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Während große Teile Irlands aus saftigem Weideland bestehen, wird es auf dem Gipfel des Carrantuohill felsig.

© Prmo

Irland: Eine Wanderung auf den Carrantuohill

Irlands unendliche Weiten haben unsichtbare Grenzen. Doch der höchste Gipfel der Insel ist zugänglich – wenn das Wetter stimmt.

Kurz vor Schluss ist Piaras der Einzige, der noch gute Laune hat. „Come on! Gleich habt ihr es geschafft“, ruft er der Gruppe zu. Und der bleibt nichts anderes übrig, als dem Guide zu glauben, sehen kann man außer Vordermann und Hinterfrau eh nichts.

Carrantuohill, im Südwesten des Landes gelegen, mit 1038 Metern der höchste Gipfel der Insel, ist in eine Regenwolke gehüllt und alle klettern und rutschen mittendrin. Die Klamotten sind durchnässt, der Wind jagt die Wolken und kurz sehnt man sich zurück nach der Sonnenzeit. Am See. Als man die Jacke ablegen und das Gesicht für einen Moment den warmen Strahlen entgegenrecken konnte. Einer ging sogar schwimmen. 20 Minuten ist das her. Verdammtes Wetter! Und doch ist man auch ein bisschen stolz, es hierauf geschafft zu haben. Konnte ja keiner ahnen, dass es so abenteuerlich wird. Wandern in Irland, was soll man da schon erwarten?

Grüne Wiesen, weiter als man blicken kann. Klippen und Felsen, schroff und karg. Mehr Schafe, als man zum Einschlafen zählen kann. Das alles ist Irland. Das In-den-Weiten-Wandern. Auf dem Dingle, Wicklow oder Kerry Way. Gipfelerklimmen gehört nicht zu den Klassikern.

Die gesamte Bergkette ist im Privatbesitz

Allein aus praktischen Gründen: restriktives Wegerecht. Viel zu oft sind Irlands Zipfel und Spitzen nicht zugänglich. Wald und Wiesen machen einen wilden Eindruck, befinden sich jedoch aufgrund alter Landrechte zu großen Teilen im Privatbesitz. Pfade sind nicht gesichert oder dürfen erst gar nicht betreten werden. Schilder untersagen den Durchgang. Kein Schild bedeutet nicht automatisch, dass der Zugang erlaubt ist. Touristen wird geraten, strikt auf den offiziellen Routen zu bleiben, um Ärger mit Landbesitzern oder Pächtern zu umgehen. Irlands schier unendliche Weiten haben unsichtbare Grenzen.

Carrantuohill hat keine. Obwohl die gesamte Bergkette im Privatbesitz ist. Das „MacGillycuddy Reeks Mountain Access Forum“, 2014 gegründet, ist eins von zwei Pilotprojekten in Irland, das Zugangsmöglichkeiten zu privatem Land schaffen will. Landinhaber sowie Vertreter aus Politik und Wirtschaft haben sich zusammengetan, Routen geplant, Sponsoren gesucht und Parkplätze gebaut.

Startpunkt der halbtägigen Wanderung ist Cronin’s Yard, ein kleiner schlichter Teesalon in gelbem Anstrich mit Park- und Schlafmöglichkeiten und einem Kamin. Reeks District im County Kerry. Die nächste „Stadt“, die man so bezeichnen könnte, ist Killorglin. Der Taxifahrer hatte sich am Morgen auf den holprigen Schotterpisten mehrmals verfahren, unterwegs dafür aber noch die Sehenswürdigkeiten präsentiert. „Irischer Regen!“, „Irische Straßen!“, „Irische Pferde!“ Und natürlich: „Irische Schafe!“

Regen, Kälte, Nebel und Unfälle

Unter einem Strauch mit roten Beeren zeigt ein weißer Pfeil auf schwarzem Untergrund nach rechts: „Carrantuohill“. Daneben erinnern Tafeln an Menschen, die von ihrem Aufstieg nie zurückgekehrt sind. Angela Kenny – starb 1987. Geraoid MacDomnhaill – verunglückte 2008 „heldenhaft“, als er verletzte Kletterer retten wollte. Pat O’Donoghue – „tragisch ums Leben gekommen“. 2016 war das. Im vergangenen Jahr starben zwei Menschen. „Man muss einfach aufpassen“, sagt Piaras, der ehrenamtlich auch als Bergretter unterwegs ist.

