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Homosexualität: Ecce homo

Ihrer Liebe wegen wurden sie verfolgt und getötet. Nun gedenkt ein Mahnmal der Opfer und kündet vom schwulen Selbstbewusstsein

Anne Will hat es Boulevardjournalisten in die Blöcke diktiert. Guido Westerwelle brachte seinen Freund einfach mit zur Geburtstagsfeier von Angela Merkel. Und Mirjam Müntefering schrieb ihren Eltern einen Brief. Am Ende war’s bei allen raus, und das Versteckspiel hatte ein Ende. Homosexuell zu sein muss heute kein Drama mehr bedeuten.

Am Dienstag gibt es in Berlin einen Festakt, der dieses Bild zu bestätigen scheint. 450 Gäste werden am Tiergarten ein neues Denkmal enthüllen. Der Kulturstaatsminister von der CDU hat es aus seinem Etat bezahlt, der schwule Regierende Bürgermeister von der SPD wird dabei sein, und Bernd Neumann und Klaus Wowereit werden das ebenfalls schwule Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset zu ihrem Entwurf beglückwünschen – dem Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen.

Auch Albert Eckert wird eine kurze Rede halten. Er ist Vertreter der Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“. Die Idee, sich für ein Denkmal auszusprechen, entstand 1992, als sich der Bau des Holocaust-Mahnmals bereits abzeichnete. „Damals war die Zeit noch nicht reif, ein Denkmal für alle Opfergruppen einzurichten“, sagt Eckert. Also kümmerte er sich mit anderen darum, die Erinnerung an die schwulen NS-Opfer wachzuhalten.

Nach dem Holocaust-Mahnmal ist das neue Denkmal das zweite, mit dem sich die Bundesrepublik ein dauerhaftes steingewordenes Bekenntnis in die Hauptstadt stellt. Für die Verantwortung gegenüber den Opfern und die Schuld für das erlittene Unrecht. Der Bundestag hat sich 2002 bei den Opfern entschuldigt und die Urteile der NS-Justiz aufgehoben.

Das hat bei den Homosexuellen viel länger als bei den anderen Opfern der Nazi-Diktatur gedauert. Und anders als bei anderen Opfern leben in Deutschland nach wie vor schwule Männer, die nach dem Nazi-Paragrafen wegen ihrer Homosexualität verurteilt und bis heute nicht entschädigt worden sind. Denn sie standen erst nach Kriegsende vor Gericht.

Die Bundesrepublik hatte aber den Strafrechtsparagrafen 175, der Homosexualität seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 kriminalisierte, in der von den Nazis verschärften Fassung unverändert übernommen. „Es gibt Fälle, in denen ehemalige KZ-Häftlinge nach ihrer Befreiung wieder festgenommen wurden, um ihre ‚Reststrafe‘ abzusitzen“, sagt der pensionierte Bundesanwalt Manfred Bruns, heute im Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD.

Diese Opfer scheuen bis heute die Öffentlichkeit. Sie werden auch bei der Feierstunde fehlen. Genauso wie Zehntausende andere, die von der bundesdeutschen Justiz bis 1969 nach Paragraf 175 verurteilt worden sind. So lange bestand das homosexuellenfeindliche Strafgesetz fort. Nicht nur der Beischlaf wurde geahndet, der bloße Verdacht reichte aus, sich ein Verfahren einzuhandeln.

Und die Kriminalpolizei entwickelte auch in der Bundesrepublik einen erstaunlichen Eifer bei der Suche nach Verdächtigen. Über 100 000 Verfahren wurden eingeleitet, 50 000 Schwule mussten ins Gefängnis. Große Städte wie Berlin oder Düsseldorf richteten Sonderdezernate ein, die sogenannte rosa Listen führten. Beamte postierten sich vor den Wohnungen von Verdächtigen und schrieben Protokolle: Wer kommt, wer geht, und wer bleibt wie lange? Festnahmen wurden in der Ära Adenauer gerne auch am Arbeitsplatz vorgenommen. Selbst wenn es nicht zu einer Verurteilung kam, war der Ruf des Verdächtigen dahin, der Job meistens weg und die Existenz zerstört.

