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T-Shirt: Hemd mit Aussage

Es war Leibchen. Es wurde Statement. Man kann es exklusiv haben oder von der Stange. Das T-Shirt berichtet von unserem Lebensgefühl.

Wäre ein Kleidungsstück ein Gefühl, dann müsste das T-Shirt ein alter Freund sein, bei dem man morgens um vier auf der Matte stehen und sich in seine ausgebreiteten Arme werfen kann. Ob man glücklich ist oder am Boden zerstört, ob es einem schlecht geht oder schlecht ist, sei es nur, weil man jemanden sucht, mit dem man noch mal um die Häuser ziehen kann, wenn längst alle schlafen. Bei ihm dürfte man lallen, singen sowieso, weil man wüsste, dass man bei ihm gut aufgehoben ist, egal was passiert.

Keine Epoche hat diese Qualitäten des T-Shirts besser zum Ausdruck gebracht als die 80er Jahre, als die Hemden so weit sein mussten, dass man sie bequem über die angewinkelten Knie bis zu den Zehen herunterziehen konnte, dabei eine Embryonalstellung einnehmend, die bei entsprechender Bewegung dazu führte, dass das T-Shirt immer weiter und schlabberiger wurde. Das Hemd, der Form nach einem T nachempfunden, war damals unser bester Freund. Wir nannten es Tie- Schört. Dabei ist es bis heute geblieben, auch wenn wir uns nicht mehr ganz so oft sehen wie früher.

„Die Geschichte eines Lebens lässt sich mit einem T-Shirt erzählen“, behauptet Charlotte Brunel, Autorin eines Standardwerks mit dem Titel „T-Shirt“ – und sie hat recht. Das erste, an das ich mich erinnern kann, war hellblau mit dunkelblauem Kragen, und seine Botschaft an die Welt lautete: „Maryland is for crabs“. Meine Mutter hatte es mir von einer Amerikareise mitgebracht. Der Sinn des Slogans erschloss sich mir nicht vollständig, heute glaube ich, dass es um eine Aktion von Tierschützern ging, die sich um das Krabbenheil an der Ostküste der Vereinigten Staaten sorgten. Aber wenn ich das T-Shirt trug, wuchs der Kopf, der oben herausschaute, ein paar Zentimeter mehr in die Höhe. Ich fühlte mich, als sei ich selbst vor Ort in Maryland gewesen und hätte irgendwas mit Krabben getan.

Das Jahrhundert des T-Shirts ist das zwanzigste, wenn seine Geschichte auch weiter zurückreicht. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert begannen Matrosen jenseits des Atlantiks, unter ihren Blusen Baumwollhemden zu tragen, mit viereckigem Ausschnitt und goldenen Knöpfen, was auf die Dauer vermutlich unbequem wurde. Auch in England verordnete die Royal Navy ihren Matrosen ärmellose Unterwäsche aus Wolle unter die blauen Uniformen. Später wurden Ärmel angesetzt, um Körperbehaarung und Tätowierungen zu verhüllen. Im Jahr 1913 übernahm die amerikanische Marine offiziell das klassische Modell mit kurzen Ärmeln und Rundhalsausschnitt. Weil sich Wolle bei Kampfeinsätzen unpraktischerweise als schweißtreibend erwies, stieg man nach dem Ersten Weltkrieg auf Baumwolle um.

Es sind die Jahre, in denen sich das Image des freien, unabhängigen, abenteuerdurstigen Seefahrers auf seine Kleidung überträgt – insbesondere auf den Teil, den er unter der Uniform anhat, was das erotische Surplus erklären mag. Folgerichtig versah der US-Hersteller Hanes die T-Shirts für den zivilen Konsum vorläufig mit dem Namen „Gob Shirt“, Matrosenhemd – „ein Basic, das niemals aus der Mode kommt, weil es nie etwas mit ihr zu tun hatte“, schreibt die Frauenzeitschrift „Elle“ rund 50 Jahre später.