Viele unterschätzen den Aufstieg. „Einen einfachen Weg gibt es nicht.“ Piaras, Mitte 40, mit Allwetterhose, rotem Kopf, Löckchen und einem kleinen silbernen Ring am linken Ohr, sagt das, als sei es keine große Sache. Als sei es schon okay. Aber er hat auch leicht reden, wandert schließlich fast jeden Tag auf den Berg. Seit Jahrzehnten schon. „Das Wetter“, sagt er, „ist die größte Gefahr.“ Ein Schild vom „Kerry Mountain Rescue Team“ konkretisiert das und formuliert die Frage: „Bist du bereit für schwierigen Untergrund, Wind, Regen, Kälte, Nebel und Unfälle?“

Gerade wechselt sich die Sonne noch mit Nieselregen ab. Und der älteste Mann, der je den Gipfel bestiegen hat, war 82. Sagt Piaras. Das beruhigt. Außerdem sind wir hier immer noch in Irland. 1038 Meter. Wird schon!

Die beliebteste Route zum Gipfel ist die Devil’s Ladder, auch genannt „Touristen-Route“. Früher, so heißt es, sollten die Kinder durch den Namen eingeschüchtert und davon abgehalten werden, weit wegzulaufen. Die zweite Route, Brother O’Shea’s Gully, verläuft anfangs parallel, geht später rechts ab, wird steiler und anspruchsvoller. Angesetzt sind für beide mindestens sechs Stunden. Heute soll es über Brother O’Shea’s Gully hoch und die Teufelsleiter runter gehen. Piaras hat es schon in zweieinhalb Stunden geschafft.

Mike hat seine Schafe im Blick

Grüne Wiesen und bunte Schafe auf dem Dingle.
Grüne Wiesen und bunte Schafe auf dem Dingle.

© imago/blickwinkel

Nach einer Flussüberquerung steigt man durch das weitläufige Hag’s Glen Tal: grün, zwei tiefblaue Seen, sanfter Einstieg. Links und rechts die Hügel, in der Mitte Kiespisten, drum herum Gräser und Geröll. Hier ist Irland, wie man es sich vorstellt. Überall stehen oder liegen Schafe. Jedes einzelne lila, pink oder blau gepunktet. „Extrempaintballing“, sagt Piaras. Das habe er mal einer Gruppe erzählt. Oder: „Besondere Rasse, wird so geboren.“ Die Touristen hatten es ihm geglaubt, behauptet er.

Die Schafe jedenfalls gehören zu Mike. Ein Mann mit gefleckter Arbeiterhose, brauner Lederweste, von Löchern gesäumt, Wollmütze, Dreitagebart und eisblauen Augen, der am Wegrand steht. Passt ins Bild. In der Hand hat er einen Spaten, seine Schafe hat er im Blick. „Das Land hier gehört ihm“, sagt Piaras und klopft Mike freundschaftlich auf die Schulter. Mike lächelt schüchtern. Er ist einer der Eigentümer, einer derer, die sich mit dem Forum um die Weiterentwicklung des Gebietes kümmern. Bereits in der sechsten Generation gehören Teile der Berge seiner Familie. Andere, sagt er, seien schon in der neunten Generation. Alte Schäferfamilien. Gemeinsam kümmern sich Piaras und Mike darum, dass die Wege begehbar bleiben und einzelne Wiesenabschnitte für Wanderer zugänglich werden. Alte Schaf-Trails haben sie restauriert, die Brücke unten am Bach neu gebaut, die kleinen Treppenstufen aus Steinen kamen im vergangenen Jahr dazu. „Davor waren hier einfach nur unebene Erdhügel, platt getretenes Gras“, sagt Piaras stolz.

