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Ellen van Loon arbeitet seit 1998 im Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Rotterdam.

© Mike Wolff

Interview mit Ellen van Loon: „In der Architektur gehört Schreien dazu“

Streit fördert die Kreativität, sagt Ellen van Loon. Die Architektin über nächtelange Verhandlungen, die Enge Hollands und transparente Sportstudios.

Frau van Loon, Ihr Markenzeichen als Architektin sind Bars. Trinken Sie so gern Cocktails?

Ich habe eine Affinität zu dem Ort. Noch nie habe ich ein Gebäude ohne entworfen. Selbst wenn der Bauherr keine will, wie im Fall der Londoner Rothschild-Bank. Auf gar keinen Fall!, haben sie gesagt. Jetzt gibt es doch eine – versteckt.

Ganz schön hartnäckig.

Mich fasziniert die Bar als Treffpunkt. Man ist dort ganz anders als an einem Besprechungstisch. Im Büro benimmt man sich, das wird erwartet. In der Bar herrscht eine eigene Zeit: die Nacht.

Alkohol beflügelt?

In den 90er Jahren habe ich in Berlin gelebt, hier hatte ich meine erste Stelle als Architektin – und einmal einen unheimlich schwierigen Bauherrn. Irgendwann habe ich gemerkt, dass er viel offener für neue Ideen war, wenn wir uns abends getroffen haben. In Südeuropa ist das normal, mehr im Restaurant als am Konferenztisch zu beschließen. Dann sind alle entspannt, man kommt auf ganz andere Einfälle.

Sie arbeiten in einem der bekanntesten Architekturbüros der Welt, dem von Rem Koolhaas mitbegründeten „Office for Metropolitan Architecture“ (OMA), waren verantwortlich für Gebäude wie die Niederländische Botschaft in Berlin. Vor ein paar Wochen wurde Ihr jüngstes Werk, „BLOX“, in Kopenhagen eröffnet. Und die Zeitungen schrieben über „den Bau von Rem Koolhaas“. Warum protestieren Sie nicht: Unverschämtheit, ich bin das gewesen!

Das ist eine sehr komplizierte Frage. OMA, der Name sagt schon, dass wir nicht eine Person sind, sondern eine Gruppe, und zwar von denkenden Leuten. Das läuft nicht nach dem Prinzip: hier der Chef und dort die Mitarbeiter. Es soll mehr so sein wie an der Uni, wo man auch oft in Gruppen arbeitet. Man tauscht Meinungen und Ideen aus. Das war der Grundgedanke des Büros. Als ich angefangen habe, gab es keinen Unterschied, ob ein Einfall von einem Studenten kam oder einem Gesellschafter. Eine gute Idee war eine gute Idee. Rem war anfangs mehr wie der Regisseur für ein Gebäude mit einem Plot und sehr vielen Szenen, für die ein Team Ideen entwickelte.

Hat Rem Koolhaas Sie mal angeschrien?

Ja. Aber ich ihn auch. Schreien gehört dazu, ist Ausdruck von Gefühlen. Und ich glaube, dass Architektur sehr emotional ist.

Da waren Sie in Berlin aber nicht an der richtigen Stelle. In Ihrer Zeit hier hat Senatsbaudirektor Stimmann die Architektur diktiert.

Die Blöcke und der Sandstein haben mich nicht begeistert. Dann kam das Angebot, beim Reichstag mitzumachen. Als das vorbei war, wollte ich zurück nach Holland.

Aus Heimweh?

Ich war schwanger. Und Berlin war 1997 an einem Punkt, wo die Stimmung wie die Konjunktur nur noch abwärts gingen.

Die Hälfte der Architekturstudenten sind Frauen. Bei denen, die den Beruf ausüben, sind es 24 Prozent, und von jenen, die ihr eigenes Büro führen, nur noch 13 Prozent. Unter den neun Partnern von OMA sind Sie die einzige Frau.

