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Frank Stauss, 47, half unter anderem Hannelore Kraft.

© Kai-Uwe Heinrich

Im Wahlkampf: „Diese Mundwinkel hat die Kanzlerin auch“

Hat Peer Steinbrück noch eine Chance? Nutzen Homestorys einem Kandidaten? Frank Stauss erklärt, warum der Straßenwahlkampf wichtiger ist als Twittern.

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Frank Stauss, 47, gestaltete viele wichtige Wahlkämpfe für die SPD, zuletzt 2012 die Kampagne von Hannelore Kraft in NRW. Er ist Mitinhaber der Agentur „Butter“, Lehrbeauftragter für Politische Kommunikation – schrieb den Insider-Report „Höllenritt Wahlkampf“. Stauss lebt mit seinem Mann in Berlin

Herr Stauss, wir haben hier 100 Millionen Euro in der Tasche. Können Sie damit den Ausgang der Bundestagswahl bestimmen?

Ja! Geben Sie mir das Geld, und ich melde mich dann wieder. Im Ernst: Über Massivität läuft das nicht. Wenn Sie mit einer Unsumme die ganze Republik zupflastern, reagieren die Leute eher mit Abwehr. Mitt Romney hatte mehr Geld als Barack Obama – und verlor. Man kann die Leute nicht durch gekaufte Werbung dazu bringen, gegen ihren Willen etwas zu tun.

Gibt es werbestrategisch einen Unterschied zwischen einem Politiker und einem Joghurt?

Bei einem Joghurt wird die Kampagne fast komplett vom Absender kontrolliert: Ich bestimme, wie das Produkt inszeniert wird, wie die Anzeigen und der TV-Spot aussehen. Ein Politiker ist dagegen ein Mensch, den die Bürger schon kennen. Sie erleben ihn im Fernsehen, in der Berichterstattung. Alles, was er macht, wird analysiert und kommentiert. Die Kampagne, die wir für ihn entwerfen, ist also nur ein kleiner Bestandteil des Bildes des Politikers. Außerdem macht ein Joghurt keine Fehltritte oder redet Quatsch, den man hinterher wieder einfangen muss.

Wir hätten jetzt gedacht, Sie sagen: Joghurt muss sich immer verkaufen, ein Politiker nur am Wahltag.

Das stimmt nicht. Manchmal werden Politiker mit Entscheidungen konfrontiert, die sie bereits vor vielen Jahren getroffen haben. Wahlkampf findet täglich statt.

Sie haben für Gerhard Schröder, Hannelore Kraft und Klaus Wowereit Wahlkämpfe gestaltet und organisiert. Warum hat sich Ihre Agentur nicht für den SPD-Wahlkampf 2013 beworben?

Als die SPD uns im März 2011 zur Ausschreibung einladen wollte, waren wir mitten in einem Super-Wahljahr. Wir kamen aus der Olaf-Scholz- Kampagne, waren für Klaus Wowereit und Kurt Beck unterwegs und in Alarmbereitschaft, falls in NRW neu gewählt wird. Da konnten wir nicht teilnehmen, und auf uns warten wollte man wohl nicht. Es läuft ja auch ohne uns.

Was ein Spitzenkandidat braucht

Sie sagten mal, es sei die Aussichtslosigkeit, die Sie reize. Da müsste es doch sehr attraktiv für Sie sein, mit Peer Steinbrück auf Stimmenfang zu gehen.

Das war 2011 noch gar nicht absehbar, da stand die Union bei 35 und nicht bei 41 Prozent. Ich würde es auch heute noch nicht aussichtslos nennen.

Was muss ein Politiker haben, damit er zum Spitzenkandidaten taugt?

Es kommt auf die innere Glaubwürdigkeit an. Woran diese Person glaubt, was sie kann, und wofür die Partei steht – das sollte im Einklang sein. Klingt abgedroschen, wird aber selten beherzigt.

Weiß so ein Politiker bei einem ersten Gespräch mit Ihnen noch, woran er glaubt, oder müssen Sie das mühsam aus ihm herauskitzeln?

