird verzichtet.

Bei Anisha Mueller geht es gerade darum. „Sonst gibt es ja nicht viele Gelegenheiten, sexy zu tanzen, ohne gleich angemacht oder beurteilt zu werden.“ Darum also hier, in diesem Kreuzberger Keller. Mit den Händen fährt sie an ihrem Oberkörper entlang, der in einem pinkfarbenen Netzhemd steckt. Zack, geht sie in die Hocke, und zack-zack, spreizt sie die Beine im Takt auf und zu. Die Gruppe macht mit, einige verlieren das Gleichgewicht, Beine zittern. Einzige Challenge jetzt: Wie kommt man bloß wieder hoch?

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