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© Mauritius

Kulturgut in Gefahr: Buchhandel: Vernetzt, verramscht - verloren?

Das Internet, die Technik, die Gier und die Verramschung greifen ein einst heiliges Gut an: das Buch. Der Handel steckt in der Krise.

Wenn die Krise am größten ist, kann das Feuilleton nicht schweigen. Also erinnerte sich dieser Tage der Kulturredakteur an ein altes Buch, in dem die Rede ist von Börsenspekulationen und ihren ahnungslosen Opfern, von Aktien und Verfall, Reichtum und Verlust, Macht und Ohnmacht: „Das Geld“, „L’Argent“ von Zola. Émile Zola, mindestens in bibliophilen Kreisen kennt man den Herrn. Romancier des 19. Jahrhunderts, ansässig in Paris, Chronist gleichermaßen des Bürgertums wie des Proletariats, Autor unter anderem von „Germinal“ und Verfasser von „J''accuse“, der damaligen Streitschrift wider die Dreyfuss-Affäre und dem heutigen geflügelten Wort.

Nun war unserem Kulturredakteur der Band gerade nicht zur Hand, weswegen er den nahe gelegenen Buchhandel kontaktierte. Nicht irgendeinen, sondern eine der 33 bundesweiten Filialen von Hugendubel, dem Branchenriesen mit 250 Millionen Euro Jahresumsatz. „Mhm“, sagte der erste Gesprächspartner im Laden, „mhm, tja, da muss ich Sie mal weiterverbinden.“ Zola, sagte der zweite Gesprächspartner im Laden, vielleicht sagte er auch „Sola“ oder meinte „Soler“, „Zola?, finde ich nicht, Geld, sagen Sie? Schaue ich am besten mal unter Ratgebern nach.“

Nur die Anekdote einer kleinen Wissenslücke? Oder doch schon Konsequenz aus einer gewaltigen Umstrukturierung des Handels mit Büchern? Seit Großhändler wie Thalia, Weltbild oder Hugendubel sich anschicken, die Macht über die Mächte des Buches zu erobern, klagt die Branche über die Umwandlung des Buchladens zum Discounter, über die Demontage des Berufsstandes des Buchhändlers, dessen Kenntnisse scheinbar nicht mehr benötigt werden und der am Ende Zola eben nicht mehr kennt. Und sie klagt, nicht weniger, über die Verramschung des Kulturgutes Buch.

Dass das Buch Kulturgut ist, wird niemand ernsthaft bestreiten, selbst wenn zu berücksichtigen ist, dass zwischen zwei Pappdeckel auch die Einlassungen von Dieter Bohlen passen, oder „Nichtrauchen – leicht gemacht“, alle erdenklichen Verschwörungstheorien, und auch ist zu bedenken, dass das kulturelle Gut von „Mein Kampf“ nicht zu ermitteln ist. Aber auch bedrucktes Klopapier kann nicht dementieren, dass das Buch Kulturgut ist, das durch die Buchpreisbindung geschützt ist und durch einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz subventioniert wird.

Es ist Geheimnis und geheimnisvoll, manchmal erschreckend, oft verwunschen wie zum Beispiel in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ oder zuletzt im „Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafón. Und seine Bewahrer sind die Buchhändler, Bukinisten, Antiquare, die Männer und Frauen in den „geistigen Tankstellen“, wie Altkanzler Helmut Schmidt einmal die Buchläden nannte.

