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Daniel Radcliffe benötigte in den zehn Harry-Potter-Drehjahren insgesamt 80 Zauberstäbe.

© imago/United Archives

Hinter den Kulissen von Harry Potter: Auf der Suche nach dem richtigen Zauberwerkzeug

Auf einem Besen reiten und Butterbier trinken. In London können Besucher in Harry Potters Welt eintauchen. Und manchmal erreicht die Magie auch den Alltag.

Von Julia Prosinger

London Heathrow, Gepäckkontrolle. „Sie haben einen spitzen Gegenstand dabei“, ruft eine Mitarbeiterin und stoppt das Band. Doch bevor man Socken und Kabel zur Seite gekramt hat, zwinkert sie. „Ich sehe schon an der Form, dass es ein Harry-Potter-Zauberstab ist“, flüstert sie. „Ich will nur wissen: Welcher?“

Ja, welcher, das war stundenlang die Frage auf der Tour durch die Warner Bros. Studios in Leavesden, 30 Kilometer nordwestlich von London, wo alle acht Teile der Filmreihe gedreht wurden.

Gleich am Eingang, unter einem gigantischen Drachen, steht Mitch Wlodarczyk, eine 53-jährige Frau mit blonden Locken und unglaublicher Fachkenntnis: Sie weiß alles, wirklich alles, über – Zauberstäbe. Während die Hölzer durch ihre Finger gleiten, erklärt sie, dass das Exemplar von Werwolf Professor Lupin einen Mond als Griff hat und sich Efeu über den Stab von Super-Streberin Hermine Granger, Harrys bester Freundin, rankt – die Pflanze, die Wissen symbolisiert. Keinen Zauberstab hat sie so oft verkauft wie diesen.

Die Mitarbeiter sind fanatische Potterheads

Wer hätte gedacht, dass zwölf Jahre nach dem letzten Buch und acht Jahre nach dem letzten Film noch einmal eine Welt aufgehen könnte, dass dem Harry-Potter-Universum eine andere Dimension hinzugefügt werden würde?

Klar, Potter-Fans können inzwischen auf den Spuren der Drehorte durch London spazieren, das geheime Gleis 9 3/4 am Bahnhof King’s Cross stürmen oder auf dem Edinburgher Friedhof das Grab suchen, das Potter-Autorin J.K. Rowling zu ihrem Bösewicht Lord Voldemort inspirierte.

Sie können von Osaka bis Orlando in eigenen Vergnügungsparks Achterbahn fahren oder auf der Website Pottermore testen, welcher Zauberstab für sie geeignet ist. Aber nichts ersetzt eine Beratung durch Mitch Wlodarczyk.

„Der Zauberstab sucht seinen Zauberer aus“, zitiert die Expertin jetzt Rowling, als sei es eh schon ausgemachte Sache, dass man – immerhin inzwischen dem Alter nach erwachsen – dieses Gebäude nicht verlassen wird, ohne 30 Pfund für ein völlig nutzloses Stück Holz ausgegeben zu haben. Schließlich wird ein mit ihm gerufenes „Stupefy!“ das Gegenüber wohl kaum in Schockstarre versetzen.

Welcher soll es werden? Der weiße mit dem Haken etwa? Er gehört Lord Voldemort.
Welcher soll es werden? Der weiße mit dem Haken etwa? Er gehört Lord Voldemort.

© Warner Bros. Entertainment Inc.

Mitch wiegt den Kopf, sie scheint sich da nicht so sicher zu sein. In ihrer Familie besitzt jeder einen, sie selbst hat sogar vier. Die meisten Mitarbeiter sind fanatische Potterheads. Wenn das Studio Angestellte für sein Filmmuseum sucht, klingt das so: „Gibt es Besseres, als sich morgens seinen Zauberstab zu schnappen und zur Arbeit nach Hogwarts zu fahren ...?“

Daniel Radcliffe machte hier seine Hausaufgaben

Man solle doch jetzt erst mal mit der Tour loslegen, sagt Mitch. Also rein, durch die Große Halle des Zaubererinternats Hogwarts, wo die Tische in den Farben der vier Häuser festlich gedeckt sind, Gryffindor, Slytherin, Ravenclaw und Hufflepuff. Es soll schon Fans gegeben haben, die vor Glück den Boden küssten.

Vorbei an der Kostümabteilung, wo Harrys, also Daniel Radcliffes, echte Aufkleb-Narbe in einem Plastikschälchen liegt, daneben ein Post-it seiner Visagisten: „Wir lieben Dan, wenn er nicht an seiner Narbe rumfummelt.“ Und wo einem die Experten erklären, womit man Harry für eine Tauchszene Schwimmhäute wachsen ließ: mit feinen Damenstrumpfhosen!

