zum Hauptinhalt
Ein Klops am Wasser. Das Auditorio Alfredo Kraus ist einem der größten Tenöre Spaniens gewidmet. Foto: Alamy

© Alamy Stock Photo

Gran Canaria: Runter vom Liegestuhl, rein in die Altstadt von Las Palmas

Gran Canaria bietet mehr als lange Strände. In der Hauptstadt der Insel haben Kolonialreich und Spanischer Bürgerkrieg begonnen.

Am Hafen trifft Vergangenheit auf Gegenwart. Hinter den meterdicken Mauern des Castillo de la Luz, der alten Festung von Las Palmas, wo Gran Canaria so schmal ist, dass die Wellen des Atlantiks die Insel von beiden Seiten zu überspülen scheinen. Vor einem halben Jahrtausend schossen spanische Soldaten von hier aus mit ihren Kanonen auf den Freibeuter Francis Drake und verjagten ihn aus den Gewässern vor Gran Canaria. Die altertümlichen Kanonen teilen sich neuerdings die Aufmerksamkeit des Publikums mit moderner Kunst. Mit geschmiedeten Riesenspiralen, einer Plastik namens „Mein Vaterland ist ein Fels IV“ oder einer Guernica-Skulptur, die ähnlich verstörend wirkt wie das berühmte Wandgemälde von Picasso im Museo Reina Sofía von Madrid.

Gran Canaria leidet unter dem Ruf, eine schöne Insel mit eindimensionalen Reizen zu sein. Lange Strände, gutes Wetter, ein perfekter Zufluchtsort für kinderreiche Familien oder wärmebedürftige Senioren. Nichts lässt sich schöner widerlegen als das Vorurteil, und im Fall Palmas passt es perfekt, dass die Stadt ausgerechnet in ihrem ältesten Gemäuer überaus avantgardistisch daherkommt.

Seit ein paar Jahren gastiert hier Martín Chirino mit einer Dauerausstellung. Der Bildhauer ist in Las Palmas geboren, er zählt zu den größten Künstlern des modernen Spanien und steht mit seinen Skulpturen für den neuen Anspruch seiner Heimat.

Las Palmas hat das beste Klima der Welt

Die Stadt mag in ihren ältesten Winkeln wie ein riesiges koloniales Freiluftmuseum erscheinen. Sie zeugt aber auch von einem Schicksalsmoment des 20. Jahrhunderts und beeindruckt mit abwechslungsreichen Museen. „Wer Las Palmas langweilig findet, der guckt nicht richtig hin“, sagt Øystein Eide. Er ist groß, blond und mit 30 aus Norwegen nach Gran Canaria gekommen. Das war vor 21 Jahren. Heute arbeitet er im Hotelbusiness und hat zwei Bücher über seine neue Heimat geschrieben.

Ja, auch über die langen Strände und das schöne Wetter. „Wussten Sie, dass Las Palmas die Stadt mit dem besten Klima der Welt ist? Das behaupte nicht ich, sondern eine Studie der Universität Syracuse aus den USA.“ Mit einer jährlichen Durchschnittstemperatur von 22 Grad Celsius, ohne extreme Ausschläge nach oben oder unten, ein 365 Tage im Jahr währendes Wetterloch, mit einer Regenwahrscheinlichkeit von annähernd null Prozent, aber eigentlich wollte er ja nicht über Sommer, Sand und Langeweile reden.

Wenn der Canario aus Norwegen ins Plaudern gerät, ist er schwer zu bremsen. Wo waren wir? Richtig, bei der Vielfalt: Selbstverständlich ist Gran Canaria mehr als eine kreisrunde Insel mit kilometerlangen Stränden, sagt Øystein Eide. Mehr als die militärisch exakt ausgerichteten Liegestuhlkolonien von Playa del Inglés, mehr als die weißen Betonkolosse hinter den Dünen von Maspalomas. Gar nicht so weit weg von Sandburgen und Handtüchern will eine spannende Kulturszene entdeckt werden: in der Hauptstadt, von der viele Besucher oft nur den 20 Kilometer entfernten Flughafen kennen.

Der Name kommt von Hunden, nicht von Kanarienvögeln

Einen Spaziergang durch das Las Palmas jenseits der Charterflugzeuge beginnt Øystein Eide am liebsten dort, wo alles angefangen hat. Bei den acht riesigen Hunden, die auf der Plaza Mayor de Santa Ana in der Sonne dösen. Die Plaza Mayor de Santa Ana ist der prächtigste der Altstadtplätze. Die Hunde sind erst vor 100 Jahren in Bronze gegossen worden, sie haben einen historischen Bezug.