„Eines Morgens“, so beginnt Robert Walsers Roman „Geschwister Tanner“, „trat ein junger, knabenhafter Mann bei einem Buchhändler ein und bat, dass man ihm dem Prinzipal vorstellen möge. Man tat, was er wünschte. Der Buchhändler, ein alter Mann von sehr ehrwürdigem Aussehen, sah den etwas schüchtern vor ihm Stehenden scharf an und forderte ihn auf, zu sprechen. ,Ich will Buchhändler werden‘, sagte der jugendliche Anfänger, ,ich habe Sehnsucht darnach und ich weiß nicht, was mich davon abhalten könnte, mein Vorhaben ins Werk zu setzen.‘“ Simon Tanner, Walsers Protagonist, schwärmt für Liebliches und Schönes, hat Sehnsucht nach geistiger Freiheit, scheut das Geld, liebt die Armut in Anmut. Der Buchhändler im Klischee: ein Romantiker, vergraben im Wissen der Welt und zu Hause in allen Welten, den realen, den fantastischen. Ein Bücherwurm, belesen, wissend, auratisch. Johannes Rau wollte es werden und wurde es wie auch Günter Wallraff. Hermann Hesse, Heinrich Mann, Joschka Fischer planten für sich den Buchhandel. Und als kürzlich die ersten Faksimiles des eingestürzten Kölner Stadtarchivs geborgen wurden, da war darunter das Abiturzeugnis von Heinrich Böll und darauf notiert der Berufswunsch des späteren Nobelpreisträgers: Buchhändler.

Aber Platz für Romantik? In Zeiten, in denen Google durch Einscannen und Vernetzung von Literatur dem gedruckten Buch den Garaus machen will, in denen das eselsohrfreie und keimfreie E-Book sich auszubreiten beginnt, in denen Versandhändler wie Amazon den Weg in den Buchladen ersparen, in denen Großkonzerne wie Thalia eine Lidlisierung des Buchhandels anstreben, sich zu monopolisieren suchen und breitmachen in den Shopping-Arcaden und Einkaufszentren gleich neben den Parfümerien von Douglas, den Schmuck- und Uhrenhändlern von Christ und dem Süßwarenangebot von Hussel – ist eh alles ein Konzern, die deutsche Douglas Holding AG. 291 Buchhäuser und Buchhandlungen gibt es derzeit unter dem Dach von Thalia in Deutschland, der Schweiz und Österreich, über 5000 Angestellte erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2007/08 einen Gesamtumsatz von fast 770 Millionen Euro. Bukinisten? Antiquare? Liebhaber wie Walsers Simon Tanner, die das Geld scheuen?

Etwa 4000 Mitglieder im Börsenverein des deutschen Buchhandels gibt es noch in Deutschland, was ungefähr der Zahl an unabhängigen Buchhändlern entspricht. Nach der Prognose von Manfred Keiper, Inhaber der „Anderen Buchhandlung“ in Rostock, wird sich die Zahl in den kommenden fünf Jahren halbieren. Hacker & Presting in Berlin-Charlottenburg ist so ein unabhängiger Buchladen. Klein ist er, überschaubar, aber gut sortiert, in perfekter Lage. „Straße der Vielfalt“ nennt Julia Hacker, eine der Betreiberinnen, die Leonhardstraße, in der ihr Laden liegt. Mehr oder minder gut situierte Bildungsbürger leben im Kiez, Schauspieler, Journalisten, Akademiker, die Buchberatung nicht brauchen, aber die familiäre und persönliche Ansprache im Laden schätzen. Ein paar Meter weiter befindet sich ein Spielplatz, entsprechend groß ist die Kinderbuchabteilung bei Hacker & Presting. Man kennt sich im Kiez, die Händlerinnen, die Kunden, „wir fürchten Thalia und Hugendubel nicht“, sagt Julia Hacker beim Kaffee beim Österreicher gegenüber. Dem Laden geht es gut, er macht eine halbe Million Euro Umsatz im Jahr, „was uns zu schaffen macht“, sagt Hacker, „ist das Internet, die allgemeine Wirtschaftslage, die Leseunlust der Jugend und in diesem Jahr das schlechte Wetter“, das die Leute im Haus hält. Um 20 Prozent ist der Umsatz zurückgegangen, auch wegen einer Absurdität. Es häuften sich die Kunden, sagt Hacker, die sich beraten lassen und dann bei Amazon bestellen. Mit einer wirklich perfiden Pointe: Weil nämlich der Zusteller keine Lust habe, die Bücher durchs Viertel zu den Kunden zu schleppen, liefere er sie im Laden ab, wo sie dann – „mit einiger Chuzpe und Peinlichkeit“ – von den Bestellern abgeholt werden.

