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Klimaanlage. Während draußen oft 40 Grad sind, bleibt es in den Höhlen das ganze Jahr über angenehm kühl. Ganz ohne Technik.

© Martin Kaluza

Höhlenstadt in Australien: Tiefergelegt

Sie suchten Edelsteine, gruben sich in den Fels. Heute leben die Einwohner von Coober Pedy in modernen Wohnhöhlen. Manche packt noch immer der Sog des Opals.

Coober Pedy, das sind ein paar Straßen, flache Häuser, karge Hügel, Baumaschinen in der Wüste von South Australia. Nur 1700 Menschen leben hier. Vereinzelte Bäume stehen in der Landschaft. Gewässert von den Einwohnern. Die Gegend ist knochentrocken.

Auf der Aussichtsplattform auf einem Hügel ist eine riesige Winde aufgebaut, an der ein metergroßer Kübel hängt. Sie ist nur Dekoration und schon lange nicht mehr in Betrieb. Davor steht Wayne Borrett, ein Tourguide, und deutet auf die zwei großen Buchstaben, die jemand in geschwungener Schrift auf den Eimer geschrieben hat: „If!“ „Darum geht es in dieser Stadt, sagt Borrett. „Was wäre wenn?“

In Coober Pedy lässt sich der Rausch der Glücksritter noch erahnen. Der Ort schmückt sich mit dem Titel „Opalhauptstadt der Welt“. Einige Einwohner ringen der Erde nach wie vor den weißen oder schwarzen Halbedelstein ab (richtiger: ein amorphes Mineral), dessen Einschlüsse in den Regenbogenfarben schillern. Der Schmuckstein und das heiße, trockene Klima haben die Menschen unter die Erde getrieben. Ist eine Ader einmal abgebaut, bleibt eine Höhle zurück. Vor fast 100 Jahren beschlossen die ersten Opalsucher, in diesen Höhlen zu leben.

Der letzte Opal-Boom ist 30 Jahre her

Zwei Drittel der Bewohner tun das bis heute. Zwar gibt es in Coober Pedy auch richtige Häuser. Aber in der Gegend wird es mehr als 40 Grad warm, manchmal 50. Unter der Erde ist es das ganze Jahr über angenehm kühl. In den fensterlosen Räumen bleibt die Temperatur bei konstant 23 Grad. Besucher können das selbst überprüfen, im „Desert Cave Hotel“ zum Beispiel.

Die unterirdischen Wohnungen, „Dugout homes“ werden sie genannt, liegen allerdings nicht wirklich unter der Erde. Sie sind in Felsen und Hügel gegraben, der Eingang ist meist ebenerdig. An einer Stelle ist jemand mit der Tunnelmaschine fünfmal in den Berg gefahren. Jetzt ist dort die serbisch-orthodoxe Kirche des Ortes.

Noch heute haben in Coober Pedy einige Privatleute solche Maschinen. Und das, obwohl der letzte Opal-Boom 30 Jahre her ist. Immer noch fräsen ein paar Dutzend Menschen vor der Stadt auf eigene Faust mit ihren Bohrern Stollen in lizensierten Quadranten.

Was sie finden, landet unter anderem bei George Boussios. Er ist Goldschmied. „Für große Firmen lohnt es sich nicht, nach Opal zu suchen. Es gibt keine zuverlässigen Analysemethoden, mit der man ein Stück Land nach Opal abscannen oder durchleuchten könnte. Man ist auf sein Glück angewiesen“, sagt Boussios. Mit seiner Mutter Stella und seinem Vater Andreas betreibt er den Opal- und Juwelierladen „Opalios“. An der Hauptstraße gibt es mehrere.

Heute muss man wirklich tief bohren

Boussios, ein Mann in staubigem T-Shirt mit kurzen, angegrauten Locken, schüttet eine Tüte milchiger Steinchen auf den Tresen. Rohe Opale, sein Arbeitsmaterial. Boussios’ Eltern sind aus Griechenland nach Australien eingewandert. „Sie sagten sich damals: Coober Pedy hat ein Polizeirevier und ein Krankenhaus – lass es uns drei Monate lang mit der Opalsuche probieren.“ Das war 1973. Heute gehört die Familie zu den wenigen, die auch nach dem Boom noch vom Opal leben.

Vater Andreas geht fast jeden Tag in den Stollen, um in 16 Metern Tiefe den roten Sandstein abzufräsen. Was er an Verwertbarem nach Hause bringt, schleift und poliert Mutter Stella, Sohn George fasst die Steine ein. 100 Australische Dollar kostet ein „Claim“ pro Jahr, das Schürfrecht für einen Hektar. Das sind etwas mehr als 70 Euro. Die Claims, die man pachten kann, liegen allesamt in den Feldern außerhalb der Stadtgrenzen, und man muss dazu wirklich in die Tiefe bohren. „Das Erste, was du lernst, ist niemals rückwärts zu gehen“, sagt Boussios. Zu groß wäre die Gefahr, in einen der vielen Schächte zu stürzen.

Innerhalb der Stadtgrenzen darf man heute nicht mehr nach Opal graben. Offiziell zumindest. „Es kann einem niemand verbieten, die eigene Wohnung zu erweitern“, sagt Sabrina Platzer. Die gebürtige Deutsche betreibt mit ihrem Mann die Umoona Mine, ein Museum, in dem man sich eine modern eingerichtete Höhle anschauen kann wie eine Musterwohnung: Kühlschrank und Fernseher, Schlafzimmer und Küche – hier sieht es wie in einer ganz normalen Wohnung aus, die eben keine Fenster hat. Die Wände bestehen aus rötlichem Stein. „Die Oberfläche ist lasiert, weil es schnell stauben würde“, sagt Platzer.

