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Flugbegleiterin Friederike Sandow.

© Kai-Uwe Heinrich

Flugbegleiterin Friederike Sandow: „Wenn es ganz schlimm wird, haben wir Handschellen an Bord“

Sie kann Piloten-Durchsagen und dubiose Gerüche deuten. Flugbegleiterin Friederike Sandow über betrunkene Passagiere und warum sie Moritz Bleibtreu streichelte. Ein Interview.

Urlaubszeit ist Reisezeit. Für viele Deutsche heißt es deshalb: Bordkarte bereithalten und einsteigen. Denn trotz Streiks und wenig Beinfreiheit verreisen jedes Jahr Millionen mit dem Flugzeug. Wir haben mit Friederike Sandow über ihre Arbeit als Flugbegleiterin gesprochen, um die sich viele Klischees und Mythen ranken. Sandow hat viele Jahre für die Lufthansa gearbeitet und kennt nicht nur die Codes für die Crew.

Frau Sandow, Fliegen ist heute so banal wie Busfahren, die Tickets kaufen wir online zu Ramschpreisen. Hat Ihr Beruf den einstigen Glamour verloren?

Manche Kurzstrecken sind schlichte Abfertigung. Die Gäste nehmen uns gar nicht wahr. Da stehe ich am Eingang wie ein Getränkeautomat. Die Passagiere kennen die Regeln, gehen aber lax damit um. Das Handy wird nicht in den Flugmodus geschaltet, Kinder liegen über drei Sitze verteilt und die Mutter beschwert sich dann auch noch, dass sie es wecken muss, um es anzuschnallen. Die Langstrecke ist dagegen für viele etwas Besonderes.

Sie haben sieben Jahre lang für die Lufthansa als Flugbegleiterin gearbeitet. Die erste Stewardess in Europa, Nelly Pflüger, brachte den Passagieren selbstgekochtes Essen mit und jodelte, um ihnen die Nervosität zu nehmen. Was war Ihre Geheimwaffe gegen Flugangst?
Ich rede viel mit den Leuten, gehe an ihren Platz, frage zwischendurch nach. Viel mehr kann ich nicht tun. Wir können niemanden mit Beruhigungsmitteln dopen. Das Risiko ist zu groß, dass uns da einer wegknallt und ich ihn in einem Notfall aus dem Sitz schaufeln muss.

Ist es unverschämt, bei der Sicherheitsunterweisung nicht zuzuhören?
Einmal habe ich morgens die Anweisungen gemacht und gesehen, dass der ganze Flieger pennt und ich Ballett alleine mache. Da hat meine Kollegin durchgesagt: „Liebe Fluggäste, meine Kollegin hat sich gerade beschwert, dass ihr niemand zuhört und zuguckt.“ Mir war das so peinlich, die Passagiere waren einerseits pikiert und andererseits amüsiert. Aber alle haben geschaut.

Eine Flugbegleiterin verteilt Menüs an Fluggäste in einem Passagierflugzeug.
Eine Flugbegleiterin verteilt Menüs an Fluggäste in einem Passagierflugzeug.

© IMAGO

Früher konnte die Crew in Codes miteinander sprechen, ohne die Passagiere zu beunruhigen. Heute lassen sich die Alarmsignale leicht im Internet finden. „Attention Crew on Station“ ist offenbar so eines.
Da würde ich heute noch nachts um drei senkrecht im Bett stehen, wenn das jemand sagt. Das ist die Vorstufe zu einer möglichen Evakuierung, wenn das Flugzeug noch am Boden steht. Der erste Blick geht nach draußen: Wäre der Weg frei, falls ich eine Tür öffnen muss, und hätte die Rutsche genug Platz? Oder blockiert da womöglich ein Tanklaster den Ausgang? Solche Szenarien übt man mehrmals im Jahr. Ich hatte das Kommando aber auch schon im Ernstfall.