Øystein Eide zählt zu den Verfechtern der These, nach der die Insel ihren Namen nicht den Kanarienvögeln verdankt, sondern den riesigen Hunden: Kanarischen Doggen, wie sie dem mauretanischen König Juba II bei einer ersten Entdeckungsreise im Jahr 23 nach Christus aufgefallen sind. Juba paktierte mit den Römern, in deren lateinischem Idiom die Vokabel „Cane“ für Hund steht. Das ist historisch nicht zweifelsfrei nachzuweisen, hört sich jedoch nach einer schönen Geschichte an.

Gesichert ist, dass an der Plaza Mayor Spaniens Kolonialgeschichte begann. Der Seefahrer Juan Rejón landete hier 1478 und entdeckte ebendort drei Palmen, wo heute die Plaza ihre Steine in den Himmel reckt. Also nannte Rejón die neue Siedlung Ciudad Real de Las Palmas, königliche Stadt der Palmen. „Schauen Sie sich die Plaza an“, sagt Øystein. „Die Kathedrale, das Rathaus, die prächtigen Verwaltungsgebäude. Hier haben die Spanier zum ersten Mal alle wichtigen Bauten an einem Platz konzentriert.“ So wie sie das später überall in ihren Übersee-Besitzungen hielten. Seitdem pflegen die Canarios den Mythos mit den drei Palmen und pflanzen immer wieder neue an alter Stelle.

Aus dem Gewirr der Gassen von La Vegueta, der Altstadt, weist Øystein den Weg über die breite Calle Juan de Quesada in den Stadtteil Triana mit seinen Prachtbauten aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Das ehrwürdige Teatro Pérez Galdós wird immer noch bespielt, der Palacete Rodríguez Quegles als Kulturzentrum genutzt wie auch das Gabinete Literario, ein Jugendstilbau, der einst das erste Theater der Stadt beherbergte.

"Im Zimmer 3 hat der Spanische Bürgerkrieg begonnen"

Ein Klops am Wasser. Das Auditorio Alfredo Kraus ist einem der größten Tenöre Spaniens gewidmet. Foto: Alamy
Ein Klops am Wasser. Das Auditorio Alfredo Kraus ist einem der größten Tenöre Spaniens gewidmet. Foto: Alamy

© Alamy Stock Photo

Die größte Beachtung findet jedoch ein in hellem Pastellgelb gestrichenes Haus gleich nebenan, es duckt sich hinter einer riesigen und einer kleinen Palme. Das Hotel Madrid an der Plaza de Cairasco wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Es verfügt nur über 17 Zimmer, sie sind fast alle ausgebucht, vor allem Zimmer 3, was weniger an dem dunkel gestrichenen Holzbett liegt, noch an dem großen Spiegel gegenüber. Durch Zimmer 3 weht auch bei geschlossenen Fenstern der Wind der Geschichte. „Hier hat der Spanische Bürgerkrieg begonnen“, sagt Øystein Eide, „Sie glauben gar nicht, wie viele Touristen ich immer wieder hinführen muss.“

Unten an der Bar drängen sich Gäste an zerschrammten Tischen, die Wände sind voll von gerahmten Schwarz-Weiß- Fotos (natürlich auch mit Franco). Hinter dem Tresen hängt noch das hölzerne Kalenderbrett mit dem Datum des 17. Juli 1936. Am Vormittag stieg der Generalísimo Francisco Franco in Zimmer 3 ab, um an der Beerdigung eines Soldaten teilzunehmen, in Zivil und mit zur Tarnung abrasiertem Schnauzbart.

Nachmittags wurde er über den Aufstand antirepublikanischer Einheiten in Marokko informiert. Von Zimmer 3 aus richtete Franco ein Telegramm an alle Divisionskommandos in Spanien, sich „in diesem historischen Moment“ dem Aufstand in „blindem Glauben an den Sieg“ anzuschließen. Noch in der Nacht flog er über Casablanca zu den aufständischen Truppen. Die Geschichte nahm ihren Lauf – in Spanien, Europa und der ganzen Welt. Wegen eines Telegramms aus dem Hotel Madrid in Las Palmas.

