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Kaputtes Glück. Was von der Hochzeitstorte übrigblieb.

© picture alliance / dpa

Gefährliche Liebe: Wenn die Liebe fast mit dem Tod endet

Marion will sich trennen, Christian will das nicht. Er ersinnt einen perfiden Plan.

Marion will die Scheidung. Ausgerechnet am Muttertag teilt sie Christian ihren Entschluss mit. Die Probleme der beiden drehen sich unter anderem darum, dass sie nicht schwanger wird und darunter leidet, keinen Kontakt zu Christians Tochter aus erster Ehe haben zu dürfen – seine Exfrau blockiert das. Marion wäre gern Mutter, Christian ist bereits Vater.

Sie ist genervt von seiner Eifersucht und enttäuscht, weil er sie mit ihrer Immobilienfirma kaum unterstützt. „Ich habe das Gefühl, ich habe einen großen Jungen an meiner Seite“, sagt sie Christian an jenem Abend. „Ich hätte gern einen Mann.“ Sie führen ein gutes Leben. In einer Göttinger Villengegend bewohnen sie einen Bungalow, versteckt hinter dichten Hecken und hohen Bäumen. Als Marion die Immobilienanzeige im Internet las, wusste sie, der würde Christian gefallen. Was sie nicht ahnte: dass sie beinahe darin umkommen würde.

Es war Liebe auf den ersten Blick

1999 hatte sich das Paar beim Betriebswirtschaftsstudium kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick, die aus Vorsicht gegenüber den jeweils anderen Partnern zunächst nur eine Affäre blieb. Eine Liebelei, die immer wieder aufloderte, bis Marion den Geliebten vor die Wahl stellte und Christian sich gegen seine damals hochschwangere Freundin entschied. Er zog zu Marion. Sie wollte er heiraten, mit ihr wollte er alt werden.

Im Sommer 2008 beziehen der 37-jährige Makler und seine fünf Jahre jüngere Frau ihren Bungalow. Sechs Jahre später steht Christian mit Rose und Gitarre im Hauseingang und begrüßt seine Frau mit einem Lied. An Marions Entscheidung ändert das nichts: Sie will ihn verlassen.

Die Aussicht auf Trennung schockiert Christian, er schwankt zwischen Apathie und Hoffnung. Ließe sich nicht doch alles ändern? Auf dem Dachboden findet er eine Weinflasche, ein Hochzeitsgeschenk. „Für einen besonderen Moment“, steht auf dem Etikett. „Komischer besonderer Moment“, denkt er. Er bringt die Flasche ins Wohnzimmer, beide trinken, reden, stundenlang, erschöpft schlafen sie ein.

Noch ein gemeinsamer Urlaub

Der Alltag läuft zunächst weiter wie bisher. Gemeinsam besucht das Paar einen Tanzkurs, gemeinsam verbringt es den Urlaub auf Fuerteventura, so wie jedes Jahr. Sie verspricht sich davon klärende Gespräche außerhalb ihrer gewohnten Umgebung, einen Schlussstrich unter die vergangenen Jahre. Am vorletzten Urlaubstag schlafen sie miteinander.

Christian schöpft Hoffnung. Doch zwei Wochen nach ihrer Rückkehr wird diese zerstört. Marion erzählt ihm vom Besuch beim Scheidungsanwalt und zieht ins Souterrain. Wütend verbrennt er auf der Terrasse die Hochzeitskerze. Er verlangt von seiner Frau, dass sie bitte seine Mutter von der Trennung unterrichten soll. Wenn diese einen Herzinfarkt bekomme, sei Marion schuld daran.

Auf dem Dachboden hat Christian einen kleinen Schießstand. Dort kommt ihm eine Idee, als er das Bleipulver an seinen Händen sieht: Was, wenn er Marion krank machen würde? Sie könnte ihn dann nicht verlassen und er ihr beweisen, wie sehr sie ihn bräuchte. Er begibt sich an seinen Rückzugsort, ein Gartenhaus, das ihm sein Vater vererbte. Ungestört entfernt er hier die bleihaltigen Geschossköpfe von den Patronen, legt sie in Essigsäure, fügt Wasserstoffperoxid hinzu und verkocht das Gemisch über einem Bunsenbrenner. Die gräuliche Masse zerstößt er zu Pulver.

Zuerst schmerzen die Fußsohlen

Er schlägt Marion nun öfters vor, zusammen ein Glas Wein zu trinken. Jeder der beiden Eheleute hat seine Lieblingssorte. In ihre Flaschen gibt er jeweils eine gute Messerspitze Bleiacetat. Der Sommer hat gerade begonnen. Es sind harmonische Abende, die sie auf der Terrasse ihres Hauses verbringen.

