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Billie Holiday (rechts) machte Meeropols Song „Strange Fruit“ berühmt.

© picture-alliance / maxppp

Kalter Krieg: Unsere Eltern, ein Todesurteil

Anklage Atomspionage – 1953 sterben die Rosenbergs auf dem elektrischen Stuhl. Was geschieht mit ihren kleinen Söhnen?

Michael Rosenberg war sauer. Er saß vor dem Radio, als das FBI kam, und mitten im spannendsten Moment stellte dieser Fremde einfach das Radio aus! Das sah der Siebenjährige gar nicht ein. Er wollte wissen, wie sein Held, der Lone Ranger, diesmal das Unrecht im Wilden Westen bekämpfte. Also machte er das Radio wieder an. Das FBI machte es aus. An. Aus. Das FBI war stärker.

Es war der 17. Juli 1950. Der Abend, an dem Michaels Vater Julius festgenommen wurde. Kurz darauf kam auch Mutter Ethel ins Gefängnis. Ihr eigener Bruder, David Greenglass, hatte das Paar verraten. Hatte gesagt, dass die Rosenbergs als Spione das Atomgeheimnis an die Sowjets weitergegeben hätten. Dazu lieferte er eine Skizze, die zum Bau der Atomwaffe ungefähr so brauchbar war wie ein Papierflieger zum Transport von ein paar hundert Menschen. Das hat die Justiz nicht weiter gestört. Aufgrund der Aussage wurde Greenglass’ Frau wieder freigelassen, er selbst kam mit zehn Jahren davon und lebt heute noch, 91-jährig. Vor zwölf Jahren gestand Greenglass in einem Fernsehinterview, dass er gelogen hatte, um sich und seine Frau zu retten. Die Rosenbergs wurden zum Tode verurteilt.

Michaels kleiner Bruder Robby lag schon im Bett, er war drei, als der Vater verschwand. Liebevoll und lustig, so haben die beiden ihre frühe Kindheit in Erinnerung, so schildern sie sie in unserem Telefoninterview. Arm, aber glücklich. Michael, 69, ist emeritierter Wirtschaftsprofessor, Robert, 65, Anthropologe und Jurist. Sie misstrauen ihrer Erinnerung – ist das nun nachträgliche Mythisierung oder Wirklichkeit? Aber an dem Glücksgefühl ändert die Skepsis nichts.

1950 war es damit vorbei, da begann ihre jahrelange Odyssee. Als Erstes kamen sie zur Großmutter Greenglass, „eine fiese Frau“, wie Michael sie im Gespräch nennt. Einmal, als er ihr sagte, wie unglücklich er sei, schickte sie ihn wütend zum Telefon. Na los! Ruf doch deine Mutter an und beschwer dich! Vielleicht besinnt sie sich und nennt, wie ihr Bruder, Namen, dann kann sie sich selbst wieder um ihre Kinder kümmern. Sie, die Oma, hatte keine Lust dazu. Also schob sie die Jungs ab, in ein jüdisches Heim in der Bronx. Die Monate dort haben die Brüder als ihre schrecklichste Zeit in Erinnerung. Auch wenn sie es sich nicht unbedingt anmerken ließen. „Smiley“ haben die Betreuerinnen Robby getauft. Das war die Strategie, mit der der Introvertierte den Horror überstand: Er gab den Sunnyboy. Weinen führte nur zu Aufmerksamkeit, die wollte er nicht, er wollte eine Kinderwelt, so normal und heil wie möglich.

Als Nächstes kamen sie zu Oma Rosenberg, die lieb, aber kränklich war und untröstlich über das Schicksal ihres Sohnes. Die kleinen Jungs überforderten sie. Vor allem Michael, der Wilde, der schon immer ein schwer zu zähmendes Kind war, jähzornig, hyperaktiv. In dem Film, den seine Tochter Ivy 2003 über die Familiengeschichte gedreht hat, gibt es eine Szene, in der er durch die Lobby des Wohnblocks auf der Lower East Side rast, um, zum ersten Mal seit 50 Jahren, wieder die Wohnung zu betreten, in der er damals vor dem Radio saß. „Slow down, Dad!“, ruft Ivy ihrem Vater hinterher, der dreht sich nur kurz um: „I don’t have slow in me.“

So wild er war, so fürsorglich war er auch. Auf den meisten Fotos aus dieser Zeit hat der Große den Arm um den Kleinen gelegt. „Michael“, sagt Robert im Gespräch, „hat die Rolle des Mannes im Haus schnell angenommen. Er fühlte sich verantwortlich.“ Sie hatten nur sich. Aber sie hatten sich: „Wir gegen den Rest der Welt.“ Bei all den dramatischen Veränderungen, waren sie einander die einzigen Konstanten.Noch heute, so Robert, vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht kommunizieren.