Nein, Harrys Zauberstabzauber will heute nicht auf einen überspringen, auch wenn Mitch gerade so nett erzählt hat, dass Radcliffe in den zehn Drehjahren 80 davon benötigte. Er hat sie gern als Trommelstöcke missbraucht.

Radcliffe und seine Kollegen drehten in diesen Hallen nicht nur die Filme. Sie wurden älter, machten in den falschen Klassenräumen ihre echten Hausaufgaben, fläzten in den Pausen wirklich im Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Aus den original Internatsbetten im Schlafsaal wuchsen sie so rasch raus, dass man sie ab Film Nummer vier nur noch sitzend darin sieht.

Überhaupt ist das hier ein Ort, an dem die Welten verschwimmen. Die Süßigkeiten, die Harry und seine Freunde im Zug naschen, werden real verkauft. Zum Beispiel Bohnen aller Geschmacksrichtungen, wirklich aller, also auch Kotze.

Was Mitch und Queenie Goldstein gemeinsam haben

Es seien vor allem die heute 30-Jährigen, erzählt Mitch, die mit den Harry-Potter-Büchern aufgewachsen sind und bei Erscheinen eines neuen Bandes vor den Buchhandlungen campierten, die diese Welt, zu der sie endlich Zutritt erlangen, gar nicht mehr verlassen wollen.

Einmal habe sich eine junge Frau als Harrys Eule Hedwig verkleidet, aber bis zum Ende der Tour hatte der Vogel all seine Federn verloren und stand nur noch im pinken Badeanzug vor Mitch. Ein anderes Mal kam ein erwachsener Mann perfekt verkleidet an ihren Stand. „Guten Morgen, Professor Snape“, spielte Mitch mit.

Oder spielte sie gar nicht? Auch bei Mitch verschwimmen die Welten: Ihr liebster Zauberstab gehört Queenie Goldstein (eine Figur aus den Prequel-Filmen „Phantastische Tierwesen“, die in den vergangenen Jahren rausgekommen sind), weil die sich, genau wie Mitch, in einen Mann polnischer Abstammung verliebt hat.

Wird mit Ehrfurcht betreten: Dumbledores feudales Büro.
Wird mit Ehrfurcht betreten: Dumbledores feudales Büro.

© Warner Bros. Entertainment Inc.

Als Nächstes ein ehrfürchtiger Schritt hinein in das Büro von Schulleiter Albus Dumbledore. Es entzaubert sich ein bisschen, als man feststellt, dass die vielen Bücher doch nur in Leder eingeschlagene englische Telefonbücher sind. Aber nein, Dumbledores Elderstab, den mächtigsten Zauberstab überhaupt, den darf man sich nicht zutrauen, das wäre wirklich zu vermessen.

Jetzt hätte man gern eine spitze Waffe dabei

Also vielleicht Inspiration bei Zaubertrank-Lehrer Snape suchen. Dessen Haare und Gewänder, erfährt man hier, nicht etwa schwarz sind, sondern tiefblau – das wirkt auf der Leinwand noch dunkler. Die Lehrbücher im Klassenraum kann man tatsächlich lesen, sie wurden eigens für die Filme geschrieben.

Ein paar Stationen weiter versteht man vor der Hütte des Halbriesen Hagrid endlich, wie die Filmproduzenten ihn so groß gemacht haben: Szenen mit ihm wurden in einer Hütte gedreht, in der alles winzig ist – so wirkt er gigantisch. Szenen mit anderen in einer massiven Hütte, so wirken sie klein.

Allein 250 Tiere spielten in den Potter-Filmen mit. Für die Mietzen in Professor Umbridges Büro wurden 40 Kätzchen aus dem Tierheim geholt.
Allein 250 Tiere spielten in den Potter-Filmen mit. Für die Mietzen in Professor Umbridges Büro wurden 40 Kätzchen aus dem Tierheim geholt - und ohne Hinweis auf ihre Rolle zurückgebracht. Damit kein neuer Besitzer sie aus den falschen Gründen holen würde.

© Julia Prosinger

Noch immer keine Idee, welcher Zauberstab es werden soll. Obwohl man jetzt, beim erlaubten Betreten des „Verbotenen Waldes“, doch gern irgendeine spitze Waffe im Umhang stecken hätte. Nebel legt sich über den Boden, aus dem Unterholz kriecht tosend eine fünf Meter große Spinne. Weil die Technik, besonders in den frühen Potter-Filmen, noch nicht so weit war, sind viele Effekte, wie dieser, mechanisch hergestellt.

Ob sich überhaupt jemand traut, die Zauberstäbe der Bösen mit nach Hause zu nehmen? Viele!, sagt Mitch und präsentiert das furchterregende Exemplar Lord Voldemorts, an dessen Ende ein Haken sitzt. So, erklärt die Expertin, wirkt der Stab wie ein verlängerter Arm, ein Symbol für die Übermacht dieses Magiers.