Die Wohnhöhle eines Deutschen zählt zu den Sehenswürdigkeiten

Berg versetzt. Die serbisch-orthodoxe Kirche füllt nun den Raum, wo sich einst Tunnelmaschinen einfrästen.
Berg versetzt. Die serbisch-orthodoxe Kirche füllt nun den Raum, wo sich einst Tunnelmaschinen einfrästen.

© Martin Kaluza

Tourguide Borrett läuft die „Sehenswürdigkeiten“ der Kleinstadt ab. Auf einem Parkplatz an der Hauptstraße steht eine Raumschiffattrappe, als habe sie hier eine Bruchlandung hingelegt. Das Wrack stammt aus dem Vin-Diesel-Action-Streifen „Pitch Black“, man kann draufklettern. Eine ganze Reihe Filme wurde in der unwirtlichen Gegend gedreht, „Jenseits der Donnerkuppel“ zum Beispiel, der dritte Teil der Mad-Max-Reihe. Auch „Priscilla, Königin der Wüste“, kehrte hier mit ihren Dragqueens ein.

Auf dem Golfplatz steht kein Halm. Damit der Sand am „Grün“ nicht verweht, ist er mit Öl getränkt. Am Rand des Platzes warnt ein Schild: „Keep off grass!“ Ein Stück weiter, auf dem Friedhof, hat sich ein deutscher Einwanderer namens Karl Bratz ein ganz eigenes Denkmal gesetzt. Sein Grabstein ist ein Bierfass mit der Aufschrift „Have a drink on me!“

Am Stadtrand weisen Schilder mit der Aufschrift „Crocodile Harry“ auf einen weiteren Deutschen hin, der es zu gewisser Berühmtheit gebracht hat. Der Spitzname gehörte dem deutsch-lettischen Baron Arvid von Blumenthal. Der hatte sich im Norden Australiens zunächst als Krokodilsjäger verdingt. Als Anfang der 70er Jahre die Jagd verboten wurde, begann auch er nach Opalen zu suchen. Er ist längst verstorben, schon 2006, doch seine Wohnhöhle zählt noch immer zu den Sehenswürdigkeiten des Ortes.

„Am Tag, als Harry einzog, begann hier eine Grillparty, die praktisch 30 Jahre nicht aufhörte“, sagt Tim Nagi. Harrys alter Nachbar wohnt weiterhin nebenan und kümmert sich darum, dass man die Höhle von Harry auch heute besuchen kann. An den Wänden hängen Postkarten, Visitenkarten, Schlüpfer in allen Farben und BHs. Eine Besucherin aus Böblingen hat ihren Personalausweis an die Wand geheftet. Demnächst, so der Plan, soll man hier übernachten können – vielleicht draußen auf einem Zeltplatz. „Wir haben auch die Erlaubnis, zwei Krokodile zu halten, wenn wir das Geld zusammenkriegen“, behauptet Nagi.

Endlich eine Ader?

Wayne Borrett hatte früher selbst das Schürfrecht für ein Stückchen Land. An einem Neujahrsmorgen hatte ein Kumpel ihn angefixt – in dessen Schacht fanden sie an einem Tag Steine im Wert von 15 000 Australischen Dollar. Für Wayne war es die erste Opalsuche überhaupt. Viele Jahre hat er dann selbst gegraben und nie wieder so viel auf einmal gefunden. Zuletzt kam er immer weniger zum Suchen. Seinen Claim hat er inzwischen aufgegeben. Doch er kennt einen sicheren Ort, an dem er das mit der Opalsuche vorführen kann.

Er steigt in seinen Pick-up und fährt auf der Landstraße kilometerweit durch die Opalfelder. Unzählige kleine Sandhügel ziehen vorbei. Am Rand der Felder stehen Warnschilder, denn neben jedem Hügel klafft ein Loch, das mindestens sechs Meter tief in einen Schacht führt. Es ist schon oft vorgekommen, dass hier jemand zu Tode stürzte.

Borrett parkt in einer Grube, der einzigen, die von Bulldozern ausgehoben wurde, in den 90er Jahren war das. Eine Szene wie im Film. In der Wand klafft ein fünf Meter hohes Loch – der Eingang zu einem Stollen. Mit einer Schwarzlichtlampe sucht Borrett die Wände ab. Ein dünner Streifen leuchtet bläulich. Borrett zieht Hammer und Meißel hervor und pickert an der Stelle herum. Erst klingen seine Schläge dumpf, als klopfte er auf einen Ziegelstein. Doch plötzlich wird der Klang hell und klar. „Das wollte ich hören!“ Borrett ist auf eine Ader gestoßen, vielleicht zwei Millimeter stark.

Er kratzt ein flaches, weißes Stück Stein aus der Wand. Und betrachtet es ernüchtert. „Siehst du? Ein weißer Stein, aber er hat überhaupt keine Einschlüsse. Er schillert nicht.“ Borrett wirft ihn fort. „Wertlos.“ Er meißelt weiter. Vielleicht ist dies ja der Anfang einer Ader, die dicker wird und in der sich doch noch Steine mit einem schillernden Farbenspiel verbergen? Da muss doch noch mehr sein! Der schmale, weißliche Streifen in der riesigen roten Sandsteinwand hält Borrett gefangen. Der nächste Schnipsel – wieder wertlos.

Die Sonne steht sehr tief, als er aufgibt. Aber noch will er nicht zurück. Er kennt einen weiteren Ort. Ein paar Kilometer außerhalb liegen die Breakaways, und tatsächlich sieht die Landschaft hier aus, als sei sie an einer Felskante abgebrochen, um sich eine Etage tiefer fortzusetzen. Sie erinnert daran: Es ist auch über der Erde ziemlich schön hier.

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