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Franka Frei, Autorin und Aktivistin.

© Mike Wolff

Aktivistin in Sachen Periode: „Das Menstruationstabu ist ein Problem“

Nach einem Facebook-Post wird sie zur Aktivistin: Franka Frei über den Glamour des Eisprungs, Zyklus-Apps und Plinius den Älteren. Ein Interview.

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Franka Frei, 24, wurde in Köln geboren, wuchs in Salzburg auf und lebt heute in Neukölln. Sie studierte Angewandte Medien und Gender Studies. Für ihr Buch „Periode ist politisch“ (Heyne Verlag, 18 Euro) reiste sie um die Welt und traf andere Menstruationsaktivistinnen. Beim Interview ist sie entspannt, obwohl gerade so viel los ist: Buchpremiere, Radiotermine, Lesungen.
Am heutigen Frauentag demonstriert sie zum Beispiel mit dem „Menstrual Health Hub“ und anderen Initiativen ab 13.30 Uhr vor der Bibliothek auf dem Leopoldplatz, Müllerstraße 147.
Am 9. März ist Franka Frei ab 19 Uhr beim „Period Short Film Festival“ im Kino in den Hackeschen Höfen anzutreffen.

Frau Frei, Ende 2019 wurde die Luxusbesteuerung von Tampons in Deutschland aufgehoben, vergangene Woche hat Schottland kostenlose Menstruationsprodukte für alle versprochen. Sie kämpfen seit zwei Jahren gegen das Tabu der Periode. Alles erreicht?

Nein. 2018 gab jede vierte Schottin an, diese Produkte nicht so oft wechseln zu können, wie sie es möchte. Jede Fünfte äußerte Probleme mit der Finanzierung von Tampons oder Binden. Hier in Deutschland wird es ähnlich sein. Bei der Senkung der Tamponsteuer ging es nicht um ein paar Cents, sondern um ein Zeichen: Scham, Stress und Schmerzen hindern Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt daran, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Sie betrachten die Monatsblutung als ökonomisches Problem?

Nicht die Menstruation ist das Problem. Sondern das Menstruationstabu. Klar, der Zyklus kann Einfluss auf unsere Produktivität nehmen. Wenn wir das anerkennen, können wir die Vorteile nutzen. Der Fußballklub Chelsea trackt die Zyklen der Spielerinnen, um ihre Leistungen zu verbessern. Das Verletzungsrisiko ist während der Regel höher als um die Zeit des Eisprungs, die Reaktionsgeschwindigkeit verringert sich in der prämenstruellen Phase. Die US-Fußballnationalmannschaft verdankt nach eigenen Angaben ihren WM-Sieg 2019 auch dieser Strategie.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein ganzes Buch über die Periode zu schreiben?

Im September 2018 ging einer meiner Facebook-Posts über Nacht viral – normalerweise darf ich mich unter einem Urlaubsfoto über etwa elf Likes freuen. Ich erzählte, dass ich an meiner Hochschule lange keinen Prüfer für das Thema meiner Bachelorarbeit gefunden hatte: „Menstruation in den Medien.“ Die Koordinatorin meines Studiengangs hatte das Thema als „unwissenschaftlich“ und „Tabu“ bezeichnet. Zehntausende teilten den Post und schrieben mir. Erst auf Deutsch, dann auf Englisch, Leute aus Pakistan oder Bangladesh.

Was spricht dagegen, dass wir nur mit den engsten Vertrauten über dieses intime Thema sprechen?

Menstruation ist eben nicht nur ein intimes Thema, es geht um mehr als Blut: Sie ist der schwer zu ignorierende Teil eines Zyklus, der uns lange beständig begleitet. Doch bis heute fehlt das Bewusstsein dafür – selbst von medizinischen Fachleuten. Wir haben gelernt, diesen monatlichen Kreislauf zu missachten. Doch das Blut steht für Gesundheit und Reproduktionsfähigkeit!

Getrackte: die Weltmeisterinnen der US-Fußballnationalmannschaft.
Getrackte: die Weltmeisterinnen der US-Fußballnationalmannschaft.

© Reuters

Sie sehen die Periode auch aus ökologischer Perspektive.