Ein Schluck Butterbier und rüber zu den Weasleys!

Schon wieder ein Symbol, das man trotz all der Jahre als Fan nicht verstanden hatte: Voldemorts Kostüm besteht aus sieben Lagen Grün. Sie stellen die sieben Teile seiner Seele dar, die er in sogenannte Horcruxe abgespalten hat. Je mehr von diesen Objekten Harry und seine Freunde zerstören, desto blasser wird Voldemort, desto mehr Lagen seiner Robe verliert er. Seine Nase liegt übrigens ebenfalls in den Studios herum, es sind nur ein paar aufklebbare Partikel, die später am Computer zu dem schlangenhaften Gebilde werden, vor dem es die Zuschauer ganz besonders gruselt.

Vielleicht hilft ein Schluck Butterbier bei der Entscheidung. In den Filmstudios servieren sie eine süße Karamellbrause mit Schlagsahne in Krügen – alkoholfrei. Und während man einer Frau nachblickt, die sich für den Anlass des Besuchs extra ein Kleid aus den Schlagzeilen des „Tagespropheten“ geschneidert hat, kommt eine Idee: Schnell rüber zu den Weasleys!

Da tut es eigentlich jeder Zauberstab, kein Roman der Weltliteratur hat eine liebevollere Familie hervorgebracht als die von Harrys bestem Freund Ron. Der Fuchsbau, wie das skurrile Haus dieses Clans genannt wird, verfügt über eine abenteuerliche Statik, in einer echten Welt würde er sofort zusammenkrachen. Selbstständige Messer schnippeln Möhren, Pfannen spülen sich ganz von allein ab.

Endlich begreift man auch, wie die Zwillingsbrüder auseinanderzuhalten sind: Fred steht links und George rechts – bis auf die Male wenigstens, in denen die Schauspieler die Plätze tauschten, um die Kollegen zu ärgern. Die Szenen mussten neu gedreht werden. Ein Zauberstab der Weasleys also? Irgendwie zu harmlos.

Sirius Black? Der könnte es sein

Es bleibt keine Zeit mehr für einen Ritt auf dem Besen vor dem Greenscreen oder um die 30 000 Plastikteile des mächtigen Kronleuchters in der Zaubererbank Gringotts zu zählen.

Gringotts. Die Zaubererbank und seine wachsgekneteten Kobolde sind die neueste Attraktion der Studio Tour. Die Säulen sind nicht aus Marmor, sondern aus bemalter Pappe.
Gringotts. Die Zaubererbank und seine wachsgekneteten Kobolde sind die neueste Attraktion der Studio Tour. Die Säulen sind nicht aus Marmor, sondern aus bemalter Pappe.

© Julia Prosinger

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Nur noch schnell das 1:24-Modell von Hogwarts umrunden. Etwa 160 Tonnen Styropor haben die Produzenten gebraucht, um den Schutt für die Zerstörung des Schlosses am Ende der Reihe herzustellen. Der echte Hogwarts Express, 1937 erbaut, 1963 aus dem Verkehr gezogen und von grün auf rot umlackiert, damit er zum Cover des ersten Buches passte, gibt auch keine Antwort auf die Frage nach dem richtigen Zauberstab.

Der Zug stößt nur weiter Dampf in die Bahnhofshalle hinein, durch die Kinder in Zauberumhängen toben. Oder sind es doch bloß englische Schuluniformen?

Auf den Zauberstab von Sirius Black sind Runen gemeißelt, die seinen Tätowierungen entsprechen.
Auf den Zauberstab von Sirius Black sind Runen gemeißelt, die seinen Tätowierungen entsprechen.

© Julia Prosinger

Mitch nimmt nun einen kantigen, mit Runen bemeißelten Stab aus seinem samtbeschlagenen Karton. „Sirius Black“, wispert sie. Einer ihrer liebsten! Harry Potters Patenonkel saß jahrelang unschuldig hinter Gittern, das Design greift seine Tätowierungen auf. Der könnte es sein!

Am Ende fiel die Wahl auf ...

London Heathrow, Gepäckband. „Es ist der Zauberstab von Newt Scamander“, flüstert man der Security-Frau über das Band hinweg zu. Die Hauptfigur der neuen Filme aus dem Potter-Universum, drei weitere Teile sind in Arbeit. „Clever“, hatte Mitch gesagt, „so haben Sie noch ein paar Jahre was davon.“ Und merkte an, dass Darsteller Eddie Redmayne eigens Unterricht von einem Choreografen brauchte, weil er sich so ungeschickt mit seinem Zauberstab bewegte.

„Lassen Sie sich die Bohnen aller Geschmacksrichtungen schmecken“, ruft die Mitarbeiterin am Flughafen noch hinterher. Auch die hatte sie also im Handgepäck entdeckt. Jetzt haben es alle gehört.

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