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Graham Nash.

© Thilo Rückeis

Interview mit Graham Nash: "Ich muss leben, ich muss brennen!"

Mit Crosby, Stills, Nash & Young feierte er Welterfolge. Mehrmals im Leben ging er im Streit, ließ sich scheiden, schmiss alles hin. Was er bis heute nicht verschmerzt: dass Joni Mitchell ihn verlassen hat. Ein Interview mit Graham Nash.

Graham Nash, 74, wuchs in Manchester auf. Er war Mitglied der Band The Hollies, ging nach Kalifornien und feierte mit Crosby, Stills, Nash & Young Welterfolge ("Teach your children"). Nashs aktuelles Album heißt "This Path Tonight". Er ist zweimal geschieden und lebt in NYC.

Mr. Nash, mit 74 haben Sie Ihr Leben radikal verändert. Was ist eigentlich los bei Ihnen?
Meine Frau und ich haben uns nach 38 Jahren scheiden lassen, ein sehr schmerzhafter und teurer Prozess. Insgesamt keine schöne Erfahrung. Ich hoffe, Sie müssen so etwas nie durchstehen.

Wir dachten eher an das Ende Ihrer Band. Anfang des Jahres erklärten Sie Crosby, Stills, Nash & Young in einem Interview für tot: „Ich habe Crosbys Arsch 45 Jahre lang gerettet, und er hat mich wie Scheiße behandelt.“
Ganz genau so sieht’s aus. Die Sache ist durch. Ich bin davon überzeugt, dass ich jetzt erst mal ein bisschen Glück verdiene.

Ihre Rolle in der Band wurde oft als Mediator beschrieben, der zwischen schwierigen Persönlichkeiten wie Stephen Stills und Neil Young vermittelt. Ist da was dran?
Nö. Ich wollte nur Musik machen, alles andere war mir herzlich egal. Mir doch schnuppe, ob ich da der Kitt gewesen sein soll.

Was haben Sie in all den Jahren über Freundschaft gelernt?
Dass sie sehr zerbrechlich ist. Sie muss genährt werden, wie Liebe auch. Ein Zettel auf dem Kopfkissen, eine Blume am Kühlschrank, so was.

Haben Ihre Ex-Bandkollegen Ihnen zu selten Zettel aufs Kopfkissen gelegt?
Ich würde mich nie über sie beschweren, bin weder gewalttätig noch wütend. Andererseits, tja, kann ich laut werden und fluchen. So bin ich eben.

Sie kommen doch sowieso wieder zusammen. Zuletzt hat sich David Crosby bei Neil Young sogar dafür entschuldigt, dass er dessen neue Freundin Daryl Hannah als „supergiftiges Raubtier“ bezeichnet hat.
Ach, dazu ist alles gesagt.

Ihre Streitigkeiten sind legendär, am Ende standen Sie jedes Mal wieder auf der Bühne und sangen schmelzende Harmonien. Wirkt Ihre Musik wie Versöhnungssex?

Kann sein. Musik ist eine mächtige Form der Kommunikation. Es geht um Ideen. Schauen Sie sich nur um, wir sitzen hier am Potsdamer Platz. Da drüben stand einmal die Mauer, die Ideen verhindern sollte. Ich war übrigens am Fall der Mauer beteiligt.

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Sie lenken ab. In Ordnung. Wir dachten, das mit der Mauer war David Hasselhoff.
Ach, das glaubt jeder. Wir hatten eine kleine Bühne direkt am Brandenburger Tor, im November 1989. Wir spielten „Chippin’ away“, vor hunderten Kids, die von unserem Konzert im Radio gehört hatten. Eine unfassbare Erfahrung.

Nach all den Umwälzungen sind Sie nun nach 30 Jahren von Hawaii nach New York gezogen.
Ich tauschte den hawaiianischen Dschungel gegen das urbane Dickicht. New York hatte mir gefehlt, die Museen, Galerien, all die ausländischen Filme. Fuck yeah, in dieser Stadt gibt es verdammt viele kluge Menschen, und sie plappern ständig intellektuell daher. Im Restaurant bekam ich neulich mit, wie einer am Nebentisch über Truffaut, Egon Schiele und Klimt redete. Wenn ich will, kann ich dann sofort aufspringen und mir Klimts Goldene Lady in der Galerie anschauen. Ich muss leben, ich muss brennen!