Die technischen Voraussetzungen für den Siegeszug des Leibchens hatte der Engländer William Cotton in den 1860er Jahren geschaffen, als er eine Wirkmaschine entwickelte, die das massenhafte Rundwirken möglich machte, was den gewebten Stoff langsam vom Markt drängte. Während in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts Baden und wöchentliches Wäschewechseln zur Gewohnheit wurden, machte die Cottonmaschine selbst Arbeitern möglich, dem neuen Hygienebewusstsein durch den Erwerb kostengünstiger Unterwäsche Rechnung zu tragen.

Fast parallel dazu setzt mit der Einführung des bezahlten Urlaubs ein Kult um Sport und Freizeitbeschäftigungen ein, sowie um die dazugehörigen Trikotagen. Amerikanische Sportteams sind die ersten, die T-Shirts mit Schablonen beschriften, Nummern und Namen der Spieler aufbringen, was unter Anhängern und Fans schnell zum Erkennungszeichen wird. In Frankreich nimmt die Designerin Coco Chanel den neuen Stoff in ihre Kollektion auf, eine erste Verabredung zwischen proletarischem T-Shirt und der Welt der Haute Couture. Webster’s Wörterbuch verzeichnet da längst den Eintrag „T- Shirt“ als stehenden Begriff.

Zum ultimativen Durchbruch verhilft ihm ein weiteres Mal das Militär. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelt die US-Navy ein Ausstattungselement, das zu 100 Prozent aus Baumwolle zu bestehen und einen Rundhalsausschnitt vorzuweisen hat. Das T-Shirt – luftig, wenig Raum im Marschgepäck einnehmend, nutzbar sowohl als Handtuch als auch als weiße Fahne – kommt mit den Alliierten nach Europa, wo es sich mythisch mit dem Bild der Kaugummi und Nylonstrümpfe verteilenden Befreier verknüpft. In der Heimat wirbt die Kaufhauskette Sears and Roebuck für ihr neues Produkt mit dem Slogan: „Man braucht kein Soldat zu sein, um sein eigenes T-Shirt zu haben.“

Nur wenige Jahre liegen zwischen der militaristischen Präsentation und der adoleszenten Aneignung des neuen Accessoires. Schauspieler wie Marlon Brando und James Dean erhöhen das T-Shirt während der 50er Jahre in Verbindung mit Bluejeans und Lederjacken zum Symbol einer widerständigen Jugend, die sich zum ersten Mal in der Geschichte als Lebensgefühlsgemeinschaft definiert. In Amerika wie auch in Europa wird das T- Shirt zum Symbol einer Generationenrevolte gegen das verkniffene, patriarchale Establishment, zum Nachfolger der weißen Fahne also, mit dem die angry young men vor den Nasen ihrer fassungslosen Eltern wedeln.

Um dieses Provokationspotenzial im 21. Jahrhundert nur annähernd nachempfinden zu können, müsste man vermutlich einen BH übers T-Shirt ziehen und ein öffentliches Verkehrsmittel betreten. In den westlichen Gesellschaften der 50er Jahre jedenfalls hatte das T-Shirt jenseits von Sportstadien und Schlafzimmern nach herrschender Meinung wenig zu suchen. Ein Bruch mit dieser Haltung musste zum rebellischen Akt geraten. Der amerikanische Designer Tommy Hilfiger musste bis in die 70er Jahre warten, ehe das T-Shirt als Kleidungsstück an staatlichen Schulen akzeptiert wurde, wie er in seinem Buch „All Americans“ beschreibt: „Plötzlich war das T-Shirt zur akzeptierten Oberbekleidung geworden. Seine Größe und Form, sein Schnitt und sein Aufdruck gaben sehr gut Aufschluss über die Identität seines Besitzers. Die greaser zeigten sich als Erste mit dem eng anliegenden weißen T-Shirt, normalerweise mit einem Paket filterloser Zigaretten in einem Ärmel. Ohne Zigaretten wäre das T-Shirt ein Symbol von Machismus gewesen ...“

In den 60er Jahren dürfen schließlich auch Frauen aus der Enge von Korsetts und geknöpften Blusen in die stretchige Jersey-Umarmung fliehen. Im Kino macht Brigitte Bardot den Anfang, ein Jahr später folgt Jean Seberg im Godard-Klassiker „Außer Atem“ und präsentiert als androgynes, kurzhaariges Zeitungsmädchen am Rande der Champs Élysées das Stehkragen-T-Shirt mit der Aufschrift „New York Herald Tribune“. Die Aneignung dieses bisher zutiefst männlichen Kleidungsstücks macht das T-Shirt zum Accessoire für starke, unabhängige Frauen. Es wird zum Sexsymbol, lange bevor es nass gemacht wird und an amerikanischen Stränden Brüste zum Vorschein bringen muss.