Im Pueblo sind Bilder des kanarischen Malers Néstor zu sehen

Weiter durch die geschäftigen Straßen durch den Parque Doramas mit dem Pueblo Canario, einem Modelldorf im einheimischen Stil mit bunten Fassaden und geschnitzten Balkonen. Herzstück des Pueblo ist das Museo Néstor mit den Gemälden des Symbolisten Néstor Martín-Fernández de la Torre. Sein Hauptwerk ist in einer Rotunde im Erdgeschoss zu bewundern, das zwischen 1913 und 1924 entstandene „Poema del Atlántico“. Ein Zyklus von acht Gemälden rezitiert das atlantische Gedicht, dargestellt wird der Ozean zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten. Die Meeresbewohner scheinen einem aus den Rahmen entgegenzuspringen und samt der sie tragenden Wellen den Raum zu überfluten. Die kleine Rotunde ist für gewöhnlich überlaufen, weil so ziemlich jeder Besucher Mühe hat, sich von der fantastischen Welt des Wassers zu lösen.

Mit Néstors Visionen vor Augen gestaltet sich der Spaziergang an der Atlantikküste noch mal so anregend. Vorbei am Parque Romano, die Festung im Blick. Das Castillo de la Luz steht seit 1941 unter Denkmalschutz, wurde zu Beginn des dritten Jahrtausends aufwendig saniert und 2014 als Museum neu eröffnet.

Das Auditorio Alfredo Kraus thront auf einem Sockel aus Vulkangestein

Seitdem ist Martín Chirino hier zu Hause. Er hat seine Karriere auf dem Bau begonnen, als Werftarbeiter mit einer begleitenden Ausbildung als Schweißer und Gießer. Das prägt sein Schaffen bis heute, der Mann wurde gerade 82. Sein Lieblingsmotiv sind Spiralen in allen Größen und Formen, sie finden sich überall im Castillo. Øystein klettert eine Treppe hinauf in den zweiten Stock. Hier befindet sich Chirinos berühmteste Skulptur: „Momentos II. Reflexión sobre El Guernica“, keine zehn Jahre alt. In dramatischen Kurven biegt sich der Stahl, die Form erinnert an Picassos Friedenstaube. Sie öffnet den imaginären Schnabel zum verzweifelten Schrei in Gedenken an Guernica, das von der Legion Condor bombardierte Dorf im Baskenland.

Draußen weht der Wind über die Landenge, vom Hafen im Osten Richtung Westen nach Las Canteras, wo sich die Stadt mit ihrem kilometerlangen Sandstrand scheinbar in das alte Klischee der ausgeruhten Badeinsel fügt. Ganz am Ende der Liegestühle erhebt sich ein spektakuläres Bauwerk über das Meer. Das Auditorio Alfredo Kraus thront auf einem Sockel aus Vulkangestein, ein mit Meeressymbolen verkleidetes Viereck, modernes Äquivalent zum alten Castillo. Gewidmet ist die neue Burg dem in Las Palmas geborenen Alfredo Kraus, er hat die Einweihung im Dezember 1997 noch um zwei Jahre überlebt. Die Zeitung „El Mundo“ hat über Kraus mal geschrieben: „Der vierte Tenor ist eigentlich der erste“, eine hübsche Anspielung auf die eitlen Kollegen Carreras, Domingo und Pavarotti.

Natürlich hat Øystein Eide auch eine Anekdote zu Alfredo Kraus, sie geht so: „Kraus war schon 70, da hat er in Madrid ein großes Comeback gegeben. Am Ende hat das Publikum 45 Minuten lang applaudiert, das ist bis heute Weltrekord.“

Reisetipps für Las Palmas

ANREISE

Air Berlin fliegt nach Las Palmas – wechselweise direkt oder über Düsseldorf, München, Nürnberg und Wien (ab 380 Euro im April).

UNTERKUNFT

Wer nach einer guten Kombination zwischen den kulturellen Attraktionen in Las Palmas, dem Fischerdorf-Ambiente im Südwesten und gehobenem Wellnesfaktor sucht, ist im neu eröffneten „Radisson Blu Resort & Spa Gran Canaria Mogan“ gut aufgehoben (DZ ab 200 Euro). Das Fünf-Sterne-Hotel im Ferienort Puerto de Mogán ist vom Flughafen in 20 Minuten über die neu gebaute Inselautobahn zu erreichen. radissonblu.com

Zur Startseite