Eine Wiedergutmachung für diese Opfer wird es aber nicht geben. Auch keine Entschuldigung. Denn das Bundesverfassungsgericht urteilte 1957, dass der Paragraf 175 auch in der Nazi-Fassung kein Verstoß gegen das Grundgesetz darstelle. „An diesem Urteil kommt der Bundestag nicht vorbei“, sagt Bruns. Tatsächlich hat sich das Gericht aber korrigiert, als es 2002 befand, dass die Homo-Ehe ebenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar sei. „Das war ein ganz wichtiger Schritt zur Gleichberechtigung“, so Bruns. Und damit ist eine paradoxe Situation da: In Deutschland leben noch immer rechtskräftig verurteilte Homosexuelle, die heute eine staatlich geschützte gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingehen könnten.

War das Gesetz im Nationalsozialismus und im Nachkriegsdeutschland identisch, die Folgen für die Verurteilten waren es nicht. Im sogenannten Dritten Reich waren Schwule an Leib und Leben bedroht. „Besonders schwere Fälle“ (Gesetzestext) erhielten die Todesstrafe, andere sollten sich „freiwillig“ (Aktennotiz) kastrieren lassen. Schon kurz nach der Machtübernahme 1933 brachten die Nazis die ersten als homosexuell stigmatisierten Häftlinge in eines der frühen Konzentrationslager in Hamburg-Fuhlsbüttel.

Schwule waren Staatsfeinde, weil sie nach der Nazi-Ideologie Zeugungskraft vergeudeten. Geschätzt 10 000 saßen bis 1945 in Konzentrationslagern, zehnmal so viele in Zuchthäusern. Tausende überlebten die Folgen der Haft nicht oder wurden bei gezielten Mordaktionen getötet. Eine davon traf 200 Homosexuelle im Juli 1942. Im Klinkerwerk, einem Außenposten des KZ Sachsenhausen, wurden sie „auf der Flucht“ erschossen.

„Wir mussten uns das Wissen um die Verfolgung erst selber aneignen“, sagt Albert Eckert, „denn es war tatsächlich eine Opfergruppe, die stets verschwiegen wurde.“ So wehrten sich 1979 die Berliner Verkehrsbetriebe BVG lange dagegen, dass eine Gedenkplakette mit der Aufschrift „Totgeschlagen, totgeschwiegen“ an den U-Bahnhof Nollendorfplatz montiert werden sollte. Die Politik im zuständigen Bezirksamt setze sich durch, zur Enthüllung schickte die BVG aber keinen offiziellen Vertreter. 1985 wehrte sich die Lagergemeinschaft des KZ Dachau gegen die Idee von bayerischen Homoverbänden, der schwulen Opfer mit einer eigenen Tafel zu gedenken, und das, obwohl Bundespräsident Richard von Weizsäcker im selben Jahr die homosexuellen Opfer in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes erwähnte.

„Das Mahnmal in Berlin kommt unglaublich spät“, sagt Eckert. Dabei fanden er und seine Mitstreiter schnell Unterstützer: Lea Rosh, Paul Spiegel, den damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Günter Grass und Christa Wolf.

„Das Signal, von anerkannten Persönlichkeiten Rückenwind zu bekommen, war sehr wichtig“, erklärt Eckert. Auch aus der Politik hat es nicht an unterstützenden Absichtserklärungen gemangelt. „Mit diesen Briefen hätte ich Wände tapezieren können“, erinnert er sich, „wir sind von einer Welle des Wohlwollens geradezu erdrückt worden.“ Allein, getan haben am Ende nur offen schwule Politiker etwas.