Klingt, als seien Sie nicht nur in die Stadt verliebt.
Ja, wow, und wie! Amy Grantham heißt sie, ist Künstlerin. Hat mich total entflammt.

Welcher New-York-Song entspricht Ihrem Stadtgefühl am besten?
„The Only Living Boy In New York“ von Paul Simon.

Warum ausgerechnet dieser melancholische …
… weiß ich nicht! Paul Simon ist einfach brillant. Ungefähr vor einem Jahr war ich in der Rock ’n’ Roll Hall of Fame in Cleveland. Die zeigten eine Ausstellung über ihn mit altem Zeugs, Faksimiles und so. Tolle Sache, erklärte ich den Kuratoren. Und die darauf: Warte nur ab, du bist der Nächste, der hier ausstellt. Was glauben Sie, was ich denen als Erstes geschickt habe?

Hm, Ihre alte Epiphone-Gitarre mit dem Hollies-Schriftzug vielleicht?
Falsch. Richard Nixons Rücktrittsbrief an Henry Kissinger. Der gehört nämlich mir.

Haben Sie den bei Ebay ersteigert?
Nein, ein Freund von mir handelt mit solchen Raritäten. Da dachte ich mir, warum nicht, kostet ja nur Geld.

Davon haben Sie sicher genug.
War gar nicht teuer, nur 8000 Dollar. Aber wir waren bei Paul Simon, oder? Damals, als er „Hazy Shade Of Winter“ aufgenommen hat, konnte ich ihn im Studio besuchen. Ich war sofort begeistert. Er meinte: „Du willst über Harmonien reden? Dann hör’ dir das hier an“ – und gab mir die Schallplatte des fantastischen Frauenchors Bulgarian Voices Angelite. Diese Frauen singen achtfache Harmonien. ACHT-FACHE. Ihre Platte habe ich bald 300 Mal verschenkt.

Was Nash an den Hollies genervt hat

Keine Angst vor Großkonzernen: Graham Nash.
Keine Angst vor Großkonzernen: Graham Nash.

© dpa

Bei den neuen Aufnahmen zu Ihrem Soloalbum „This Path Tonight“ klingt Ihre Stimme immer noch so schwebend wie vor ungefähr 50 Jahren.
Wie ich das geschafft habe, ist wirklich die Frage. dafür habe ich auch keine Erklärung. Ich habe weder einen Stimmtrainer, noch mache ich irgendwelche Übungen, stattdessen verhalte ich mich generell unvernünftig. Bevor ich auf die Bühne gehe, wärme ich mich kurz auf, das ja.

Können wir über den ersten großen Umbruch in Ihrem Leben reden, als Sie die erfolgreiche Teenieband The Hollies verließen und über Nacht von London nach Los Angeles zogen?
Das war 1968. Die Hollies veränderten sich damals in eine Richtung, die mir überhaupt nicht mehr gefiel. Mehr Pop, weniger Experimente. Es ging nur noch darum, die Charts zu bedienen.

Mit den Hollies hatten Sie 17 Hits in den britischen Charts, die Band war fast so erfolgreich wie die Beatles. Was war so schlimm daran?
Viele Freunde haben mich für komplett verrückt erklärt, weil ich das aufgab.

Und Ihre Eltern?
Die hielten mich sowieso schon für durchgeknallt. Doch sie vertrauten mir. Von denen habe ich nie so einen Bullshit gehört wie „Geh’ mal besser ins Bergwerk, einmal working class, immer working class“. Kürzlich war ich mal wieder in Manchester, um meine Autobiografie vorzustellen. Bei der Signierstunde steckte mir jemand einen Umschlag zu, darin war mein Schulzeugnis aus dem Jahr 1953. Da war ich elf. Die erste Zeile, geschrieben von meinem Lehrer, lautete: „Dieser Junge will einfach alles wissen.“ So bin ich bis heute. Ich will wissen, wer das Etikett dieser Wasserflasche gestaltet hat!