Wir nutzen in Deutschland Produkte, die zu großen Teilen aus nicht recycelbarem Plastik bestehen. Spätestens dann, wenn ein Tampon im Müll landet, ist es nicht mehr nur Sache der Konsumentin. Hersteller sind in Deutschland nicht dazu verpflichtet, anzugeben, was da drin ist. Es gibt kaum Erkenntnisse darüber, was bestimmte Kunststoffe, die endokrinen Disruptoren, mit dem Körper machen. Spielzeug oder Bettwäsche werden genau so kategorisiert wie die Produkte, die Frauen an den empfindlichsten Schleimhäuten tragen.

Ihnen gelang es schließlich doch, eine Prüferin für Ihre Bachelorarbeit zu finden. Wo sehen Sie die größten Forschungslücken, was den Zyklus betrifft?

Natürlich in der Medizin. Bis heute gilt der Zyklus oft als zu komplex, weshalb man Medikamente gar nicht erst an Frauen testet. Zwei Milliarden Menschen menstruieren. Besonders gravierend sind diese Forschungslücken bei Endometriose …

… das sind Wucherungen außerhalb der Gebärmutter, die etwa eine von zehn Frauen betreffen und enorme Schmerzen verursachen.

Solange Jens Spahn Gesundheitsminister ist und selbst nicht menstruiert, müssen andere das Thema an ihn herantragen.

Die Palette an Periodenprodukten im Supermarkt wird immer größer. Binden in allen Formen, Bio-Tampons, Tassen, Tampons mit Flügeln, damit bloß nichts ausläuft und sich jemand ekeln könnte.

Die Werbung zeigt eine blaue Flüssigkeit! Die Hersteller profitieren davon, wenn die Blutung ein Geheimnis ist und wir die Produkte nicht hinterfragen. In Indien habe ich entdeckt, dass „Always“-Binden dort „Whisper“ heißen.

Welche Eindrücke Ihrer Reise haben sich besonders eingeprägt?

In Nepal gibt es eine alte Tradition: Chaupadi. Dabei werden Menstruierende vom Rest der Gesellschaft räumlich getrennt, sie gelten als unberührbar, bekommen ihr eigenes Geschirr. Gleichzeitig wird die Menarche, also die erste Regel eines Mädchens, gefeiert. Das wird oft gerade von westlichen Medien negativ dargestellt. Für die Menschen steht dahinter aber der Gedanke, dass Frauen sich zurückziehen und ausruhen können. Ich habe in Indien viele kennengelernt, die mehr mit ihrem Zyklus in Einklang zu sein scheinen. Bei uns heißt es dagegen: Hier, nimm einen Tampon, zack, schnell weiter.

Vor dem Hamsterkauf: klassische Periodenprodukte.
Vor dem Hamsterkauf: klassische Periodenprodukte.

© imago stock&people

Es gibt in Indien einen männlichen Helden der Menstruation …

… Pad Man! Der beobachtete, wie seine Frau einmal im Monat auf dem Balkon schlief. Ihm war klar, sie macht etwas Problematisches durch. Dann hat er den Lappen gefunden, den sie verwendete. Ein krasser Grenzübertritt. Er sagte: „Diesen Lappen würde ich nicht einmal zum Putzen meines klapprigen Fahrrads benutzen.“ Und weil sie kein Geld für Binden hatten, begann er, an einer Lösung aus Watte und Palmenwedeln für sie zu tüfteln.

Das ist Liebe!

Ja. Obwohl alle Versuche scheiterten, blieb er obsessiv bei der Binde. Erst Jahre später entdeckte er, dass Zellulose besser saugt als Watte. Er entwickelte eine Maschine, die günstige Binden herstellt: In Indien begann eine Binden-Revolution, selbst Frauen und Mädchen aus ländlichen und ärmeren Teilen der Bevölkerung hatten Zugang dazu, Netflix verfilmte sein Leben.

Jahrhundertelang wurde von Wissenschaftlern und Medizinern eine Menge Unfug über Periodenblut verbreitet. Welcher antike Mediziner hat am meisten Quatsch geredet?