Bis zu diesem Zeitpunkt ist das T-Shirt ein Freund gewesen, mit dem man ausgehen und Spaß haben kann, den die Erwachsenen nicht verstehen müssen. In den 70er Jahren verwandelt es sich in einen Kumpel, der auch mal jemandem auf die Nase haut. Der Ton wird rauer. 1974 eröffnet Malcolm McLaren, Designer und Manager der britischen Band The Sex Pistols, zusammen mit seiner Freundin Vivienne Westwood in London eine Boutique mit Namen Sex. „Wir machten Kleider“, erinnert er sich später, „die wie Ruinen aussahen, wir erfanden etwas Neues, indem wir Altes zerstörten.“ T-Shirts werden dabei zum favorisierten Angriffsziel. „Ich tauchte sie in verschiedene Farben, rollte sie zusammen, trat auf ihnen herum und zerknüllte sie, so sehr ich konnte. Ich wollte, dass sie wie ein in der Garage vergessener Fetzen aussahen. Ich verzierte sie mit Slogans wie ,It’s forbidden to forbid‘, ,Demand the impossible‘, ,Keep the dialectic open‘.“

Auch auf den Straßen, bei Demonstrationen wird das T-Shirt zum tragbarsten aller Transparente. Die Losungen sind schnell aufgebracht und müssen nicht einmal über den Tag hinaus Bestand haben, weil der Untergrund billig ist. Dabei ist es geblieben. In einer individualisierten Gesellschaft dient das T-Shirt als Leinwand, zur Vermittlung von Vorstellungen und Forderungen, ohne dass der Träger dazu den Mund aufmachen müsste. „Als Imageträger und Verstärker der Anliegen von Amnesty International“, so ein Aktivist der Menschenrechtsorganisation, „gibt das Tragen von T-Shirts jedem Einzelnen die Möglichkeit, seine Verbundenheit mit den Werten der Bewegung zum Ausdruck zu bringen. Das heißt, einem Kampf für die menschliche Gemeinschaft auf der individuellen Ebene ein Gesicht und ein Herz zu geben und ihm dadurch Gewicht zu verleihen.“ Wir gegen den Rest der Welt. Oder eben ich allein, wenn sich sonst keiner findet. Mit meinem Freund, dem T-Shirt.

Kein Fummel lässt sich so leicht und unkompliziert in Besitz nehmen wie ein T-Shirt, nicht nur mit Schere und Farbe. „Es ist das einzige Kleidungsstück“, so Fashion-Designer Helmut Lang, „das sich unseren Wünschen völlig unterwirft. Mal Unterwäsche, mal Oberbekleidung, es ändert sich je nach Sitten und Saison.“ Wer nicht selbst entwerfen und verfremden, schneiden und malen will, delegiert den Job des individuellen Ausdrucks an Designer, die verstärkt seit den 80er Jahren „Customised Shirts“ in limitierter Stückzahl entwerfen. Es wird gewalkt, geknetet und gestonewashed, um Seele und Leben in den Stoff zu zwingen. Für Einzelstücke sind Kunden bereit, bis zu 800 Euro zu investieren. Als die Italiener Dolce & Gabbana bei ihrer Frühjahrspräsentation 2001 Models mit Madonna- T-Shirts auf den Laufsteg schickten, war die auf 200 Exemplare begrenzte Auflage eines Edel-Shirts mit Stickereien und Swarowski-Steinen innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.