Zunächst schmerzen ihre Fußsohlen und Kniekehlen. Marion schiebt es auf die Feuchtigkeit im Souterrain. Als sie von Unterleibskrämpfen geschüttelt wird, glaubt sie, die neue Spirale sei schuld. Später erbricht sie sich mehrmals täglich. Sie verliert ein Viertel ihres Gewichts. Alles tut ihr weh. Sie fühlt sich so matt, dass sie nicht einmal mehr die Autokupplung betätigen kann. Die ehrgeizige Frau muss Termine absagen, sie verliert Kunden.

Anfang Juli 2014 verbringt sie ein paar Tage im Krankenhaus. Ihre Gebärmutter ist entzündet, die Spirale wird entfernt, die Schmerzen bleiben. Aufgrund der Trennung schließen die Ärzte eine psychische Ursache nicht aus. Marion müsse ihre Gefühle stärker zeigen. Sie empört sich: „Ich habe doch völlig offen gesagt, ich trenne mich. Was sollte ich denn da verpacken?“

Marion beschließt, ihr Göttinger Zuhause für eine Weile zu verlassen. Sie hat ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, weiterhin mit Christian unter einem Dach zu leben. Sie ahnt, dass er sie nicht einfach gehen lassen wird. Der labile Mann kann mit Kränkungen schlecht umgehen. In Kassel besitzt er ein Mehrfamilienhaus, eine Mieterin hat gerade ihre Dachgeschosswohnung gekündigt, Marion will die günstige Gelegenheit nutzen, um rasch Abstand zwischen sich und Christian zu bringen.

"Denken Sie an eine Vergiftung?"

Kaputtes Glück. Was von der Hochzeitstorte übrigblieb.
Kaputtes Glück. Was von der Hochzeitstorte übrigblieb.

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Sie packt ihre Sachen, darunter diverse Kochzutaten wie Brühpulver und Salz, die Christian bereits vorsorglich mit Bleiacetat versetzt hat. Genauso wie das Mucozink. Dieses Nahrungsergänzungsmittel nimmt Marion auf Empfehlung ihrer Stiefschwester, es soll ihr Immunsystem stärken. Drei Mal täglich nimmt sie einen gehäuften Teelöffel des vergifteten Präparats. Beim Umzug helfen Freunde, Handwerker stellen ihre Möbel auf. Sie selbst kann nur noch im Bett liegen.

Wieder begibt sie sich ins Krankenhaus. Leidet sie an einer Autoimmunerkrankung? An Hepatitis? An HIV? Nach etlichen, teils schmerzhaften Untersuchungen entdecken die Ärzte eine Veränderung der Gebärmutterschleimhaut. Auf Blei wird ihr Blut nicht getestet. Solch eine Vergiftung ist so selten, dass nicht standardisiert nach ihr gesucht wird. Den typischen schwarzen Saum am Zahnfleischrand bemerken die Ärzte noch nicht.

Sie will in ihrem Haus genesen

Marion glaubt erst einmal, die Ursache ihrer Leiden zu kennen. Sie will so bald wie möglich und in Ruhe in ihrem Haus genesen. Marions Anwalt schreibt ihrem Mann, er solle ausziehen. Mit diesem Brief in der Hand weiß Christian, dass er alles verloren hat: seine Ehefrau und sein Zuhause. Er braucht sich keine finanziellen Sorgen zu machen, als Immobilienverwalter eines großen Konzerns verdient er sehr gut. Was ihn quält, ist die Demütigung, als Verlierer dazustehen. Ein Gedanke lässt ihn nicht mehr los: „Jetzt bringe ich sie um.“

Ihm fallen die alten Schalter mit dem Quecksilber ein, die er sich vor Wochen über Ebay besorgt hat, nachdem er von einem Mann aus Zittau gelesen hatte, der in der leer stehenden Nachbarwohnung seiner Exfrau einen Elektrokocher installiert und darauf eine Blechbüchse mit Quecksilber gestellt hatte. Mittels Zeitschalter erhitzte der rachsüchtige Mann das Schwermetall in den Nachtstunden. Die giftigen Dämpfe leitete er – mithilfe einer umgebauten Aquariumpumpe – über einen Schlauch ins Schlafzimmer, in dem seine Ex, deren neuer Freund und sein eigener kleiner Sohn schliefen. Nach drei Wochen wurde die perfide Anlage von Monteuren entdeckt.

Er zieht das Quecksiber auf eine Spritze

Diese Horrorgeschichte inspiriert Christian. Er zieht das Quecksilber auf eine Spritze. Während seine Frau wochenlang kuren muss, begibt er sich in den Bungalow und platziert das Gift in jedem Winkel: auf dem Aktenvernichter im Büro, in den Schlitzen der Schrauben, mit denen die Heizkörper befestigt wurden, und neben ihrem Bett. Er verteilt es reichlich, allein im Toaster landen 26 Gramm. Christian präpariert sogar das Auto und hinterlässt Quecksilber im Lüfter und unter den Fußmatten.