Aristoteles, Hippokrates und Pythagoras waren sich einig, dass die Frau fehlerhaft ist und im Gegensatz zum Mann etwas unkontrolliert von sich geben muss – eine Art Überschuss, der dadurch entsteht, dass Frauen zu viel essen und und das Haus nicht verlassen. Während der Mann selbstverständlich in der Lage ist, Überflüssiges „in sich zu kochen“ und als Sperma kontrolliert von sich zu geben.

Der Mann als Thermomix!

Ein römischer Mathematiker, Plinius der Ältere, war ebenfalls der Meinung, dass Menstruationsblut giftig ist, Bienen und Hunde umbringt, den Weizen verderben lässt. Und obwohl dies Ende der 50er widerlegt wurde, verloren Frauen im Baden-Württemberg der 60er ihren Job im Fotolabor, weil sie ihre Tage hatten.

Menstruationstassen sind wiederverwertbar und werden immer beliebter.
Menstruationstassen sind wiederverwertbar und werden immer beliebter.

© dpa

Auf heute angewandt: Menstruierende Frauen stören das Wi-Fi.

Moment, auch die Geschichte von Freuds Kumpel Wilhelm Fließ ist druckreif. Er war ein selbsternannter Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der eine Verbindung zwischen den weiblichen Geschlechtsorganen und der Nase sah. Seine Patientin Emma Eckstein litt an Menstruationsbeschwerden, vielleicht Endometriose. Fließ hielt eine OP an ihrer Nase für wirkungsvoll. Dabei vergaß er ein Stück Mull, Emma Ecksteins Gesichtshälfte brach ein. Die Menstruationsbeschwerden blieben – und Freud nannte sie eine „hysterische Sehnsuchtsbluterin“.

Frau Frei, mit welchem Verhältnis zu Ihrer eigenen Periode sind Sie erwachsen geworden?

Ich habe unterschwellig gelernt, dass die Blutung eine Art Fehler der Frau ist. Als ich auf einer Wanderung meine erste Regel bekam, warf mir meine Mutter einen Tampon zu, den ich nicht tief genug einführte und den Rest des Tages unter Schmerzen trug. Weder wusste ich, wie viele Löcher ich da hatte, noch, ob ich mich womöglich entjungferte. Dieser Sex-and-the-City-Feminismus der späten 90er suggerierte mir: Ich bin Anwältin, ich seh’ gut aus, und ich habe keine Beschwerden. In unserer Gesellschaft, die auf Leistung und Produktivität getrimmt ist und in der es stetig bergauf gehen muss, schürt ein Zyklus, also etwas Rundes, automatisch Misstrauen. Und so lernte ich, ihn zu ignorieren und die Menstruation zu hassen.

Was hätten Sie sich denn gewünscht?

Dass mir jemand den Zyklus erklärt. Ich spreche übrigens gerne vom Ovulationszyklus, weil der Eisprung der Star des Kreislaufs ist. Oder dass mein ehemaliger Gynäkologe mir mit 14 nicht einfach die Pille verschreibt, sondern erläutert, was das mit mir machen kann: dass sich mein ganzer Körper verändert; meine Haut, meine Libido, mein Geruchs- und Geschmackssinn, meine Psyche – und dass es Jahre dauern kann, bis sich das nach dem Absetzen der Pille wieder normalisiert. Dass die Abbruchblutung, die ich durch die Pille bekomme, völlig sinnlos ist, weil sie nur eine Imitation ist. Dass die Eierstöcke in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden, ich keinen Eisprung habe und hormonelle Vorgänge, die der Körper braucht, deshalb nicht mehr stattfinden. Natürliches Östrogen und Progesteron sind wichtig für die Entwicklung der Knochen, der Muskeln und des Gehirns.

Sagen Sie das mal den Frauen in den 60ern, die die Pille als Befreiung feierten.

Damals war sie eine riesige Errungenschaft. Doch heute müsste es längst eine moderne Alternative geben. Selbstermächtigung heißt nicht mehr nur, nicht an den erstbesten Typen gefesselt zu sein, der mich schwängert. Sondern eben auch die Wahrung der eigenen Gesundheit. Laut Uni Stockholm ist das Suizid-Risiko für Pillen-Anwenderinnen dreimal so hoch.

