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Will die RBB-Mediathek zum Glühen bringen: Komiker Kurt Krömer.

© Doris Spiekermann-Klaas

Interview mit Kurt Krömer: „Ich war schon immer ein Spacko ohne Kraft“

Er baute eine Siedlung in Hohenschönhausen mit auf: Kurt Krömer über seine proletarische Vergangenheit und die Tricks von Harald Juhnke.

Kurt Krömer, 44, heißt bürgerlich Alexander Bojcan. Der Komiker wuchs in Neukölln und Reinickendorf auf, brach eine Ausbildung als Herrenausstatter ab und war Totalverweigerer. Seine ersten Auftritte absolvierte er in der Schöneberger Scheinbar. Die Figur Krömer, die er nach einem seiner ehemaligen Deutschlehrer benannte, verhalf ihm zu mehreren Fernsehsendungen, Tourneen („Na, du alte Kackbratze“; aktuell: „Stresssituationen“) und 2011 zum Grimme-Preis. Das Buch „Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will“ handelt von seinen Reisen nach Afghanistan. Krömer lebt in Berlin und hat laut eigener Aussage „die Hütte voller Kinder“.

Herr Krömer, in Ihrer neuen Show verhören Sie nur Gäste, die Sie nicht leiden können …
… oder die mir suspekt sind oder die ich nicht so verstehe.

Ist Ihr Ziel, sie zu verstehen oder vielleicht doch vorzuführen – wie in der ersten Folge von „Chez Krömer“ den Motivationstrainer Jürgen Höller?

Bei Höller war schon mein Ziel, ihn vorzuführen. Dass man sagt, du bist in meinen Augen ein Scharlatan. Höller hat Steilvorlagen geboten mit seiner Haftstrafe und den Preisen für seine Seminare: 2500 Euro für einen Tag, so wirst du zum „Titan“.

Ein weiterer Gast: Juso-Chef Kevin Kühnert, der sich gerade über den „krass brutalen“ Umgang mit Politikern beklagt hat. Was verstehen Sie nicht an ihm?
Dass er nicht auf den Tisch haut. Wenn du Vorsitzender werden möchtest, dann musst du das. Er mosert viel rum, sagt tolle Sachen, aber ich nehme nicht an, dass er Chef von dem Bumsladen wird.

Und weswegen wollten Sie CDU-Mann Philipp Amthor erniedrigen?
Politiker sind es ja gewohnt, verbal einen eingeschenkt zu bekommen. Mich interessierte, warum Amthor einen Jagdschein hat und in Kreuzberg wohnt. Amthor, der mit dem Jagdgewehr im Görli Hasen schießt? Warum zieht der sich mit 26 an wie ein 70-Jähriger?

Das haben Sie doch in dem Alter auch gemacht.

Ja, ja. In der Sendung mit Amthor spiele ich die Arroganz des Alters aus. Ich werde 45, er ist 26 und könnte mein Sohn sein.

An welchen Gästen sind Sie gescheitert?

Bei diesem Format bisher an keinem. Da gab es erst einen, der Blut kotzend das Areal verlassen hat. Ich hab’ Höller zum Schluss noch die Hand gereicht wie beim Sport … grußlos ist er weg.

Was passiert, wenn Sie ihm nochmal begegnen?
Ich treffe die Leute nicht. Aber gescheitert bin ich an vielen. Bei der „Internationalen Show“ hatte ich meine Moderationskärtchen, auf denen drei Fragen standen. Oder es waren Blanko-Karten. Doch wenn das Gegenüber nicht mitmacht, ist die Improvisation verkackt. Das ist des Öfteren passiert. Wenn ich meinem Regisseur im „On“ mitteilen wollte, dass es scheiße läuft, habe ich den Gast gefragt: „Wo geht die Reise hin?“ Und dann wusste das Team, er hat keinen Bock mehr, er hat keine Fragen mehr, jetzt wäre eine Maz gut.

Warum ist eigentlich nie jemand abgehauen?
Das frage ich mich auch! Bei Matthias Matussek dachte ich damals, was machst du hier für ein Fass auf, geh’ doch einfach. Kommt etwa die Polizei? Nein! Wir präsentieren sogar anfangs die Notausgänge, so wie Stewardessen vor dem Flug.