Sie mussten evakuieren?
Zum Glück ging das glimpflich aus, ohne alle aus der Maschine holen zu müssen. Ein Feueralarm hinten im Crew-Bereich einer Boeing 747. Wir konnten den Alarm zunächst nicht lokalisieren. Die Passagiere haben nichts mitbekommen. Für die war das eine Ansage wie jede andere.

Wie teilen Sie Ihren Kollegen Dinge mit, die nicht für Passagiere bestimmt sind?
Wir beherrschen das Zeigen mit den Augen gut. Das geht ganz schnell, kriegt keiner mit. Augen nach links, guck dir den da mal an. Ohnehin würde ich eine Kollegin oder einen Kollegen immer nur allgemein aufmerksam machen, wenn mir etwas komisch vorkommt. Die müssen von allein zum gleichen Schluss kommen. Wenn ich sage: Schau mal, der ist doch betrunken, würden sie das voraussetzen. Ich würde nie sagen: Es riecht nach Batterie. Ich würde fragen: Riechst du das?

Wie riecht Batterie?
Nach verschmortem Walkman.

Und was bedeutet der Geruch?
Alarm. Irgendwas verkohlt.

Das scheint häufiger zu passieren.
Meist ist das ein Fehlalarm. Einmal, auf einem Flug aus Asien nach Europa, roch das ganze Flugzeug nach Elektrobrand. Wie sich rausstellte, hatte ein Passagier eine Tüte voller Gewürze dabei, die für europäische Nasen ziemlich ungewohnt waren.

Wie oft waren Sie selbst an Bord in brenzligen Situationen, ohne den Passagieren etwas gesagt zu haben?
Drei, vier Mal. Im Winter habe ich mal auf einem Flügel Eis gesehen. Das hat mir im ersten Moment niemand geglaubt, das Cockpit sagte: Quatsch, wir wurden enteist, kann nicht sein. Und da hat sich dann herausgestellt, dass die Enteisung abgebrochen und das vom Bodenpersonal nicht kommuniziert wurde. Das wollten wir nicht in einem Flieger durchsagen, in dem 300 Menschen sitzen.

"Wenn es ganz schlimm wird, haben wir Handschellen an Bord"

Was machen Sie, wenn ein Passagier ausrastet?
Es gibt ein paar simple Griffe, die kriegt man beigebracht. Wie man jemandem den Arm auf den Rücken dreht. Wir lernen, Passagiere im Team zu überwältigen. Das klassische Beispiel ist immer der große Texaner, der zu viel getrunken hat und rumschreit. Den müssen wir mit vier Frauen im Team bändigen können. Wenn es ganz schlimm wird, haben wir Kunststoffhandschellen an Bord. Es muss jedoch viel passieren, bevor die zum Einsatz kommen. Ich war zum Glück nie in der Situation.

Kriegt man Betrunkene auch anders in den Griff?
Zuerst erkläre ich ihnen, dass sie ein bisschen einen über den Durst getrunken haben und besser auf Wasser umsteigen sollten. Wir müssen vor allem vermeiden, dass es eskaliert. Wenn uns jemand nicht mehr versteht, kann man tricksen. Dann gibt es nur noch einen winzigen Schluck Wodka für den Geschmack, den füllen wir mit Wasser auf. Oder wir bestreichen bloß den Becherrand mit Alkohol.

Das klingt, als hätten Sie es ausschließlich mit Betrunkenen und Pöblern zu tun gehabt – wird Ihnen auch mal was Nettes gesagt?
Ja, das ist das Schöne an dem Beruf – das direkte Feedback getaner Arbeit. In Boston hat mich ein junger Passagier, vielleicht Anfang 20, nach dem Flug seinen Eltern vorgestellt, weil ich so eine nette Flugbegleiterin gewesen sei. Das kommt von den unterschiedlichsten Gästen, Geschäftsleute, Familien. Ein guter Schnitt durch die Gesellschaft lobt – und genauso ist es mit denen, die man an die Wand klatschen möchte.