Das ist die eine Seite der Buchhandelskrise, sozusagen der Fluch der modernen Zeiten. Dass mit dem Buch Geld verdient wird, ist indes nicht neu und kaum verwerflich. Schon vor Jahren versuchte zum Beispiel die renommierte Edition Suhrkamp, die limitierende Buchpreisbindung zu umgehen. Erst warf sie ihre bunten und hochwertigen Produkte massenhaft auf den Markt, nahm den Händlern dann einen Großteil der Auflage wieder ab – und versah sie mit dem Stempel „Mängelexemplar“. Das ermöglichte dann den Verkauf weit unter dem festgelegten Preis und eröffnete den lukrativen Schnäppchenmarkt. Seitdem vor zwei Jahren ein Urteil den bloßen Stempel als unzureichendes Charakteristikum für ein verbilligtes Exemplar erklärte, werden eben minimale Schäden im Taschenbuch maschinell hergestellt.

Noch nie jedoch wurde die Profitmaximierung so massiv in der Ausstattung, dem Sortiment und vor allem in den Personalkosten gesucht. Weil in den Großbuchläden das Discounterprinzip bei den Preisen des Buches an seine gesetzlichen Grenzen stößt, muss eben anderweitig gespart werden. Allen voran die über 300 Filialen von Weltbild, dem Partner von Hugendubel und zusammen mit diesem in der Finanzholding DBH deutscher Marktführer mit 675 Millionen Euro Umsatz im Jahr, sehen aus, als sei die Innenarchitektur von Aldi stilbildend gewesen. Spartanisch sind sie eingerichtet, verfügen über ein minimales Buchsortiment und ein anwachsendes Angebot von No-Book-Produkten, sozusagen der Quengelware, Globen, Produkte der Papéterie, Blumensamen, passend zum Gartenbuch, und Töpfe, passend zum Kochbuch - angeboten von zunehmend verringertem und zunehmend unausgebildetem Personal. Zola findet man hier nicht, wie man auch, sagen wir Pastinaken, höchst selten beim Lebensmitteldiscounter erwerben kann. Das Sortiment beschränkt sich weitgehend auf Bestseller, auf DVDs und eben die preisreduzierten Schnäppchen.

Man kann das Konzept, aber auch die Aufregung darüber in der Online-Ausgabe des Börsenblattes für den deutschen Buchhandel nachlesen. Und dort richtet sich die Klage vor allem gegen die Weltbild-Kette, jenes kircheneigene Medienunternehmen aus Augsburg, das seit 2006 mit Hugendubel kooperiert und die Filialketten Jokers, Buch Habel, Weiland und Wohlthat kontrolliert. Dem Vernehmen nach geht es unchristlich zu im katholischen Buch- und Medienmarkt. Da ist die aggressive Expansionspolitik, mit der Weltbild in unmittelbarer Nähe traditioneller Buchhandlungen weitere Läden eröffnet.

Des Weiteren wird angeprangert, bezogen auf Thalia, nicht auf Weltbild, dass der Konzern vor zwei Jahren massiven Druck auf die Verlage auszuüben versuchte, als er Gebühren erheben wollte für besonders günstige Standplätze im Laden. Bislang scheiterte Thalia mit dem Ansinnen, doch die Verramschung des Kulturgutes Buch ist weiter im Gange. Das unrühmliche Vorbild des Lebensmitteldiscounters Lidl, der seine Mitarbeiter gegen das Gesetz überwachen ließ und auch ansonsten eher unsinnliche Arbeitsplätze bereithält, hat offensichtlich den einst eher freigeistigen Buchhandel erreicht. Ob in München, Hamburg, Berlin oder Frankfurt, bei den Buchfilialisten werden die Mitarbeiter überwacht, degradiert und schlecht bezahlt. Der bayerische Buchhändlertarif, noch einer der besseren im Lande, weist das Anfangsgehalt eines ausgelernten Buchhändlers mit 1663 Euro brutto aus. Nach drei Jahren werden daraus 1902 Euro in der Gehaltsstufe II. Die Gehaltsstufe III (maximal 2215 Euro) für Buchhändler mit Eigenverantwortung fürs Sortiment wird nicht mehr benötigt. Was im Laden zum Verkauf angeboten wird, bestimmen die Bestsellerlisten und Kalkulatoren in den Konzernspitzen. Der einstige Buchhändler, für weniger buchfixierte Menschen einst kenntnisreicher Berater und Helfer im Blätterwald und Ansprechpartner für die bibliophile Gemeinde, verkommt zum Medienverkäufer, zum Auspacker und Regaleinräumer. Zudem kritisieren die erregten Angestellten in den Foren ein neues Personalkonzept, in dem gezielt vorwiegend älteren und qualifizierten Mitarbeitern die Entlassung droht. Im Februar des Jahres wurden bei Weltbild weitere Entlassungen angekündigt, 60 Stellen stehen zur Disposition, möglich auch, dass der gesamte Konzern zum Verkauf steht.