„Das T-Shirt ist heute eine Standarte, ein Manifest, ein Untertitel, eine Visitenkarte, quasi ein Personalausweis“, sagt der Couturier Christian Lacroix. „Es spricht aus, was man denkt. Wie eine zweite Haut wird es geritzt, tätowiert oder bemalt und damit zum Customised Shirt. Man trägt es nicht, ohne nachzudenken. Die Form zählt genauso zum Inhalt.“ Erlaubt ist dabei längst, was gefällt: „Chic oder abgefuckt, zu eng oder zu groß, grafisch oder theatralisch, beschriftet, strassverziert, farbig, durchlöchert, mit Pailletten besetzt oder Reliefs bestückt, trash oder trendy, Pop Emotion oder Deko, bestickt, gestreift, mit roten Lippen, goldenem Skarabäus oder grünen Äpfeln“, listet Designerin Sonia Rykiel auf, „das T- Shirt ist, so wie die Jeans, das Objekt der Begierde der Jungen, der Trendsetter, der Snobs, von Männern und von Frauen, von allen.“ Eines der letzten Tabus fällt, als der japanische Modemacher Yohji Yamamoto Männern T-Shirts als Begleitung von schwarzen Anzügen empfiehlt.

Neben revolutionärem Überschuss bringen die 70er Jahre auch die Unsitte hervor, Markennamen und Logos der Hersteller nicht nur auf dem Etikett, sondern auch mehr oder weniger großflächig auf der Vorderseite unterzubringen. Eine geschmackliche Entgleisung, die umgehend durch den Boom der Fälscherindustrie bestraft wird, die heute etwa sieben Prozent des weltweiten Umsatzes einstreicht.

An den Souvernirständen der Welt wird das T-Shirt zum Trostpflaster („My brother went to San Francisco / Amsterdam / Madrid, and all I got is this lousy T- Shirt“) und zum touristischen Erinnerungsträger. In einem Meer aus multicolorierten Sonnenuntergängen beliebiger Provenienz, I-was-there-Kitsch und Brustschutz gewordenen Postkartenidyllen ragt ein ikonografischer Höhepunkt heraus. Das „I love NY“-Logo des Grafikdesigners Milton Glaser, 1976 entworfen für eine Imagepromotion der Stadt, wurde tausendfach variiert, kopiert, ironisiert. Auf der Internetseite www.welovetshirts.com kann mittlerweile jeder seine eigene, individuelle Liebeserklärung als Oberbekleidung gestalten.

Es gibt kaum etwas, das sich mit einem T-Shirt nicht vermitteln ließe. Brauereien bewerben ihr Produkt („Mit Bier wird Durst erst richtig schön“), Biertrinker das Ergebnis („Dieser Bauch war teuer“). Schüchterne Teenager wagen die vermeintliche Provokation (Vorderseite „Some fucking asshole is staring at me“, Rückseite „Still staring at me“), ältere Teenager ironische Brüche („Früher war doch auch keiner schwul“).

Bands bietet jede neue Tour ein neues T-Shirt-Motiv. Als führend beim Verkauf gelten bis heute Led Zeppelin, Jimi Hendrix und The Doors. Bei ihrer 1995er Tournee vor 4,5 Millionen Fans sollen die Rolling Stones 70 Millionen Dollar über den Verkauf von Merchandising-Produkten erzielt haben, 75 Prozent davon durch T-Shirts. Von der Band Frankie Goes To Hollywood wird behauptet, sie hätten mit dem T-Shirt-Slogan „Frankie say Peace not War“ mehr Geld verdient als mit ihren Platten.

In einem einzigen T-Shirt liegen zehn Kilometer Faden in Maschen. Weltweit werden jährlich mehr als zwei Milliarden T-Shirts verkauft. Die 20 Cent, für die ein T-Shirt in China produziert wird, oft unter äußerst fragwürdigen Arbeitsbedingungen, machen kaum mehr als 0,5 Prozent des Endpreises aus. Kritik daran nutzen Labels wie American Apparel, die in den USA produzieren und mit stabilen Arbeitsplätzen für ihre Produkte werben. Die T- Shirts tragen keine Logos – eine Leinwand, weiß, schwarz, zur Gestaltung freigegeben.

Ich erinnere mich an einen Sommernachmittag Ende der 80er Jahre, meine Freundin Tanja und ich beschlossen, die Worte „Corsica libre“ auf T-Shirts zu schreiben und durch die Straßen unserer Stadt zu ziehen. Keine von uns war je in Korsika gewesen. Keine von uns wusste, was wir zum Ausdruck bringen wollten. Aber es fühlte sich gut an.

Karin Ceballos-Betancur

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