Der Journalist Matthias Matussek hat 2013 vergeblich versucht, nach der Aufzeichnung die Ausstrahlung der Sendung mit einer einstweiligen Verfügung zu stoppen, unter anderem, weil Sie ihn „Puffgänger“ genannt haben. War er der schlimmste Gast?
Naja, der war irgendwie der dümmste Gast. Ich selbst war auch nicht auf Höchstleistung eingestellt. Wenn ich vorher recherchiert hätte, wäre es eine Sternstunde geworden. So war ich auf der Bühne mit einem älteren Herrn, der durchdreht, weil man ihm nicht den Bauch pinselt. Er wusste angeblich nicht, was ihn erwartet. Aber es gibt bestimmt 80 Stunden Material bei Youtube. Das war alles sehr dümmlich.

Sie haben das Fernsehen fünf Jahre gemieden – und jetzt sagen Sie: „Ich will es nicht den Idioten überlassen.“ Warum eigentlich nicht?
Meine Bedingung war, dass wir beim RBB die Schiene „Internet first“ fahren. Ich will die Mediathek zum Glühen bringen. Früher sagten alle: „Ich gucke kein Fernsehen, hab’ aber noch einen.“ Heute ist: „Ich gucke kein Fernsehen mehr, und ich hab’ auch keinen Fernseher.“

Sie auch nicht?
Doch, mehrere. Im Schlafzimmer, Wohnzimmer und Gästezimmer. Ich gucke nicht. Naja, doch, Dokus in der Mediathek. Ich baller’ ganz schön was weg, wenn ich mir Serienproduktionen angucke, die 150 Millionen Dollar kosten – und ich hab’ acht Folgen innerhalb von zwei Tagen durch.

„Mich pisst es an, dass ich jetzt politisch sein muss“

Vor dem Comeback. 2014 ging Krömer auf große Abschiedstournee.
Vor dem Comeback. 2014 ging Krömer auf große Abschiedstournee.

© imago/Star-Media

Fehlen Ihnen die großen Samstagabendformate, mit denen Sie aufgewachsen sind?
Die durfte ich nicht gucken, mein Vater war ein Alt-68er-Anarcho. Ich kann mich an „Wetten, dass ..?“ mit Frank Elstner erinnern, da gab es diese Folterstühle. Wir haben Western geguckt und Filme mit Charles Bronson. Ich habe den Glitzi-Glitzi vermisst. Nach der Scheidung meiner Eltern kippte es ins andere Extrem: Bei meiner Mutter lief „Die Dornenvögel“. Heute wäre ich interessiert, eine Samstagabendshow zu machen, gerne im Friedrichstadtpalast als Helga Hahnemann reloaded, mit Sido. Eine Weihnachtsgala!

Sie werden oft mit Harald Juhnke verglichen. Angenommen, Sie könnten einen Abend mit ihm verbringen, was würden Sie tun?
Ihn ausfragen. Wie man richtig auf die Bühne kommt. Juhnke hat immer die Arme ausgebreitet, aber die Hände leicht unten, was ein bisschen wehmütig wirkte. Dann gehen die hoch, und der Applaus wird dadurch stärker. Das ist eleganter, als wenn du rauskommst wie Lord Bräsicke.

Was Juhnke machte, war eine Demutsgeste, dem Publikum den Hals zeigen.
Wie bei mir. Ich komme demütig raus, dann gibt es die Keule in den Nacken. Von hinten. Gibt man erst den Fünfjährigen mit Weihnachtsgedicht, kann man im Spiel später unheimlich brutal werden.

Als Sie 2012 vor Bundeswehrsoldaten in Afghanistan aufgetreten sind, haben Sie später erzählt, dass Ihnen die Frauen im Publikum gefehlt haben. Warum ist ein großer Frauenanteil wichtig?
Die Frau lacht, der Mann guckt rüber, ah, die Frau lacht! Dann darf ich auch. Frauen sind – und das meine ich positiv! – viel alberner. Männer sind so klassisch, wollen nicht über jeden Scheiß lachen. Was sollen denn die Leute denken.