Ja, aber es ist meistens meine Aufgabe, das wieder stärker ins Bewusstsein zu holen. Man darf den Job eines Spitzenkandidaten nicht unterschätzen: Er ist meist in frühen Jahren gestartet, hat sich aufgrund einer Überzeugung für eine politische Richtung entschieden. Über die Jahre wird dieser Idealismus einem Realitätstest ausgesetzt, dazu kommen eine große Verantwortung und verschiedene Belastungen. Meine Aufgabe ist es, in langen Gesprächen den Enthusiasmus der frühen Jahre wieder freizulegen.

Könnte sein, dass sich ein Politiker einen Ruf als Krisenmanager erarbeitet hat. Da interessiert sich niemand mehr dafür, warum einst ein Beitrittsformular unterschrieben wurde.

Doch. Wir überzeugen am meisten, wenn wir über das sprechen, was wir lieben. Sehen Sie sich Helmut Schmidt an. Er kann sich noch so sehr als Manager inszenieren: Aus jeder Pore strömt der alte Sozi, den er oft mit dieser Macho-Nummer nach hinten drängt. Beobachten Sie ihn mal auf einem SPD-Parteitag! Er hat Tränen in den Augen.

Der berühmte Werber Jacques Séguéla prägte den Spruch: „Sag’ meiner Mutter nicht, dass ich in der Werbung arbeite, sie glaubt, ich spiele Klavier in einem Bordell.“

Seit Jahrzehnten wachsen die Leute nun schon mit einem völlig anderen Verständnis von Marketing auf als das zu diesem Zeitpunkt in den 70er Jahren der Fall war. Heute haben 14-Jährige mehr Ahnung von Werbung als damals die Erwachsenen.

Steinbrück und der Humor

Was wird der erste Eindruck eines unbefangenen Wählers sein, wenn er zum ersten Mal ein Foto mit den Steinbrück’schen Mundwinkeln sieht?

Steinbrück hat einen extrem ausgeprägten Humor und macht ständig lockere Sprüche. Trotzdem kommt er oft so ernst rüber. Wobei, diese Mundwinkel, die hat die Kanzlerin auch.

Ist der Vorname „Peer“ Teil des Problems?

Peer ist ein einprägsamer, spannender Name.

Wie würden Sie sein Potenzial an Menschlichkeit und Humor rüberbringen? Mithilfe seiner Frau und seiner Töchter?

Bloß nicht, Homestorys werden überschätzt. Die Wähler wollen mal ein Foto von der Familie sehen, das war’s. Von der Kanzlerin weiß man auch nur, sie ist verheiratet, ihr Mann taucht – in der Regel – einmal im Jahr in Bayreuth auf! Es ist falsch, einen wie Steinbrück mit jungen Frauen absoften zu wollen. Stattdessen sollte er darauf setzen, was er ist: der kantige Wirtschaftsfachmann mit Herz.

Mit Herz? Er hat kürzlich geweint, ja. Aber er hat Vortragshonorare in einer Höhe kassiert, für die der gemeine SPD-Wähler monatelang arbeiten muss.

Das wurde alles ordnungsgemäß versteuert. Er hat auch viele Vorträge an Universitäten gehalten, die nicht honoriert wurden. Das muss man einmal offensiv abräumen, dann ist das Ding erledigt.

Was bitte meinen Sie damit?

Man muss diese Schwachstellen vorher klären und eine Sprachregelung dafür vorbereiten. Es die Aufgabe der SPD, für jeden der drei möglichen Kandidaten ein Drehbuch zu entwickeln.

Wie findet man solche Schwachstellen? Schaut man auf den Fahrtenschreiber des Dienstwagens, fragt man nach dem oder der Geliebten?

Es geht um Fakten. Bei Steinbrück war klar, dass er viele Vorträge gehalten hat. Er hat sie alle beim Bundestag ordentlich angezeigt. Da hätte man sich rechtzeitig zusammensetzen müssen und sagen, dies und jenes erwartet uns, denn in der Summe ist das sehr viel Geld. So aber musste man erst mühsam alles zusammensuchen, als die Sache schon in der Welt war. Das hat dazu geführt, dass das Thema vier Wochen aktuell war statt nur einige Tage.

Hat der SPD-Kandidat Tritt gefasst?

Steinbrücks persönliche Umfragewerte sind im Keller. Nur 17 Prozent würden im Falle einer Direktwahl für ihn stimmen.