Passagiere haben die merkwürdigsten Unarten. Manche telefonieren im Flugzeug, andere schmuggeln Tiere im Handgepäck. Welche Marotten haben Sie erlebt?
Eine Mutter hat mal ihrem Kind auf dem Klapptisch am Sitz die Windeln gewechselt. Da essen andere! Mir dreht sich der Magen um, wenn die Reisenden ohne Schuhe zur Toilette gehen. Die wischen mit ihren Socken den Urin vom Boden auf. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Passagiere, sobald sie ein Flugzeug betreten, plötzlich ihr Gehirn abschalten. Die finden auf einmal die Toilette nicht mehr oder schaffen es nicht, eine ganz gewöhnliche Tür zu öffnen.

Klingt weitgehend harmlos.
Es geht schlimmer. Einen jungen Amerikaner musste ich einmal bitten, seinen Laptop auszuschalten. Der hatte ganz offen Pornos geschaut. Da waren Familien mit Kindern an Bord. Der wurde richtig sauer, empfand das als sein gutes Recht. Peinlich war ihm das gar nicht. Genau so wenig wie dem Teenager, der am Platz masturbiert hat.

Als besonders reinlich gelten Japaner, Inder haben angeblich die merkwürdigsten Extrawünsche. Können Sie schon an der Destination ablesen, ob der Flug anstrengend wird?
Das sind Stereotypen, aber die helfen mir manchmal, um mich vorzubereiten. Natürlich ist es immer etwas anderes, ob ich nach Tel Aviv fliege oder nach Nigeria oder in einer Urlaubsmaschine nach Florida. Indische Gäste sind sehr fordernd, aber auch furchtbar niedlich. Sie erkennen an, wenn man viel leistet. Doch einen Flug nach Indien schafft man nicht, ohne zwischendurch mit den Augen zu rollen. Du bist keine Minute allein und ständig zupft jemand an dir, sie haben ein anderes Verständnis von Privatsphäre. Japaner sind formvollendet freundlich, das muss ich dann aber auch erwidern. Ein direktes Nein wäre eine Beleidigung. Das kann man umschiffen. „Ich überprüfe das“, „Ich schaue, was sich machen lässt“.

In den USA hat die Flugbegleitergewerkschaft AFA kürzlich eine Umfrage durchgeführt. Demnach gaben 69 Prozent Ihrer Kolleginnen an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Ist es wirklich so schlimm?
Den vermeintlich typischen Klaps auf den Po habe ich noch nicht erlebt. Aber schon, dass jemand mir eine Visitenkarte zusteckt oder einen Spruch bringt. Ich habe dann einfach sehr unterkühlt reagiert. Das ist schwierig, weil es ja zum Job gehört, freundlich zu sein. Vielleicht nimmt man als Stewardess ein bisschen mehr schweigend hin, schon allein, um den Flug sicher zu Ende zu bringen. Doch alles hat Grenzen. Und wenn es erst beim Aussteigen passiert, kann ich anders antworten als beim Start.

"Ich fing den Job ziemlich naiv an"

Flugbegleiterin Friederike Sandow.
Flugbegleiterin Friederike Sandow.

© Kai-Uwe Heinrich

Haben Sie schon mal jemandem ins Essen gespuckt?
Nein. Und selbst wenn ich jemandem eins auswischen wollte, es steht ja kein Name drauf. Das Essen wird so verteilt, wie es im Wagen steht. Ich habe auch noch nie in ein Getränk gespuckt.

Die Arbeitszeiten sind ungeregelt, die Arbeitsabläufe monoton, dazu der ständige Jetlag und die Bezahlung ist auch nicht sensationell. Was hat Sie an dem Job überhaupt gereizt?
Ich habe den Beruf ja nicht gewählt, weil ich so gern Getränke serviere. Ich wollte die Welt sehen. So kam ich an Orte, da wäre ich privat nie auf die Idee gekommen, hinzureisen. Äthiopien zum Beispiel oder Teheran. Dort hat mir ein Perser spontan die Stadt gezeigt, in Sankt Petersburg bin ich mit einem russischen Opa Arm in Arm über den vereisten Gehweg geschlittert, um nicht zu fallen. Im Flieger trifft man auf Passagiere, die man wegen Heimweh tröstet, mit anderen feiert man die Hochzeitsreise oder einen Geburtstag.