Wenn Zuschauer pöbeln, lassen Sie die rauswerfen.
Im Laufe eines Abends ist auch eine AfD-Nummer dran. Dann denke ich mir, mal sehen, wie das hier heute ankommt. Und prompt steht einer im Thor-Steinar-Pulli auf und faselt los: „Dir müsste man das Jochbein brechen.“ Security! Mir geht das voll an mir selber auf den Sack, dass ich diese AfD-Nummer überhaupt machen muss. Ich meine, ist doch klar, wo ich stehe: Kreuzberg, Ufa-Fabrik, Schwarzer Kanal! Mich pisst es an, dass ich jetzt politisch sein muss, um extra nochmal zu unterstreichen, dass ich nicht rechtsradikal bin.

Ist es sinnvoll, mit Rechtsradikalen zu reden?
Weiß nicht. Wenn ich Plasberg oder Maischberger sehe, denke ich: „Schlagt mehr auf die ein und duldet die nicht so!“ Gauland hatte ich eingeladen, von Storch und Petry, aber die hatten viel zu tun.

Markus Pretzell haben Sie mal auf Facebook beschimpft: „Du misslungene Kreuzung zwischen Möchtegern-Reichspropagandaminister, Donald Trump für Arme und Klappspaten!“ Warum schließen Sie mit „Dein Kurt Krömer“?
Kussi, Kussi. Ich brauche als Komiker einen Kniff, dass die Leute lachen und merken, der verarscht den gerade. In meinem letzten Programm habe ich eine Frau weitergespielt, die im ZDF gesagt hat, dass die nicht Weihnachten in der Moschee feiern will. Ja, überhaupt keine Stimmung da, kein Weihnachtsbaum … Da war Krawall. Auf Facebook wünschten sich Leute, Flüchtlinge mögen kommen und meine Familie vergewaltigen.

Seitdem posten Sie nichts Politisches mehr?
Weil ich darauf zehnmal mehr Reaktionen kriege als auf einen Witz. Das Politische ist hundertmal interessanter, als das, was ich sonst mache. Und ich wäre dann der Moralapostel, der immer gegen die Rechten schießt und daraus ein Geschäft macht.

Werden Sie wegen Ihres Dialekts als Ostdeutscher wahrgenommen?
Ja, ich wurde mal in München angesprochen: „Wo im Osten sind Sie denn geboren?“ – „Neukölln.“– „Ja, wusste ich.“ Ich wurde so erzogen, dass ich den Gossenjargon weglassen soll, wenn wir nach Charlottenburg fuhren, denn ich war ja wirklich Arbeiterklasse, Vater Tischler, Mutter Schneiderin.

Den Witz gab es schon bei Ihnen in der Familie?
Welchen Witz?

Den rauen Neuköllner Humor.
Mein Vater hatte einen sehr trockenen, ironischen Humor. Als Sechsjähriger habe ich natürlich nicht verstanden, wenn er sagte: „Es gibt eine Woche nix zu essen.“ Aber irgendwann dachte ich, na, der ist schon gut. Vor acht Monaten ist er gestorben. Sein Name wird eigentlich „Boizan“ geschrieben, nicht „Bojcan“. Das wollte er verändern, da haben die gesagt, machen wir nicht, kostet 2000 D-Mark.

„Preetz … der is’ Hertha, ne? Interessiert mich einen Scheißdreck“

„Als ich Künstler werden wollte, dachte mein Vater, ich bin ein homosexueller Geistesgestörter“, sagt Krömer.
„Als ich Künstler werden wollte, dachte mein Vater, ich bin ein homosexueller Geistesgestörter“, sagt Krömer.

© Mike Wolff

Hape Kerkeling ist unter anderem deshalb so lustig, weil er als Kind seine depressive Mutter aufheitern wollte. Wie war das bei Ihnen?
Der Ton war rauer, da musste man zusehen, wie man klarkommt. Meine Eltern waren arbeiten, und man war ein klassisches Schlüsselkind. Wenn der Alte nach Hause kam, brüllte er: „Verpisst euch, Fernseher aus, ab ins Zimmer!“ Bierchen aufgemacht, eingeschlafen, aufgewacht, schlechte Laune, und dann hat er nochmal alle zur Sau gemacht. Als ich Künstler werden wollte, dachte mein Vater, das wäre eine versteckte Botschaft. Bist du so ein Schwuli oder wat? Die haben gedacht, ich bin ein homosexueller Geistesgestörter.