Dann kommt der Sumpf

Am Anfang sind die Wege tatsächlich gut, Kieselsteine und ein paar Schlaglöcher das größte Hindernis. Dann kommt der Sumpf. Von Stein zu Stein zu hüpfen, klappt nur mäßig. Die Füße sind spätestens jetzt nass. Dann steile Hänge. Eben hatte man noch Luft, jetzt klopft das Herz stärker und der Atem geht schneller. Dann das Geröll. Oftmals ist die einzige Möglichkeit, an kniffligen Passagen vorbeizukommen, die Hände zu Hilfe zu nehmen. Es fühlt sich mehr nach Klettern an als nach Wandern. Der lose Untergrund droht wegzurutschen. Drum herum stehen noch immer Schafe. Auf Klippen, gemütlich grasend. Wenn die es schaffen, dann schafft man es doch auch! In einem Bergkessel wartet der Cummeenoughter Lake, der höchstgelegene See Irlands, klar und eiskalt, spiegelt er die Wolken und Berge. Kurze Pause. Ein paar Chips und Wasser. Einer geht schwimmen.

Der Rest sitzt und staunt. Das Wort Grün allein reicht nicht, um die Farbintensität der Landschaft zu beschreiben. Grüngrün mindestens! Kurz lässt sich die Sonne blicken. Dann geht es weiter – ganz ohne Weg. Steil nach oben. Ein paar Mal rutscht wer ab. Halb so wild, nur ein bisschen. Dem Nebel entgegen.

Bloß schnell wieder runter

Piaras verliert seine gute Laune nicht. „Come on! Gleich habt ihr es geschafft“, ruft er der Gruppe zu.

Für einen Moment denkt man zurück an die Bilder, die man auf Flyern und Postkarten gesehen hat. Carrantuohill, ein paar Schäfchenwolken und endlos grüne Weiten. In der Ferne zu erahnen: der Atlantik. „Nur vom Gipfel sieht man die Region in all ihrer Pracht“, stand da geschrieben. Jetzt ist man schon froh, das wenige Meter entfernte Gipfelkreuz zu erkennen. Es ist kalt, windig, nass. Bloß schnell wieder runter, der einzige Wunsch. Später wird Piaras sagen: „In einer Welt, in der alles planbar ist, bleibt das Wetter in Irland das einzig Unberechenbare.“ Und unten, am Ende der Tour, zeigt sich wieder die Sonne.

Reisetipps für Irland

Hinkommen

Ryanair verbindet Berlin zweimal pro Woche mit dem Flughafen Kerry. Bei frühzeitiger Buchung ab zehn Euro pro Strecke. Auf diesem Flug entstehen CO2-Emissionen von 745 Kilogramm, das entspricht etwa einem Drittel des klimaverträglichen Jahresbudgets eines Menschen. Beispielsweise bei Atmosfair kann man zum Ausgleich Geld für Projekte spenden, die das Klima schützen. Diesen Flug auszugleichen, würde 18 Euro kosten. Mehr Infos zum Thema unter: atmosfair.de

Unterkommen

Das Bianconi Inn in Killorglin ist zugleich Boutique-Hotel und Brauerei. Beides hat eine 150-jährige Tradition. Es gibt Stoutbier und irische Spezialitäten. Doppelzimmer ab 125 Euro pro Nacht, bianconi.ie.

Rumkommen

„Kerryclimbing“, zu denen auch Piaras gehört, bietet geführte Touren zum Gipfel des Carrantuohill. Regenfeste Kleidung nicht vergessen. Die Preise für eine Tagestour starten bei 55 Euro pro Person, kerryclimbing.ie.

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