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Gesichtslos. Das Gebäude des Intercity Hotels ist wenig aufregend. Für die Gäste sind die hoteleigenen Fahrräder ein Segen.

© imago/Arnulf Hettrich

Intercity Hotel: Alles Betonfassade

Kein Strich, keine Junkies, keine Architektur: In der Unterkunft am Berliner Hauptbahnhof stellt sich die Frage nach dem Menschsein plötzlich neu.

Von Fatina Keilani

Bahnhofsviertel sind in der Regel schmuddelig. Dort hängen Junkies herum, Obdachlose, meist gibt es einen Strich und ein Rotlichtmilieu. In Berlin ist das anders. Kein Strich, keine Junkies, eigentlich gar kein Bahnhofsviertel. Ich steige am Hauptbahnhof aus der S-Bahn, nehme den Ausgang Washingtonplatz, und wenn da nicht Kanzleramt und Reichstag wären, wüsste ich nichtmal, in welcher Stadt ich bin.

Ich halte mich rechts und suche meine Unterkunft für die Nacht, das Intercity Hotel. Es befindet sich in einem grauen Betonkasten, der durch Abwesenheit von Architektur gekennzeichnet ist.

Auch mein Zimmer ist funktional und minimalistisch ausgestattet, einzig religiöse Lektüre gibt es in überdurchschnittlichem Maß: Neben der üblichen Gideon-Bibel, die Selbstmörder von ihrem Plan abbringen soll, steht da „Die Lehre Buddhas“. Das kenne ich noch nicht. Es ist eine Minibar im Schreibtisch versteckt, das Bier kostet 2,90 Euro, das finde ich recht zivil. Das Zimmer kostet 89 Euro, zu Messezeiten verlangt das Hotel dafür 359 Euro.

Ich könnte Markenbotschafterin für Ohropax werden

Ich verlasse das Haus für eine Erkundung – als Segen erweisen sich jetzt die hoteleigenen Fahrräder, die man für eine Tagesmiete von zwölf Euro nutzen kann. Ich segele in dem ganzen blitzneuen Berlin herum, radele an Reichstag und Brandenburger Tor vorbei zum Tagesspiegel und zurück zum Hotel, hinter dem Kanzleramt geht rot die Sonne unter, ich denke journalistentypisch „Merkeldämmerung“, verurteile mich selbst für diesen Reflex, dann steuere ich Richtung Bett.

Leider ist mir jetzt schlecht, ich rufe den Room Service und bestelle Underberg. Ich könnte Markenbotschafterin für Underberg werden, dieses Zeug ist meine Medizin, die Bar hat allerdings keinen, eine junge Frau bringt mir ersatzweise Jägermeister. Ich gehe schlafen. Die ganze Nacht rauscht das Gebläse im Bad, es lässt sich nicht abstellen, bestätigt die Rezeption. Ich könnte auch Markenbotschafterin für Ohropax werden: Ich verstopfe mir also die Ohren und schlafe deshalb ganz gut. Nach der Dusche am nächsten Morgen frühstücke ich. Das Frühstück ist in Ordnung.

Bevor ich ins Büro gehe, nehme ich wieder ein Fahrrad und radele in die andere Richtung. Im Museum Hamburger Bahnhof sehe ich die grandiose Installation von Julian Rosefeldt, und hier zeigt sich, was die Reizarmut des Hotels für Vorteile hat: Ich bin sehr empfänglich für Sinneseindrücke. Was Menschsein bedeutet, stellt sich als Frage ganz neu in einer Architektur, die nicht auf das Menschliche zugeschnitten ist.

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