Und diese irrelevante Information würden Sie auch behalten?
Ja. mein Gedächtnis ist recht gut.

So langweilen Sie sich natürlich nie.
Fuck, ich war mein Lebtag nicht gelangweilt. Wie um alles in der Welt kann man sich langweilen?

Schön, wenn man das von sich behaupten kann.
Genau. Ich versuche, jeden Tag kreativ zu sein und etwas zu erschaffen.

Was haben Sie heute schon erschaffen?
Kennen Sie „Mexico“ von James Taylor?

James Taylor schon.
Singt: „Woh, Mexico, it sounds so simple, I just got to go-ho …“ Ein wirklich tolles Lied, es gibt schon das Mastertape, heute habe ich den Song abgemischt.

Das viele Geld, das Sie damals mit den Hollies verdienten, haben Sie immer brav bei Ihren Eltern abgeliefert.
Stimmt, zuerst jedenfalls. Fand ich nur gerecht. Am Ende war ich langsam zum Außenseiter geworden – die anderen Bandmitglieder tranken viel Alkohol, ich rauchte Dope. Und besoffen sein und stoned sein sind bekanntermaßen zwei völlig verschiedene Zustände.

Details, bitte.
Alkohol macht dich wütend und gewaltbereit. Dope ist mehr so: „Hey Mann, ich liebe dich, alles ist fantastisch.“ Ich kenne niemanden, der ein paar Joints geraucht hat und sich dann prügeln wollte. Mit Kokain ist das wieder anders, das ist eine echt böse Droge, die einsam macht. Ich wünschte, das Zeug niemals geschnupft zu haben.

Sie waren ziemlich lange drauf, richtig?
Kann ich Ihnen genau sagen: von 1969 bis Ende 1984.

David Crosby hat wegen seiner Drogendelikte fast ein Jahr im Gefängnis gesessen. Stephen Stills und Sie haben ihn vorübergehend aus der Band geworfen, weil er nicht mehr singen konnte. Was ist der Unterschied zwischen Crosby und Ihnen?
Ich wusste die ganze Zeit, dass ich kein Abhängiger bin und sofort aufhören kann, wenn ich will. So war es auch.

Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis?
Ja, am Ende einer Tour gibt es üblicherweise eine Party. Die 1984er-Tour endete in Honolulu. Da sah ich, dass alle meine Freunde dasselbe aufgesetzte Grinsen grinsten. Es war verlogen, wahnsinnig affektiert. So wollte ich nicht sein. Also hörte ich auf.

Welche Droge hilft am besten beim Songschreiben?
Marihuana. Es ließ mich diese unmittelbare Nahsicht verlassen und eine Totale einnehmen. Gott, damals hab ich 20 Joints am Tag durchgezogen, heute vielleicht noch einen pro Monat.

Sind Sie zu der Zeit überhaupt aufgestanden?
Keine Ahnung. Kann mich kaum erinnern. Wissen Sie, was mich antrieb, als ich nach L. A. kam?

Auf der Suche nach der perfekten Harmonie ...

Graham Nash.
Graham Nash.

© dpa

Sie waren ein Hippie, vermutlich suchten Sie Licht und Liebe?
Es war dieser Sound. Wenn David, Stephen und ich zusammen gesungen haben, klangen wir wie nicht mehr von dieser Welt. Sie dürfen nicht vergessen, es gab ja schon die Byrds, Buffalo Springfield und die Beach Boys, alles Bands mit herausragendem Harmoniegesang. Aber wir waren besser. Ich hatte nie zuvor etwas Ähnliches gehört. Das Beste: Es gab keine wochenlangen Proben, keine monatelangen Versuche, zusammenzufinden. Eine Minute, und bumm! Danach wusste ich, ich muss meine erste Ehefrau verlassen, die Hollies, mein Geld, das Equipment. Ich kam nach Los Angeles mit meiner Akustikgitarre, einem Koffer mit ein paar Klamotten, dem Panzer einer Albinoschildkröte und einem Herzen voller Liebe.