Mein Eindruck ist, er hat wieder Tritt gefasst. Jetzt geht es darum: Wer will in unserem Land etwas gestalten, und wer verwaltet nur? Es ist wie eine Wette, die zwischen ihm und Merkel läuft. Trägt ihr Krisen-Tranquilizing bis zum Wahltag?

Sie meinen, dass Angela Merkel dem Gegner keine Angriffsfläche bietet und die Wähler der SPD wie schon 2009 schneller einschläfern kann als die eigenen, was manche „asymmetrische Demobilisierung“ nennen?

Marketing-Gewäsch! Das verbreiten die Spindoktoren der CDU gern. Das bedeutet, dass es das Ziel der CDU ist, die Wahlbeteiligung zu senken. Finde ich unlauter und undemokratisch.

Die SPD schöpft Mut aus der Tatsache, dass sie die Niedersachsenwahl gegen den Ministerpräsidenten McAllister gewann, der in seinem Land noch viel populärer war als Merkel im Bund.

Winston Churchill hatte gerade den Zweiten Weltkrieg gewonnen, als er abgewählt wurde, weil sein Herausforderer sagte: Es geht jetzt um bezahlbare Wohnungen und höhere Löhne. Viel mehr als einen Weltkrieg zu gewinnen kann man nicht verlangen, oder? Die Frage ist: Welche Themen stehen im Vordergrund? Sehen Sie sich die Umfragen an. Wir haben gerade eine Differenz von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb von zwei bis drei Prozent. Das Ding ist offen! Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Leute am 23. September aufwachen und aus Versehen Peer Steinbrück zum Kanzler gewählt haben.

Ein Konzept der SPD ist „Wahlkampf von unten“. Freiwillige klingeln in Stadtvierteln mit niedriger Wahlbeteiligung an Türen. Was wäre der erste Satz, den Sie in die Gegensprechanlage sprechen würden?

Guten Tag, mein Name ist Stauss, ich komme von der SPD. Sie gehen doch wählen? Ich würde Ihnen gerne ein paar Sätze zu unserem Programm sagen.

Sie würden also ernsthaft versuchen, die Leute bei Ihrer Bürgerpflicht zu packen?

Mein Anspruch ist, dass jeder Bürger die verdammte Pflicht hat, sich aus dem Angebot einen rauszusuchen, wo er sein Kreuz machen kann. Ob es mehr Kitas oder höhere Steuern gibt, hat mit ihrer Wahlentscheidung zu tun.

Dann hören Sie: Es ändert sich ja doch nix.

Natürlich tut es das. Zwar gibt es keine tektonischen Veränderungen mehr, aber bei einem soften Thema wie dem Betreuungsgeld stehen gesellschaftliche Entwürfe gegeneinander.

1992 waren Sie als Stipendiat in Washington am US-Wahlkampf beteiligt. Sie zitieren gerne einen Satz, den Sie in Amerika gelernt haben: „Wenn dein Gegner am Ertrinken ist, wirf ihm einen Amboss zu.“ Ist der US-Wahlkampf härter?

Übersetzt heißt das: Hör’ nicht auf, bis der Wahltag zu Ende ist. Die Konsequenz des US-Wahlkampfs hat mich sehr begeistert. Man kam nicht in eine glänzende Parteizentrale, jeder brachte seinen eigenen Stuhl mit. Alles Geld floss in die Kampagne.

Das Internet als Wahlkampfinstrument hat ja dank Obama bei uns in Deutschland einen guten Ruf. Ist das gerechtfertigt?

Da wird gerne überzeichnet. In Wirklichkeit hat Obama mehr als das 20-fache in TV-Spots gesteckt. Viele Menschen verbringen nach wie vor ihre Zeit damit, abends einen Spielfilm zu gucken und sich passiv berieseln zu lassen – da bin ich mit meinem Spot im Wohnzimmer immer präsent. Im Netz hole ich mir die Informationen dagegen selber. Es ist nicht so, dass sich die Leute drängeln, um auf eine Obama-Website zu kommen.

Wenn man im Netz allein keine Wahl gewinnen kann, kann man sie da verlieren?

Ja, wenn man unachtsam ist. Natürlich ist es ein sehr schnelles Medium, ich kann sofort Entwicklungen ablesen. Auf der anderen Seite darf ich mich nicht verdaddeln. Wenn ich zum Beispiel meine Leute darauf ansetze, ganz viel in sozialen Netzwerken unterwegs zu sein, erreichen die am Tag 10 000 Leute. Mit einem Straßenwahlkampf erreicht man mehr.