Personalüberwachung, Taschenkontrollen und das Verbot, das eigene Telefon zu nutzen, tun ein Übriges, um aus dem eigenverantwortlichen Buchhändler einen unmündigen Handlanger zu machen. „Dieser Umgang mit Mitarbeitern wird bei manchem Filialisten zur menschenverachtenden Normalität“, schreibt ein Betroffener.

Und ganz offensichtlich herrscht Angst im Buchhandel. Keiner der Diskutanten, der Kritiker gibt sich offen zu erkennen, Anonymität soll den Arbeitsplatz sichern, „wir Buchhändler“, schreibt ein User namens John, „müssen uns erst einmal austauschen, bevor wir uns öffentlich bekennen und damit unseren Job riskieren. Hysterie – oder doch bittere Einschätzung der Verhältnisse.

In München hat der Germanist und bei Hugendubel angestellte Buchhändler Bernhard Rieger zusammen mit dem Kollegen Bernd Mann die Initiative Pro Buch gegründet, einen Zusammenschluss von etwa einem Dutzend angestellter und selbstständiger Buchhändler. Auf Podiumsdiskussionen werden die Umwälzungen im Buchhandel dargestellt, die Initiative versteht sich als kritischer Begleiter. In einem Interview mit dem „Buchreport“ äußerte sich Rieger zur Frage, ob sich denn allgemein eine Demontage des Buchhändlerberufes vollziehe. „Durchaus! Bis vor kurzem noch besaßen die Buchhändler in aller Regel Einkaufskompetenz. Inzwischen ist dies in vielen Filialen nicht mehr so: Der sortimentsgestaltende Einkauf wurde hier vollständig aus dem buchhändlerischen Zuständigkeitsbereich herausgeschnitten.“ Bei nahezu allen großen Filialisten würden die Buchhändler also nur noch das auspacken, was andere bestellt haben. Konsequenz aus der Beschreibung des Ist-Zustandes: Rieger bekam von seinem Arbeitgeber die Abmahnung. Die ist allein schon wegen eines Formfehlers ohne Wirksamkeit, dennoch wird weiter gestritten.

Das Buch, spätestens seit dem 15. Jahrhundert und Johannes Gensfleisch Gutenberg und seiner Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern heiliges Gut der Menschheit, scheint artengefährdet zu sein. Damit geht Wissen, Spaß und Vielfältigkeit verloren. Noch eine kleine Anekdote der Wissenslücke? Ein Kunde, auch dieses Mal bei Hugendubel in Berlin, wünschte ein Hörbuch zu kaufen. Karl Kraus, „Die letzten Tage der Menschheit“, gelesen von Helmut Qualtinger. Beide Herren kennt man nicht nur in bibliophilen Kreisen. Vorrätig war die Kassette nicht, das ist verzeihlich. Also schritt die Buchhändlerin?, Medienverkäuferin?, Auspackerin?, Regaleinräumerin? zum Computer an die Suchmaschine. Der Kunde schaute ihr dabei über die Schulter. Die Dame tippte: Helmut Kwaltinger. Sie fand das gewünschte Produkt nicht. Der Kunde wandte sich mit Grausen.

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