So trafen Sie auf Joni Mitchell, eine der größten Songwriterinnen aller Zeiten.
Ich war vor Ehrfurcht wie erstarrt, nicht nur als Mann, sondern auch als Musiker. Ich hatte gedacht, ich wüsste, worum es beim Songschreiben geht. Aber nachdem ich Jonis Meisterwerke gehört hatte, war mir klar: Ich hatte nicht den blassesten Schimmer. Sie wohnte in Laurel Canyon in einem Häuschen mit bunten Glasvitrinen, ich zog sofort ein. Unsere erste Nacht veränderte mein Leben.

Zwei Jahre nach Ihrer ersten Begegnung trennte sie sich mit einem Telegramm von Ihnen: „Wenn du den Sand in deiner Hand zu fest umschließt, wird er dir durch die Finger rinnen. In Liebe, Joan.“
Es brach mir das Herz, ich versank in undurchdringlicher Dunkelheit. Ich quartierte mich in einen Bungalow im Hotel Chateau Marmont ein und leckte meine Wunden.

Als Sie 2015 in Berlin auftraten, haben Sie ihr einen Song gewidmet. Joni Mitchell hatte einen Schlaganfall, lag im Koma. Wissen Sie, wie es ihr jetzt geht?
Sie hat ein ausgezeichnetes medizinisches Team um sich. Sie spricht, sie ist wach. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie gerade wieder laufen lernt. Ich liebe sie.

Der berühmteste Refrain, den Sie geschrieben haben, lautet: „We can change the world / Rearrange the world.“ Konnten Sie und Ihre Generation tatsächlich etwas verändern?
Ich muss einfach annehmen, dass du auch den Kopf der Menschen triffst, wenn du ihr Herz erreichst. Und nach – wie lange ist es? – 50 Jahren Musik haben wir Millionen Herzen berührt.

Sogar Donald Trump hat sich als Fan zu erkennen gegeben.
Ein Wahnsinniger! Aber es stimmt, er war bei einigen unserer Konzerte. Ich habe ihn einmal von der Bühne aus gesehen, 2002 stand er im Madison Square Garden in der dritten Reihe. Seine Frisur war kaum zu übersehen. Damals war er kein Politiker, sondern gescheiterter Immobilienunternehmer.

Sie sagen von sich selbst, Sie seien ein Nachrichtenjunkie. Wie muss man sich das vorstellen?
Es ist schwierig, weil schlechte Nachrichten im amerikanischen Fernsehen fast nicht mehr vorkommen. Zuletzt durften nicht mal mehr die mit der amerikanischen Flagge bedeckten Särge gefilmt werden, in denen unsere Jungs lagen, die im Irak oder Afghanistan gestorben waren. So groß ist die Kontrolle. Dafür erfährt man alles über die Familie Kardashian. Wir sollen zu debilen Abnickern gemacht werden.

Was hat Sie zuletzt erschüttert?
Keith Emerson ist gestorben, fuck, dieses Jahr haben wir schon David Bowie und Prince verloren, Maurice von Earth, Wind & Fire, Natalie Cole, George Martin … Was glauben Sie, wie ich mich dabei fühle?

Traurig und ängstlich?
Nein, ich habe keine Angst. Ich esse gut, bewege mich regelmäßig, bin ein lebensbejahender Mensch. Gerade fühle ich mich super, aber okay, sicher haben sich auch viele von denen super gefühlt, die jetzt tot sind.

Gibt es auch etwas Gutes daran, verletzlich zu sein?
Man wird vorsichtiger. Als meine Freundin Amy und ich vor Kurzem in England waren, sagte ich ihr immer wieder: „Pass auf, die Autos kommen von der anderen Seite!“ Wer weiß schon, wie lange der Rest unseres Lebens dauern wird?

Sie haben nichts zu befürchten. Ihre Songs haben Sie unsterblich gemacht.
Glaube ich nicht. Die Nachwelt wird sich an die Beatles, Jimi Hendrix, Bob Dylan und Joni erinnern. Der Rest von uns wird vergessen werden.

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