Mir liegt einiges daran, gleich viele Frauen im Büro zu haben. Aber es ist schwierig, diese Balance zu halten. Ein Mann kann schon mal nicht schwanger werden, das Kind zur Welt bringen, und dann stellt sich die Frage: Wie machen wir das finanziell? Meist verdient der Mann mehr, also arbeitet die Frau oft nur noch ein, zwei Tage oder gar nicht.

Die Arbeitszeiten in Architekturbüros gelten auch nicht gerade als familienfreundlich.

Die sind schrecklich. Bei uns ist immer das Licht an. Als ich meine erste Tochter bekam, dachte ich, ich muss irgendwohin, wo sie von neun bis fünf arbeiten. Dann habe ich mich bei solchen Büros beworben und dachte: Oh Gott, wenn das mein Leben wird, dann lieber gar nicht. Zu der Zeit hat mich Rem eingeladen. Einen ganzen Tag war ich dort zum Bewerbungsgespräch im Büro.

Du lieber Himmel, was hat er Sie denn alles gefragt?

Ich war bei Besprechungen dabei. Wenn man zusammenarbeitet, muss man einander schon mögen, sonst wird’s nichts. Außerdem war es ein Trick von Rem, mir ein interessantes Projekt zu zeigen, Universal Studios, damit ich Ja sage. Es war eine Verführung. Das mache ich genauso bei einem neuen Bauherrn: Man versucht, ihm schöne Sachen zu zeigen, die ihn reizen.

„Die Chinesen sind die besten Verhandler der Welt“

Bekannt wurde Ellen van Loon sie mit der Konzerthalle Casa da Música in Porto.
Bekannt wurde Ellen van Loon sie mit der Konzerthalle Casa da Música in Porto.

© imago/UIG

Bei OMA waren Sie die erste Architektin mit Kind?

Ja. Es wurde Tag und Nacht gearbeitet. Irgendwann habe ich den Kollegen gesagt, so funktioniert das nicht. Ich schlage vor: Ihr seid morgens nicht später als halb zehn hier und geht abends nicht später als neun nach Hause. Das war ein Schock für sie. Aber nach sechs Monaten hat es ihnen gefallen. Weil sie auf einmal ein Privatleben hatten. Inzwischen haben viele Kollegen Familie.

Abends um halb neun konnten Sie Ihre Tochter nicht mehr aus der Kita holen.

Ich hatte mit meinem Mann vereinbart, der eine fängt früh an, der andere macht spät länger. Weil ich sehr viel reisen muss, hat mein Mann reduziert, nur noch zwei, drei Tage die Woche als Architekt gearbeitet und eher die traditionelle Mutterrolle übernommen.

Ihre eigenen Eltern hatten ein Frachtschiff. Inwieweit hat Sie dieses Leben im Beruf geprägt?

Ich brauche Projekte in anderen Kulturen, die bringen mir Inspirationen. In fremden Ländern zu sein, war für uns ganz normal. Nach dem Studium bin ich so schnell wie möglich aus Holland abgehauen. Ich habe mich eingeschränkt gefühlt, jeder kennt jeden, ich wollte andere Leute sehen, andere Denkweisen kennenlernen. Deswegen ist es für mich so wichtig, in jedem Team mehrere Nationalitäten zu haben. Dann denken die Leute viel offener.

Sie arbeiten in aller Welt, Portugal, Holland, China, Deutschland. Haben Sie große Unterschiede in der Kultur des Bauens festgestellt?

Im Norden wird erst das Risiko besprochen, dann die Architektur. Im Süden ist es umgekehrt. Im Norden muss man sich Banken und Controllern gegenüber ständig rechtfertigen. In Südeuropa wird sehr viel vom Gefühl bestimmt. Ein Bauherr kann dort einfach sagen, ich find’ das schön – und das war’s. Im Norden muss ich immer erklären, warum etwas schön ist. An meiner Uni in Holland durfte man das Wort nicht mal benutzen. Das fand ich komisch, bei Mode sagt man das doch ständig.

Irgendwelche Kulturschocks?