Welches analoge Werbegeschenk kommt gut an?

Im Prinzip wollen die Leute Kugelschreiber oder Schlüsselanhänger mit Mini-Taschenlampe.

Was war die lustigste Nachgestaltung eines Ihrer Großflächenplakate durch einen Bürger?

Oh, da gab es eines aus dem Berlin-Wahlkampf: Wowereit hält eine ältere Dame an der Hand. Da hatte jemand eine Sprechblase über die Frau gemalt, darin stand: „Horst?“

Das schlechteste Wahlplakat aller Zeiten?

Die Kampagne Röttgen 2012. Da gab es ein Plakat mit einem Kind, das wie reingemorpht aussah. Das Kind guckte Röttgen an, aber der sah in die Kamera. Extrem unhöflich.

Und das Beste der Konkurrenz?

Helmut Kohl, „Politik ohne Bart“ von ’94. Da kam er spritziger rüber als sein Konkurrent …

… Bartträger Rudolf Scharping. Sie fanden ernsthaft, Kohl kam spritzig rüber?

Ja doch, so etwas hatte man dem alten Schlachtross gar nicht mehr zugetraut.

Aktuell lautet der Slogan der SPD „Das Wir entscheidet“. Den teilt sie mit einer Leiharbeitsfirma – besonders unglücklich, da die SPD Leiharbeit eindämmen will. Auch der Claim der „Aktion Mensch“ klingt ähnlich: „Das Wir gewinnt.“ Hätten Sie es besser machen können?

Ob irgendeine Zeitarbeitsklitsche auf ihrer Website den gleichen Satz stehen hat – Schwamm drüber. Aber die Nähe zur Aktion Mensch ist zu deutlich. Dann muss man halt nochmal ran.

Bitte klären Sie uns auf: Wie schmal ist der Grat der Bildbearbeitung bei Großflächenplakaten mit Politikerköpfen?

Sehr schmal, weil es den Realitätscheck gibt. Wenn Sie abends in der Tagesschau etwas anderes sehen als auf dem Plakat, ist das ein Problem. Man darf bearbeiten, wenn es um Pickel geht oder man schlecht rasiert ist. Wenn Sie auf ein Großflächenplakat aufgezogen werden – also Sie konkret würden natürlich blendend aussehen –, entdecken Sie Dinge, die hat man im Spiegel nicht erahnt.

Ein Berater Renate Künasts wurde mitten in der Nacht hinter dem Roten Rathaus von der Polizei gestoppt, weil er vor der Ampel eingeschlafen war. Seine Worte: „Wissen Sie nicht, wer ich bin?“

Tja, Sie arbeiten auf engstem Raum unter Hochdruck zusammen, da rastet immer mal wieder einer aus. Armer Kerl. Von Künast wurde er fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Gebt mir ein blutiges Steak, drei lebende Frösche und ein paar rohe Eier zum Nachspülen. Es ist Wahlkampf, Ihr Sissys.“ Bisschen übertrieben, oder?

Nein! Ich habe schon Frauen fluchen hören – da hab ich mich unterm Schreibtisch versteckt.

Sie machen und tun, und dann kommt am Ende eine Flut oder Fukushima. Frustrierend?

Das meinte ich mit der zusammenbrechenden Strategie. Sie haben einen tollen Plan und dann kommt das. 2001 die Anschläge vom 11. September mitten in der ersten Wowereit-Kampagne, 2011 Fukushima, jetzt die Flut – solche Ereignisse muss man blitzschnell einordnen.

Herr Stauss, ist das Kampagnen machen für Sie ein Schlupfloch, weil Sie sich nicht trauen, selbst zu kandidieren?

Ja, hab’ ich mir auch schon überlegt. Es gab eine Phase, als ich mich nicht getraut habe. Ich war ja mal Pressesprecher der SPD Rheinneckar und Juso-Vorsitzender und merkte: Aha, ich bin schwul. Dann kann ich nicht Bundeskanzler werden, und wenn ich das nicht kann, dann lass ich’s sein.

Das war lange vor „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“.

Ein solcher Mut, wowereitisch-lässig formuliert! Ich glaube, es hat ihn bei der konservativen Arbeiterschaft auch ein bisschen was gekostet.

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