Von den sieben Geschwistern, die Julius und Ethel Rosenberg hatten, war keiner bereit, die Kinder zu sich zu nehmen. Das heißt: Eine Schwester wollte, ihr Mann aber nicht. Er hatte gerade, ganz knapp, den Holocaust überlebt, hatte Panik. Der Zwist blieb als Schatten über der Ehe hängen. Selbst als Michaels Tochter Ivy die Verwandtschaft ein halbes Jahrhundert später zu kontaktieren versucht, ist nur ein einziger Vetter bereit, mit ihr vor der Kamera zu sprechen. Er kann nicht verstehen, dass seine Eltern die Jungen nicht genommen haben. Weinend entschuldigt er sich bei der Cousine.

Wer Marx im Regal hatte, war verdächtig

Anfang der 50er Jahre herrschte in Amerika zum Teil panische Angst. Mitten im Kalten- und Korea-Krieg hatte die antikommunistische Hysterie ihren Höhepunkt erreicht. Schon wer Marx im Regal stehen hatte oder einer linken Bürgerrechtsorganisation Geld spendete, machte sich verdächtig. Als Zeuge vor das House Committee Un-American Activities (HUAC) geladen zu werden, kam einem Schuldspruch gleich. Lehrer, Regisseure, Händler verloren ihre Jobs und Kunden, wurden von Freunden und Kollegen geschnitten.

Auch die Kinder bekamen die Hetze zu spüren. Red Diaper Babies, so heißt der Nachwuchs der amerikanischen Linken, Robert und Michael nennen sich heute noch so. Carl Bernstein, der Journalist, der den Watergate-Skandal aufdeckte, war ein solches in der roten Windel gewickeltes Kind, er kannte Michael und Robbie gut. Dabei waren sie sich noch nie begegnet. (Das holten sie als Erwachsene nach.) Seine Mutter leitete das Washingtoner Büro der großen Kampagne zur Rettung der Rosenbergs. Denn während viele Amerikaner gar nicht abwarten konnten, sie auf dem elektrischen Stuhl „brutzeln“ zu sehen, erklärten die anderen sie zu Heiligen und Märtyrern. Um seiner Mutter zu helfen, steckte Carl Bernstein Spendenaufrufe in die Bücher mit den Briefen aus der Todeszelle, die die Rosenbergs einander und den Jungen geschickt hatten. Auf der Rückseite waren Michael und Robby abgebildet. Ganz Amerika kannte ihr Gesicht.

Die Post war ihre Nabelschnur. Ein Jahr lang durften die Kinder ihre Eltern nicht sehen. Beim ersten Besuch waren sie schockiert: Ihre Mutter war geschrumpft! Sie selber waren gewachsen, Ethel trug als Häftling flache Schuhe. Als glücklich haben die Brüder die Besuche in Sing Sing im Gedächtnis. Sie spielten miteinander, malten miteinander, erzählten sich Geschichten, küssten und umarmten sich. Sie spielten eine ganz normale Familie, alle paar Monate eine Stunde lang.

Ins Gefängnis kamen die Kinder an der Hand von Emanuel „Manny“ Bloch. Als Anwalt, glaubt Michael Rosenberg heute, hat Bloch grobe Fehler gemacht, als Mensch aber, und man hört die Wärme in seiner Stimme, war er „wunderbar! Wie Mutter und Vater war er zu uns.“ Ein Bär von einem Mann, ihr Vormund und Beschützer.

Ganz aufgeregt waren die Kinder, sie besuchten Mommy und Daddy! Erst sie, dann ihn. Nur ein einziges Mal waren alle vier in einem Raum vereint, am 16. Juni 1953, beim letzten Besuch vor der Hinrichtung. Wieder versuchten Julius und Ethel Rosenberg, alles so normal wie möglich erscheinen zu lassen. Robby ließ sich nur zu gern darauf ein. Michael, der sich den elektrischen Stuhl einmal hatte zeigen lassen – er wollte, so sagt er, beweisen, dass er keine Angst hatte –, nicht. Als die Rosenbergs sich verabschiedeten, als würden sie einander wiedersehen, rastete er aus. Wie konnten sie so ruhig sein?! „One more day to live!“, schleuderte er ihnen entgegen. „One more day to live!“ Die Eltern gaben den Kindern einen Abschiedskuss und rannten aus dem Raum.

Während Julius und Ethel am 19. Juni auf den elektrischen Stuhl gesetzt wurden – die Mutter, zu zart für den großen Stuhl, starb nicht sofort, es musste noch mal nachgeschossen werden, genüsslich berichteten Reporter, dass Rauch aus ihrem Kopf aufstieg – spielten die Jungs draußen Ball. Die Familie, bei der sie zu dieser Zeit in New Jersey lebten, hatte sie zu den anderen Kids raus geschickt.

Carl Bernstein hat an diesem Abend hemmungslos geheult, geschrieen und gezittert, ließ sich von seiner Mutter gar nicht mehr beruhigen. Wie auch, er war voller Angst und Wut auf sie. Wie viele Red-Diaper-Babys identifizierte sich der Neunjährige total mit den Rosenberg-Brüdern, war überzeugt, dass seine Mutter als Nächstes dran war.