„Die hat doch ihre Tage“ – oft gehört, prominent von Donald Trump, der die Schlagfertigkeit von Moderatorin Megan Kelly stigmatisieren wollte.

Dieser Spruch ergibt aus zweifacher Sicht keinen Sinn. Erstens nehmen die Symptome des prämenstruellen Syndroms mit der Menstruation ab. Zweitens darf eine Frau in Trumps Weltsicht natürlich nicht aggressiv und extrem sachlich sein, denn das sind klassische männliche Verhaltensmuster.

Berlin, Manteuffelstraße. Sieht so eine Vulva aus?
Berlin, Manteuffelstraße. Sieht so eine Vulva aus?

© Florian Boillot

Sind Sie heute so cool, dass Ihnen ein Unfall, das gefürchtete Auslaufen, nicht mehr peinlich wäre?

Ich kenne diese gesellschaftlich antrainierte Millisekunde gut: Oh Gott, habe ich meine Tage bekommen? Dann der nervöse Blick dorthin, wo man gerade gesessen hat. Kann passieren. Periodenblut ist kein Grund, im Erdboden zu versinken.

Viele Frauen fürchten sich sogar davor, Tampons aufs Kassenband zu legen.

Die Person hinter einem könnte schlussfolgern, dass man gerade die Tage hat. Oder sich vorstellen, wie man den Tampon einführt. Ach, wir schämen uns dafür, überhaupt eine Vulva zu haben. Und aus gutem Grund. Im Rahmen einer Studie ließ eine Gruppe Frauen beim Vorstellungsgespräch einen Tampon fallen, die andere eine Haarnadel. Natürlich wurde eher die letzte Gruppe für den Job in Betracht gezogen, weil menstruierenden Frauen das Vorurteil anhängt, weniger leistungsfähig, weniger kompetent zu sein.

In den letzten Jahren entstand eine Gegenbewegung. Der „Guardian“ hat von einer „roten Revolution“ gesprochen. Auf dem Lollapalooza-Festival wurde Bloody Mary ausgeschenkt, beim Modeladen Monki kann man Menstruationstassen kaufen, Influencerinnen betreiben Free Bleeding.

Wir schwimmen gerade auf einer kleinen Welle der Enttabuisierung. Das heißt aber nicht, dass wir den Sieg der Periodenrevolution verkünden können. Es geht darum, dass wir nicht mehr gebrandmarkt werden, wenn wir Beschwerden äußern. Auf den Tabubruch folgt Entmystifizierung …

… die womöglich Nachteile haben kann?

Ja, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Führt der Arbeitgeber „Menstrual Leave“ ein, kann das Wissen um den Menstruationszeitpunkt missbraucht werden. Manche sind offensichtlich durch die Periode so stark eingeschränkt, dass sie nicht mehr in bestimmten Positionen eingesetzt werden. Ein anderes Ding sind Zyklus-Apps, die nützlich sein können. Allerdings fragen sie sensible Daten ab: wie oft man Sex hat, ob man raucht, wie man sich fühlt. Zwei Drittel dieser Apps versenden schon beim Öffnen Daten an Dritte.

Bereits 1978 schrieb die Feministin Gloria Steinem den Essay „If Men Could Menstruate“. Wie sähe die Welt Ihrer Meinung nach aus?

Sichere Tampons und Binden wären frei verfügbar auf allen Toiletten, die Gesetzeslage anders. Die Periode wäre positiv konnotiert, der rote Ferrari in der Garage.

Sie sind eine große Verfechterin der Menstruationstasse. Dabei kann sie, wie Tampons, zu Organschäden führen.

Genau wie Tampons und Binden braucht es für Menstruationstassen die Deklarationspflicht. Und die wiederverwertbaren Tassen verdeutlichen, dass man während einer Periode durchschnittlich nur eine Espressotasse voll verliert.

Der solidarische Akt der Tamponübergabe unter Frauen wird künftig wegfallen.

Das ist mir passiert. Bei einem Festival habe ich laut gerufen: „Hallo, hat jemand einen Tampon?“ Und alle: „Sorry, wir benutzen die Tasse!“

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