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Katja Demirci

© Mike Wolff

Katja Demirci macht sich locker: Der Wald kippt

Von all den Yoga-Positionen, die ich anstrengend finde, ist der Stuhl die Nummer eins. Ich würde so weit gehen zu sagen: Ich hasse den Stuhl.

Von all den Yoga-Positionen, die ich anstrengend finde, ist der Stuhl die Nummer eins. Ich würde so weit gehen zu sagen: Ich hasse den Stuhl. Dabei ist er nicht mal komplex. Man setzt sich auf einen Stuhl, den es gar nicht gibt. Mit gebeugten Knien bleibt der Po also in der Luft hängen, die Arme strecken sich wie Halt suchend schräg nach oben. Es erinnert mich an Skigymnastik. Mehr noch allerdings an meinen Sportlehrer, der uns die Pose, jedenfalls was die Beine angeht, zur Ballannahme im Volleyball empfahl und sie „sibirische Scheißhausstellung“ taufte.

Die korrekte Bezeichnung in Sanskrit lautet Utkatasana. In meinen Ohren klingt das so anstrengend, wie die Position ist, das „ut“ wie „uff“. Es gibt andere Übungen, deren Namen schön sind und hinter denen sich schweißtreibende Sachen verbergen. Etwa die Heuschrecke, Salabhasana. Nicht leicht. Stuhl ist ja eher nichtssagend. Möglich, dass mich einfach das U stört, in Kombination mit dem H. Langgezogenes Leiden.

In letzter Zeit gab es in verschiedenen Studios Gelegenheit, ein paar Grundlagen der Yogasprache Sanskrit zu lernen. Die Tatsache, dass bei mir auch nach Jahren der Praxis nicht viel mehr hängengeblieben ist als Utkatasana, hielt mich von jeder intensiveren Beschäftigung mit dem Altindischen ab. Dabei ist Sanskrit natürlich die Weltsprache des Yoga und hat ihren Reiz: Wer die Namen der Übungen beherrscht, kann in Ankara turnen, in Neu Delhi oder in Schanghai. Gesetzt den Fall, der Lehrer vor Ort sagt auch wirklich Utkatasana, wenn er Stuhl meint.

Becken, Kniescheibe, Schlüsselbein

Ich habe noch nicht in vielen Ländern an Yogastunden teilgenommen, dafür aber in einem recht lange. Als Studentin in England belegte ich zum Ausgleich des stundenlangen Sitzens in der zugigen Unibibliothek einen Yogakurs bei einer alterslosen, biegsamen Dame. Der Kurs fand in einem Nebenraum des unieigenen Sportstudios statt, und es wäre kein britisches Gebäude gewesen, wenn es dort ein einziges winddichtes Fenster gegeben hätte. Einmal die Woche lag ich frierend auf einer dünnen Matte und lernte mehr noch als geschliffenes Yoga neue Vokabeln der menschlichen Anatomie: pelvis, kneecap, collarbone, calf, Becken, Kniescheibe, Schlüsselbein, Wade. Das englische Wort für Stuhl hingegen war mir schon bekannt – und wenigstens wurde mir bei der Übung kurz warm. Dass der Lehrerin auch nur ein Wort in Sanskrit über die Lippen gekommen wäre, ist mir allerdings nicht erinnerlich.

Weil Berlin so totally international ist, hocken auch in meinem Yogakurs oft nette Menschen, die kein Deutsch verstehen und so wenig Sanskrit wie ich. Zu den üblichen Kommandos, versetzt mit hier und da einem altindischen Wort, kommen dann noch Halbsätze in Englisch. Eine Herausforderung für jeden Lehrer. Neulich war eine besonders liebenswerte Lehrerin nach der Hälfte der Stunde so verwirrt, dass sie ständig Hand sagte, wenn sie Fuß meinte – und andersherum. Wie ein kleiner Wald standen wir wackelnd einbeinig in Vriksasana, dem Baum, und fragten uns, wie wir zugleich die Füße zur Decke strecken sollten.

Bis der Erste anfängt zu kichern

Wir deutsch sprechenden schauten die Lehrerin an, die spanisch, italienisch, portugiesisch und englisch sprechenden Yogis schauten uns an. Bis der Erste anfing zu kichern, es alsbald länderübergreifend vorbei war mit der Konzentration und wir Bäume durcheinanderfielen wie Sperrholz.

„Wer Yoga übt, entfernt das Unkraut aus dem Körper, sodass der Garten wachsen kann.“ Der große Yogameister B.K.S. Iyengar soll das gesagt haben, in welcher Sprache weiß ich nicht. An diesem Tag setzte ich mich in den Stuhl, dass es nur so krachte.

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