China. Als wir 2001 den Wettbewerb für den CCTV-Fernsehturm gewonnen haben, sind wir zu dritt nach Peking gefahren, um den Vertrag zu verhandeln. Am ersten Tag kamen wir in einen Riesenraum mit einem Riesentisch. 42 Chinesen – und wir. Das war unheimlich schwierig.

Wie haben Sie das geschafft, drei gegen 42?

Ein Vierteljahr bin ich dort geblieben. Die Chinesen sind die besten Verhandler der Welt. Sie geben nie auf, ich habe großen Respekt davor. Wenn man bis spät in der Nacht geredet hat, rufen die morgens an: Wir haben uns das anders überlegt. Und sie haben versucht, uns müde zu machen. Die Gespräche fingen vormittags an und gingen durch die Nacht bis um fünf. Die haben gedacht: Dann schlafen die ein. Aber wir von OMA waren natürlich trainiert, weil wir das gewohnt sind. Einmal ist deren Anwalt um vier eingeschlafen, und wir haben gesagt, hey, aufwachen!

Sie bauen gigantische Gebäude wie den legendären CCTV für Tausende von Menschen – bloß keine Wohnhäuser. Sind die Ihnen zu klein?

Das Schwierige am Wohnhaus ist nicht der Maßstab, der ist sehr schön, sondern dass es so privat wird. Man muss als Architekt eigentlich alles über den Bauherrn wissen. Und sich wirklich mögen.

Haben Sie ein Lieblingsgebäude eines anderen Architekten?

Die Neue Nationalgalerie. Ich habe gegenüber gewohnt und war jeden Sonntag zum Kaffeetrinken und Kuchenessen dort. Das Raumgefühl ist unbeschreiblich, der Saal hat einfach die richtige Höhe und Breite, dazu die Transparenz – man fühlt sich wohl. Und wenn man von unten, vom Café, hochkommt, fühlt sich das besonders stark an. So eine Spannung versuche ich bei meinen Bauten auch einzuplanen. Dass man von ganz hellen Räumen in dunkle geht, von hohen in niedrige. Die Casa da Música in Porto ist ein einziges Spiel damit.

„Alle Holländer sind Calvinisten. Ich auch“

Das "Blox" in Kopenhagen verbindet mit seiner Architektur Hafenareal und Innenstadt.
Das "Blox" in Kopenhagen verbindet mit seiner Architektur Hafenareal und Innenstadt.

© Visitkopenhagen/Michael Levin

Ihr BLOX in Kopenhagen wird dafür kritisiert, dass es zu transparent sei. Quasi die Nationalgalerie hoch zwei, alles offen. Wann, schätzen Sie, werden dort die ersten Plakate als Sichtschutz an die Glastüren geklebt?

Der jungen Generation gefällt diese Offenheit. Was wir für ein Problem halten, ist für die kein Thema. Das Gebäude beherbergt ein Architekturzentrum und einen Zusammenschluss von Start-ups. Die Journalisten, die die Offenheit des Baus kritisieren, sind alle älter. Vor allem der Fitnessclub hat sie geschockt, da stehen Jungs an den großen Fenstern und wollen ihre Muskeln zeigen. Das ist für die meisten Museumsbesucher ein Schreck!

Ist das nicht die totale Kontrolle von Körper und Seele, rund um die Uhr?

So kann man das sehen, aber so habe ich es nicht erlebt. Für die Jungen ist das normal: Die kommen ins Büro, schwimmen zwischendurch eine Stunde, gehen ins Fitnessstudio, dann wieder an den Schreibtisch, schauen später noch mal in die Mails. Der Tag ist Stückwerk, nicht nine-to-five.

Und was ist mit den Frauen, lassen die sich auch so gern angucken?

Die stehen nicht am Fenster. Der Club ist riesig, den größten Teil sieht man nicht. Mir gefällt Transparenz, wenn man auch die Wahl hat, sich dagegen zu entscheiden. Das ist keine Doktrin.

In Holland sind die Wohnhäuser traditionell einsehbar für jeden. Hat Ihr Faible für Transparenz auch etwas mit Ihrem calvinistischen Erbe zu tun?