Für Eckert ist das symptomatisch: Eine erklärte Gegnerschaft der Homosexualität gibt es nicht mehr, aber am bekennenden Mut mangelt es immer noch. So ist Eckert bis heute wütend, dass die Unionsfraktionen den Bundestagsbeschluss zum Bau des Homo-Mahnmals im Jahr 2003 nicht mitgetragen haben.

Und es gab auch Streit. Alice Schwarzer und die Redaktion der „Emma“ unterstellten der Initiative und den Künstlern Dragset und Elmgreen, beim Gedenken die Frauen vergessen zu haben. Stein des Anstoßes war ein Endlos-Video, das die Künstler auf einem kleinen Monitor zeigen wollen, der in der Stele eingebaut ist. Auf dem Video küssen sich zwei Männer.

Und was ist mit den Frauen? Eine Kontroverse brach los. Tatsächlich waren vom Terror der Nationalsozialisten ausschließlich Männer betroffen. Ihnen galt der Paragraf 175. Sie waren eine der Zielgruppen der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“. Überlegungen, die weibliche Homosexualität ebenfalls unter Strafe zu stellen, setzten sich 1934 nicht durch. Die Strafrechtskommission des Reichsjustizministeriums entschied, dass lesbische Frauen durchaus zu Geschlechtsverkehr mit Männern in der Lage seien und so keine Zeugungskraft verloren ginge.

Die Initiative war sich dieses Problems bewusst. „Wir fragten uns: Wie können wir die unterschiedlichen Lebenssituationen schwuler Männer und lesbischer Frauen abbilden?“, erklärt Eckert. Eine systematische Verfolgung von Lesben in der NS-Zeit zu beschreiben, kam nicht infrage. „Das wäre Geschichtsklitterung“, so Eckert, „gleichzeitig wollten wir nicht aus den Augen verlieren, wie eingeschüchtert und eingeschränkt Lesben lebten und auch noch heute leben.“

Ein Kompromiss war schnell gefunden. Statt des immer gleichen Videos werden die Filme im Zweijahresrhythmus wechseln. Nicht ausgeschlossen, dass sich auch zwei Frauen im Homo-Monument küssen werden. Für Eckert ist das kein Kompromiss, sondern eine Weiterentwicklung, die ihn geradezu begeistert: „Wir werden nun alle zwei Jahre über einen neuen Film entscheiden und haben damit ein Denkmal, das sich selbstbewusst immer wieder ins Gespräch bringt.“ Denn neben der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus verpflichtet sich die Bundesrepublik im Text der Gedenktafel auch, „Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schwulen und Lesben entschieden entgegenzutreten“.

„In vielen Teilen dieser Welt“, heißt es auf der Tafel weiter, „werden Menschen wegen ihrer sexuellen Identität heute noch verfolgt, ist homosexuelle Liebe strafbar und kann ein Kuss Gefahr bedeuten.“ Ein solcher Teil der Welt ist zum Beispiel der Iran, und die Verpflichtung der Gedenktafel könnte schon sehr bald auf die Probe gestellt werden.

Seit über einem Jahr versucht die Iranerin Yasmin K. deshalb in Berlin Asyl zu erhalten. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat sich geweigert, ein Bleiberecht zu unterschreiben. Derzeit wird die Frau in Berlin nur toleriert, bis das Landgericht in ihrer Sache entscheidet. In Großbritannien hat ein Gericht jetzt befunden, dass ein iranischer Student bleiben kann. Sein Freund war im Heimatland wegen seiner Homosexualität hingerichtet worden, und der Mann befürchtete, das gleiche Schicksal zu erleiden, wenn er in den Iran zurückkehrt.

Die Möglichkeit zur Flucht hatten im Nationalsozialismus nur die wenigsten Homosexuellen. Christopher Isherwood beschrieb in seinem Buch „Goodbye to Berlin“ das Leben in der weltoffenen und toleranten Metropole am Vorabend der Machtübernahme durch die Nazis. In der ganzen Stadt gab es Homo-Lokale; mondäne im feinen Westen rund um die Tauentzienstraße; legendäre wie das „Eldorado“ an der Schöneberger Motzstraße; und rustikale, wie die Dielen in Mitte rund um die Friedrichstraße. Außerdem traf man sich im Tiergarten oder am Strandbad Wannsee.