Michael hat nicht geweint. Auch in den nächsten Tagen und Jahren nicht. Erst 1959 bei der Lektüre eines Romans über einen Mann im Todestrakt und seine Hinrichtung brach es aus ihm heraus.

Im Sommer 1953 mussten die Jungen die Familie in New Jersey wieder verlassen. Andere Eltern hatten sich beschwert: Sie wollten nicht, dass ihre Kinder mit den kleinen Rosenbergs auf der Schulbank saßen. Kommunismus betrachteten viele als ansteckende Krankheit, eine Seuche hat FBI-Chef Hoover es genannt. Zurück zu Oma Rosenberg.

Und dann ging alles ganz schnell. Auf einem Weihnachtsfest im Hause des schwarzen Bürgerrechtlers W.E.B. Du Bois begegneten sie ihren neuen Eltern zum ersten Mal. Eine Frau im Büro von Manny Bloch hatte sie vorgeschlagen. Anne und Abel Meeropol waren ihr großes Glück, das sagten damals alle, die den Kindern wohlgesonnen waren, das sagen Michael und Robert heute noch. Ein linkes, jüdisches Lehrerpaar aus der Bronx, das selber fast zwei Söhne gehabt hätte, Lewis und Allan, wären sie nicht tot auf die Welt gekommen. Lewis Allan, unter diesem Pseudonym schrieb Abel Meeropol unzählige Songs, darunter ein paar Hits, allen voran „Strange Fruit“, ein früher Bürgerrechtssong über Schwarze, die an Bäumen baumeln, ein unerhörter Song, den Billie Holiday berühmt machte.

Aber bevor die Adoption juristisch geregelt war, fiel ihr starker Mann um: Im Januar 1954, mit 52 Jahren, starb Vormund Manny Bloch an einem Herzinfarkt. Jetzt protestierten Konservative, man könne die Kinder doch nicht Linken in die Obhut geben! Die Jungen kamen wieder zur Oma, mit deren Unterstützung die Adoption am Ende gelang.

„Da“, sagt Robert, „kehrte Ruhe ein.“ Anne Meeropol war eine liebevolle, aber strenge Mutter, Abel der weiche, lustige Vater, ständig zu Scherzen und Wortspielen aufgelegt. Mommy und Daddy, wie die Jungen sie bald nannten, waren im Theater aktiv, hatten viele Künstlerfreunde. Und sie waren immer für die Kinder da. Mit ihren neuen, relativ alten Eltern hatten die Jungens als Jugendliche die üblichen Generationskonflikte. Vor allem mit Anne gab es oft Streit. „Aber was zählt“, sagt Michael: „Sie haben sie uns davor bewahrt, den Verstand zu verlieren.“

Die Brüder fühlten sich aufgehoben und abgeschirmt. Es waren nicht nur die Meeropols, die sich kümmerten, auch deren Freunde und Familie, Sozialarbeiter und Therapeuten, Lehrer und Betreuer. In dem halben Jahr zwischen der Hinrichtung der Rosenbergs und seinem eigenen Tod hatte Manny Bloch Geld gesammelt für einen Treuhandfonds, der den Kindern ermöglichte, zur alternativen Privatschule zu gehen, ins geliebte linke Summer Camp zu fahren, an guten Unis zu studieren.

Die Rosenbergs gab es nicht mehr. Robert und Michael hießen nun Meeropol. Und waren heilfroh darüber. Die beiden bekanntesten Waisenkinder Amerikas tauchten ab in die Anonymität. Kaum einer wusste, wer sie wirklich waren, die Brüder behielten ihr Geheimnis für sich. Ihr erstes richtiges Coming-out hatten beide gegenüber den Frauen, die sie heiraten wollten und mit denen beide bis heute verheiratet sind.

Sie haben Familien gegründet und ein erfülltes Leben gelebt, sich als Linke engagiert. Auch wenn sie bis heute Meeropol heißen – sie blieben die Kinder der Rosenbergs. In den 70er Jahren gingen sie an die Öffentlichkeit damit, schrieben, gegen den positiven wie den negativen Mythos, ihre eigenen Bücher, versuchten, den Fall neu aufzurollen. Mussten mit der Entdeckung fertig werden, dass ihre Eltern nicht ganz so unschuldig waren, wie sie beteuert hatten: Julius hat wohl für den KGB gearbeitet. Atomgeheimnisse freilich hatte er keine zu bieten gehabt. Die Rosenbergs, so die Söhne, waren unschuldig im Sinne der Anklage.

Als junger Mann hat Michael ein schwarzes Baby adoptiert, um, wie er es beschreibt, etwas von dem Glück zurückzugeben, das er erfahren hat. Robert fand seinen Frieden in dem Moment, da er einen Weg entdeckte, seine „schreckliche Erfahrung in etwas Positives zu verwandeln“: Mit 43 gründete er den Rosenberg Fund for Children, für Kinder, deren Eltern durch politische Aktivitäten in Schwierigkeiten gerieten. Ja, sagt er, man kann den Kindern helfen. „Es gibt fast immer ein Happy End.“

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