Waren Sie stolz auf Ihren Beruf?
Als ich den Job Vollzeit gemacht habe, fiel es mir schwer zu sagen, dass ich Flugbegleiterin bin. Die Leute denken, man hat nichts auf dem Kasten. Das merke ich ja schon daran, wie Passagiere mit einem umgehen. Wenn der Flieger Verspätung hat, heißt es: Na, hast dich wohl zu lange geschminkt. Dabei habe ich sehr selten Flugbegleiter kennengelernt, die in diese Schublade passten. Viele von ihnen haben in ihrem früheren Leben krasse Sachen gemacht, waren Ärzte, haben Politik studiert, sprechen sechs Sprachen, oder machen den Job einfach aus Liebe zum Fliegen, und das sehr kompetent.

In den 1930er Jahren wurden Stewardessen Sky Girls genannt, die Piloten redeten kein Wort mit ihnen. Ist das heute ein Verhältnis auf Augenhöhe?
Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, ein Pilot hat die Crew mal mit einer Trillerpfeife zusammengehalten. Ich habe mich gefühlt wie in einer kleinen Hundeherde. Das Team versteht sich jedoch viel mehr als Schwarmintelligenz. Wir sind fürs Cockpit die Augen und Ohren für alles, was hinten im Flieger passiert. Darauf verlassen sie sich, und umgekehrt wir uns auf sie.

Wer Sex über den Wolken hatte, kann sich rühmen, zum inoffiziellen „Mile High Club“ zu gehören. Wie oft passiert das?
Es passiert. Genau genommen ist das strafbar, Erregung öffentlichen Ärgernisses. Wie das verfolgt wird, liegt im Ermessen des Pursers, des Chefs der Kabinencrew, in Abstimmung mit dem Kapitän. Wir Flugbegleiter sind ja angehalten, die Waschräume regelmäßig zu überprüfen. Aus Brandschutzgründen, und es könnte ja jemand ohnmächtig am Boden liegen. Wir hatten mal so einen Fall, da war der Purser ohnehin gut gelaunt. Ein Paar hatte sich in der Toilette eingeschlossen. Die Info ging dann wie ein Lauffeuer übers Bordtelefon von einem Flugbegleiter zum nächsten. Wir haben aufgepasst, dass sich keine Kinder in der Nähe befinden, die das mitbekommen könnten. Drei Kolleginnen haben sich mit einer Flasche Sekt vor die Tür gestellt und gewartet, um die beiden zu beglückwünschen. Das Paar war auf dem Weg in die Flitterwochen.

Auch unter Crew-Mitgliedern soll es häufiger mal knistern.
Ich fing den Job ziemlich naiv an und habe eine Weile gebraucht, bis ich gecheckt habe, dass da wirklich viel passiert. Du bist in einer Schicksalsgemeinschaft für vielleicht drei Tage zusammen. Es ist furchtbar easy, fremdzugehen.

Ihr bisheriger Lieblingsgast?
Ich musste Moritz Bleibtreu mal wachstreicheln, weil er auf seinem Gurt eingeschlafen war. Aber das Größte war, als ich mit Kofi Annan fliegen durfte. Da war ich so aufgeregt. Ich habe Politik studiert und Arbeiten über ihn geschrieben, er war für mich ein Held. Ich habe einen Kollegen gebeten, ob wir tauschen könnten, dass er meine Schicht in der Economy übernimmt, damit ich Annan in der Businessclass bedienen kann.

Wie war er?
Mega nett. Ich konnte ihm kurz erzählen, was er mir bedeutet. Das war aber erst mitten im Flug, ich brauchte eine Weile, bis ich mich getraut habe. Dann hat er mir die Hand geschüttelt und die andere noch oben draufgelegt und ich meine auch noch, das gab einen Wulst aus unseren Händen. Danach musste ich in die Bordküche gehen, habe alle Türen zu den kalten Getränkewagen aufgerissen und mich erst mal davorgelegt, um die Aufregung runter zu kühlen.

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