Eine liberale Einstellung zur Homosexualität kennzeichnete das Leben in Berlin über Jahrzehnte. Und immer wieder gab es Versuche, den Paragrafen 175 komplett zu streichen. Schon August Bebel signalisierte, die Idee zu unterstützen, doch ging seiner Sozialdemokratischen Partei der Reformeifer verloren.

Beharrlicher arbeitete der Sexualforscher Magnus Hirschfeld, der 1897 in Berlin ein Wissenschaftlich-humanitäres Komitee (WhK) gründete. Das WhK gilt als die erste offizielle Homosexuellenorganisation in Deutschland. Hirschfelds Petition, den Paragrafen 175 zu streichen, stand 1929 kurz vor dem Erfolg, als sich der Strafrechtsausschuss des Reichstages dafür aussprach. Bis ins Parlament reichte der Mut jedoch nicht. Die Parteien der Weimarer Koalition, die die Demokratie stützten, hatten keine Mehrheit mehr. Der Paragraf blieb.

Erst 1969 wurde er in der Bundesrepublik (in der DDR schon ein Jahr zuvor) entscheidend reformiert und entschärft, just zwei Monate nach einer Randale in einer kleinen Straße in New York. In der Christopher Street im Greenwich Village wehrten sich im Juni 1969 Homosexuelle erstmals gegen eine Razzia in der Bar „Stonewall Inn“.

Es brauchte aber noch einmal vier Jahre, bis auch in Deutschland die homosexuelle Emanzipationswelle richtig loslegte. Anlass dafür war ein Film, ausgestrahlt im Spätprogramm der ARD, aus dem sich der Bayerische Rundfunk aus Protest ausklinkte. „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ nannte Regisseur Rosa von Praunheim seinen Film.

Nach der Sendung entstanden nach und nach Interessengruppen, wurden erste Demonstrationen organisiert, die später unter dem Namen „Christopher Street Day“ zum alljährlichen Ritual wurden. Zum großen Durchbruch reichte es aber noch nicht. Stattdessen gab es den letzten großen politische Skandal im Zusammenhang mit Homosexualität. 1983 war Bundeswehrgeneral Günter Kießling von Verteidigungsminister Manfred Wörner vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden, weil er angeblich schwul, damit erpressbar und ein Sicherheitrisiko sei. Die Affäre endete mit der Rehabilitierung Kießlings. Das Thema Homosexualität eignete sich nur noch bedingt als Grundlage für Skandale.

Dass es so weit kam, lag weniger an der Lobbyarbeit der noch schwachen Homosexuellenverbände als am Aufkommen einer tödlich verlaufenden Krankheit, die zunächst „Schwulenseuche“ genannt wurde. Tragisch, aber wahr: Ausgerechnet die Aids-Epidemie ließ zehntausende Schwule, ob freiwillig oder nicht, selbstbewusst auftreten und ihre Rechte einfordern. Plötzlich gab es überall Aids-Hilfen, die ihre Forderungen postulierten, und Politiker, die mit Schwulen über die Lebenswelt der Homosexuellen und die gleichgeschlechtliche Liebe sprachen. Die Aids-Gala in der Deutschen Oper zählt heute zu den wichtigsten gesellschaftlichen Ereignissen Berlins.

Diese Selbstverständlichkeit lässt sich auch anderswo ablesen: an der Organisation „Lesben und Schwule in der Union“, zum Beispiel oder dem Verein „Homosexuelle und Kirche“, der sich derzeit auf dem Katholikentag selbstbewusst präsentiert. Das neue Denkmal steht auch dafür: von der mahnenden Toleranz zur gelebten Toleranz.

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