Nervt es Sie, wenn dieses Milieu romantisiert wird?
Neukölln hat damals keine Romantik gehabt – auch nicht, als ich Mitte der 90er wieder dort gewohnt habe. Da lebte man, weil man ein WG-Zimmer für 150 Mark kriegte. Wenn’s mal läuft, dann weg hier.

Heute ist es genau andersrum. Alle wollen hin, und es können sich nicht mehr viele leisten.
Ich find es immer scheiße, wenn man die Leute dann halt verdrängt und sagt, verpisst euch hier, wir sind die Hipster mit den langen Bärten und übernehmen den Laden jetzt. Dieses Gemischte war ja immer toll an Neukölln: Arm und Reich, Multikulti und so. Meine Wohnung im Hinterhof der Bürknerstraße hat früher 300 Mark gekostet. Heute würde man dafür 800 Euro zahlen. Hinterhof! Ist schon krass.

Dafür dann ohne Ofenheizung?
Hatte ich nie. Meine Heizung lief selten, weil man mir das Gas abgestellt hat. Entweder hatte ich E-Plus, aber kein Gas, oder Strom und Handy, aber die Bude war kalt. Dann kam der Typ von der Gasag, hat das Ding verplombt. Später stand der Gerichtsvollzieher vor der Tür: „Haben Sie jetzt 80 Mark in bar, oder wie verbleiben wa?“ Zwei Pullis und Decke. Schön war das nur im Nachhinein, weil, ich hab’ ja was erlebt.

Sie haben mal gesagt, wenn Sie unter der Matratze fünf Mark gefunden haben, mussten Sie sich zwischen Tabak und Essen entscheiden.
Meistens war es Van-Nelle-Tabak, der blaue.

Das ist jetzt Ihre vierte Zigarette.
Ja, und es wird sicher auch noch die achte oder zehnte. Durch den ganzen Punk, der gerade bei mir abgeht, rauche ich ein bisschen mehr. Ich kaufe mir nie eine Stange, sondern einzelne Schachteln. Ich war übrigens damals auch öfter im Spreewaldbad, Duschen für eine Mark. Da traf man dann seine Kollegen aus dem Chamäleon oder der Scheinbar …

… dem Schöneberger Varieté Ihrer Anfangstage. Hatten Sie Angst, dass Sie arm alt werden?
Ich habe mal eine Grundschule in Tegel geputzt. Und wie ich da so stehe mit dem Mopp, sagte irgendeine Stimme: „Dit wird schon.“ Darauf habe ich immer vertraut. Trotzdem, ich war ungelernt, konnte nicht in einen Job zurück. Hinten alles vermauert und vorne alles offen.

Sie waren auch Hilfsarbeiter auf dem Bau.
Ich habe eine Siedlung in Hohenschönhausen mit aufgebaut mit scharfkantigen Platten, woanders habe ich acht Stunden am Tag Putz abgekloppt. Erst in die Schubkarre, dann in die Rutsche. Ich war schon immer ein Spacko ohne Kraft, aber das war denen egal.

Haben Sie mit den Kollegen Witze gemacht?
Ich war ja der Schwuli, wenn du gesagt hast, du willst Künstler werden. Kein Bauarbeiter sagt, ja klar, ich war gestern auch im BE bei Martin Wuttke. Handwerk und Kunst, das geht nicht. Man hat seine Arbeit gemacht, hat das Geld bekommen, ist nach Hause gegangen und war unzufrieden, weil es so wenig war … jetzt fragt mich doch endlich nach Fußball!

Würden Sie lieber Michael Preetz oder Michael Müller in Ihre Show einladen?
Müller ist mir zu farblos, zu strickjackig. Und Preetz … der is’ Hertha, ne? Interessiert mich einen Scheißdreck. Du guckst 60 Minuten nicht hin, dann steht es immer noch 1:0. Handball mehr, da ist die Atmosphäre in der Halle nicht so prollig und hart.

Machen Sie selber Sport?
Seit ein paar Monaten, weil ich beim Arzt war und der meinte, diese Fettleibigkeit, in zehn Jahren kriegst du den ersten Schlaganfall. Jetzt turnt ein Personal Trainer mit mir.

Im Park?
Nee, das wäre mir unangenehm, so mit Gucci-Cap und Yves-Saint-Laurent-Shirt.

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