Vier Wochen dauert Marions Kur. Sie wundert sich über die anderen Patientinnen mit gleicher Diagnose, die alle so aufgedunsen sind, während sie abgemagert aussieht. Und wenn sie mühsam um einen Teich kriecht, überholen sie die anderen Patientinnen mit ihren Rollatoren.

Unterdessen lernt Christian auf einem Herbstfest eine neue Frau kennen. Zunächst fällt es ihm schwer, sich auf eine neue Beziehung einzulassen, trotzdem schläft er mit ihr. An Marion, die nun im Bungalow lebt, simst er mit unterdrückter Nummer: „51“. Die Empfängerin weiß, dass ihr Gatte die Frauen zählt, mit denen er Sex hat, und ihr auf diese Weise von einer Eroberung berichten will. Das Gefühl der Kränkung ist bei ihm noch größer als das der Verliebtheit. Seine Giftdosen verteilt Christian deshalb weiter. Diesmal verspritzt er das Quecksilber im Zweitwagen, den er Marion anschließend in die Garage stellt.

Der Arzt stutzt über die Blutwerte

Ende Oktober 2014 sucht die Kranke ihren Arzt auf. Der stutzt über ihre Blutwerte. „Denken Sie an eine Vergiftung?“, fragt die Patientin. Der Arzt nickt. Einen Tag vor der toxikologischen Untersuchung will Marion Sonntagsbrötchen in ihrem Ofen aufbacken. Sie erwartet Besuch und überlegt, den Ofen ein bisschen zu säubern. Mit der Hand fegt sie die Krümel zusammen, bis sie etwas Glitzerndes entdeckt. Die Substanz bewegt sich auch noch! Ist sie völlig verrückt geworden? Sie schickt Fotos an Christian und schreibt: „Hast du mit dem Backofen experimentiert?“ Er antwortet: „Sieht aus wie Quecksilber. Komisch.“

Als Marions Arzt schließlich erhöhte Bleiwerte feststellt, wendet sie sich an die Polizei. Einige Tage später entdeckt diese auch das Quecksilber in den Autos. Dennoch wird der Verdächtige nicht sofort verhaftet. Die Polizei will erst das Ergebnis eines Gutachtens abwarten. Um Christian seine Taten eindeutig beweisen zu können, hören die Beamten sein Telefon ab und observieren ihn. Marion soll ihn in Sicherheit wiegen. Wochenlang muss sie so tun, als sei sie wieder im Krankenhaus. Sie versteckt sich vor ihrem Mann, belügt ihre Freunde und lebt in permanenter Angst vor neuem Unheil, bis Christian im Dezember 2014 endlich festgenommen wird. Auf seinem Computer finden die Ermittler Hinweise auf Recherchen nach „Bleiacetat“ und „Quecksilber“.

Marion versucht, wieder gesund zu werden. Die Schwermetalle werden medikamentös aus ihrem Körper geleitet. Während der Therapie schwellen Schleimhäute, Lippen und Gesicht an. Ihre Augen tränen ständig. Weil ihre Gelenke schmerzen, kann sie kaum laufen.

Das 13-fache der normalen Bleimenge

Dennoch hat sie großes Glück: Obwohl sie das 13-fache der normalen Bleimenge im Blut hatte und das 140-fache an Quecksilber, scheint es keine gesundheitlichen Spätfolgen bei ihr zu geben. Psychisch sieht es anders aus: Sie schläft schlecht, es fällt ihr schwer, jemandem zu vertrauen. Eine Therapie soll ihr nun helfen. Die Schulden, die sie aufgrund ihrer Krankheit angehäuft hat, wird sie mit dem Vermögen ihres mittlerweile von ihr geschiedenen Mannes tilgen. Sie soll dessen Häuser bekommen – als Zugewinnausgleich, Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Christian wird zu elfeinhalb Jahren Haft verurteilt. „Es hätte der perfekte Mord werden können“, findet der Vorsitzende Richter. Marions Leiche wäre nicht obduziert worden, denn lange gab es keinerlei Hinweise auf eine Schwermetallvergiftung. „Magersucht aufgrund psychischer Belastung durch die Trennung“ hätte man als Todesursache angenommen.

Sein Geständnis und die Wiedergutmachung bewahren Christian vor einem Richterspruch, der eine besonders schwere Schuld festgestellt und damit mehr als 20 Jahre Gefängnis bedeutet hätte. So darf er hoffen, nach etwa acht Jahren Haft wieder die Freiheit zu erlangen. Ob seine neue Verlobte, die Nummer 51, ihm treu bleiben wird? Und falls nicht, wie wird Christian diesmal reagieren? Wird er dann wieder denken: „So einen wie mich verlässt man nicht“?

Sein Traumhaus, in dem er sechs glückliche Jahre verbrachte, durfte er behalten. Marion will es nie wieder sehen.

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