Alle Holländer sind Calvinisten. Ich auch.

Was heißt das?

Ich arbeite im Moment an einer Privatschule in England, wo die Familien 30 000 Pfund pro Jahr bezahlen müssen. Viele Eltern sind so vermögend, dass die Schule manchmal das Gefühl hat, sie sollte ein Luxus-Spa bieten. Schrecklich! Was kann denn nach dem Spa noch passieren? Eine Schule soll calvinistisch sein. Das Simple ist auch eine Stimulanz für Kinder, etwas Kreatives zu schaffen. Ich habe gefragt, warum beauftragt ihr einen Künstler, den Ihr teuer bezahlt? Wieso fragt Ihr nicht die Schüler? Als ich eine Graffiti-Wand vorschlug, ist der Direktor fast vom Stuhl gefallen. Kinder brauchen Freiheit. Ein Boden muss auch mal dreckig sein können.

Totale Transparenz herrscht in den Großraumbüros, die immer beliebter werden. Da gibt es keine Rückzugsmöglichkeit mehr.

Ich bin im Internat aufgewachsen, vom sieben bis 17 habe ich da während der Schulzeit gelebt, in Gruppen mit neun Jungs und neun Mädchen. Dort hatte man keine Privatsphäre. Das einzig Private in meiner Jugend war mein Schrank. Bei OMA habe ich ein Einzelbüro, aber ich benutze es nie. Ich mag es, Lärm und viele Leute um mich herum zu haben, ich kann mich gut konzentrieren. Als Architektin muss ich allerdings wissen, dass das nicht für alle funktioniert und die richtige Mischung finden zwischen privat und öffentlich.

Ziemlich schwer, so jung ins Internat zu kommen.

Hart. Aber Kinder, habe ich dort festgestellt, sind unheimlich flexibel. Ich habe es dann geliebt! Die Eltern sind weit weg. Die neigen dazu, unglaublich moralisch zu sein: Das gehört sich nicht ... Im Internat gab’s bloß ein paar Regeln. Wir hatten Hippies als Erzieher, die haben gekifft, wir auch, und dazu Bob Marley gehört. Das Paradies.

Im Augenblick arbeiten Sie am Manchester Factory-Gebäude, einem Theaterkomplex. Was reizt Sie so an der Bühne?

Die Traumwelt. Nach der Casa da Música dachte ich, mein Gott! Die Theatermacher brauchen nur zwei Leuchten und eine Kulisse, um eine Fantasiewelt zu schaffen. Wieso denken Architekten nicht so! Allein mit Licht und Sound kann man einen Raum im Raum schaffen. Wir haben früher gelernt, wenn es Abend wird, muss man mit der Beleuchtung die Lichtsituation tagsüber simulieren. Was totaler Unsinn ist. Und dann kommt man ans Theater – und merkt, es ist schön, dass das Licht abends anders ist. Dass es dunkel wird.

Und jetzt denken Sie wie ein Regisseur?

Für mich ist kein Raum permanent. Er ist eine Hülle, die man ändern kann, zum Beispiel mithilfe der Beleuchtung, sodass er sich morgens, mittags, abends anders anfühlt. Wir spielen viel mit Gardinen, die bringen immer was Sanftes, mit dem Übergang von hell zu dunkel, eng zu weit.

Wie sind Sie überhaupt zur Architektur gekommen?

Eigentlich wollte ich Künstlerin werden. Gleichzeitig war ich auch an Architektur und Technik interessiert, Mathe war mein Lieblingsfach. Aber ich hätte auch in die Mode gehen können, mit fünf Jahren habe ich schon Kleider entworfen. Wenn ich was brauchte, hat meine Mutter gesagt, komm, wir gehen in die Stadt. Wir sind fünf Stunden rumgelaufen, ohne zu finden, was ich haben wollte. Das hatte ich genau im Kopf. Dann sind wir nach Hause gegangen, da hatte ich meine Nähmaschine, mit der konnte ich exakt das machen, was ich wollte.

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